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Alemannia Aachen vom Aufsteiger zum Krisenclub – Kraft: „Die letzten Monate waren eine Katastrophe“

Alemannia-Fan Colin Kraft im vollbesetzten Tivoli-Stadion. Foto: privat

Der Aufstieg in die 3. Liga ist für Alemannia Aachen bisher nicht so verlaufen, wie sich dies die Schwarz-Gelben erhofft hatten. Am Dienstagabend gelang ihnen zwar ein überraschender 3:0-Auswärtssieg beim Tabellenfünften Ingolstadt, jedoch ist die Abstiegsgefahr damit noch längst nicht gebannt. Und auch vereinsintern gab es zuletzt jede Menge Ärger.

Dabei hatte die Saison in der 3. Liga nicht schlecht begonnen. Es sah zunächst danach aus, als würde die Alemannia eine ruhige Saison spielen und diese mit einem Platz im Mittelfeld beenden können.

Was ist da schief gelaufen? Das wollte „Ostbelgien Direkt“ von einem der größten ostbelgischen Alemannia-Fans erfahren.

Trotz vieler Probleme bleibt Alemannia Aachen ein Publikumsmagnet: Gegen Dynamo Dresden kamen wieder rund 31.000 Zuschauer ins Tivoli-Stadion. Foto: Colin Kraft

Seit den frühen 1990er Jahren geht der Eupener Colin Kraft zum Tivoli und ist dem Verein als Fan und als ehemaliger Mitarbeiter eng verbunden. Kraft arbeitete nach einem Engagement beim Deutschen SportFernsehen (DSF) in der Pressestelle der Alemannia. Nach dem Aufstieg in die Bundesliga im Jahr 2006 leitete er eine der Marketingabteilungen. Heute arbeitet das Eupener Stadtratsmitglied als Sekundarschullehrer und Unternehmensberater.

OD: Colin Kraft, was ist mit der Alemannia los? Weshalb hat Aachen bisher die Erwartungen nicht erfüllen können?

Colin Kraft: Als Aufsteiger weißt du natürlich nie, wie es sportlich läuft. Dass man sich am unteren Drittel wiederfinden kann, muss eigentlich allen vorher klar gewesen sein. Die 3. Liga ist mit zahlreichen Traditionsclubs sehr stark besetzt und die Leistungsdichte ist enorm. Da musst du jedes Spiel bis zum Abpfiff abliefern, was bisher leider oft gegen die Alemannia gelaufen ist. Ein Beleg dafür ist, dass die Alemannia nach der 85. Minute bereits zahlreiche Punkte verspielt hat. Dennoch lege ich mich fest, dass wir auch nächste Saison Drittligafußball in der Kaiserstadt sehen werden.

OD: Nach dem Aufstieg wurde Aachen nicht als Abstiegskandidat gehandelt. Was ist da schief gelaufen?

17.08.2024, Nordrhein-Westfalen, Aachen: Patrick Erras (l) von Holstein Kiel und Mika Hanraths von Alemannia Aachen kämpfen um den Ball im DFB-Pokal. Foto: Roberto Pfeil/dpa

Kraft: Es kommt vieles zusammen. Es wurden einige Spieler geholt, die ihrem Anspruch bisher nicht gerecht wurden – insbesondere in der Offensive. Leider muss man sich jetzt natürlich die Frage gefallen lassen, ob man den Kader ausreichend gut geplant hat. Einerseits hat man sich nur schwer von zahlreichen Spielern trennen können, die für die 3.Liga zu schwach waren, und andererseits hat der Verein es nicht geschafft, den zeitweise extrem großen Kader mit ausreichend Qualität zu besetzen. Dann kommt hinzu, dass die Mannschaft viele Punkte hat liegen lassen, die sie hätte holen müssen.

OD: Es gab auch jede Menge Ärger in der Führungsetage. Was ist da passiert?

Kraft: Die letzten Monate waren eine Katastrophe, die für die Alemannia deutschlandweit viel Schaden angerichtet hat. Es waren vor allem ungesunde Verbindungen von Mitgliedern des Aufsichts- und Verwaltungsrates außerhalb des Klubs. Den regionalen Medien konnte man da ja genug entnehmen. Darauf folgten dringend nötige Rücktritte aus den entsprechenden Gremien. Nicht so einfach, weil diese Menschen wie z.B. der mittlerweile Ex-Aufsichtsratsvorsitzende Marcel Moberz auch einen erheblichen Anteil am Erfolg der letzten Jahre hatten.

OD: Sind das Einzelfälle oder ein generelles Problem im Verein?

