Er ist vermutlich der bekannteste Mönch im deutschsprachigen Raum: Anselm Grün. Der Benediktinerpater erreicht Millionen Menschen auf der ganzen Welt mit Büchern über Themen wie Glück, Achtsamkeit, Selbsterkenntnis und Selbstfürsorge. Der ostbelgische Schriftsteller Freddy Derwahl schrieb die erste umfassende Biografie über Anselm Grün, der am 14. Januar seinen 80. Geburtstag feierte.
Gerade arbeitet Grün an einem Buch über Hoffnung. „Hoffnung heißt nicht, die Augen verschließen vor dem, was ist, sondern daran glauben, dass eine Krise ein Aufbruch sein kann“, sagt der Pater. Wer Anselm Grün sprechen hört, spürt die Hoffnung. Grün strahlt gleichzeitig Ruhe, Besonnenheit, Nächstenliebe, Freundlichkeit und Tatkraft aus. Er spricht mit klaren und nahbaren Worten. Er lächelt viel.
Nach eigenen Angaben hat Grün inzwischen über 20 Millionen Bücher verkauft. Übersetzt in 35 Sprachen sind viele seiner Werke Bestseller. Nicht nur gläubige Christen lesen sie. Wie viele Bücher er noch schreiben wird, mag Grün nicht sagen. „Ich habe mir dafür mein Leben lang keine Ziele gesetzt.“
Im folgenden Gespräch mit „Ostbelgien Direkt“ schildert der ostbelgische Autor Freddy Derwahl, wie es dazu kam, dass er Anselm Grüns Biografie schreiben durfte und wie er den Bebediktinermönch persönlich erlebt hat.OD: Freddy Derwahl, die große Beachtung der Medien zum 80. Geburtstag von Pater Anselm Grün hat so manchen kritischen Beobachter der Kirche sehr verwundert. Woher kommt dieser kuriose Kontrast?
Freddy Derwahl: Der Mönch Anselm Grün ist ein weltweit bekannter Bestsellerautor mit Millionenauflage. Komplizierte Theologie ist ihm fremd, doch kennt er die stille Sehnsucht oft alleingelassener Menschen in unserer zerrissenen Welt. Er versteht ihre schwierige Suche nach Herzensfrieden.
OD: Wäre er nicht besser Psychiater geworden?
Derwahl: Er ist von dem weltberühmten Psychologen C. G. Jung bis ins Knochenmark beeinflusst worden. Bei einem sein Leben verändernden Aufenthalt im psychotherapeutischen Zentrum von Graf Dürkheim wurde ihm der Weihrauch aus den Augen geblasen. Er konnte die Heilige Schrift ganz anders lesen, gewiss undogmatischer, vor allem aber befreit von den autoritären Zwängen der damaligen Papa-Pacelli-Kirche. Darüber kann er für seine Zeitgenossen verständlich schreiben. Daher die riesigen Auflagen. Er vermittelt eine andere Seite des Christentums, frei und ohne Ängste, Demut ohne Unterwürfigkeit. Jesus kein „Gottesknecht“, sondern ein Versöhner mit dem Mysterium des uns liebenden Gottes.
OD: Ihre Biografie 2009, war das geplant?Derwahl: Sein Abt und seine Mitbrüder in Münsterschwarzach haben ihm zum damaligen Geburtstag eine Biografie zum Geschenk vorgeschlagen. Da er meine Athos-Reisebücher sowie meine Biografien von Eremiten von der russisch-finnischen Grenze bis in die innere Wüste Ägyptens kannte und die in Stockem geschriebenen Bücher über Johannes XXIII., Benedikt XVI. und Prof. Hans Küng schätzte, hat er darum gebeten, dass „der deutschsprachige Belgier“ der Autor sein solle.
OD: Wie läuft denn so etwas konkret ab?
Derwahl: Mit Überraschungen. Ich kannte ihn ja nicht persönlich, auch war ich kein Fan seiner Psycho-Literatur. Andererseits war das Angebot eine Chance und gewiss eine Ehre. Alles lief am Telefon meines behinderten Töchterchens Tina, die seinen Namen nicht verstand und mich rief.. Der Verleger von „Vier Türme“ regelte die technischen Dinge. Kurze Zeit später saß ich Pater Anselm gegenüber.
OD: Wie verläuft denn so ein erstes Gespräch über ein persönliches Projekt?
Derwahl: Wir trafen uns nach dem Frühstück. Sein Arbeitszimmer glich einem geordneten Chaos. Dem Schreibtisch gegenüber ein Porträt von Franz von Assisi. Gut ausgeschlafen stand er plötzlich im Türrahmen und ließ mich gleich wissen, dass er kein „Heiligen-Porträt“ wünsche. Es klang etwas streng, wie ein „ordre de marche“.
