Topnews

80 Jahre BRF – OD im Gespräch mit Zeitzeugen – Freddy Derwahl: „Es war eine spannend-gute Zeit“

Journalist und Schriftsteller Freddy Derwahl 1987 im Caterina-Zentrum in Astenet bei der Vorstellung seines Romans "Der Mittagsdämon". Foto: privat

Der Belgische Rundfunk (BRF) feiert in diesem Jahr sein 80-jähriges Bestehen. „Ostbelgien Direkt“ nimmt das Jubiläum zum Anlass, um im Gespräch mit Zeitzeugen die acht Jahrzehnte Revue passieren zu lassen.

Der Journalist und Schriftsteller Freddy Derwahl (78) macht den Anfang. Im folgenden Gespräch schildert er einige seiner Erfahrungen als BRF-Redakteur und wirft einen durchaus kritischen Blick auf die Geschichte von BHF und BRF.

OD: Freddy Derwahl, von den 80 Jahren BHF/BRF haben Sie mehr als 30 Jahre als Rundfunk- und Fernsehjournalist erlebt. Erst beim dritten Anlauf schafften Sie die Prüfung, obwohl Sie zuvor bereits im Grenz-Echo und in der Zentralredaktion der AVZ von der Pieke auf alles gelernt hatten, ja sogar im stürmischen Jahr 1970 die Ostbelgien-Redaktion leiteten. Was lief da schief?

BRF-Redakteur Freddy Derwahl (r) im Gespräch mit dem damaligen Premierminister Wilfried Martens (l) 1984 in Eupen anlässlich der Einsetzung der ersten Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft, deren Aufsichtsminister Martens zu diesem Zeitpunkt war. Foto: privat

Freddy Derwahl: Ich möchte nicht über Verstorbene klagen, doch bin ich 1968 und 1973 zweimal vom Vorsitzenden der Prüfungsjury aus niederen Gründen „abgeschossen“ worden. Ich hatte den Gegenkandidaten der CSP, den Unternehmer Gert Noël, im Wahlkampf 1968 während der „blauen Sturmflut“ publizistisch unterstützt, weil der damalige Grenz-Echo-Chefredakteur der PFF sogar die Anzeigen verweigerte. Beim zweiten Versuch konnte ich im abschließenden Gespräch mit der politisch besetzten Jury zwar die Frage nach der „Spiegel“- und Regierungskrise in der Bundesrepublik im Detail beantworten, wusste jedoch nicht, welche Kompetenzen der Kassationshof in Brüssel hatte. Der politisch agitierende Jury-Präsident nagelte mich darauf fest. So flog ich raus. Er selbst ist wegen ganz anderer Vergehen als „eine Schande der belgischen Justiz“ bezeichnet worden und saß einige Monate hinter Gittern.

OD: Wie kamen Sie eigentlich zum BHF?

Derwahl: In den Semesterferien an der RWTH in Aachen verdiente ich mir etwas Taschengeld als kultureller Mitarbeiter der Grenz-Echo-Redaktion. Doch durfte ein von mir verfasster Theater-Bericht über das harmlose Stück „Barfuß im Park“ von Neil Simon nicht erscheinen; es entsprach nicht der damaligen provinziellen Berichterstattung. So nahm der Eupener BHF-Studioleiter Jacques Keil mein Angebot an. Erstmals war ich auf Antenne. Die Direktorin Irene Janetzki war begeistert, ich durfte bleiben und wurde regionaler Kulturkorrespondent.

OD: Welche Rolle spielte damals Frau Janetzki?

Derwahl: Sie war eine elegante Dame von Welt und hasste die politischen Intrigen in Ostbelgien. Mit ihrem natürlichen Charme konnte sie so einflussreiche Politiker wie Außenminister Paul-Henri Spaak oder Senatspräsident Paul Struye für den Ausbau des BHF überzeugen. Sie wurde als „liberal“ klassiert. Mich wollte sie zu Premieren nach Zürich und Berlin schicken und mahnte stets, ich solle die „Finger von der Politik lassen“. Ich hätte auf sie hören sollen.

OD: Dennoch heißt es, sie sei an der Entlassung des Redakteurs Horst Schröder nicht unbeteiligt gewesen. Stimmt das?

