Sieg oder Niederlage – darüber entscheidet im Fußball mitunter das Elfmeter-Schießen. Erfunden hat den Krimi ein gelernter Friseur, der für seine damals neumodische Idee einiges aufs Spiel setzte. Vor genau 50 Jahren, am 30. Mai 1970, gelang seiner Idee, ein Spiel, wenn nach der Verlängerung noch immer kein Sieger feststeht, nicht mehr per Los oder Münzwurf zu entscheiden, sondern vom Punkt im Strafraum aus, der Durchbruch.
Ob im Elfmeter-Krimi bei der WM 1982 gegen Frankreich, in der Nervenschlacht bei der Heim-WM 2006 gegen Argentinien oder zuletzt bei der Euro 2016 gegen Italien – die deutsche Fußball-Nationalmannschaft entschied die Dramen vom Punkt oft für sich.
Vor allem einer verfolgte die Penalty-Krimis mit Stolz und Genugtuung: ihr Erfinder Karl Wald aus dem oberbayerischen Penzberg. 2011 starb der frühere Amateur-Schiedsrichter im Alter von 95 Jahren, doch seine Erfindung reicht weit über seinen Tod hinaus. Denn Wald entwickelte in den 1960er-Jahren das Elfmeterschießen und revolutionierte so das Fußball-Spiel.
Zuvor wurden Spiele nach der Verlängerung jahrzehntelang per Los oder Münzwurf entschieden. „Das ist sportlicher Betrug, das ist glatter Blödsinn“, sagte der 1916 in Frankfurt am Main geborene und gelernte Friseur Karl Wald einmal. Und so ließ er das von ihm erdachte Format mit je fünf Elfmeterschützen pro Team in Bayern in den 1960er Jahren testen – heimlich bei Freundschaftsspielen.
„Das war für ihn schon ein Ritt auf der Kanonenkugel, nicht ganz ungefährlich“, erinnert sich Karl Walds Enkel Thorsten Schacht heute. Sein Großvater habe „ganz schön Muffensausen» gehabt, dass ihn irgendjemand vom DFB bei seinen heimlichen Tests erwischen könnte. „Schließlich wäre seine Schiedsrichter-Lizenz wohl weg gewesen“, meint Schacht.
Doch bei den Zuschauern stieß die neue Regel auf Begeisterung. „Die Leute wollen den Ball im Netz sehen“, sagte Karl Wald. Die Fans hätten sich in den 16-Meter-Raum gedrängt und hätten mitgefiebert, gejubelt mit den Siegern, gelitten mit den Verlieren, erinnert sich auch Schacht aus Erzählungen seines Großvaters.
Zunächst musste Wald, der 1936 seine Referee-Lizenz erworben und selbst in der Oberliga-Süd gepfiffen hat, jedoch gegen heftigen Widerstand kämpfen. Die Führung des Bayerischen Fußball-Verbandes wollte seinen Vorschlag beim Verbandstag 1970 blockieren.
„Meine Kameraden, ich bitte Sie, geben Sie dem Antrag grünes Licht, nach dem Motto, der Erfolg rechtfertigt alles, vielen Dank“, rief er den Delegierten damals zu. Als sich die Mehrheit schließlich pro Elfmeterschießen aussprach, war der Durchbruch am 30. Mai 1970 geschafft. Wenig später übernahmen der Deutsche Fußball-Bund (DFB), bald auch der Europa- (UEFA) und der Weltverband FIFA die Neuheit – und die Fußball-Dramen nahmen ihren Lauf.
Als erstes großes Turnier wurde die EM 1976 durch einen Elfmeter-Krimi entschieden. Uli Hoeneß schoss in den Nachthimmel von Belgrad, die CSSR wurde dank Antonín Panenka Europameister.
Danach aber wurde die deutsche Auswahl eine regelrechte Macht in der Entscheidung vom Punkt: Im WM-Halbfinale 1990 und EM-Halbfinale 1996 jeweils gegen England oder dem Viertelfinale bei der Heim-WM 2006 gegen Argentinien feierte die DFB-Elf große Siege.
Der FC Bayern erlitt eine seiner schlimmsten Niederlagen im Champions-League-Finale 2012 „dahoam“ gegen Chelsea, und auch 2016 wurde der Sieger der europäischen Königsklasse vom Punkt ermittelt: Real Madrid schlug den Stadtrivalen Atlético. Im selben Jahr gewannen die Bayern im DFB-Pokal-Finale gegen Borussia Dortmund ebenfalls im Elfmeterschießen.
Karl Wald selbst soll „seine“ Elfmeterkrimis recht ruhig und gelassen vor dem Bildschirm verfolgt haben. Dennoch überkam den Initiator der Regel immer wieder eine angenehme Genugtuung. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich Recht hatte“, sagte Wald einmal. Für ihn sei es eine Bestätigung gewesen, dass sein damals vorgeschlagene Regel-Novum noch heute gleichermaßen angewandt wird.
In seinem Wohnort Penzberg hat man ihm dafür eine besondere Ehre zu Teil werden lassen: Seit 2014 heißt die Straße hin zum Stadion „Karl-Wald-Straße“. Das Museum in der Kleinstadt widmet seinem berühmten Bürger bis Oktober eine Sonderausstellung.