OD: Wie reagiert man als freier Schriftsteller auf eine solche Marschroute?
Derwahl: Ich habe ruhig geantwortet „Lieber Pater Anselm, dafür bin ich auch nicht gekommen“ und ihm meinen Wunsch mitgeteilt, ihn über alles befragen zu dürfen, ohne unbedingt alles zu veröffentlichen. Das hat er sogleich akzeptiert. Es war offenbar auch für ihn eine Selbstverständlichkeit. So begann für die kommenden Monate alles korrekt.
OD: Ist denn auch über „alles“ gefragt und geantwortet worden?
Derwahl: Der berühmte Benediktiner hat sich nicht geziert, auch über intime Dinge zu sprechen. Sex-Erfahrungen hat er nie gehabt. Dabei ist er mit seinem Rauschbart unter glänzenden Augen ein echter Frauentyp. Nach seinen Vorträgen wird er am Signiertisch von Verehrerinnen nahezu bedrängt. Dann schmunzelt er wie ein Kenner. Mir sagt er unter Poeten: Es gab Küsse, „Verliebtsein ist ein starke Inspiration“.
OD: Wie verlaufen seine Vorträge?
Derwahl: Sie finden im Umkreis von 200 Kilometer wöchentlich statt. Jedes Mal durfte ich ihn begleiten. Im klapprigen Golf ein Fläschchen Wasser, kein Abendbrot, am Rückspiegel baumelte ein Rosenkranz. Er fuhr nicht, er raste und erzählte. Als ich ihn fragte, weshalb er mir all die kennzeichnenden Details nicht bei unserer täglich zweistündigen Begegnungen mitgeteilt habe, kam die überraschende Antwort: „Ich bin halt etwas schüchtern.“
OD: Ist er auch am Rednerpult „etwas schüchtern“?
Derwahl: Er spricht immer vor vollem Haus, ob in einer niederbayrischen Dorf-Turnhalle oder etwa im Kulturzentrum von Ulm. Vor dem Mikro redet er freihändig ohne jeden Text. Sein nahezu flüsternder hingebungsvoller Tonfall zieht die Zuhörer in den Bann. Kein Pathos, keine Gestik. In der anschließenden Fragestunde antwortet er spontan und freundlich. Auf Politik, sogar auf Kirchenpolitik, geht er nicht ein, „dafür bin ich nicht gekommen“. Das lockend arragierte Buffet mit Weißwürsten, Speck, Landkäse und Sala ten rührt er nicht an, für Süßes hat er eine kleine Schwäche. Eine Einladung in ein Promi-Restaurant schlägt er sofort aus. Die Bemerkung, der Bürgermeister gehöre doch zur CSU, ignoriert er unberührt kühl mit der Replik, parteilos zu sein. Bleiben die um eine Widmung anstehenden Damen, denen er milde zulächelt. Dann geht es ebenso rasant heim zurück in die Abtei. Noch vor Sonnenaufgang möchte er mit seinen Brüdern im Mönchschor die Frühpsalmen singen und als begehrter Talkshow-Gast und Millionen-Honorare einbringender Autor keine bevorzugte Ausnahme sein. Zuerst ist er Mönch, einsam und stiller Beter.
OD: Wie schafft der 80-Jährige seine Tourneen vom bedrohten Taiwan über die heimatliche Fluss-Biegung bis zur Ehrendoktorwürde in Brasilien?
Derwahl: Mein väterlicher Freund Pater Anselm lebt unaufgeregt und gesund. Ein halbes Stündchen Mittagsschlaf reicht. Im jahrhundertealten Benediktinerorden ist er ein begehrter kontemplativer Ausnahmefall: weltweit geschätzt in der Einsamkeit einer Mönchszelle. Er hat uns allen, wo immer wir auch gläubig, nichtgläubig oder nochnichtgläubig tasten, noch viel zu sagen.
OD: Wie wirkt sich für den Autor aus Ostbelgien die Nähe zu Anselm Grün aus?
Derwahl: Er hat auf andere wichtige Termine verzichtet, um zu uns nach Eupen zu kommen. Auf der Internationalen Buchmesse in Frankfurt durfte ich mit ihm an einem TV-Podiumsgespräch teilnehmen. Meine Anselm-Biographie wurde in sieben Sprachen übersetzt. Aber viel wichtiger ist: Wenn ich ihn persönlich brauche, ist er sofort für mich da. (cre/dpa)