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NSU-Prozess: Lebenslang für Beate Zschäpe

11.07.2018, München: Die Angeklagte Beate Zschäpe spricht im Gerichtssaal des Oberlandesgericht mit ihrem Anwalt Hermann Borchert. Foto: Peter Kneffel/dpa

Nach mehr als fünf Jahren NSU-Prozess ist die Rechtsterroristin Beate Zschäpe in Deutschland wegen der Mordserie des „National-Sozialistischen Untergrunds“ zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Das Oberlandesgericht München sprach die 43-Jährige am Mittwoch unter anderem des zehnfachen Mordes und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig. Es stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.

Viele Politiker, Menschenrechtsorganisationen und Verbände wie die Vertretung der Türken in Deutschland begrüßten das Urteil zwar, forderten aber eine weitere Aufarbeitung des NSU-Umfelds und der Rolle der Sicherheitsbehörden.

11.07.2018, München: Demonstranten halten bei einer Kundgebung Schilder mit Porträt-Abbildungen der NSU-Opfer. Foto: Lino Mirgeler/dpa

Um 14.52 Uhr erklärte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Mammutprozess für beendet. Der Bundesgerichtshof muss das Urteil aber überprüfen. Mehrere Verteidiger kündigten an, Revision einzulegen.

Zschäpes Vertrauensanwalt Mathias Grasel etwa hält das Urteil für juristisch nicht haltbar: Zschäpe sei nachweislich an keinem Tatort gewesen und habe nie eine Waffe abgefeuert oder eine Bombe gezündet. Herbert Diemer von der Bundesanwaltschaft sagte hingegen: „Dass wir dieses Urteil haben, ist ein Erfolg des Rechtsstaats.“

Mit dem historischen Urteilsspruch im Fall Zschäpe folgte das Gericht dem Antrag der Bundesanwaltschaft. Es sprach sie wegen der dem NSU zur Last gelegten Taten schuldig. Allerdings ordnete es keine Sicherungsverwahrung im Anschluss an ihre Haftstrafe an. Das Gericht sei zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht erforderlich sei, sagte OLG-Sprecher Florian Gliwitzky.

Die Sicherungsverwahrung verhängen Gerichte anders als die Haft nicht als Strafe, sondern als präventive Maßnahme. Sie soll die Bevölkerung vor Tätern schützen, die ihre Strafe verbüßt haben, aber weiter als gefährlich gelten.

Haftstrafen für NSU-Angeklagte

Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben wurde als NSU-Waffenbeschaffer zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sprach ihn der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig. Der Mitangeklagte Holger G. wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt, Carsten S. wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu drei Jahren Jugendstrafe.

Beim Mitangeklagten André E. blieb das Gericht mit zweieinhalb Jahren Haft weit unter der Forderung der Bundesanwaltschaft, die auf Beihilfe zum versuchten Mord plädiert hatte. Das Gericht verurteilte E. nur wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und hob die Untersuchungshaft auf.

11.07.2018, München: Anja Sturm, Pflichtverteidigerin von Beate Zschäpe, gibt nach der Urteilsverkündung im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht ein Interview. Foto: Matthias Balk/dpa

Der NSU war 2011 aufgeflogen. Zschäpe hatte fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die beiden Männer neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin. Zudem begingen sie zwei Sprengstoffanschläge mit vielen Verletzten und mehr als ein Dutzend Raubüberfälle. Am Ende nahmen sie sich das Leben.

Eine der zentralen Fragen im Prozess war es, ob Zschäpe als Mittäterin verurteilt werden kann, weil es keine Beweise gibt, dass sie an einem der Tatorte war. Richter Götzl betonte in seiner Urteilsbegründung immer wieder, Mundlos und Böhnhardt hätten «aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatplans und im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Frau Zschäpe» gehandelt. Damit endete nach fast 440 Verhandlungstagen einer der längsten und aufwendigsten Indizienprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Zschäpes zwei Verteidiger-Teams hatten einen Freispruch ihrer Mandantin von allen Morden und Anschlägen gefordert: Die 43-Jährige sei keine Mittäterin, keine Mörderin und keine Attentäterin. Zschäpe selbst hatte in schriftlichen Einlassungen geltend gemacht, sie habe von den Morden und Anschlägen ihrer Freunde immer erst im Nachhinein erfahren. „Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe“, hatte sie in ihrem persönlichen Schlusswort ans Gericht appelliert.

Das Auffliegen des NSU im November 2011 hatte ein politisches Beben in Deutschland ausgelöst – weil eine rechtsextreme Terrorzelle jahrelang unbehelligt von den Behörden im Untergrund leben und mordend durch die Republik ziehen konnte.

Jahrelang hatten die Ermittler zuvor falsche Fährten verfolgt und den rechtsextremen Hintergrund der Taten verkannt. Stattdessen wurden engste Familiengehörige der Opfer als Verdächtige behandelt und drangsaliert. In der Folge wurden Untersuchungsausschüsse des Bundestages und mehrerer Landtage eingesetzt, um teils eklatante Behördenfehler aufzuklären. (dpa)

4 Antworten auf “NSU-Prozess: Lebenslang für Beate Zschäpe”

  1. Pensionierter Bauer

    Ich finde es sehr erstaunlich wie immer wieder gesagt wird, dass das Gericht nur über die Schuld der Angeklagten zu befinden hatte. Diese Sache ist für den Verfassungsschutz ein Desaster, nur niemand in exponierter Stellung gibt dies zu. Hieran erkennt man gut die Verflechtungen zwischen den im Verborgenen arbeitenden Staatsdienern und diesen Verbrechern. Auch bei der RAF war der Staat immer näher dran als er zugab, wie sonst konnten die Linksterroristen in der DDR als „freie Menschen“ leben. Einer der beiden Vogel Brüder sagte mal in einer TV Sendung: „wir wussten wo sie sind und lachten dabei, denn das Gefängnis DDR ist sicher“. Ich glaube auch, dass der durch FJS eingefädelte Milliarden Kredit für das Honecker Regime in Verbindung mit der Aufnahme der RAFler stand. Geheimdienstakten über den NSU sind angeblich für 120 Jahre gesperrt worden, warum nur?

    • abendland

      ohne den deutschen staat gäbe es keine rechtsradikalen in dieser form. der staat hat ja selber jahrzehnte lang rechtsradikale mithochgezuechtet. „v-maenner“ waren ueberall eingeschleust, und die taten mehr als nur spitzeldienste. irgendwo muss es eine verbindung geben zwischen NSU und den verfassungsschutz
      hier eine gute ARD-doku dazu. ja, es gibt sie noch, die gute alte berichterstattung, aber die muss man sich wir rosinen herauspicken.
      „V-Mann-Land“ : die Geschichte der Neonazis in Deutschland

      https://youtu.be/kFzjbt5c7jI

  2. Polarlicht

    Ich finde es verblüffend, wie eiskalt diese Frau angesichts der vielen Morde ist bzw rüber kommt! Die war zu allen Zeiten mit den Typen zusammen, hat aber mit nichts zu tun?! Auch der oberste Gerichtshof wird dieses Urteil hoffentlich bestätigen

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