Der 11. Oktober 1970 markiert einen Wendepunkt in der Politik in Eupen und Ostbelgien. Nach dem vielleicht teuersten und wohl auch härtesten Wahlkampf, den es im Gebiet deutscher Sprache jemals gegeben hat, erlebten die Eupener Christlich-Sozialen den schwärzesten Tag in ihrer Geschichte. Journalist Freddy Derwahl berichtete damals für die AVZ Ostbelgien über diese historische Wahl in Eupen. Für „Ostbelgien Direkt“ wirft er einen Blick zurück auf jenen Wahlsonntag vor 50 Jahren.
Als am Nachmittag des 11. Oktober 1970 die ersten Ergebnisse der Kommunalwahlen in Eupen durchsickerten, ging ein Raunen durch die Stadt. Was da geschehen war, glich einem politischen Erdbeben: Die Liste „Stadtinteressen“ um Bürgermeister Reiner Pankert fuhr einen grandiosen Wahlsieg ein. Die Herausforderer der CSP stürzten im freien Fall in die Bedeutungslosigkeit.
Die Niederlage der Christlich-Sozialen hatte sich in den letzten Wochen vor der Wahl diskret abgezeichnet. Dass sie jedoch so demütigend ausfiel, damit hatte niemand gerechnet.
Pankert, eher ein stiller Schmunzler, sah sich plötzlich im überfüllten Kolpinghaus als Star von stürmischem Jubel umgeben. Einige hundert Meter weiter, im Sälchen des Jünglingshauses, standen die letzten Treuen um den Spitzenkandidaten Heinrich Cremer wie unter Schock.
Als man sich dafür entschied, einen Abgesandten zur Gratulation des alten und neuen Bürgermeisters zu schicken, lehnte der CSP-Parteisekretär und Wahlkampfmanager Dr. Joseph Schmitz diese Mission ab. Stattdessen begab sich der Mittelständler Manfred Betsch auf den Weg nach Canossa. Diese Szene hatte starken Symbolwert.
Schon zeichneten sich Minuten nach dem Endergebnis zwei Richtungen in der ehemaligen Volkspartei ab. Auf der einen Seite der unbelehrbare Verlierer, auf der anderen, unter Schmerzen, ein diskreter Aufbruch zu ganz neuen Ufern. Schmitz sollte als abgesetzter Berater beim Premierminister und als Generalanwalt noch böse enden; Betsch bekleidete später als Ratspräsident das höchste Amt, das die Deutschsprachige Gemeinschaft zu vergeben hatte.
„Die Schlacht um die Macht in Eupen“
Die Bedeutung der Kommunalwahlen ging in Eupen weit über die traditionellen Zuständigkeiten einer Stadt hinaus. Zwar wurde über Unterricht, Kultur und Sprache heftig debattiert, doch mehr als tagespolitische Optionen warf die in Richtung Staatsreform zielende belgische Innenpolitik ihre Schatten voraus.
Seit der verweigerten Nominierung von Dr. Hubert Mießen zum Bürgermeister herrschte Mitte der 1960er Jahre in den 25 deutschsprachigen Altgemeinden eine scharfe politische Auseinandersetzung um den Sprachengebrauch in den Schulen. Während die einen, vorwiegend im Norden, ihren Gegnern meist in der Eifel Heim-ins-Reich-Nostalgie unterstellten, denunzierten die anderen die Forderung nach Zweisprachigkeit als Vorwand für frankophile Ambitionen.
Der Streit, der quer durch die Familien ging, eskalierte im Eupener Kommunalwahlkampf zu dem, was der scharf beobachtende Chefredakteur der „Aachener Volkszeitung“ (AVZ), Dr. Konrad Simons, als „die Schlacht um die Macht in Eupen“ beschrieb. Es ging aber um mehr: um die Macht in Ostbelgien. Es war ein knochenharter Richtungswahlkampf.
Heinrich Cremer, PSC-Bezirkspräsident, führend im einflussreichen flämischen „Boerenbond“ und somit auch in Brüsseler Regierungskreisen, hatte immer wieder vor dem Wahlgang 1970 in Eupen gewarnt: „Jetzt müssen wir aufpassen. Es geht nicht mehr um Pflastersteine“.
Pankerts Anhänger setzten auf die intellektuelle Waffenbrüderschaft mit dem „Deutschostbelgischen Hochschulbund“, der sich um die Muttersprache sorgte und von einem „Rat der hochdeutschen Volksgruppe“ munitioniert wurde. Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges brachen die alten Konflikte zwischen dem probelgischen „Block“ und der „Heimattreuen Front“ wieder auf.
