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Colin Kraft über die Lage auf dem Aachener Tivoli vor dem Saisonstart: „Die Alemannia-Begeisterung erlischt nicht“

Alemannia-Fan Colin Kraft im vollbesetzten Tivoli-Stadion. Foto: privat

Am kommenden Samstag um 14 Uhr startet Fußball-Drittligist Alemannia Aachen mit einem Auswärtsspiel beim VfL Osnabrück in die neue Saison. Was man von den Schwarz-Gelben in dieser Spielzeit 2025/2026 erwarten kann und wie die Stimmung auf dem Aachener Tivoli vor dem Saisonstart ist, darüber unterhielt sich OD mit Ostbelgiens größtem Alemannia-Fan Colin Kraft.

Seit den frühen 1990er Jahren geht der Eupener Colin Kraft zum Tivoli und ist dem Verein als Fan und als ehemaliger Mitarbeiter eng verbunden. Kraft arbeitete nach einem Engagement beim Deutschen SportFernsehen (DSF) in der Pressestelle der Alemannia. Nach dem Aufstieg in die Bundesliga im Jahr 2006 leitete er eine der Marketingabteilungen. Heute arbeitet der Eupener Stadtrat als Sekundarschullehrer und Unternehmensberater.

OD: Colin Kraft, am Samstag startet die Alemannia in die neue Saison. Letztes Jahr landete Aachen auf Platz 12 – ein starkes Ergebnis für einen Aufsteiger. Wie sehen Sie die neue Saison? Ist mehr drin als Platz 12?

24.07.2025, Nordrhein-Westfalen, Aachen: Das offizielle Mannschaftsfoto für die Saison 2025/2026. Foto: picture alliance / dpa

Colin Kraft: Nach elf Jahren Regionalliga war der Klassenerhalt natürlich das oberste Ziel. Wäre mehr drin gewesen? Vielleicht. Trotz aller Höhen und Tiefen auf und neben dem Platz kann man mit der letzten Saison sehr zufrieden sein. Angesichts des Umbruchs auf allen Ebenen ist es aktuell schwer, eine Prognose abzugeben – auch wenn die Saison bereits am Samstag startet. Angesichts der aktuellen Kaderstärke würden viele Fans Platz 12 wohl auch jetzt sofort unterschreiben. Aber es wird noch viel passieren. Da lege ich mich fest.

OD: Trainer Heiner Backhaus hat Aachen Richtung Braunschweig verlassen. Hat Sie das überrascht?

Kraft: Mich persönlich schon. Heiner Backhaus hatte in Aachen alles, was man sich als junger Trainer wünschen kann. Andererseits ist es nachvollziehbar, wenn ein Trainer die Chance auf einen Klub in einer höheren Liga nutzt – so läuft das Geschäft. Der Zeitpunkt und die Art der Kommunikation waren jedoch unglücklich, teilweise verstörend und haben einiges zerstört. Trotzdem bleibt er der Trainer, der die Alemannia aus der Regionalliga geführt und dem Verein ein emotionales Gesicht gegeben hat, mit dem sich viele identifizieren konnten.

OD: Was wissen Sie über den neuen Trainer?

Trotz vieler Probleme bleibt Alemannia Aachen ein Publikumsmagnet. Foto: picture alliance / dpa

Kraft: Benedetto Muzzicato lässt sich als ambitionierten, modernen Trainer beschreiben, der besonderen Fokus auf die Entwicklung von jungen Spielern setzt, weswegen er vom SC Freiburg damals für die U23 verpflichtet wurde. Vielleicht ein Signal dafür, dass die Alemannia künftig wieder in ein Nachwuchsleistungszentrum investieren möchte. Nebenbei: Aachen war letzte Saison innerhalb der 3.Liga Schlusslicht, was Ausbildung von jungen Spielern angeht. Sein Start ist aber alles andere als einfach: Der Kader ist stark ausgedünnt, der neue Sportdirektor Rachid Azzouzi beginnt erst diese Woche, und viele Verletzte erschweren eine vernünftige Vorbereitung. Muzzicato ist momentan nicht zu beneiden.

OD: Wer ist außer Backhaus noch gegangen? Und wer ist gekommen?

Kraft: Der Abgang von Soufiane El-Faouzi (Schalke 04) war zwar absehbar, wiegt aber schwer. Die Abgänge von Anas Bakhat und Anton Heinz bedauere ich, da beide großen Anteil am Aufstieg in die 3. Liga hatten. Die bisherigen Neuzugänge wie Sulejmani, Lorch oder Wagner verfügen über Potenzial bzw. 3.-Liga-Erfahrung. Aber nicht nur angesichts der langfristigen Verletzung von Kapitän Mika Hanraths wird der Kader noch verstärkt werden müssen. Es wird sicher noch Bewegung auf dem Transfermarkt geben. Was die Alemannia jetzt bräuchte, ist Zeit – doch genau die fehlt. Mit Rachid Azzouzi als neuem Geschäftsführer Sport hat man jedoch einen erfahrenen Fachmann gewonnen, der jetzt erst richtig loslegt.

