Meinung, Politik

Apropos „Cordon sanitaire“: Extreme Parteien besiegt man mit Argumenten, nicht mit Boykott [Kommentar]

MR-Parteichef Georges-Louis Bouchez (r). Foto: Belga

Wie zeitgemäß ist der ominöse „Cordon sanitaire“, der am Wochenende wegen der Teilnahme von MR-Präsident Georges-Louis Bouchez an einer Debatte mit dem Vorsitzenden des rechten Vlaams Belang, Tom Van Grieken, in der VRT-Sendung „Terzake“ in Brüssel für politischen Zündstoff gesorgt hat?

Vor 20 (!) Jahren haben sich die frankophonen Parteien PS, MR und „Les Engagés“ (Ex-CdH und Ex-PSC) dazu verpflichtet, an Treffen und Diskussionen sowie allen anderen Formen der Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien nicht teilzunehmen.

Gegen diesen Verhaltenskodex, auch „Cordon sanitaire“ genannt, hat MR-Chef Bouchez am vergangenen Donnerstag verstoßen, indem er an einer Fernsehdebatte mit dem Vorsitzenden des Vlaams Belang anlässlich der Präsidentschaftswahl in Frankreich teilnahm (siehe dazu Bericht an anderer Stelle).

Gäbe es einen solchen Verhaltenskodex auch in Flandern, würden die meisten politischen Debatten im flämischen Fernsehen nicht stattfinden können, und in Frankreich wäre es nicht am vergangenen Mittwoch zum TV-Duell zwischen Präsident Emmanuel Macron und Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National gekommen.

29.05.2019, Belgien, Brüssel: Tom Van Grieken, Vorsitzender der Partei Vlaams Belang, verlässt nach einem Treffen mit dem König von Belgien, Philippe, den Königspalast. Foto: Laurie Dieffembacq/BELGA/dpa

Das gilt auch für Deutschland. Dort nehmen SPD, Union, FDP und Grüne im Anschluss an eine Bundestagswahl oder auch Landtagswahl zusammen mit der AfD an der traditionellen „Berliner Runde“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen teil, denn die AfD ist im Bundestag genauso vertreten wie der Vlaams Belang in der Abgeordneten-Kammer in Brüssel.

Auch mit den Extremen muss man hin und wieder reden. Selbst König Philippe hatte nach den Wahlen von Mai 2019 im Rahmen seiner Konsultationen im Hinblick auf die Bildung einer neuen föderalen Regierung Van Grieken im Palais empfangen.

Merke: Der „Cordon sanitaire“ richtet sich nur gegen rechtsextreme Parteien, nicht aber gegen die linksextreme PTB.

Sofern solche Parteien nicht verboten sind und man ihnen erlaubt, bei einer Wahl zu kandidieren und in einem demokratischen Parlament vertreten zu sein, müsste es auch gestattet sein, mit ihnen in einem Fernsehstudio zu debattieren.

Dass man sich dazu verpflichtet, mit rechtsextremen Gruppierungen kein Regierungsbündnis einzugehen, ist ein ganz anderer Aspekt. Im Fall von MR-Chef Bouchez ging es aber nur um eine Fernsehdebatte.

Rechts- oder linksextreme Parteien besiegt man nicht, indem man sie ausgrenzt oder sich weigert, mit ihnen zu reden. Damit wertet man sie nur auf. Diese Parteien besiegt man, indem man zeigt, dass man selbst die besseren Argumente hat. Der „Cordon sanitaire“ ist kontraproduktiv. (cre)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

25 Antworten auf “Apropos „Cordon sanitaire“: Extreme Parteien besiegt man mit Argumenten, nicht mit Boykott [Kommentar]”

  1. Guter Kommentar! Diese Extremisten bekämpft man am besten mit Argumenten, wobei man allerdings damit leben muss, eingefleischte Dumpfbacken damit eher selten zu erreichen. Aber jeder Versuch lohnt sich.

  2. Pensionierter Bauer

    Sehr guter Kommentar Herr Cremer!
    Extremisten verhindert man nur durch eine Politik die alle Menschen eine gute Perspektive gibt.
    Wenn Politiker den Staat aber als Selbstbedienungsladen ansehen und dann auch noch behaupten, dass das sein muss, weil sie schließlich eine so verantwortungsvolle Aufgabe wahrnehmen und immer wieder eine Amigopolitik geführt wird oder es zu Mandatshäufungen kommt, dann verlieren die Bürger das Vertrauen in die traditionellen Parteien und wenden sich, vielleicht auch nur um den Regierenden einen Denkzettel zu verpassen, den radikalen Elementen im Politspectrum zu.
    Alle Verantwortungsträger tun gut daran, über den eigenen Tellerrand zu schauen und genügend Emphatie für die verschiedensten Positionen der Mitmenschen zu entwickeln.