„Eupen bleibt Eupen“ gewinnt gegen „Baut Eupen 1980“
Dabei ging es ungeniert ruppig zu. Überwunden geglaubte Nationalitäts-Konflikte brachen wieder aus. Der aus dem Eifeldorf Recht stammende Cremer wurde als „Mottes“ diffamiert, der beabsichtige, Eupen an die Wallonie zu verschachern. „Baut Eupen 1980“ war der Slogan der Christlich-Sozialen.
Pankert warb dagegen in der Schlussphase mit „Eupen bleibt Eupen“ und sprach den lokalen Sehnsüchten aus dem Herzen. Gestritten wurde auf der Straße, in den Sälchen der Wirtschaften und in unzähligen Leserbriefen. Die beiden Spitzenkandidaten, eher besonnene Persönlichkeiten, hielten sich zurück. Das eigentliche Schlachtfeld war jedoch die Presse.
Dabei hatte ich 24-jährig im Juni 1970 als Nachfolger von Willy Timmermann die Leitung der Ostbelgien-Ausgabe der AVZ übernommen. Es war eine heikle Aufgabe, denn es galt, den von den „Deutschostbelgiern“ verbreiteten Vorwurf, ich arbeite für die der CDU nahestehende Zeitung gegen Pankert, zu entkräften.
Dies hatte sich vor allem Dr. Joseph Schmitz erhofft, der annahm, ich sei auf sein Betreiben als Agent der CSP eingesetzt worden. Es galt sensibel zu lavieren, deutsche Einflussnahme zu vermeiden und alle zu Wort kommen zu lassen, was bis zuletzt gelang.
Schmitz, der selbst nicht zu kandidieren wagte, beging jedoch zwei Wochen vor dem Wahltermin einen verhängnisvollen Fehler, als er in Brüssel die Entlassung des BRF-Journalisten Horst Schröder betrieb. Heinrich Cremer war ein konzilianter Mensch, er hatte seinem Parteifreund freie Hand gelassen.
Es kam, wie von vielen erwartet: Die CSP hatte als stolze „nationale Partei“ die Bevölkerung aus den Augen verloren, die Liebenswürdigkeit des winkend durch die Stadt flanierenden Reiner Pankert tat den Rest. Es wurde Herbst, und in Brüssel begannen die Parteien den alten Einheitsstaat zu reformieren. In Ostbelgien standen bald ganz andere Wahlkämpfe bevor.
Die CSP brach zu einem „politischen Frühling“ auf und stand jetzt einer zum Machtwechsel entschlossenen PDB gegenüber, die sich erst 2009 nach den Verlusten im Zuge der Niermann-Affäre auflöste und als ProDG, eine neue offenere Bewegung, stärkste Partei wurde.
Zu einer „Wiedervereinigung der christlichen Kräfte“, für die sich vor allem Norbert Scholzen stark gemacht hatte, kam es nur in Eupen. Der Sprachenkampf war beigelegt. Die Bürgermeister kamen und gingen. In Ostbelgien hatte eine Blütezeit begonnen.
FREDDY DERWAHL
Ich kann mich noch gut an die Wahl erinnern. Damals ging es den Kandidaten nicht um Posten, sondern um die Ehre!
Sie sagen es, heute geht es in der Politik nur noch um Posten und Geld. Ganze Familien werden versorgt. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hatte damals nur der spätere Generalanwalt als Kabinettsattaché beim Premierminister einen festen Job durch die Politik. Alle anderen machten Politik nebenberuflich und zahlten sogar drauf, auch wenn sie, wenn sie Glück hatten, von ihrem Arbeitgeber gewisse Fazilitäten für die Dauer des Wahlkampfes genossen. Ich nehme an, dass dies für Heinrich Cremer beim Boerenbond, Kurt Ortmann beim Collège Patronné oder Peter Duyster beim Kabelwerk der Fall war. Entscheidend war aber, dass diese Leute für ihre Ideen stritten und nicht fürs Geld wie heute. Für so viel Engagement kann man 50 Jahre später nur den Hut ziehen. Das gilt aber nicht für die damalige CSP, sondern auch für Stadtinteressen und Sozialisten. Ich glaube, die PFF gab es 1970 nicht mehr, sie ist erst später von Fred Evers zu neuem Leben erweckt worden.