Von Uli Hoeneß und Leo Van der Elst: Legendäre Elfmeter
„Denk‘ ich an Elfer in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht.“ Kaum etwas im Fußball brennt sich so ins Gedächtnis wie Strafstöße. Von tragisch bis gekonnt – eine Auswahl:
– Uli und der Nachthimmel über Belgrad: Als vierter deutscher Schütze des Elfmeterschießens hämmert Uli Hoeneß im EM-Finale 1976 den Ball übers Tor. Der fünfte Schütze der Tschechoslowakei, Antonin Panenka, schaufelt das Leder in die Mitte – und ins Tor zum Titel.
– Johan und der Doppelpass: Einfach direkt ins Tor? Nicht mit Johan Cruyff. Ende 1982 kickt er beim Spiel Ajax Amsterdam gegen Helmond Sport den Ball quer zu seinem in den Strafraum gelaufenen Teamkollegen Jesper Olsen. Der zurück auf Cruyff, der nur noch den Fuß hinhalten muss.
– Bruce und die Puddingknie: Das Finale des Europapokals der Landesmeister 1984 zwischen dem FC Liverpool und AS Rom wird im Elfmeterschießen entschieden. Liverpools Torwart Bruce Grobbelaar wackelt vor dem vierten Elfmeter der Roma so sehr mit den Knien, dass sich der Schütze offenbar beeindrucken lässt: Sein Elfer geht an die Latte. Liverpool trifft und hat den Pokal.
– Kutzop und der Pfosten: Werder Bremen kann mit einem Sieg gegen den FC Bayern am vorletzten Spieltag die Meisterschaft 1986 klar machen. Beim Stand von 0:0 bekommt Werder in der 88. Minute einen umstrittenen Elfer zugesprochen. Doch Schütze Michael Kutzop trifft nur den rechten Pfosten. Und Bayern wird am letzten Spieltag Meister.
– Der berühmteste belgische Elfmeter: Am 22. Juni 1986 gewinnt die belgische Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Mexiko im Elfmeterschießen das Viertelfinale gegen Spanien und erreicht erstmals das Halbfinale. Den entscheidenden Elfmeter zum 5:4 für die Roten Teufel verwandelt Leo Van der Elst, der damit belgische Fußball-Geschichte schreibt.
– Andi und die gewechselten Schuhe: Als die deutsche Mannschaft kurz vor Schluss des WM-Finals 1990 gegen Argentinien einen Strafstoß bekommt, ist die Frage: Wer schießt? Eigentlich Kapitän Lothar Matthäus. Doch der musste in der Halbzeit die Schuhe wechseln und lässt Andreas Brehme den Vortritt. Brehme behält trotz langer Tumulte die Nerven und verwandelt platziert unten links.
– Roberto und die verpasste Krönung: Er sorgt quasi im Alleingang dafür, dass Italien das WM-Finale 1994 gegen Brasilien erreicht: Roberto Baggio. Dann kommt das Elfmeterschießen. Baggio muss treffen, um die Squadra Azzurra im Spiel zu halten. Aber er schießt über die Latte – und die WM-Krone ist futsch.
– Robert und der missglückte Pass: In der Manier des großen Johan Cruyff will Robert Pires vom FC Arsenal 2005 bei einem Spiel gegen Manchester City den Elfmeter zu Thierry Henry passen. Aber er verfehlt den Ball. Henry läuft ins Leere. Pires‘ Glück im Unglück: Den ersten Elfer des Spiels hat er verwandelt, Arsenal gewinnt 1:0.
– Bayern und der rutschige Rasen: Alle Elfmeter zu vergeben – dieses Missgeschick widerfährt dem FC Bayern im DFB-Pokal-Halbfinale 2015 gegen den BVB. Philipp Lahm und Xabi Alonso rutschen hintereinander in gleicher Manier aus und schießen übers Tor. Mario Götze scheitert am Dortmunder Torwart Mitch Langerak. Und Manuel Neuer knallt seinen Elfer an die Latte. Der BVB gewinnt das Elfmeterschießen mit 2:0.
– Zaza und sein Peinlich-Elfer: Bei der EM 2016 amüsiert der Italiener Simone Zaza mit seinem Elfmeter gegen Deutschland die Welt. Es ist der peinlichste Moment seiner Karriere und im Nachhinein auch der schlimmste. Deutschland gewinnt am Ende mit 6:5. In Erinnerung bleibt vielen anschließend der Fehlschuss von Zaza. In Trippelschritten läuft der 26 Jahre alte Stürmer an, offensichtlich mit dem Gedanken, Torwart Manuel Neuer zu verwirren. Er bringt sich stattdessen selbst aus dem Konzept und verfehlt sein Ziel um Längen. Im Netz bricht danach eine Welle aus Häme über den Italiener herein. (dpa/cre)
HINWEIS – Von Zaza zu Zaha: Jetzt schon der vielleicht „schlechteste Elfmeter des Jahres“? [VIDEO] https://ostbelgiendirekt.be/von-zaza-zu-zaha-310469