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Klima, keine Fußball-Tradition, Menschenrechte: Wie das WM-Gastgeberland Katar mit Protesten umgeht

25.03.2021, Nordrhein-Westfalen, Duisburg: Die Spieler der deutschen Nationalmannschaft stehen zusammen und bilden den Schriftzug „Human Rights“. Foto: Tobias Schwarz/AFP-Pool/dpa

Boykott-Forderungen von allen Seiten, immer lautere Proteste aus dem Profilager und fassungsloses Entsetzen bei Millionen Fußballfans: Gastgeber Katar muss sich im eineinhalb Jahre langen Endspurt bis zur ersten Winter-WM auf mächtig Gegenwind gefasst machen.

Die klimatische Situation, wegen der das Turnier vom Sommer auf die Adventszeit verlegt wurde, und die fehlende Fußball-Tradition sind dabei zu Randnotizen geworden. Das Thema Menschenrechte hingegen überstrahlt alle weiteren Aspekte. Wie geht das reiche Emirat eigentlich mit all den Attacken rund um das bevorstehende XXL-Sportevent im November und Dezember 2022 um?

20.12.2019, Katar, Lusail: Bauarbeiter arbeiten am Lusail-Stadion, einem der Stadien der WM 2022. Der WM-Gastgeber Katar hat nach eigenen Angaben einen Mindestlohn für alle Arbeiter eingeführt. Foto: Hassan Ammar/AP/dpa

Katars Regierungsmitglied Scheich Thamer Al Thani hält den Inhalt der jüngsten Proteste, an denen unter anderem Fußballstars wie Norwegens Erling Haaland oder das deutsche Nationalteam mitwirkten, für verfehlt. „Wir unterstützen die Verbände und Spieler, die ihre Plattform nutzen, um sich für die Menschenrechte einzusetzen. Ihre Kritik an der WM 2022 ist jedoch deplatziert“, sagte Thamer Al Thani, stellvertretender Direktor des Government Communications Office des Staates Katar, der Deutschen Presse-Agentur.

Die Kritik liege seiner Wahrnehmung nach daran, „dass viele Menschen nicht alle Informationen im Bezug auf die Veränderungen haben, die Katar bereits vorgenommen hat“. Seit der Vergabe der WM vor etwas mehr als zehn Jahren hat die Kritik wegen Menschenrechtsverletzungen immer mehr zugenommen.

„Guardian“-Bericht: Mehr als 6.500 Arbeiter gestorben

Im Fokus stand dabei das umstrittene, in den Golfstaaten aber weit verbreitete Kafala-System. Es bindet ausländische Arbeitskräfte an einen einheimischen Sponsor – und öffnet Ausbeutung sowie Missbrauch Tür und Tor. Migranten am Golf klagen etwa häufig, ihnen seien ihre Pässe abgenommen worden, sie müssten übermäßig lang arbeiten und bekämen keinen Urlaub.

02.12.2010, Schweiz, Zürich: Joseph Blatter, damals FIFA-Präsident, hält einen Zettel mit der Aufschrift „Katar“ während der Bekanntgabe des Ausrichters der Fuflball-WM 2022. Foto: Walter Bieri/KEYSTONE/dpa

Katar reagierte in den vergangenen Jahren auf die Kritik. So baute das Emirat das Kafala-System ab. In Katar können Migranten nun etwa ohne Zustimmung ihres Arbeitgebers ausreisen oder den Job wechseln.

Menschenrechtsorganisation lobten die Reformen, bemängelten aber zugleich, sie würden in der Praxis nur mangelhaft umgesetzt. „Wir möchten, dass sich die Fußballverbände, Fanverbände und Spieler mehr mit Katar auseinandersetzen, um zu versuchen, den Prozess zu verstehen, den ein Land wie Katar durchlaufen muss, um seine Arbeitsgesetze zu überarbeiten“, rechtfertigte Thamer Al Thani.

Doch die Kritik bleibt groß. Die jüngsten Proteste und Aufrufe zum WM-Boykott wurden nicht zuletzt durch einen Bericht des britischen „Guardian“ angefacht. Die Zeitung meldete im Februar, seit der WM-Vergabe seien in Katar mehr als 6.500 Arbeiter aus Nepal und vier anderen südasiatischen Ländern gestorben. Es hält große Hitze bei der Arbeit als eine wahrscheinliche Ursache für viele der Fälle.

Für Amnesty International eine „WM der Schande“

Während Amnesty International, die bei der WM vom „World Cup of Shame“ („WM der Schande“) spricht, von einer „hohen Zahl“ an gestorbenen Arbeitern berichtet, hat Katars Regierung eine andere Lesart. Sie argumentiert, angesichts von mehr als 1,4 Millionen Menschen aus den fünf Ländern, die in Katar lebten, liege die Sterberate in einem zu erwartenden Bereich.

27.03.2021, Spanien, Malaga: Erling Haaland aus Norwegen trägt beim Aufwärmen ein T-Shirt mit der Aufschrift „Human Rights. On and off the pitch“ (Menschenrechte. Auf und neben dem Spielfeld). Die norwegische Fußball-Nationalmannschaft hat mit der Aktion auf die Menschenrechtslage beim WM-Gastgeber Katar aufmerksam gemacht und weitere Teams zum Mitmachen ermuntert. Foto: Fermin Rodriguez/AP/dpa

„Aus dem Zusammenhang gerissen bilden die Zahlen im Guardian eine Schlagzeile, die für Aufsehen sorgen soll. Aber wenn man sie im Rahmen der breiteren Demografie und der Größe der Bevölkerung betrachtet, liegen die Zahlen im erwarteten Bereich“, sagte Thamer Al Thani. Seiner Ansicht nach habe Katar „in den letzten zehn Jahren mehr als jedes andere Land getan, um die Bedingungen für ausländische Arbeiter zu verbessern“. Dies reiche sogar bis vor die Zeit vor dem WM-Zuschlag zurück.

Aus den Zahlen des „Guardian“ geht nicht hervor, welche Tätigkeit die Verstorbenen genau ausübten und wo sie arbeiteten. Einsatzorte gibt es etliche: Seit Jahren etwa gleicht die Hauptstadt Doha, die als Herzstück des wichtigsten Fußballturniers der Welt eingeplant ist, einer Großbaustelle mit unzähligen Projekten. Vieles, wenn auch nicht alles, dürfte wenn nicht wegen der WM, so mindestens aus deren Anlass entstehen.

Die WM-Organisatoren verweisen dabei darauf, dass die Zahl der gestorbenen Arbeiter, die tatsächlich auf Stadionbaustellen im Einsatz waren, deutlich geringer ist. Das WM-OK kommt in seinen Berichten auf insgesamt 37 Todesfälle. Drei davon hätten in Verbindung zu der Arbeit gestanden, 34 nicht, sagte ein Sprecher.

Die deutsche Nationalmannschaft nutzte den jüngsten Dreierpack in der WM-Quali im März zwar zu einem gemeinsamen Protest und trat unter anderem in Shirts mit der Aufschrift „Human Rights“ auf. Das Team hält einen Boykott der globalen Großveranstaltung aber für nicht zielführend.

„Ein Boykott hilft niemandem. Man kann mit so einem Turnier Aufmerksamkeit in der ganzen Welt erzeugen und Dinge in die richtige Richtung bringen“, sagte Bundestrainer Joachim Löw, der das Turnier selbst nicht bestreiten wird. Führungsspieler Joshua Kimmich meinte, für einen Boykott „sind wir zehn Jahre zu spät dran“. (dpa)

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