Und Du Freddy, Du warst damals schon ein gemütlicher Schreiberling und Gedichtepoet. Warum bliebs Du nicht bei den Christlichen? Es war der Beginn einer Wanderschaft und Entdeckungsreise mit vielen Stationen. Und immer wieder der Trieb hin zum vermeintlich Stärkeren! Das Kalkül ging trotzdem nur halb auf, denn rauf zum ganz ganz Grossen bis Du nicht gekommen.
Sehr geehrter Herr Wechselbaum, schade, dass Sie nicht die Courage besitzen, Ihren wahren Namen zu nennen.
Dennoch sollten Sie, bevor Sie in der Öffentlichkeit Behauptungen aufstellen, sich zunächst über die Fakten informieren und keine Unwahrheiten verbreiten.
Ich habe ein Mal in meinem Leben die Partei gewechselt, und zwar im November 1970, aus guten Gründen von der PFF zur CSP.
Sie täuschen sich sehr, dass ich zu den jeweils Stärkeren gegangen sei. Ich schloss mich im März 1968 der PFF von Gert Noel an und wurde deshalb an der Teilnahme der Staatsprüfung zum Rundfunkjournalisten aussortiert und politisch bestraft.
Die PFF habe ich nach 8 Monaten verlassen, weil die Parteiführung zurücktrat und uns Jugendliche beruflich benachteiligt allein ließ. Dass ich dann der CSP beigetreten bin, war gewiss kein Opportunismus, sondern ein riskantes Wagnis, denn diese Partei lag nach der erschütternden Wahlniederlage am Boden.
Der ProDG habe ich nie angehört. Oliver Paasch hat bei seinem ersten Wahlgang meine Frau als Mitglied der Elternvereinigung behinderter Kinder engagiert.
Ich freue mich immer, wenn sich junge Menschen politisch einsetzen, doch rate ich jedem von einem
Parteiwechsel, aus welchen Gründen auch immer, ab.
An meinem Beispiel ist zu sehen, wie man selbst nach 50 Jahren noch von Menschen verfolgt wird, denen es nicht um Wahrheit geht, sondern um Hetze.
So kann man natürlich auch Geschichtsklitterung betreiben und den eigenen politischen Lebenslauf „korrigieren“, oder? Andere sehen das natürlich ganz anders, und die waren auch dabei. Hautnah!
Das mit der Aussortierung und politischen Bestrafung ist starker Tobak. Gibt es da Beweise?
Eigne Recherchen würden Ihnen da Helfen.
Beleidigen ist Einfach,
Hast de Jutt gemacht.
Alles gute Dir und deiner Familie
Weiter so ; Der
Mercedes .Wir leben Oberhalb von der Burg.
Fast keine Erinnerungen an die Zeit. Als Beisitzer war ich im für die Region zuständigen Wahlbüro der Armee in der Kaserne von Spa eingesetzt, vermutlich am Freitag vor der Wahl. Vom Werben der Parteien in dem Jahr nichts mitbekommen, da mir weder GE noch AVZ noch Parteiprospekte zu kamen. Meine Eltern sagten mir….. keine Ahnung mehr was….. ;-)
Die gute alte PDB !
Der gute Heinrich Cremer kam ursprünglich aus der Eifel und hatte damals als CSP-Spitzenkandidat keine Chance gegen R. Pankert, einen gebürtigen Eupener mit großem Familienanhang, der von 1970 bis 1976 die Geschicke der Stadt leitete.
Heinrich Cremer war später u.a. ein sehr guter und umsichtiger Präsident des BRF-Verwaltungsrats.
Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Ich war damals noch sehr jung an Jahren und hatte neben der Schule nur Fußball im Kopf.
Ein interessanter Bericht von Freddy Derwahl. Damals ging es in der Eupener Kommunalpolitik noch sehr gemütlich zu. Nach 1976 thronte „Oberindianer“ Fred Evers 24 Jahre auf dem Bürgermeistersessel. Von 1977 bis 1994 ging ohne Evers und Ortmann (Erster Schöffe) nichts im kleinen Eupen.
Ein Dankeschön an OD und Freddy Derwahl für diesen interessanten Bericht. Solche Berichte bekommt man im Grenzecho nicht mehr geboten, wahrscheinlich weil es in der dortigen Redaktion niemanden mehr gibt, der schildern kann, was vor 50 Jahren war, obwohl das viele GE-Leser mehr interessieren würde als eine ganze Seite über einen Ostbelgier, der für ein Jahr nach Australien ausgewandert ist.
Ich schließe mich “ eastwind“ an. Danke OD und F. D.
Gelebte Geschichte die mein Bild dieser Zeit abrundet.
