Politik

Kattrin Jadin zur Hochwasser-Katastrophe: „Auch die föderale Regierung sollte den Opfern zur Seite stehen“

Bild links - 16.07.2021, Belgien, Trooz: Ein beschädigtes Auto steht vor einem zerstörten Haus. Bild rechts - Die ostbelgische föderale Abgeordnete Kattrin Jadin (PFF-MR) bei einer Wortmeldung in der Kammer. Fotos: Eric Lalmand/BELGA/dpa - Parlament

Mitte Juli wurde der Osten Belgiens von schweren Unwettern heimgesucht, die zu Hochwasser und Schäden in Höhe von mehreren Milliarden Euro führten. Acht Wochen nach der Katastrophe „gibt es noch viele Fragen, die beantwortet werden müssen“, so die föderale Abgeordnete Kattrin Jadin (PFF-MR).

Warum zusätzlich zu dem Untersuchungs-Ausschuss im Wallonischen Parlament auch in der Kammer eine Sonderkommission zur Hochwasser-Katastrophe eingesetzt werden soll und welches die wichtigsten Fragen sind, auf die dieses Gremium, dem wohl auch sie selbst als einzige deutschsprachige Abgeordnete angehören würde, Antworten finden soll, erläutert die liberale Parlamentarierin im folgenden Gespräch mit „Ostbelgien Direkt“.

OD: Kattrin Jadin, Sie sind der Meinung, dass baldmöglichst geklärt werden muss, ob bei der Hochwasser-Katastrophe vom 14. und 15. Juli menschliche Fehler begangen wurden. Um welche Fehler könnte es sich dabei handeln?

Jadin: Obwohl ich mich nicht zu den laufenden Ermittlungen über die Verwaltung der Wassermengen in der Eupener Talsperre vor den Unwettertagen äußern möchte, habe ich ernsthafte Fragen zur Krisenverwaltung, die am Tag des Hochwassers auf föderaler, regionaler und provinzialer Ebene durchgeführt wurde. Je näher wir der Katastrophe kamen, desto weniger Informationen erhielten die Verantwortlichen der betroffenen Gemeinden, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, mit teils verheerenden Konsequenzen.

20.07.2021, Belgien, Eupen: Auf dem Gelände der Kliemo AG (v.l.n.r.): Ministerpräsident Oliver Paasch, die föderale Abgeordnete Kattrin Jadin, der wallonische Wirtschaftsminister Willy Borsus und DG-Ministerin Isabelle Weykmans. Foto: Gerd Comouth

OD: Auf Ebene der Wallonischen Region wurde kürzlich ein Sonderausschuss zur Aufarbeitung der Katastrophe ins Leben gerufen. Weshalb ein zusätzlicher Ausschuss auf föderaler Ebene?

Jadin: Auch in der Kammer gibt es viele Parteien und Abgeordnete, die sich für eine Sonderkommission im Föderalparlament aussprechen. Ihrer Meinung nach müsste auch die Kammer ihren Teil zur Aufarbeitung leisten und einen Ausschuss ins Leben rufen. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine nationale Katastrophe, die nicht an den Grenzen der Regionen und Gemeinden Halt macht. Auch wenn viele Zuständigkeiten jetzt bei der Wallonischen Region liegen, halte ich es für angemessen, dass auch die föderale Regierung den Opfern zur Seite steht. Ich bin sogar der Meinung, dass sich die Föderalregierung während der Katastrophe zu zurückhaltend verhalten hat.

OD: Sie erklären in einer Pressemitteilung: „Man kann durchaus verstehen, dass die Betroffenen die bestmögliche Unterstützung erhalten sollten, die sie kriegen können.“ Was meinen Sie damit konkret?

