Gesellschaft

Fall Dutroux: Von der Entführung von Julie und Melissa bis zum Antrag auf vorzeitige Entlassung aus der Haft

Bild links - Ein früheres Fahndungsfoto des Kinderschänders Marc Dutroux. Bild rechts - Die Mütter von Mélissa Russo und Julie Lejeune 1996 mit den Fotos ihrer Kinder. Fotos: Belga

AKTUALISIERT – Wie kaum ein anderer hat der Kriminalfall Marc Dutroux die belgische Gesellschaft erschüttert. Schon 1989 war er wegen Vergewaltigung verurteilt worden, wegen guter Führung aber wieder freigekommen. Ein Rückblick.

– Juni 1995: Julie (8) und Mélissa (8) verschwinden spurlos, im August auch An (17) und Eefje (19). Sie sterben in Dutroux‘  Kellerverlies.

– Mai 1996: Sabine (12) verschwindet in Kain bei Tournai nahe der französischen Grenze.

22.05.2000, Belgien, Neufchâteau: Marc Dutroux (M, in Handschellen) wird von Polizeibeamten nach einer Anhörung aus dem Justizpalast geführt. Foto: David Martin/dpa

– August 1996: Laetitia (14) wird in Bertrix in der Provinz Luxemburg entführt. Nach Zeugenaussagen werden Dutroux, seine Frau und ein Komplize wenige Tage später festgenommen. Nach deren Geständnissen können Laetitia und Sabine befreit werden.

– Oktober 1996: In Brüssel bekunden beim „Weißen Marsch“, der größten Demonstration in der Geschichte Belgiens, Hunderttausende ihre Solidarität mit den Eltern der entführten Mädchen.

– März 2004: Der Mordprozess gegen Dutroux und drei Mitangeklagte beginnt in Arlon in der Provinz Luxemburg.

So sah Michelle Martin aus, als ihr 2004 in Arlon der Prozess gemacht wurde. Foto: Belga

– Juni 2004: Das Gericht verurteilt Dutroux zu lebenslanger Haft. Seine damalige Frau muss 30 Jahre ins Gefängnis.

– Dezember 2004: Dutroux scheitert mit seinem Antrag auf
Wiederaufnahme des Prozesses. Das Urteil ist rechtskräftig.

– Juli/August 2012: Ein Gericht entscheidet, dass Dutroux’ Frau Michelle Martin vorzeitig freikommt und künftig in einem Kloster leben darf. Der Widerspruch von Opferfamilien bleibt erfolglos.

– September 2012: Dutroux stellt einen Antrag auf vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis, der im Februar 2013 abgelehnt wird.

– Oktober 2019: Ein Brüsseler Gericht gibt dem Antrag seiner Anwälte auf ein neues psychologisches Gutachten statt. Ergebnis: Die Rückfallgefahr wäre weiterhin zu hoch. (dpa)

Belgiens Trauma: Sexualstraftäter und Kindermörder Marc Dutroux sitzt seit 25 Jahren im Gefängnis

1996 wurde der Sexualstraftäter und Kindermörder Marc Dutroux verhaftet. Auch ein Vierteljahrhundert später sind seine Taten nicht vergessen. Dutroux bleibt ein großes Trauma für Belgien.

In Charleroi steht ein Haus ohne eine Tür. Das Haus des Mannes, dessen Name ein Synonym für Grausamkeit ist: Marc Dutroux. Der Eingang ist verbarrikadiert und die Fassade mit einem großen Bild verkleidet. Zu sehen ist ein Kind vor einem himmelblauen Hintergrund, das einen Drachen in die Luft steigen lässt.

Der heute 64-jährige Dutroux entführte, vergewaltigte, folterte und tötete in den 1990er Jahren mehrere Mädchen in Belgien. Zwei Mädchen verhungerten in einem Kellerverlies in diesem Haus. Am 13. August vor 25 Jahren konnte die Polizei Dutroux fassen. Nach acht Jahren fiel das Urteil: lebenslange Haft.

03.08.2021, Belgien, Charleroi: Eine Gedenktafel gegenüber dem Haus, in dem der Sexualstraftäter und Kindermörder Marc Dutroux seine Taten verübte, erinnert an die Opfer von Pädophilie. Foto: Esra Ayari/dpa

Vergessen hat Belgien Dutroux auch nach einem Vierteljahrhundert nicht. Die Person Dutroux bleibt ein Mahnmal. Wie auch das Haus mit der himmelblauen Fassade in Charleroi.

