Gesellschaft

Lebensmittelretter eröffnen Café mit kostenlosem Essen – Beispiel könnte auch bei uns Schule machen

10.07.2019, Baden-Württemberg, Stuttgart: Belvina Mao, Gast im Foodsharing-Café "Raupe Immersatt", nimmt ein Stück Kuchen aus der Foodsharing-Verteilstation des Cafés. Foto: Marijan Murat/dpa

Ein Café in Stuttgart rettet Lebensmittel vor der Mülltonne und verteilt sie stattdessen kostenlos an Menschen. Das Essen stammt etwa von Supermärkten oder Bäckereien, wo es nicht weiter verkauft worden wäre. Finanzieren soll sich das Lokal über den Verkauf von Getränken. Das Beispiel könnte auch bei uns Schule machen und ein geeignetes Mittel sein zum Beispiel gegen das Kneipensterben.

Der Käsekuchen ist nach nicht mal einer halben Stunde weg. Die 21-jährige Belvina Mao hat sich ein Stück geholt, es steht neben dem Laptop, das die Kanadierin zum Arbeiten mit ins Café gebracht hat. Auch eine Seniorin aus der Nachbarschaft greift zu.

Das Essen im Stuttgarter Café „Raupe Immersatt“ wäre eigentlich auf dem Müll gelandet – der übrig gebliebene Kuchen einer Konditorei ebenso wie die bräunlichen Bananen aus einem Supermarkt. Stattdessen können sich die Gäste an Kühlschränken und Regalen bedienen – und zahlen nichts dafür.

10.07.2019, Baden-Württemberg, Stuttgart: Belvina Mao, Gast im Foodsharing-Café „Raupe Immersatt“, sitzt an einem Tisch des Cafés. Das Cafe hat einen Foodsharing-Verteiler integriert, an dem sich Gäste unentgeltlich an überschüssigen, aber noch genießbaren Lebensmitteln von Privatpersonen oder Lebensmittelbetrieben bedienen können. Foto: Marijan Murat/dpa

„Am Anfang war vielen gar nicht klar, was hier passieren wird: Da herrscht doch dann Futterneid, es gibt lange Schlangen“, erzählt Maike Lambarth. Sie hat das Café vor wenigen Wochen gemeinsam mit vier Bekannten eröffnet. Das helle Lokal, das sich problemlos in die meisten Szeneviertel deutscher Großstädte einfinden würde, ist das nach eigenen Angaben erste Foodsharing-Café Deutschlands.

Hinter dem Begriff Foodsharing, also Essen teilen, verbirgt sich eine 2012 gegründete Initiative, die Lebensmittel vor der Mülltonne bewahren möchte. Die Mitglieder sammeln sie von Supermärkten, Restaurants oder auch Privatleuten ein und verteilen sie kostenlos weiter. Vernetzt sind mehr als 260.000 Menschen über die deutschsprachige Online-Plattform.

Viele der geretteten Lebensmittel landen in sogenannten Fair-Teilern, öffentlich zugänglichen Regalen oder Kühlschränken, wie im „Raupe Immersatt“. Obst mit kleinen Dellen oder Brot vom Vortag – jeder kann auch selbst Lebensmittel mitbringen oder gratis mitnehmen, erklärt Betreiber Lisandro Behrens. „Wir wollten einen schönen Ort schaffen, um über Lebensmittelverschwendung zu reden“, sagt der 29-Jährige.

10.07.2019, Baden-Württemberg, Stuttgart: Gäste sitzen vor dem Foodsharing-Café „Raupe Immersatt“, in dessen Scheiben sich Häuser spiegeln. Das Café hat einen Foodsharing-Verteiler integriert, an dem sich Gäste unentgeltlich an überschüssigen, aber noch genießbaren Lebensmitteln von Privatpersonen oder Lebensmittelbetrieben bedienen können. Foto: Marijan Murat/dpa

Alleine in Deutschland werden einem Bericht der Umweltorganisation WWF aus dem vergangenen Jahr zufolge jährlich mehr als 18 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet. Eine vom Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegebene Untersuchung aus dem Jahr 2017 ergab, dass deutsche Haushalte jährlich 4,4 Millionen Tonnen Lebensmittel wegwerfen – pro Kopf 55 Kilogramm. Fast die Hälfte des Abfalls bewerteten die Studienteilnehmer selbst als vermeidbar.

„Wir verteilen jeden Tag 50 bis 100 Kilogramm weiter“, schätzt „Raupe Immersatt“-Betreiber Behrens. Das Café haben die 24- bis 29-Jährigen mithilfe von Crowdfunding-Geld eröffnet. Finanzieren soll sich der Betrieb über die Getränke: Während das Essen umsonst ist, zahlen die Gäste für Cappuccino, Saftschorle oder Sekt. Feste Preise gibt es aber nicht, jeder soll zahlen, was er für angemessen erachtet.