Jadin: Ich denke da in erster Linie an die vielen verzweifelten Bürger, die alles verloren haben. Angestellte, Unternehmer, Einzelhändler, Landwirte, Ärzte, Hausbesitzer und viele andere haben die Verdienste ihrer jahrelangen Arbeit verloren. Einige waren schon aufgrund der Gesundheitskrise erschöpft, und die Hochwasser-Katastrophe könnte der Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

OD: „Es gibt viele Fragen, die auch in der Kammer beantwortet werden müssen“, haben Sie gesagt. Welche Fragen zum Beispiel?

Die ostbelgische föderale Abgeordnete Kattrin Jadin (PFF-MR) bei einer Wortmeldung in der Kammer.

Jadin: Was ist mit den Selbstständigen, die darauf warten, dass die Experten und Versicherer ihre Dossiers abschließen, damit sie ihre Tätigkeiten schnell wiederaufnehmen und ihre Lebensunterhalt zurückfinden können? Was ist mit den witterungsbedingten Ernteausfällen und deren Auswirkungen auf die Preise der betroffenen Waren? Was ist mit den Gesundheitsberufen? Ärzte, Kinés, Frauenärzte, die ihre Praxen und das Material zur Ausübung ihrer Berufe verloren haben? Was ist mit den Unternehmen, die mehrere Monate auf die Lieferung von Produktionsmaschinen warten müssen, und den vielen Arbeitnehmern, die während dieser Wartezeit ohne Tätigkeit bleiben? Ich bin zum Beispiel öfters gefragt worden, warum die Armee erst nach einigen Tagen oder sogar Wochen an diesem oder jenem Ort eingegriffen hat. Diese Fragen mögen sehr simpel erscheinen, aber ich bin überzeugt, dass die Verteidigungsministerin dafür eine logische Erklärung haben wird.

OD: Neben der Aufarbeitung der Versäumnisse sollen Ihrer Meinung nach im Rahmen eines föderalen Sonderausschusses auch konstruktive Vorschläge gemacht werden. Woran hatten Sie da gedacht?

Jadin: Ich habe unserem Premierminister vorgeschlagen, dass wir dem Beispiel unserer deutschen Nachbarn folgen sollen, was die öffentliche Auftragsvergabe für die betroffenen Gemeinden angeht. Sie haben das Haushaltsvergaberecht ausnahmsweise bis zum Jahresende ausgesetzt, um den Wiederaufbau der öffentlichen Infrastruktur zu beschleunigen. Ich stelle fest, dass auch unsere Gemeinden aufgrund dieser bürokratischen Hürde Schwierigkeiten haben, zügig zu arbeiten. In Eupen denke ich da zum Beispiel an verschiedene Straßen und Brücken, aber auch an das Schwimmbad oder an die Tennisinfrastrukturen, die schnell wiederaufgebaut werden müssen. In anderen Gemeinden gibt es eventuell Gemeindeschulen, die dringend renoviert werden müssen. Außerdem habe ich unserem Finanzminister gebeten, die Mehrwertsteuer für Renovierungsarbeiten in den überfluteten Wohnungen, unabhängig davon, ob sie bereits länger als 10 Jahre bewohnt waren oder nicht, auf 6 Prozent zu senken. Auf jeden Fall wären dies sehr willkommene Hilfen. (cre)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

23 Antworten auf “Kattrin Jadin zur Hochwasser-Katastrophe: „Auch die föderale Regierung sollte den Opfern zur Seite stehen“”

  1. Taratata

    Wenn sie wirklich etwas für die Betroffenen tun will dann soll sie schleunigst die W-Region auf Trab bringen damit, genau wie in Flandern, die Versicherungen voll und ganz für dieSchäden aufkommen die sich dann von den Fonds ihr Geld zurückholen. Ist eigentlich ganz einfach nur in der Wallonie nicht.

        • Bei 38.500 von den Fluten betroffenen Wohnungen, wovon 650 völlig zerstört sind, kommt alleine für Privatleute ein Betrag zustande, der wohl einige Milliarden Euro beträgt. Hinzu kommt dann noch mal die völlig zerstörte Infrastruktur der Straßen, Gleise, Kanalisation, Strom, Telefon usw. Bei solchen Schäden zucken wohl nicht nur Versicherungen zusammen.