Es ist ein Stück Farbe in einer trostlosen Gegend. Gleise liegen direkt vor der Tür, Autos rasen an der angrenzenden Schnellstraße auf der Überführung. Es ist durchweg laut. Unter der Brücke spielen kleine Jungs Fußball. Ihre Rufe und das Aufprallen des Balles gesellen sich zum Verkehrslärm. Eine Gedenktafel gegenüber vom Haus erinnert an die Opfer von Pädokriminellen, also an Kinder, die Opfer von Verbrechern wurden. Nach Angaben eines Stadtsprechers soll das Haus bis 2023 abgerissen und ein Gedenkgarten erbaut werden.

Zu den Opfern zählen zum Beispiel die beiden Mädchen Melissa Russo und Julie Lejeune. Beide wurden achtjährig im Juni 1995 entführt und in dem von Dutroux gebauten Verlies festgehalten und sexuell missbraucht. Damaliger Berichterstattung zufolge soll das Verlies rund zwei Meter lang und etwa ein Meter breit gewesen sein. Die Mädchen verhungerten, während Dutroux wegen Autodiebstählen für drei Monate im Gefängnis saß.

03.08.2021, Belgien, Charleroi: Ein verbarrikadierter Eingang und ein übergroßes Bild eines Kindes, das einen Drachen in die Luft steigen lässt an der Fassade des Hauses, in dem der Sexualstraftäter und Kindermörder Marc Dutroux seine Taten verübte. Foto: Esra Ayari/dpa

Zwei weitere Opfer, Eefje Lambrecks (19) und An Marchal (17), starben im Jahr 1995, nachdem Dutroux und Komplizen sie entführt, missbraucht und gefoltert hatten. Im Mai 1996 entführte Dutroux die damals 12-jährige Sabine Dardenne und im August 1996 die damals 14-jährige Laetitia Delhez und steckte sie in sein Verlies.

Aufgrund von Zeugenaussagen konnte er dann gefasst werden. Die zwei Mädchen kamen frei. Sabine hatte zu dem Zeitpunkt mehr als 70 Tage und Laetitia etwa eine Woche im Verlies verbracht.

Besonders schockierend war der Fall, weil der fünffache Familienvater Dutroux und seine Lebensgefährtin, Michelle Martin, bereits in den 1980er Jahren wegen der Entführung und des Missbrauchs von fünf Mädchen verurteilt worden waren. Er sollte eigentlich 13 Jahre absitzen – kam aber nur sechs Jahre nach seiner Verhaftung wegen guter Führung wieder frei.

Nach der endgültigen Festnahme am 13. August 1996 rollte eine Welle der Empörung über Belgien. Etwa 300.000 Menschen demonstrierten damals in Brüssel beim sogenannten Weißen Marsch unter anderem gegen sexuelle Gewalt an Kindern und die Justiz.

17.06.2004, Belgien, Arlon: Marc Dutroux sitzt vor der Urteilsverlesung der Geschworenen im Gericht. Foto: Michel Krakowski/Belga Pool/epa/dpa

Als Auslöser sahen viele vor allem die Absetzung des Untersuchungsrichters Jean-Marc Connerotte vom Fall Dutroux. Der Richter hatte an einem Benefiz-Essen für die Opfer von Dutroux teilgenommen, daher warf man ihm Befangenheit vor. Connerotte hatte sich für ein striktes Durchgreifen gegen Pädokriminelle ausgesprochen.

Zudem beteuerte Dutroux, er habe im Auftrag eines Pädophilennetzwerkes mit bedeutenden Persönlichkeiten gehandelt. Diese Aussagen bestätigten sich zwar nie, für viele Menschen wurde der Fall Dutroux aber dennoch auch zu einem Inbegriff für das Versagen der Justiz und der Polizei. Er gilt auch als einer der Gründe für die Polizeireform in Belgien Mitte der 1990er Jahre.

Darf ein Mann wie Dutroux also noch einmal auf freien Fuß kommen? Damals bekam er die lebenslängliche Haftstrafe. Sein Anwalt Bruno Dayez jedoch kämpft seit ein paar Jahren für die Entlassung. 2018 veröffentlichte er sogar ein Buch darüber. 2020 bestätigte ein psychologisches Gutachten dann, dass Dutroux nach wie vor eine Bedrohung sei und nicht frühzeitig entlassen werden könne. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur teilte Dayez jetzt mit, dass er nicht aufgeben werde, derzeit sei „die Frucht“ allerdings noch „nicht reif“.