Livesendung 1993 in der Eupener Unterstadt (v.l.n.r.): Hans Engels, Peter Thomas, Freddy Derwahl und Walter Eicher. Foto: privat

Derwahl: Sie stand unter einem enormen Druck jenes Herrn, der mich schon zweimal „abgeknallt“ hatte. Schröder war ein Klasse-Journalist, der auch keine riskanten Interviews scheute. Für die damals alles beherrschende CSP ein Störer, der sich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie ein „Guerillero“ benahm. Der tapfere Abenteurer flog noch vor dem heißen Kommunalwahlkampf in Eupen 1970. Im Grenz-Echo gab es dazu keine Zeile. Ich habe dem Geschassten in der AVZ einen Leitartikel gewidmet.

OD: Dennoch konnten Sie im Spätsommer im Funkhaus an der Place Flagey in Brüssel als Redakteur im bestens versorgten Staatsdienst beginnen. Allerdings zog es Sie später in die Provinz nach Eupen. Warum?

Derwahl: Ja, etwas Sentimentalität war auch dabei. Doch hatte bereits der Direktor Peter Moutschen den Kollegen Martin Steins für das Regionalstudio an der Hochstraße in Eupen vorgesehen. Steins hatte in Belgisch-Kongo als Lehrer gewirkt, ich kannte Ostbelgien nach jahrelanger journalistischer Arbeit von Kelmis bis Auel wie meine Westentasche. In den abwechselnd für uns zuständigen Verwaltungsräten der RTB und BRT wurde ich als christdemokratischer Kabinettsattaché klassiert, Steins hatte sich für das rustikalere rote Lager entschieden. Während Monaten tobte der partei- und personalpolitische Streit, bis schlussendlich der genervte RTB-Generaldirektor Robert Wangermée die Entscheidung von Moutschen annullierte und mich nach Eupen schickte.

OD: Ihr Konflikt mit Martin Steins schlug aber bald wieder hohe Wellen. Der Kleinkrieg zwischen Ihnen beiden sorgte regelmäßig für Gesprächsstoff auch außerhalb des BRF.

Derwahl: Wir hatten nicht dieselbe Blutgruppe, obwohl wir uns zunächst blendend verstanden. Mir gefiel seine linksintellektuelle Verve, er schätzte flotte Kulturkritik. Doch führten beiderseitige Fehler zu heftigem Ärger bei der großzügigen Dienstplanung mit viele freien Tagen. Ihm missfielen meine engen Freundschaften mit Fred Evers und Kurt Ortmann, ich wollte ihm seine sozialistische Zuneigung nicht abnehmen, da er doch täglich am Diensttelefon mit seinen Aktien an der Börse spekulierte. Dann kam es in der Niermann-Affäre zum Eklat.

OD: Die Niermann-Affäre ist für Sie bis heute ein traumatische Erfahrung geblieben, oder?

Freddy Derwahl 1989 beim Interview des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland (M) zusammen mit Luc Walpot (l). Foto: privat

Derwahl: Ja, sehr sogar. Die Ereignisse von 1987 liegen zwar weit zurück, doch manchmal träume ich noch davon. Lorenz Paasch hatte mich sogar anlässlich einer Triangel-Besichtigung ins Restaurant eingeladen, ich habe ihm damals ein faires Porträt gewidmet. Ich glaube sogar, dass wir unsere gegenseitigen Heftigkeiten verstanden haben. Meine zornige Enttäuschung galt vor allem der Justiz, die mich und später auch Bruno Kartheuser mit haarsträubenden Fehlurteilen beschuldigt hat. Auf Hausdurchsuchungen bei namhaften ostbelgischen Persönlichkeitehn hatte die Eupener Justiz verzichtet, obwohl die Affäre in der ARD, in der „Zeit“ und in „Le Monde“ zur Sprache kam und die belgische Presse ausführlich berichtet hatte. Später war dann zu erfahren, dass ein gewisser Magistrat auch in diesem Skandal seine Hand im Spiel hatte.

OD: Und wie reagierten Ihre Kollegen im BRF auf die Niermann-Affäre?

Derwahl: Die meisten gingen in Deckung, wenn die Niermänner telefonisch zu intervenieren versuchten. Martin Steins zog gegen mich zu Felde und warf mir nach geschlagener Schlacht vor, schlecht recherchiert zu haben. Dass mich beim Recherchieren niemand in der Redaktion unterstützt hatte, fiel schon nicht mehr ins Gewicht.

OD: Und wie reagierten die Verantwortlichen im BRF?

