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Weißrussland: „Hausfrau“ gegen „Europas letzten Diktator“ – Eine 37-Jährige will Lukaschenko stürzen

Bild links - 08.05.2015, Weißrussland, Minsk: Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko steht neben seinem jüngsten Sohn Nikolai (r) während einer Siegesparade. Bild rechts - 02.08.2020, Belarus, Brest: Swetlana Tichanowskaja (vorne), Kandidatin bei der Präsidentenwahl in Belarus, begrüßt ihre Unterstützer bei einer Kundgebung. Tichanowskaja will bei der Präsidentenwahl am 9. August den autoritären Präsidenten Lukaschenko herausfordern. Fotos: Nikolai Petrov / Pool/epa/dpa - Sergei Grits/AP/dpa

Zu Tausenden gehen die Menschen in Belarus gegen Präsident Alexander Lukaschenko auf die Straße. „Europas letzter Diktator“ strebt nach mehr als 25 Jahren an der Macht eine sechste Amtszeit an. Aber im Rennen um das Präsidentenamt wird ihm eine Frau besonders gefährlich.

Kann eine „Hausfrau“ in Belarus (Weißrussland) „Europas letzten Diktator“ bei der Präsidentenwahl in die Knie zwingen? In dem seit mehr als einem Vierteljahrhundert von Präsident Alexander Lukaschenko mit harter Hand regierten Land ist das vor der Abstimmung an diesem Sonntag, 9. August, eine der meistdiskutierten Fragen.

Denn die 37 Jahre alte Swetlana Tichanowskaja füllt seit Tagen in den Städten in Belarus ganze Stadien mit ihren Anhängern. Die Mutter von zwei Kindern und ausgebildete Fremdsprachenlehrerin, die als Sekretärin und Übersetzerin arbeitete, gilt als die große Hoffnung vieler Menschen, Lukaschenkos international wegen Menschenrechtsverstößen kritisierte Herrschaft zu beenden.

19.07.2020, Belarus, Minsk: Maria Kolesnikowa (r-l), Vertreterin des Ex-Bankchefs Babariko, dessen Kandidatur von der Wahlkommission verweigert wurde, Swetlana Tichanowskaja, Kandidatin bei der Präsidentenwahl in Belarus, und Veronika Zepkalo, Ehefrau des nicht zugelassenen Kandidaten Zepkalo, stehen bei einem Wahlkampfauftritt zur Unterstützung von Tichanowskaja. Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Doch Lukaschenko kämpft bis zum Letzten um seine sechste Amtszeit. „Ich gebe die Macht nicht her“, sagt der 65-Jährige. Zu Hunderten ließ er zuletzt schon Aktivisten festnehmen, die gegen ihn auf die Straße gehen.

Immer wieder stattet er Militär, Polizei und anderen Sicherheitsorganen Besuche ab, lässt sich Wasserwerfer und schlimmere Waffen zeigen und warnt vor der Gefahr eines Umsturzes – er droht sogar mit einem Armeeeinsatz, um eine Revolution in dem Land zwischen Russland und dem EU-Mitglied Polen zu verhindern.

Nach 26 Jahren an der Macht sieht sich Lukaschenko, der so lange regiert wie niemand sonst in Europa, umzingelt von Feinden. Sogar der Dauerverbündete Russland muss als Feind herhalten, der versuche, sich die Ex-Sowjetrepublik einzuverleiben.

Erst vor wenigen Tagen nahm die Polizei mehr als 30 mutmaßliche russische Söldner fest. Sie hätten angeblich Unruhe stiften wollen vor der Wahl, so der Vorwurf der Behörden. Moskau weist solche Anschuldigungen entschieden zurück.

Lukaschenko ist für Putin ein Bollwerk gegen die Nato

Kremlchef Wladimir Putin weiß trotz aller Streitigkeiten, was er an Lukaschenko hat – ein Bollwerk gegen die Nato, die aus russischer Sicht von Westen her vordringe. Lukaschenko baue Druck auf gegen seine Gegner mit der These, dass Krieg ausbreche, wenn er nicht mehr an der Macht sei, sagte der Politologe Andrej Porotnikow.

03.07.2020, Belarus, Minsk: Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, gestikuliert während der Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag. Foto: Sergei Grits/AP/dpa

„Wir wollen nur einen Machtwechsel, ehrliche Wahlen“, sagt dagegen die bescheidene Tichanowskaja. Sie mahnt ihre Landsleute, keine Angst zu haben. Niemand spreche von einer Revolution – außer Lukaschenko. Die junge Frau schafft aus Sicht von Kommentatoren etwas, was bisher niemand geschafft habe im Kampf gegen Lukaschenko: die Menschen zu mobilisieren und zu begeistern.

„Es gibt das erste Mal seit Jahren eine Chance für etwas Neues in Belarus“, sagt die Expertin Maryna Rakhlei von der Denkfabrik German Marshall Fund in Berlin der Deutschen Presse-Agentur. Nach Jahren des Stillstands unter Lukaschenko seien die Menschen „müde und hoffnungslos“ – und sie hätten die Angst verloren vor Veränderung und vor den Festnahmen, wie es sie im Wahlkampf zu Hunderten gab.

Unter den Inhaftierten ist auch der populäre Videoblogger Sergej Tichanowski, dem die Behörden nun vorwerfen, mit den mutmaßlichen russischen Söldnern unter einer Decke zu stecken. Weil er im Gefängnis ist, hat seine Ehefrau Swetlana Tichanowskaja ihre Kandidatur an seiner Stelle erklärt – und als einzige Vertreterin der Opposition eine Zulassung als Kandidatin bekommen.