04.02.2013, Brüssel: Demonstranten halten vor dem Justizministerium ein Transparent mit der Aufschrift „Dutroux soll im Loch bleiben“. Foto: Julien Warnand/EPA/dpa

Sofia Mahjoub von Child Focus, eine Stiftung für sexuell missbrauchte und vermisste Kinder, ist sich sicher: Eine frühzeitige Entlassung des „Staatsfeindes“ würde die belgische Gesellschaft nie akzeptieren. „Jeder kennt seinen Namen, jeder kennt seine Taten“, erklärt Mahjoub. Dutroux habe Belgien verändert, gekennzeichnet und traumatisiert. Child Focus wurde in den 1990ern unter anderem von dem Vater eines Opfers gegründet.

Dutroux entführte eines seiner Opfer auf offener Straße und zerrte es in einen weißen Van. Noch immer riefen besorgte Eltern die Stiftung an, wenn sie einen weißen Van auf der Straße sehen. Die Angst stecke noch in den Knochen. In vielen Bussen in Brüssel hängt das grünblaue Werbebild von Child Focus.

Doch auch wenn es gelegentlich zu Entführungen von Kindern komme, ist es Mahjoub zufolge „unmöglich“, dass ein zweiter Dutroux das Land erschüttere – weil das Bewusstsein der Bevölkerung gestärkt sei und gleichzeitig die Polizeiarbeit besser ablaufe. „Belgien ist heute ein sicheres Land“, sagt Mahjoub.

Eventuell auch weil Dutroux weiter im Gefängnis sitzt. Seinem Anwalt zufolge büßt er seine Strafe in Einzelhaft ab: 25 Jahre alleine in einer neun Quadratmeter großen Zelle. Fast wie ein Verlies. (dpa)

20 Antworten auf “Fall Dutroux: Von der Entführung von Julie und Melissa bis zum Antrag auf vorzeitige Entlassung aus der Haft”

  1. Und noch mal 30 Jahre in Sicherungsverwahrung, Einzelhaft ist ja klar, im Knast
    werden solche Typen besonders behandelt von Mitgefangenen,rutschen in der Dusche auf der Seife
    aus, verlieren die Zähne, stolpern öfter und rutschen auf Bananenschalen aus.

  2. Hildegard Poth

    Ein Verlies ist für dieses Schwein noch Luxus.
    Dieser Kindermörder, Sexualtäter usw. darf nie mehr aus der Haft entlassen werden.
    Was er den Familien der getöteten und missbrauchten Kinder angetan hat ist nie mehr gutzumachen.
    Diese armen Kinder.
    Man soll ihn dem Volk überlassen, dann lebt er nicht mehr lange.

  3. Robin Wood

    Ach der Arme: „Seinem Anwalt zufolge büßt er seine Strafe in Einzelhaft ab: 25 Jahre alleine in einer neun Quadratmeter großen Zelle. Fast wie ein Verlies.“
    Und wie fühlten sich seine Opfer in seinem Kellerverlies? Sie hatten nicht den Luxus der Einzelhaft, sie hungerten und wurden widerlich gequält.
    So jemand darf nie wieder in Freiheit kommen.
    Dennoch kann sich so etwas wiederholen.

  4. Ein bedauerlicher Unfall am ersten Tag der Freiheit wird es sicher richten. Der würde doch keinen einzigen Tag in Freiheit überleben ohne teuren Polizeischutz. Wie stellen die / er sich das vor?

  5. Walter Keutgen

    Aus dem Artikel: „Als Auslöser sahen viele vor allem die Absetzung des Untersuchungsrichters Jean-Marc Connerotte vom Fall Dutroux. Der Richter hatte an einem Benefiz-Essen für die Opfer von Dutroux teilgenommen, daher warf man ihm Befangenheit vor. Connerotte hatte sich für ein striktes Durchgreifen gegen Pädokriminelle ausgesprochen.“ Dass Connerotte abgesetzt wurde, war schon richtig, das steht so im Gesetz und er wusste das. Vielleicht hat er das gewollt. Man hat den Staatsanwalt nicht abgesetzt, obwohl das Tradition war, weil es nicht im Gesetz stand. Am Ende war ein Paar mit der Aufgabe befasst, das nicht riskierte von einer kriminellen Bande mittels ihrer Familie unter Druck gesetzt zu werden können. Was der Artikel unterschlägt ist, dass Connerotte erst spät mit der Sache beauftragt worden ist, weil Dutroux zufällig trotz laufender Untersuchung in den Ardennen tätig geworden ist. Die Lütticher Untersuchungsrichtering verstand nichts von Personalführung und war überdies krank. Sie hat die ihr zur Verfügung stehenden Beamten vor den Kopf gestoßen, statt sie anzufeuern.