  3. DR ALBERN

    @ Pensionierter Bauer, selbst französische Zeitungen bezeugen Macron habe die Wahl gewonnen, weil erstens die Mehrheit seiner Wähler aus Rentnern besteht, die Angst haben bei einer Änderung etwas von ihrem gewohnten Lebensstandard einzubüssen, zweitens haben Wähler Macron bevorzugt, die einfach LePEN aus bekannten Gründen ablehnten (Austritt aus der NATO, Destabilisierung der EU). Der prozentuale Sieg mit 59% darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gesellschaft immer mehr gespalten wird. Fest steht, mindestens 41% wünschten sich eine andere Politik, vorrangig die Jugend. Es ist leider heute vielfach üblich geworden, bei allen möglichen Organisationen Riesen-Verwaltungsräte, zahllose Vorstandsmitglieder, Beiräte und Ähnliches zu bestimmen – eine Förderung der effektiven Leistung ist dabei noch nie herausgekommen, höchstens eine Bremswirkung!

    • Pensionierter Bauer

      @DR Albern, zu den von Ihnen aufgezählten Gremien kommen noch die ganzen Studienschreiber und externen Berater hinzu.
      Sie haben vollkommen Recht, das sind fast alles Bremsklötze.
      Publifin, war auch so eine Organisation die unser aller Geld in einige wenige privaten Taschen umleitete.

  4. Robin Wood

    Sehe ich auch so, Herr Cremer.
    Nicht nur in der Politik, sondern auch in allen anderen Bereichen, sollte man Parteien oder Menschen nicht ausgrenzen, sondern das Gespräch mit ihnen suchen.
    Dass viele Menschen nicht mehr die traditionellen Parteien wählen, liegt daran, dass diese inzwischen so weit weg von den Menschen und deren Problemen agieren, dass die Wähler grösstenteils das Vertrauen in diese Politik verloren haben. Da es keine anderen Parteien oder Alternativen gibt, wendet sich mancher eben den so genannten rechten Parteien zu. Nicht immer, weil man diesen Parteien mehr vertraut, sondern weil man von den anderen Parteien enttäuscht ist und ihnen einen Denkzettel verpassen will.

    • @Robin: Wie immer schreiben Sie Unsinn. So behaupten Sie: „Dass viele Menschen nicht mehr die traditionellen Parteien wählen, liegt daran, dass diese inzwischen so weit weg von den Menschen und deren Problemen agieren, dass die Wähler grösstenteils das Vertrauen in diese Politik verloren haben.“
      Wieso hat man denn Macron mit 60 Prozent in seinem Amt bestätigt?
      Sie gehören zu den Wutbürgern, die glauben, dass 40 Prozent reichen, um der Gegenseite Versagen vorzuwerfen. Es ist selten der, der am lautesten pöbelt, wie @Fluppz und einige andere, die Recht haben. Wer bei Wahlen schon Gewinner und Verlierer verwechselt, hat auch sonst keine vernünftige Argumente.

      • Ausgerechnet du schreibst von Argumenten, der seine Kommentare mit „Wie immer schreiben Sie Unsinn.“ beginnt. Weißt du, besser man hat in den Augen des Gegners schlechte Argumente als gar keine.

      • Letztlich haben nur 30% aller Franzosen Macron gewählt, und nur 20 % LePen. 50 % hat nicht oder ungültig gewählt. Dessen ist sich Macron selbst ja auch bewusst, weil er es in seiner Siegesrede selber sagt….

      • Robin Wood

        @Logisch
        Vielleicht geht’s beim nächsten Mal etwas höflicher?

        Wenn an die 50% der Menschen nicht zur Wahl gegangen sind oder ungültig gewählt haben, zeigt dies genau das, was ich schrieb: Die Menschen haben das Vertrauen in die Politik verloren und sehen keinen Sinn darin, zu wählen weil es ja eh nichts ändert.

        • Mit Höflichkeit meinen Sie sicher die von Ihrem Freund Fluppz, der jeden, der nicht seiner Meinung ist, anpöbelt. Und dass 50 Prozent nicht zur Wahl geht, liegt an deren Uninteresse für Politik. Diese Leute müssen sich danach nicht beschweren, wenn es bei der gleichen Politik bleibt. Bei einer Wahl von Le Pen hätte es drastische Änderungen gegeben. Also wieder mal eine Chance verpasst. Demokratischer geht es nicht.