Den Lebensmittelüberwachern der Stadt Stuttgart ist das ungewöhnliche Café bei Nachfrage direkt ein Begriff: „Das ist kein normaler Gastrobetrieb, sondern ein Sammelsurium geretteter Lebensmittel“, sagt Petra Frohnert, die stellvertretende Dienststellenleiterin des Amts. Es sei unklar: Wo kommt das Essen her, wie wurde es gelagert und transportiert. Allerdings dürfen Lebensmittel, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, verkauft oder eben verschenkt werden.

10.07.2019, Baden-Württemberg, Stuttgart: Häuser spiegeln sich in der Schaufensterscheibe des Foodsharing-Cafes „Raupe Immersatt“. Foto: Marijan Murat/dpa

„Der Hersteller der Ware gibt die Garantie dafür, dass sie bis zu diesem Datum einwandfrei ist. Nach Ablauf geht die Verantwortung an den Unternehmer über“, sagt Frohnert. Anders beim Verbrauchsdatum, dass etwa bei Hackfleisch zu finden ist: Ist das überschritten, darf das Essen nicht mehr weitergegeben werden.

Im Lokal „Raupe Immersatt“ wandert das gelieferte Essen von Foodsharing erstmal in die Küche, wo der Zustand geprüft wird. Auch andernorts in Deutschland gibt es Projekte gegen Lebensmittelverschwendung, wie die Initiative Foodsharing mitteilte. Etwa in Mannheim oder Berlin. Allerdings habe es bislang noch kein Café gegeben, das das gesammelte Essen tatsächlich umsonst verteilt – ein Grundprinzip von Foodsharing.

Ob das Stuttgarter Konzept rentabel sein wird, ist den Betreibern nach den ersten vier Wochen noch nicht klar. Wenn es rentabel sein sollte, dann könnte das Beispiel auch bei uns sehr schnell Schule machen. Es böte sich an etwa für Kneipen, die Kunden verlieren, weil sie nichts Essbares anbieten können. Not macht halt erfinderisch. (dpa/cre)

31 Antworten auf “Lebensmittelretter eröffnen Café mit kostenlosem Essen – Beispiel könnte auch bei uns Schule machen”

  1. Baudimont

    Lustig, warum nicht gratis Essen und trinken im restaurant….Und am liebst Restaurant ohne Personal. Ein „Do it yourself“. Getränken könnte mann auch retten.
    Dann braucht man kein Personalsteuer und kein M.W.St zu bezahlen und kein „caisse antifraude“
    Den wirtschaftlichen Absturz von Kneipiers ist wegen das Anti-Raucher-Gesetz…Die Gäste wollen essen, trinken und zur Zigarette greifen,
    Kneipen, die Kunden verlieren, weil sie ihren Kunden nichts zur Zigarette greifen können haben nichts davon.
    Wer will noch ein Kneip öffnen ?

  2. Hausmeister

    Deutschland hat seine neue Bestimmung gefunden. Nach zwei Weltkriegen und dem Wirtschaftswunder, nach Wiedervereinigung und Hartz4 ist jetzt die Epoche der Rettung in vollem Gange: Sie retten Flüchtlinge, das Klima und jetzt auch noch Lebensmittel.
    Na ja, immer noch besser als Kriege.
    Aber können die Deutschen nicht einfach mal nix tun, wie die Franzosen oder wir Belgier?

    • Billig-Republik

      Da kommt der Begriff „Billig-Republik“ so richtig zur Geltung, bzw. ist der Name Programm.
      Wenn alle Niedrig-Lohnempfänger noch dazu kommen, wird es garantiert knapp mit dem kostenlosen Essen. Wer wird dann bevorzugt?

  3. Im Bahnhofscafé in Raeren wird auch schon mal Sonntags Abend überzähliger Kuchen verschenkt weil er bis nächsten Samstag wohl nicht mehr ganz frisch wäre. Ist aber nicht kostenlos, das wird den zahlenden Gästen eingepreist. Der Betreiber weiß wieviel % Zuschlag er rechnen muss um diese Verluste aufzufangen. Merke: Kostenlos gibt es nicht, einer zahlt immer….

  4. Also eines muss man unseren östlichen Nachbarn lassen: Sie sind kreativ und haben gute Ideen.

    Bevor die Lebensmittel einfach weggeworfen werden, sollte man auch bei uns dafür sorgen, dass sie verwertet werden – beispielsweise auch kostenlos verwertet und angeboten. Es gibt genügend Menschen, auch bei uns, die auf solche Bezugsquellen angewiesen sind und sich über solche Lebensmittel freuen.