Derwahl: Direktor Moutschen dachte sich das Seine und spielte Schach. Der bestens informierte Chefredakteur Peter Thomas ließ auf den angekündigten klarstellenden Beitrag warten. Aus Brüssel erhielt ich vom Studioleiter den Kommentar: „Ach, kanntest du denn unseren Onkel Hermann nicht? Unser Wohltäter vom Rhein?“ Von großer Wichtigkeit bleibt die Feststellung, dass zwei ältere Redakteure längst über die Millionenspenden, Umwegfinanzierungen und strategischen Absichten bestens informiert waren, ihrer journalistischen Verantwortung nicht nachgekommen waren, mich aber ins offene Messer laufen ließen. Da liegt der eigentliche Knackpunkt der Affäre, nicht bei der PDB, nicht bei Lorenz Paasch oder Joseph Dries, die sich ja an belgische Politskandale, vor allem bei den wallonischen Sozialisten, ein Beispiel nehmen konnten. Auch der gerne polternde Karl-Heinz Lambertz als damaliger BRF-Aufsichtsminister war über seine SPD-Genossen bestens informiert, biederte sich aber bei der PDB mit der heuchelnden Erklärung an, er wolle „nicht mit den Wölfen heulen“. So blieb dem vom BRF missachteten „Krautgarten“ die Aufgabe, Tacheles zu reden – so lange man ihn ließ…

OD: Und der BRF heute? Offenbar ist der Sender hierzulande stets die Nummer eins?

Freddy Derwahl (l) im Gespräch mit Kurt Ortmann (r) 2002 in Brüssel im Jardin des Botaniques. Foto: privat

Derwahl: Dafür haben wir damals die Grundlagen gelegt. Ich glaube aber, dass die politischen Schikanen passé sind und die jungen Kolleginnen und Kollegen ihr Bestes geben, wenn man auch ab und an, aus Respekt vor der politischen Aufsicht oder aus privater Ranküne, auf Chefebene klammheimlich manipuliert wird. Aber ein „Fall Schröder“ wäre heute undenkbar und ein „Onkel Hermann“ würde mit einer Fußfessel durch Düsseldorf laufen.

OD: Welches Fazit ziehen Sie, wenn Sie auf die bewegten Jahre im BRF zurückblicken?

Derwahl: Wenn ich über schmerzliche Dinge berichtet habe, muss ich heute sagen, dass der BRF auch ganz andere bot. Direktor Moutschen hat meine journalistische Berufung nie eingeschränkt, an den poetisch mitfühlenden Frederik Schunk, den agilen Alexander Homann und die all die Manöver durchschauenden, mich schmunzelnd begleitenden Sekretärinnen behalte ich in bester Erinnerung.

OD: Der BRF hat Ihnen also nicht nur viel Ärger bereitet, sondern auch viel Freude?

Derwahl: Ja sicher, unser Königspaar Baudouin und Fabiola bedankten sich persönlich für eine Live-Reportage auf dem Eupener Werthplatz. Albert und Paola durfte ich für den BRF nach Wien begleiten. Mit meinem Freund Erich Heeren saß ich auf der Pressetribüne neben Reporter-Legende Luc Varenne in Anderlecht, Leipzig, Lissabon und London. Mit meinem alten Präses Willy Brüll meldeten wir uns zwei Stunden live beim Papstbesuch von Johannes Paul II aus Banneux. Für meine literarischen Publikationen und BRF-Kulturbeiträge erhielt ich den Rheinlandtaler und den Preis der Künstler aus Eifel & Ardennen, eine lebenswichtige Auszeit in den USA wurde mir vom besonnenen Verwaltungsratspräsidenten Heinrich Cremer gewährt. Unter Direktor Hans Engels wurde ich schließlich „Chefjournalist“. Am Requiem von Martin Steins in Verviers habe ich gerührt teilgenommen. Manchmal besuche ich noch sein Grab mit dem schlichten Holzkreuz unter dem uralten Baum an der Friedhofsmauer in Walhorn. Wir haben es ja alle gut gemeint. Mitten in meiner BRF-Laufbahn lernte ich meine Frau Mona lieben, mit der ich fünf Kinder habe. Kurzum: Es war eine spannend-gute Zeit. (cre)

HINWEIS: Weitere Gespräche mit BRF-Zeitzeugen sind geplant.

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

Eine Antwort auf “80 Jahre BRF – OD im Gespräch mit Zeitzeugen – Freddy Derwahl: „Es war eine spannend-gute Zeit“”

  1. NESTLEBAUER

    Schon damals war das Nestle bauen im Frühjahr Hoch in Mode! Und die Fähnchen flaterten so schön im Winde! Und wenn sie auch gestorben sind, die Noch-Lebenden profitieren noch heute!? Sehr Durchsichtig diese Historie!

Antworten

Impressum Datenschutzerklärung
Desktop Version anfordern