Kraft: Ich habe der Vereinsführung schon letztes Jahr geraten, sich in Sachen politisch externer Kommunikation besser aufzustellen. Die Führung trat in meinen Augen oft zu zögerlich, unentschlossen und diffus Themen wie Rechtsextremismus und Gewalt entgegen. Leider war nach außen nie deutlich, wer den Verein wie führt und wofür der Verein steht. Alemannia war und ist ein starker Player in unserer Region. Entsprechend hat der Verein auch eine Verantwortung und sollte demnach auch professionell kommunizieren und auftreten. Leider zerlegt sich die Alemannia in den letzten Monaten selbst und macht seinem zweifelhaften Image als „Klömpchensklub“ alle Ehre.

OD: Trotz Streitigkeiten in der Vereinsführung und trotz sportlicher Misserfolge bleibt Aachen ein Publikumsmagnet.

Aachens Trainer Heiner Backhaus. „Ein noch junger, großartiger Typ, der sehr gut zum Verein passt – ein echter Glücksfall“, sagt Colin Kraft. Foto: picture alliance/dpa

Kraft: Ja, warum auch nicht?! Es gab schon deutlich schlimmere Zeiten am Tivoli als die heutigen. Das darf man nicht vergessen. Letztes Wochenende waren gegen Dynamo Dresden knapp 31.000 Zuschauer am Tivoli, davon etwas 4.000 aus Dresden. Super Stimmung! Alemannia bleibt ein großartiger Verein und gehört ins Profigeschäft! Fragen Sie doch mal die Kölner, Schalker oder Hamburger Fans in Ostbelgien, was die alles mitmachen mussten in den letzten Jahren! Ändert sich deshalb die Haltung zum Klub?

OD: Was muss sich ändern, damit Aachen eines Tages wieder in der 2. oder 1. Bundesliga spielt?

Kraft: Auf dem Platz wird sich die Mannschaft weiterentwickeln – da bin ich mir sicher. Trainer Heiner Backhaus ist ein noch junger, großartiger Typ, der sehr gut zum Verein passt – ein echter Glücksfall, der hoffentlich noch lange funktioniert. Was sich schnell und grundlegend ändern muss, ist die Betriebsstruktur.

OD: Was ist damit gemeint?

Kraft: Viel Potenzial erfordert viel Arbeit. Die Alemannia verfügt über ein Stadion, das internationale Standards für die Vermarktung erfüllt – also muss man auch dementsprechend professionell arbeiten. D.h. Arbeitsfelder wie das Marketing, die externe Kommunikation, die Sponsorenaquise und -betreuung, das Merchandising oder generell der Vertrieb schaffen neben dem Sport ein Image des Vereins, das Attraktivität für regionale und überregionale Unternehmen schafft. Da muss sich der Verein jetzt weiterentwickeln.

Colin Kraft mit Oberbürgermeisterin Sybille Keupen bei der Aufstiegsfeier on Alemannia Aachen im Aachener Rathaus. Foto: privat

Zeitgleich begeht man im Marketing Anfängerfehler, die kaum zu erklären sind. Wie auch der Presse zu entnehmen war, kündigte der Verein zuletzt unangekündigt einseitig zahlreiche Sponsorenverträge zur neuen Saison. Ein mehr als unglücklicher Zeitpunkt für eine unvorbereitete Kündigung, wenn man bedenkt, dass die Mannschaft zur Stunde gegen den Abstieg spielt und manche mittlerweile ehemalige Gremienmitglieder sich vor Gericht verantworten müssen.

OD: Also muss der Verein mehr tun als die Mannschaft?

Kraft: Nur wenn alle Vereinsebenen ihren Job machen, kann man heute im Profifußball Erfolg haben. Die Gremien müssen jetzt mit neuen bzw. erfahrenen Kräften besetzt werden, die dem Verein gut tun. Zudem muss dringend deutlich werden, wer den Verein führt und wohin man will. Das Wohl des Vereins sollte dabei über allem stehen. Es ist natürlich klar, dass bei einer Professionalisierung nicht alles direkt funktionieren kann, aber auf betriebswirtschaftlicher Seite sehe ich noch viel Potenzial. Wenn der Verein das hinbekommt, wird er auch mittelfristig wieder in der 2. Liga spielen. Da bin ich mir sicher. (cre)

3 Antworten auf “Alemannia Aachen vom Aufsteiger zum Krisenclub – Kraft: „Die letzten Monate waren eine Katastrophe“”

  1. delegierter

    Ich habe letztens ein Spiel von denen im TV gesehen, das war ja grausam, was die da verballern !
    Ich glaube die haben dann auch noch kurz vor Schluss den Sieg eingebüßt und nur ein Unentschieden geholt.

  2. Ostbelgien Direkt

    AKTUALISIERT – Durch einen 3:0-Auswärtssieg beim Tabellenfünften Ingolstadt hat sich Drittligist Alemannia Aachen am Dienstagabend etwas Luft im Abstiegskampf verschaffen können. Heinz (29.), Wiebe (50.) und Strujic (77.) waren die Torschützen für Aachen. Gruß

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