    Darum von mir einen ?

  5. AFSCA ????

    Die Idee ist gut, aber nicht neu. Bei uns in Belgien aber sicherlich schwer umsetzbar… Wir kennen ja alle die AFSCA ( = Gesundheitsbehörde für Essmittel ) und wie “ fleissig“ die sind… mit Kontrollen über Frische .

      • Gut?
        Das ist ein „Saftladen“ wo je nach „Kunde“ kontrolliert wird.
        Immer neue Vorschriften „der Hygiene willen“: jeder kleine Mist muss zig mal in Plastik eingewickelt werden, die Umwelt und der Verbraucher wird vergessen. Kleineren Betrieben wird mit Vorschriften und Bürokratie der „Garaus“ gemacht. Jegliches „Fünkchen“ Regionalität oder Kleinsterzeuger wird zumindest versucht „kleinzukriegen“. Beamte und „Schlipsträger“ die oft von der Praktik keine Ahnung haben…

  6. TRUCKER bill

    Es soll doch erst einmal aufgeklärt werden dass Armut ein Politisch gewolltes Problem ist.
    Es gibt genug Lebensmittel und genug finanzille Mittel um Hunger zu beenden.
    Doch Staudämme werden gefördert und die Menschen müssen dann teuer für Wasser bezahlen, in der Führung Leute mit nem Draht zur Politik.
    Und was geschieht hier wieder , das Problem wird verlagert.
    Wer Geld hat zahlt den vollen Preis, die anderen dann vergünstigt einkaufen oder gar umsonst.
    Sorry, aber mir sind auch einige Menschen bekannt, die gerade so , ohne Arbeiten zu wollen über die Runden kommen, weil sie gelernt bekommen haben, Dass es solche Stellen gibt.

    • Ostbelgien Direkt

      @Elisabeth Müller: Interessant! Und wo in Belgien? Wir sprechen ja hier nicht nur von Foodsharing oder Lebensmittel-Banken im Allgemeinen, die es schon lange gibt, sondern von einem Café oder einer Gaststätte, in der man seine Getränke bezahlt, das Essen aber kostenlos ist, weil es aus Lebensmitteln stammt, die normalerweise nicht mehr verwendet würden. Gruß

  7. Positiv an der Idee ist, dass sie das Thema „Wegwerfen“ ins Gespräch bringt.
    Negativ sehe ich:
    – dass der Anreiz mit „gratis“ geschaffen wird
    – dass die Kette der Lebensmittelproduktion, die über Großmärkte und geizgeile Endverbraucher unter enormen Druck steht, nicht in Frage gestellt wird.
    Zu präzisieren bleibt, dass es hier nicht um die Versorgung sozial Schwächerer geht (Kleinstrentner, Obdachlose, Harzempfänger). Es ist als Wirtschaftsbetrieb (mit Konzept) aufgebaut (Kandierin mit Laptop).

    Wirtschaftlich verkauft man Getränke, verschenkt Lebensmittel. Letztere hat man gratis erhalten, muss aber Personal zur Prüfung einstellen. Da bleibt zu hinterfragen, inwieweit das Konzept tragbar ist (Personalkosten als Lieferant des Vertrauens). Absehbar bleibt, das über kurz oder lang, ein Kunde mit einer Magenverstimmung (oder Schlimmerem) anfällt. So oder so steht ja noch der Besuch vom Gesundheitsamt an. Ein etwaiges hohes Anfangsniveau muss man auch halten können.
    Die „liefernden“ Supermärkte werden das Konzept auf die Dauer nicht stützen:
    – wirtschaftliche Verwertung ihrer Produkte
    – Personal, das Abgelaufenes mitnimmt, kriegt einen Arbeitsprozess
    – kein Imagegewinn, da hier nicht Arme bedacht werden.

    • Baudimont

      Wenn die politischen Rahmenbedingungen nicht geändert würden, könne die Zahl die Obdachlosen im regulierten Markt nur steigen und verfaulte Nahrung ist keine Lösung, man muss dessen Ursache kennen: „regulierten Markt“ und “ NIE verantwortliche Politiker“.
      Freie Märkte helfen den Menschen aus der Armut.

  8. peter Müller

    Sicher wird zuviel produziert, und weggeworfen. Wer braucht Feierabend Brötchen. ! Lebensmittel ist das billigste was es gibt. Eine Schachel Zigaretten kostet 5-7 euro. Für 10 Euro kaufe ich für eine Woche meine Grundnahrungsmittel ein. sicher muss ich gezielt einkaufen. Handy, Zigaretten und eventuell Alkohol kosten das doppelte die Woche. Da liegt das Problem.

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