          • Wir sind keine Freunde, wir sind verheiratet.
            Du gehst also sogar dem primitivsten und blödesten Ammenmärchen der Politrick auf den Leim, der Legende von der angeblichen Politikverdrossenheit. Warum wurde es wohl erfunden? Na? Um dem mündigen Bürger die Schuld daran geben zu können, dass die Versager-Marionetten quer durch alle Parteien nur Mist bauen und sich selbst und ihren Auftraggebern in Tasche schaufeln. Ich darf nicht mitreden, wenn ich nicht wähle? Und du, braver Bürger, eher Untertan, der jeden Quatsch mitmacht, Hauptsache er wird befohlen, du darfst also mitreden? Mit wem und wozu eigentlich, wenn du doch nur das nachbrabbelst, was von oben kommt? Hälst du dein langweiliges, dümmliches, unreflektiertes Geschreibsel im Ernst für deine Meinung? Glaubst du, so funktioniert Demokratie? Indem man sich irgendeiner vorgegebenen Meinung anschließt, alle paar Jahre wählen geht und zwischendurch das wiederholt, was der sagt, den man gewählt hat?
            Jaja, das war jetzt wieder ganz furchtbar unhöflich, ich weiß.

  5. Legendar

    Handfeste, nachvollziehbare Argumente gegen die heutigen „rechtesorientierten Parteien“, darauf warte ich seit Jahren. Nur bringt sie keiner. Warum nur? Es wird ständig nur die polemische Keule geschwungen. Boring!

  6. Walter Keutgen

    Guter Kommentar von OD. Man sollte allerdings auf keinem Fall mit einer Wahl verbundenen Debatte mit anderen verwechseln. Macron hat sich in der ersten Runde geweigert, weil er als Präsident genug um die Ohren hatte. Dann auch noch die Debatte mit Le Pen zu verweigern, wäre der Gipfel gewesen. Das in der französischen Presse umhergehende Argument, dass Rechtsextreme in der belgischen frankophonen Welt keine Chance haben, derweil in Flandern und Frankreich besagte Parteien an die dreißig Prozent erreichen, stimmt nicht für Deutschland, wo die AfD um die 12% dümpelt.

  7. Vereidiger

    100 % Zustimmung für diesen Kommentar.
    Es war wirklich populistische Dummheit, was die wallonischen Parteien vor 20 Jahren beschlossen haben. Ab dem Moment, wo Extremisten im Rahmen der Demokratie in ein Parlament gewählt sind und ihre Parteien sich an geltendes Recht halten, sollten für sie dieselben Regeln wie für alle anderen gelten. Niemand ist verpflichtet, sie in eine Regierung zu hieven…

    • Walter Keutgen

      Vereidiger, streng genommen besteht das „Cordon sanitaire“ schon viel länger. Im Parlament durften die Demokraten den Extremisten nicht die Hand zum Gruß reichen. So viel Gesichtererkennung muss man als Parlamentarier schon haben, bei den Diäten.

  8. Gerhard Schmitz

    Sehr guter Kommentar Herr Cremer. Alljene, die wegen Unfähigkeit, mit Argumenten gegezuhalten oder überzeugen zu können, andere Meinungen glauben verbieten zu müssen, sind die besten Wegbereiter für diese Andersdenkenden und somit tatsächlich eine Gefahr für die Demokratie.

  9. Na fein! Man verweigert das Gespräch mit Rechtsextremen und definiert natürlich auch noch, wer zu dieser Gruppe der Aussätzigen gehört. Vielleicht könnte ein findiger Reporter mal aufrechnen, wie viel Blut an den Händen unserer lupenreinen Demokraten, besonders an denen der PS, klebt und wie viel an denen der ach so bösen Rechtsextremen.
    Es ist an der Zeit, dass der Belang erklärt, das Gespräch mit Perversen und Kriminellen zu verweigern.

      • Mal ein Beispiel, du selbsterklärendes Genie. Wer hat ganz ohne Regierung das Bombardieren Libyens befohlen? Wer hat die eigene Bevölkerung mit wie man inzwischen klar belegt hat nutzlosen Maßnahmen wie Maskenpflicht, 3G, Quarantäne und Lockdowns drangsaliert, die Wirtschaft an die Wand gefahren, den Euro zerstört und Menschen in den Selbstmord getrieben? Der Belang? Nein, ich mag diese Partei auch nicht, weil ich allen Parteien misstraue. Aber das ewige Nachplappern von Regierungspropaganda macht genau was besser?

  10. Aus dem Mârchenbuch...

    genannt Verfassung wird uns erzählt : Rassissmuss sei verboten. Alle Parteien begründen aber ihr Existenzrecht auf rassistischem Andersseit/Bessersein um bewust Bürgerspaltung zu provozieren und treten somit das verfassungsmässige Gleichheitsprinzip mit Füssen ! Daher gehören alle Parteien und ihre Helfershelfer, verboten in allen Regierungen

Antworten

Impressum Datenschutzerklärung
Desktop Version anfordern