          • Taratata

            Es geht hier um die Schäden bei Privatleuten oder Unternehmen. Und jede Versicherung ist über eine Rückversicherung bei Lloyds o.a rückversichert. Also wir ist jetzt das Problem? Kann ich dir sagen: die1 wallonischen Politiker kriegen mal wieder nichts auf die Reihe, sie sind ja nicht die Betroffenen.

            • deuxtrois

              Wenn die Versicherungen für alle Schâden auskommen müssten, wären sie sehr schnell bankrott – dann gibt es aber auch fast keine Versicherer mehr. Versicherungen danach ab zu schließen wird also enorm teuer, oder viele werden gar keine entsprechenden Angebote mehr liefern.

              Wenn Sie die beste Lösung haben, können Sie ja in der Wallonie den Politikern helfen, die brauchen täglich so gute Expertisen von Fachkräfte wie Ihnen.

              • Walter Keutgen

                deuxtrois, Taratata hat Recht. Alle Versicherungsgesellschaften bilden Rücklagen und rückversichern sich. Und es gibt ein Aussichtsamt, das darüber wacht. In allen Ländern hier. Nichts bankrott.

                • Deuxtrois

                  Sehen Sie sich diese Rücklagen doch mal in Zahlen an, statt einem Bauchgefühl. Handelsbilanzen dieser Unternehmen sind öffentlich und verraten, dass eher die Boni für die Gesellschafter hoch sind, nicht diese Rücklagen.

            • Jeder weiß, dass Versicherungen nach Wegen suchen, um dies und jenes nicht übernehmen zu müssen. Sie verweisen dann gerne auf das Kleingedruckte. Doch ob Politiker da etwas machen können, glaube ich kaum, solange Versicherungen den gesetzlichen Rahmen nicht verlassen.

  2. Eastwind

    K. Jadin sagt in dem Interview mit OD: „Ich bin zum Beispiel öfters gefragt worden, warum die Armee erst nach einigen Tagen oder sogar Wochen an diesem oder jenem Ort eingegriffen hat.“ Nun, mir ist seit der Katastrophe von Mitte Juli mehrmals zur Ohren gekommen, dass die Verantwortlichen der Irmep-Kaserne gleich nach dem Hochwasser mehrmals vorgeschlagen hätten, in Eupen mit anzupacken, die Eupener Bürgermeisterin C. Niessen dies aber abgelehnt habe. Wenn dem wirklich so wäre, könnte Frau Jadin gleich ihre Kollegin im Eupener Gemeidnekollegium fragen, weshalb sie das Angebot abgelehnt hat.

    • @Eastwind
      Das ist mir auch so zu Ohren gekommen. Und sie habe abgelehnt, sonst hätte sie wohl die Befugnis und Verwaltung in diesem Fall Hochwasser verloren. Wurde so gesagt.
      Informieren Sie sich doch mal, wieso die Gruppe cat ballou nicht zum Benefizkonzert gekommen ist !

  3. Wichtig ist in der jetzigen Phase, dass den Hausbesitzern geholfen wird, die Handwerker bezahlen müssen, aber nicht wissen, wann sie das Geld von ihrer Versicherung erhalten. Das muss auch unbürokratisch vonstatten gehen, beispielsweise in Form eines Vorschusses, den man auch bekommen sollte, ohne seine komplette Steuererklärung vorzulegen.

