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Stürmer und Störenfried: Viktor Orban wird 60

17.02.2022, Ungarn, Budapest: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban gibt eine Pressekonferenz. Foto: Marton Monus/dpa

Seit 13 Jahren herrscht er ununterbrochen über Ungarn. In Europa und in den USA genießt Viktor Orban die Bewunderung der Rechten. In der EU nimmt man ihn als Problembären wahr. Spielt er gar selbst mit dem Gedanken eines Austritts?

Eines der spannendsten Bücher über Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban stammt aus der Feder des Budapester Journalisten Daniel Pal Renyi. Unter dem Titel „Siegeszwang – Fußball und Macht in Orbans Welt“ (2021) beschreibt Renyi die glühende Fußballleidenschaft von Ungarns mächtigstem Politiker – und wie dieser Mobilisierungstechniken, schmutzige Tricks und Kampfstrategien aus der Welt der Kicker erfolgreich in die Politik übertragen hat.

05.04.2010, Ungarn, Szekesfehervar: Der Vorsitzende der konservativen Oppositionspartei Fidesz, Viktor Orban, kickt den Ball während eines Freundschaftsspiels der Jungen der Puskas-Fußballakademie. Foto: Laszlo Beliczay/epa/dpa

Der unbedingte Siegeswille begleitet das Leben und Wirken des Viktor Orban von Jugend an. An diesem Mittwoch, wenn in Budapest das Europa-League-Finale zwischen dem FC Sevilla und AS Rom ausgetragen wird, feiert Orban seinen 60. Geburtstag.

Der Sohn eines Agrarmaschinentechnikers und einer Lehrerin wuchs in eher bescheidenen Verhältnissen auf – in einem Dorf bei Szekesfehervar, 70 Kilometer südwestlich von Budapest. Als Jurastudent in der Hauptstadt rebellierte er mit Gleichgesinnten gegen den geistlosen Obrigkeitsstaat im späten Kommunismus. Der Bund Junger Demokraten (Fidesz), den er mitbegründete, war die erste unabhängige Jugendorganisation dieser Zeit.

Landesweite Bekanntheit erlangte Orban mit einem Schlag im Juni 1989 beim Neubegräbnis der Märtyrer des ungarischen Volksaufstands von 1956. Mit wehender Mähne und Dreitagebart hielt er eine radikale Rede gegen die eigentlich schon im Abgang befindlichen Kommunisten und die noch im Land stationierten sowjetischen Truppen. Der Fidesz, damals noch links-liberal und basisdemokratisch ausgerichtet, schaffte im April 1990 den Einzug ins erste frei gewählte Parlament.

Orban wurde Fraktionschef und zog bald mit seinen engsten Gefährten die Fäden in der Jugendpartei. Den urbanen, links-liberalen Flügel schaltete er aus, die Partei positionierte er in der rechten Mitte. Nachdem der erste frei gewählte Ministerpräsident, der Bürgerliche Jozsef Antall, 1993 gestorben war, blieb Ungarns rechtes Lager führerlos. Orban stellte sich immer mehr an dessen Spitze.

06.04.2018, Ungarn, Szekesfehervar: Viktor Orban, der Ministerpräsident von Ungarn, winkt zu seinen Anhängern bei einer Großkundgebung vor denb ungarischen Parlamentswahlen. Foto: Darko Vojinovic/AP/dpa

1998 wurde er als damals 35-Jähriger erstmals Regierungschef. Unter dem Schlagwort der bürgerlichen und nationalen Werte pflegte er eine rechts-nationale Symbolik und schränkte die Kontrollbefugnisse des Parlaments ein. Als er 2002 überraschend die Wahl und damit die Regierungsmacht verlor, wollte er sich damit nicht abfinden. Er ließ seine Anhänger aufmarschieren und beklagte „Wahlbetrug“.

Die Wahl im Frühjahr 2010 brachte dem „Stürmer in der Politik“, wie ihn sein polnischer Biograph Igor Janke bezeichnete, die dauerhafte Rückkehr an die Macht, noch dazu mit der verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit für seine Fidesz-Fraktion. In der Folge bedeutete dies: Aushöhlung demokratischer Institutionen, Einschränkung der Rechte von Minderheiten, Kontrolle über die reichweitenstarken Medien, Lenkung von staatlichen und EU-Geldern in die Taschen von Oligarchen, die von ihm abhängen.

Peter Kreko, Direktor der Budapester Denkfabrik Political Capital, meint, dass Orban das Land transformiert habe. „Ich würde ihn nicht als Populisten bezeichnen, denn ein Populist richtet sich nach den Stimmungen in der Bevölkerung“, sagt er. „Orban hingegen hat ein System errichtet, in dem er sich nicht mehr wie ein Chamäleon der öffentlichen Meinung anpassen muss, sondern selbst die öffentliche Meinung verändert.“

06.07.1998, Ungarn, Budapest: Viktor Orban, neu gewählter Ministerpräsident und Vorsitzender der rechtsgerichteten Partei Fidesz, legt im ungarischen Parlament den Amtseid ab. Foto: Noemi Bruzak/epa/dpa

Auf diese Weise wolle er die Gesellschaft konservativer, religiöser, geschlossener machen, sagt Kreko. Seine ultra-rechte, autoritäre Politik werde heute von den Anhängern Donald Trumps, von den Fans der AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich bewundert. „Vom Mainstream in Europa koppelt er sich hingegen immer mehr ab.“ Die EU hat wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit einen Gutteil der Gelder für Ungarn eingefroren.

Orban wiederum hält ungeachtet des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine weiter enge Kontakte nach Moskau. In den vergangenen Monaten verhinderte er immer wieder neue EU-Sanktionen gegen Russland – so etwa ein vollständiges Öl-Embargo oder geplante Strafmaßnahmen gegen den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill. Der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund wünscht Orban deshalb zum Geburtstag die „Rente mit 60“. Der Ungar habe sich von einem „Freiheitskämpfer zum Autokraten“ entwickelt, kritisiert er. In der EU sei er damit heute absolut fehl am Platz.

Politikforscher Kreko stellt fest, dass Orbans Rhetorik immer euro-skeptischer werde. Er habe sogar Sinn und Existenzgrundlage der EU infrage gestellt, wenn diese – aus seiner Sicht – ihre Hauptziele Frieden und Wohlstand nicht mehr gewährleisten könne. Kreko erblickt dahinter eher noch eine Taktik: „Er würde gerne eine Situation herstellen, aus der heraus er der EU mit dem Austritt drohen kann.“ Dies sei jedoch ein gefährliches Spiel. „Wer mit dem Feuer spielt, kann sich leicht selbst verbrennen.“ (dpa)

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