Blütezeit ? Ja für die Postenjäger der Parteien. Die haben bis heute Hochkonjunktur. Sind die einzigen, die wirklich profitiert haben.
Dein Trauma: keine Partei wollte dich; kein Pöstchen, keine Bedeutung..
Ich bin nicht traumatisiert. Ich amüsiere mich prächtig über den schleichenden Niedergang von CSP und SP.
Hochmut kommt vor dem Fall, lautet meine Feststellung.
Stimmt, hätten sie dich in ihre Reihen aufgenommen würden sie einer leuchtenden Zukunft entgegen gehen..
Du, lieber Marcel, bräuchtest deinen Frust nicht immer und immer wieder zu dokumentieren..
Was da alles schief gelaufen ist..
Die CSP hat sich von dem Problem Dr. Joseph Schmitz nie richtig distanziert.
Mit guten Leuten und den richtigen Themen wird die CSP eine Renaissance erleben und Zukunft haben.
Ist allerdings noch nicht so weit..
@ Jaman, wann dann?….
Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Gemeinderatswahl. Der CSP Spitzenkandidat Ing. Cremer, seines Zeichens Bauernbundberater, war in den Tagen danach wegen der Besprechung der Ergebnisse der Verwaltungsbuchführung bei uns Zuhause.
Ganz ganz tief enttäuscht sagte er, dass es das mit der Politik für ihn gewesen sei, denn so etwas wolle er nie mehr Erleben müssen.
@ PB, eine Niederlage macht einen doch erst richtig stark….
Oh, da waren Sie sicher auch verwandt mit den Cremer’s Herr Pensionär!? War der Gerard auch mit ihnen verwandt? Oder waren sie so etwas wie die graue Eminenz in der Eupener Politik Herr Bauer? Es kommt von allem etwas rüber in Ihrem Verzähl?
Verwandt?
Mit absoluter Sicherheit bin ich mit den Cremer‘s in keinsterweise verwandt.
Sowohl ich als auch meine Vorfahren waren immer Mitglied des Belgischen Bauerbundes und beim BB war der Herr Ing. Cremer als Betriebsberater angestellt.
Er war ein sehr guter und einfühlsamer Berater, der immer die Ganzheitlichkeit von Betrieb und Familie erkannte und in seinen Beratungen berücksichtigte.
NB: ich sagte es schon des öfteren hier, ich komme nicht aus Eupen.
Pensions Bauer, ich stelle fest: obschon Sie bestreiten nicht von Eupen zu sein, so kennen Sie die dortigen Verhältnisse mehr als bestens.
@Ne Schmaubär, ich bestreite mit Sicherheit nicht, dass ich nicht von Eupen bin.
Egal von wo aus der DG man kommt, man muss die Politik der „Schmaubäre“ immer im Blick behalten, denn erstens sind sie die größte Gemeinde (Stadt?) und zweitens haben viele dieser Gattung, zumeist unbegründet, das größte Mundwerk, ich lege aber Wert auf zumeist.
Die Pankert-Ära war gut und kurz, denn sie dauerte nur sechs Jahre. Später kamen Evers (24 Jahre), Keutgen (12 Jahre) und Klinkenberg (6 Jahre). Claudia Niessen „thront“ nun seit 2018. Mal schauen, wie lange sich die „grüne Dame aus Kettenis“ halten wird… Das wird auch von der Koalition (Grüne, Liberale + Sozialisten) abhängen, die bisher gute Arbeit geleistet hat.
@Bürgermeister-Folge: Die Pankert-Ära dauerte 10 Jahre (von 1966 bis 1976). Gruß
Ja, „es ging ein Raunen durch die Stadt…“, dazu noch jede Menge anderer Metaphern und Schwarz-Weiß-Bilder und schon schwelgen alle in Nostalgie und verklären die damalige Zeit.
In Wirklichkeit fand der Kampf um die Macht in einem brutalen, „säbelrasselnden“ Kontext statt, der sich von heutigen ruppigen Methoden kaum unterschied. Die STI, eine lokale Variante der PdB, wurde von seinen Hassern aus den Reihen der anderen Parteien, vorneweg die CSP, als Heim-ins-Reich-Bewegung verschrien. Wer die PdB wählte war „Nazi“… das Schimpfwort hat also nicht nur heute Inflation, nur damals, wenn auch in anderem Kontext, wurde es geraunt….
@ Hausmeister, genau so war es….
Dieser Artikel ist interessant, aber aus der sehr subjektiven Sicht von Freddy Derwahl verfasst.
wo willst du mit so einer CSP auch hin – so bleibt die noch 12 Jahre in der Oposition