  6. Sumpflöcher?

    Jede Menge Mankos, bei unseren so geschätzten Politikern und der Hohen Justiz?! Grausam, aber die Betroffenen schert das wenig. Tueurs de Brabant und Dutroux, gestern grosser Artikel darüber in „la Meuse“. Da wurden sogar Namen genannt, und mögliche Zusammenhänge, aber bis heute noch rein gar nichts gefunden? Ein Schelm der……? Alles ist gut? Aber ganz sicher!

  7. Keine Sorge keine Sorge! unsere Politiker haben kurz nach der verhängten Lebenslangen Strafe die Lebenslange Strafe ja auf eine gewisse Zeit begrenzt! Ich hoffe nur das trotz dieser zufälligen Hilfe diesem Herrn andere illegalen Vorgänge während seiner Haft nachgewiesen werden können…. (Mehr sag ich dazu nicht, da es nicht l… ist)

  8. Traurig, traurig

    Warum sind so viele Zeugen gestorben?- ganz zufällig- die mußten sterben. Weil die zuviel wussten. Wie heist es im Bericht: im Auftrag eines Pädophilennetzwerkes mit bedeutenden Persönlichkeiten gehandelt.
    Die Wahrheit wird nie rauskommen. Dutroux wird noch eher rauskommen wie die Wahrheit.

  9. Corona2019

    @ – Unfall

    Das fehlte noch , Polizeischutz ?
    Aber sie haben recht , wahrscheinlich würde er das auch noch durchsetzen.
    Deshalb ist Einzelhafft wohl das schönste was er den Rest seines Lebens genießen kann , er weiß es natürlich nur nicht .
    Wenn ich mich in die Lage der Eltern von den
    Opfern versetze , würde er in Freiheit wirklich keine Chancen haben wenn es einer meiner Kinder gewesen wäre .

    Das die komplette Wahrheit nie ans Tageslicht gekommen ist , zeigt das in den Obersten Reihen der Politik doch einige Psychopathen sitzen müssen .

    Verstanden habe ich auch nie , weshalb seine Frau so früh frei gekommen ist .
    Entweder konnte sie gut die Opfer Rolle spielen , oder sie wusste mehr, hat dieses genutzt , und man hat ihr die Freiheit versprochen wenn sie dicht hält .

    Wie dem auch sei , schuldig eben durch ihr Wissen,
    Und ihr kaltblütiges nichts gegen eine solches
    Handeln ihres Mannes zu unternehmen , zeigt die Mittäterschaft dieser Frau .
    Nein , ich bin nicht Frauen feindlich , bevor hier jemand auf die Idee kommt .
    Aber es gibt eben auch Frauen , denen man die Freiheit nicht mehr erlauben dürfte.

  10. Ingolf Schins

    Nach 25 Jahren darf er seine Freiheit bekommen in einem Raum unter der Erde ohne Fenster und einer Tür die nach seinem betretten nie wieder geöffnet wird. Es ist einfach kein Mensch oder Tier den selbst Tiere haben Gefühl aber einer wie er er nicht und er sollte fühlen was seine Opfer fühlten genau wie seine Frau dieses Erlebnis haben sollte. Traurig dass wir solche Wesen am Leben lassen anstatt sie bis zum Ende leiden zu lassen wie sie es mit ihren Opfern taten. Wiederlich. Sowas ist keine Gerechtigkeit. Diese Kinder hatten ihr Leben noch vor sich und er darf jeden Morgen noch aufstehen..

  11. Es gibt keine Gerechtigkeit

    Michelle Martin wurde zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt und kommt nach 8 Jahren frei. Im Kloster lebt Sie auch nicht mehr. Das Erbe ihrer Mutter hat Sie an den Hinterbliebenen vorbei zu ihren Kinder geschleust. Wie kann es sein dass unser Gesetz die Opfer bestraft und die Täter laufen lässt? Wie kann ein Anwalt diese Perversen vertreten? Einfach nur EKELHAFT.

  12. Besorgte Mutter

    Alleine der Gedanke, dass dieser Typ nochmal frei herumläuft ist fast schon ein Skandal.
    Ich bin bestimmt für einen humanen Strafvollzug, aber der, der soll in seinen eigenen Exkrementen bei kaltem Wasser und trockenem Brot dahinsiechen.

  13. Besorgter Leser

    wieso widmet die Presse diesem Menschen-Monster soviel Aufmerksamkeit ?
    traurig, traurig.

    Könnte man diesen Platz nicht besser für positive Berichte nutzen ?
    Es gibt doch so viele Menschen die GUTES tun, wieso bekommen diese nicht mehr Aufmerksamkeit ?

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