OD: Wie ist die Lage im Umfeld der Mannschaft? Gibt es noch Ärger in der Vereinsführung?

17.08.2024, Nordrhein-Westfalen, Aachen: Lukas Scepanik (l) von Alemannia Aachen und und Nicolai Remberg von Holstein Kiel kämpfen im DFB-Pokalspiel um den Ball. Foto: Roberto Pfeil/dpa

Kraft: Ich erachte die bisherigen Entwicklungen als vielversprechend und die allgemeine Stimmung erlebe ich als positiv. Dass man Rachid Azzouzi für den Posten des Geschäftsführers Sport gewinnen konnte, ist ein starkes, wenn sicherlich auch ein kostspieliges Signal. Er kennt das Geschäft und kann die Alemannia sportlich entscheidend voranbringen. Zudem soll bald die neue Leitung der Geschäftsstelle vorgestellt werden, was ein professionelles Konstrukt komplettiert. Einziges B-Mol: Wäre jetzt das Ende der Saison, wäre alles gut. Denn am Ende hängt der betriebswirtschaftliche Erfolg stark von den Leistungen auf dem Platz ab. Am Samstag fährt man jedoch mit einem außergewöhnlich kleinen Kader zum ersten Saisonspiel nach Osnabrück. Es wird also richtig spannend, wie sich die Mannschaft nun entwickeln wird. Ein Sieg im ersten Spiel würde vieles einfacher machen.

OD: Wer sind die Favoriten in der 3. Liga? Als Topfavoriten werden Hansa Rostock, 1. FC Saarbrücken und 1860 München genannt sowie als Aufstiegsaspiranten SSV Ulm 1846, Jan Regensburg, Energie Cottbus und Rot-Weiss Essen. Aachen wird nicht genannt.

Kraft: Dass Aachen aktuell nicht zu den Topfavoriten gezählt wird, überrascht mich nicht. Durch den personellen Umbruch – Backhaus’ Weggang, die Demission von Geschäftsführer Eller, die Neubesetzung des Aufsichtsrates – hat der Verein wertvolle Zeit für die Kaderplanung verloren. Andere Vereine sind da momentan weiter. Aber das aktuelle Transferfenster ist noch bis zum 31. August geöffnet, und wir dürfen gespannt sein, wen das Team um Rachid Azzouzi und Erdal Celik noch holt. Aufgestiegen wird schließlich am 38. Spieltag und nicht am Samstag.

OD: Hält die Fußballbegeisterung in Aachen an oder ist sie rückläufig?

V.l.n.r. „Ostbelgien-Tag“ am 2. Februar 2024 auf dem Tivoli (v.l.n.r.): Initiator Colin Kraft, Marketingmanager Michael Hamacher, Geschäftsführer Sascha Eller und Aufsichtsratsvorsitzender Marcel Moberz. Foto: Alemannia Aachen

Kraft: Die Alemannia bleibt ein großartiger Traditionsverein mit erstklassigen Fans und einer Strahlkraft weit über die Region hinaus. Natürlich lief in den letzten zwölf Monaten nicht alles rund. Aber derzeit passiert viel Positives am Tivoli. Über 15.000 Dauerkarten sind bereits abgesetzt, rund 10.000 Fans waren bei der Saisoneröffnung dabei und neue Trikots, die zum Teil schon vergriffen sind. Auch wenn viele Fans sich zu Recht Sorgen um die aktuelle Kaderstärke machen – die Alemannia-Begeisterung erlischt nicht.

OD: Was macht eigentlich Ihre Ostbelgien-Initiative? Wird es wieder einen Ostbelgien-Tag geben?

Kraft: Der Ostbelgien-Tag war ein voller Erfolg – über 50 ostbelgische Unternehmen haben sich beteiligt und sich von den grenzüberschreitenden Netzwerkmöglichkeiten am Tivoli überzeugen können. Das zeigt, wie viel Potenzial in der Vernetzung innerhalb der Euregio steckt. Mit meiner Agentur bin ich weiterhin im regelmäßigen Austausch mit Unternehmen aus Ostbelgien und der gesamten Region. Ob und wann es eine Neuauflage des Formats geben wird, hängt natürlich auch von den weiteren Entwicklungen im Verein ab. Das Interesse auf ostbelgischer Seite ist auf jeden Fall nach wie vor groß. (cre)

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