  4. Krisenmanagement

    Dieses Interview ist sehr ehrlich. Aber eigentlich Frau Jadin würde ich mir wünschen, dass die Flutopfer 0% TVA bezahlen müssen. Es ist eine absolute Notlage! Natürlich muss das durch die Gemeinde bescheinigt werden, dass man dazu berechtigt ist. Nur fehlt hier effektiv das Engagement einer guter Regionalabgeordneten der MR/PFF im wallonischen Parlament. Das scheint doch ein Problem zu sein. Ein Abgeordneten-Mandat sollte doch nie nur ein Job sein. Urlaubsfotos der Regionalabgeordneten auf Instagram während die Menschen in Eupen, Pepinster…. mit den Folgen der Flut kämpften gehen gar nicht.

    • Walter Keutgen

      Krisenmanagement, stimmt, da sind vor allem regionale Befugnisse im Spiel. Die Provinzgouverneure, die für Katastrophenhilfe zuständig sind, haben zwei Chefs, den regionalen und den föderalen Innenminister. Die Armee und der Zivilschutz sind föderal. Die jetzige föderale Innenministerin hat sich von den Sparmaßnahmen in Sachen Zivilschutz distanziert. Dafür war Innenminister Jan Jambon (N-VA, jetzt flämischer Ministerpräsident) verantwortlich. Ich denke, dass es einen Unterschied, den der Artikel nicht macht, zwischen einer Sonderkommission und einer Untersuchungskommission gibt. Letztere hat das Recht zur wahrheitsmäßigen Aussage zu zwingen. Dabei ist eine gerichtliche Untersuchung im Gange und würde das Recht auf Aussageverweigerung, ja zu Lügen, missachtet. Frau Jadin verweist ja auch vorsichtig auf die gerichtliche Untersuchung. In wie fern die föderale Regierung die Versicherungen schneller arbeiten lassen kann, ist mir ein Rätsel. Nach dem Attentat auf den Brüsseler Flughafen hat es auch eine Ewigkeit bis schwerst verletzte Opfer entschädigt worden sind.

      • Krisenmanagement

        @Walter Keutgen Was mich stört sind doch die äusserst zurückhaltenden Regionalabgeordneten. Vorbei sind die Zeiten einer Jenny Möres, die kein Blatt vor den Mund nahm. Vorbei sind die Zeiten eines Edmund Stoffels, der sich für die Bevölkerung einsetzte, wo er konnte. Die beiden heutigen Regionalabgeordneten Deutscher Sprache möchten am liebsten nicht für Anliegen kontaktiert werden. Sie scheuen regelrecht den direkten Kontakt zur Bevölkerung. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Kommentarfunktionen in den social media Kanälen werden regelrecht blockiert. Aber zur PFF kann ich nur sagen, wer nicht hören will der muss fühlen. Frau Jadin müsste wissen was ich meine. Man übernimmt nicht eine dahergelaufene EX-Kandidatin der Grünen. Sie weiss auch von wem der Hinweis kommt. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass die wallonische Region für die Gewässer zuständig ist. In unserem Tal haben die immer einen grossen Tanz aufgeführt. Ich sage nur Natura 2000. Hat meiner Familie ziemlich viel Ärger eingebracht. Nutzungseinschränkung inklusive. Aber Preventionsmassnahmen in den Orten an den Gewässern wurden schleifen gelassen. Die kleinen Flüsse haben in vielen Fällen nicht genug Raum bei Hochwasser. Seit Jahren wird vor starken Regenfällen gewarnt.

  5. Flippson

    Angesichts dessen, dass es Tage zuvor schon Warnungen gab, die ignoriert wurden, und zudem das Management diverser Talsperren die Überschwemmungen mit ausgelöst hat, stellt sich doch die Frage, ob „Katastrophe“ das richtige Wort und ob „Verbrechen“ nicht zutreffender wäre.
    Die Agenda des sehr mächtigen selbsternannten Philanthropen George Sorros deckt sich eins zu eins mit der grünen Klimawandel-Religion. Was ist an der Schlussfolgerung, dass hier Vorsatz im Spiel war, um eben jene Agenda durchzudrücken, so unglaublich?

Antworten

Impressum Datenschutzerklärung
Desktop Version anfordern