„Unsere Gesellschaft nicht reif für eine Frau“

Insgesamt fünf Bewerber haben die rund 6,8 Millionen Wahlberechtigten zur Auswahl – aber längst dreht sich alles nur noch um Lukaschenko und Tichanowskaja. Dabei versuchte Lukaschenko, einst Leiter eines Milchbetriebs, seine Konkurrentin vor allem als Frau zu brüskieren: Macht sei für Männer. „Bei uns ist die Gesellschaft nicht reif, für eine Frau zu stimmen.“ Viele Menschen im Land sehen das anders.

13.12.2007, Weißrussland, Minsk: Der russische Präsident Wladimir Putin (r) und der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko nehmen an einer Kranzniederlegung auf dem Siegesplatz teil. Foto: Mikhail Klimentyev/epa/dpa

Tichanowskaja will auch die Stimmen der ebenfalls von der Wahl ausgeschlossenen Gegner Lukaschenkos auf sich vereinen: allen voran das bekannteste Gesicht Viktor Babariko, der als früherer Chef einer russischen Bank wegen mutmaßlicher Wirtschaftsverbrechen im Gefängnis sitzt. Maria Kolesnikowa, Leiterin von Babarikos Wahlkampfstab, unterstützt Tichanowskaja ebenso wie Veronika Zepkalo, die Ehefrau des nach Russland geflüchteten Waleri Zepkalo.

Belarus sei nach Jahren des Stillstands endlich aufgewacht, sagt Tichanowskaja. Ruhig und eindringlich mit perfektem Styling ruft die energische Frau in einem Video ihre Landsleute auf, zur Wahl zu gehen und nicht ihre Stimmen durch Fälschungen stehlen zu lassen. „Stimmen Sie für mich!“ Selbst Präsidentin werden wolle sie aber nicht. Ihr Ziel ist es vielmehr, nach ihrer Wahl alle Inhaftierten freizulassen und mit ihnen eine neue und ehrliche Präsidentenwahl anzusetzen.

Darauf pocht die EU immer wieder. Vertreter in Brüssel fordern auch, dass alle Festgenommenen wieder auf freien Fuß kommen. Lukaschenko ging in den vergangenen Jahren immer wieder gegen Gegner vor, doch die Corona-Pandemie hat den Wahlkampf diesmal auf den Kopf gestellt.

Anders als im Rest Europas gab es in Belarus keinen Lockdown, Massenveranstaltungen gingen wie geplant über die Bühne. Kritik am Umgang mit der Pandemie kam auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

30.07.2020, Belarus, Minsk: Swetlana Tichanowskaja, Kandidatin der Opposition bei den Präsidentschaftswahlen in Belarus, äußert sich nach einem Treffen mit Rawkow, Staatssekretär des Sicherheitsrats von Belarus. Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Der 65 Jahre alte Staatschef redet das gefährliche Virus stets klein. Nach eigenen Angaben hat er Corona überstanden – ohne Symptome. Offiziell gibt es mehr als 67.600 Corona-Fälle und mehr als 500 Tote.

„Corona hat alles verändert“, sagt Belarus-Expertin Rakhlei. In der Krise habe sich Lukaschenko abfällig über jene geäußert, die an dem Virus starben. «Wir erleben gerade eine einzigartige Politisierung in der Gesellschaft», sagt der Minsker Analyst Artjom Schraibman.

Das Land steht aber auch aus einem anderen Grund international in der Kritik. Als letzter Staat in Europa vollstreckt Belarus noch die Todesstrafe – und zwar per Genickschuss. Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Wesna wurden seit der Unabhängigkeit Belarus‘ mehr als 300 Todesurteile vollstreckt. Der Oberste Gerichtshof hat erst im Mai Todesurteile gegen zwei Brüder bestätigt.

Menschenrechtler und die EU fordern seit Jahren von Minsk, auf die Todesstrafe zu verzichten. Sie sei eine «unmenschliche und unwirksame Bestrafung». Lukaschenko aber bleibt hart: Erst vor wenigen Monaten verwies er bei einem Besuch in Wien auf ein Referendum aus dem Jahr 1996, bei dem eine große Mehrheit der Bevölkerung gegen die Abschaffung der Todesstrafe stimmte. (dpa)

6 Antworten auf “Weißrussland: „Hausfrau“ gegen „Europas letzten Diktator“ – Eine 37-Jährige will Lukaschenko stürzen”

  1. „Der letzte Diktator Europas“? Wenn ich mich des Geredes und Geschreibsels der letzten Monate, insbesondere nach den Wahlen in der DG erinnere, soll es doch noch bei uns Diktatoren mit der Poastanschrift Platz des Parlaments 1 in Eupen geben?!?!

  2. volkshochschule

    Lukaschenko war und ist ein Scheinriese von Putins Gnaden. Fällt der undankbare Lukaschenko wird Putin gezwungen sein einzugreifen, bevor die irrsinnige Nato weiter gegen Osten rückt.

  3. Klar machen sie Stimmung gegen ihn: er hat die Bestechungsgelder der WHO abgewiesen. Er sollte so eine desaströse corona-politik wie Italien veranstalten (Italien und viele andere Länder war also bestechlich). Und weil er FÜR sein Volk entscheidet statt sich persönlich zu bereichern soll er weg. Wie lange wird es noch dauern bis die Menschen verstehen dass alles was uns offiziell erzählt wird eine infame Lüge ist.

  4. Na, mag sein daß er kein Demokrat ist. Aber der Westen will ihn stürzen um die Nato noch näher an Russlands Grenzen ziehen zu lassen. Wie in den baltischen Staaten und den kriegshungrigen Katholiken in Polen .

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