Politik

Nach dem Brexit die Schweiz: Abweisung ist eine neue Ohrfeige für Brüssel – Warum stößt EU auf Ablehnung?

18.05.2000, Schweiz, Bern: Fähnchen der EU und der Schweiz stehen im Nationalratssaal. Nach sieben Jahren beendet die Schweiz die Verhandlungen über ein von Brüssel gewünschtes Rahmenabkommen zu den bilateralen Beziehungen. Foto: Michael Stahl/epa/dpa

AKTUALISIERT – Erst der Brexit, dann die Schweiz, die der EU die kalte Schulter zeigt. Wieso stößt das europäische Projekt auf Ablehnung?

Aus London kommt Beifall. Völlig richtig, dass die Schweiz dem Druck der „Eurokraten“ widerstanden und vergangene Woche das EU-Rahmenabkommen abgelehnt habe, schrieb der Brexit-freundliche „Telegraph“.

Zwar ist das Nein aus Bern an Brüssel mit dem britischen EU-Austritt nicht vergleichbar, denn die Schweiz war ja nie EU-Mitglied. Aber beide Länder gehen deutlich auf Distanz zur EU. Und das, obwohl das auf den ersten Blick ihren wirtschaftlichen Interessen widerspricht.

23.04.2021, Belgien, Brüssel: Ursula von der Leyen (r), EU-Kommissionspräsidentin, und Guy Parmelin, Bundespräsident der Schweiz, nehmen an einer Pressekonferenz im EU-Hauptquartier teil. Foto: Francois Walschaerts/Pool AFP/dpa

Ist das mehr als ein Kratzer am Image der EU, verliert sie an Attraktivität? „Offensichtlich läuft hier wieder eine Debatte ‚Souveränität gegen Wirtschaft‘, ähnlich wie beim Brexit“, sagt der Schweiz-Experte am European Policy Centre in Brüssel, Georg Emil Riekeles. Mit dem Verhalten der EU habe das wenig zu tun. Das ist auch die offizielle EU-Sicht.

Trotzdem ist es eine bittere Pille für Brüssel, dass die Schweiz aktiv Nein sagt zu einer engeren Bindung an die Staatengemeinschaft.

Die wirtschaftlichen Folgen sind das eine. Das Handelsvolumen Großbritanniens mit der EU brach nach Abschluss des Brexits im ersten Quartal 2021 um 23,1 Prozent ein im Vergleich zur gleichen Zeit 2018. Exporteure klagen über Kontrollen, Bürokratie und Kosten.

Schweizer Wirtschaftsverbände und Universitäten besorgt

Und auch die Schweiz macht sich keine Illusionen, dass sie ohne den Vertrag, der unter anderem eine automatische Rechtsübernahme in der Schweiz bei Anpassungen von EU-Regeln vorsah, Nachteile haben wird.

Die EU hat das in einem fünfseitigen Fact Sheet zusammengetragen: Reibungsverluste im Handel, Probleme bei Lebensmittelimporten, Probleme für den Verkauf Schweizer Medizinprodukte und für den Luftverkehr.

26.05.2021, Schweiz, Bern: Bundespräsident Guy Parmelin spricht bei der Pressekonferenz über das Rahmenabkommen mit der EU. Foto: Peter Schneider/KEYSTONE/dpa

Die Mehrzahl der Schweizer Wirtschaftsverbände stand auch hinter dem Vertrag und fürchtet nun höhere Kosten und Hürden bei Geschäften mit der EU. Pikiert ist auch der Verband der Schweizer Universitäten. Die EU will die Schweiz nun von Forschungsprojekten ausschließen.

„Internationale Kooperation ist die Voraussetzung für Innovation und Exzellenz“, teilte der Verband mit. Der Schweiz drohe der Verlust ihrer internationalen Spitzenposition in der Forschung.

Doch wie Riekeles sagt: Nach Großbritannien pocht auch die Schweiz auf ihre Souveränität. „Das Rahmenabkommen hätte die Schweiz faktisch zu einer Rechtskolonie der Europäischen Union gemacht“, sagt der Publizist und Abgeordnete der rechtskonservativen SVP, Roger Köppel, im Podcast (siehe VIDEO unten). Er sieht die EU als Gebilde, das von oben nach unten regiert. Die Schweiz sei mit ihrer direkten Demokratie und den vier Volksabstimmungen im Jahr genau das Gegenteil.

Der EU-skeptische Schweizer Unternehmerverband Autonomiesuisse versteigt sich gar zu der Aussage: „Wir würden wirtschaftlich und politisch mit der EU gleichgeschaltet. Direkte Demokratie und Föderalismus würden ausgehöhlt. Wir wollen, dass die Schweiz als selbstständiges und unabhängiges Land weiter existiert.“

Kein Drama: „Die Welt dreht sich nicht um die Schweiz“

„Bei allem Respekt: Die Welt dreht sich nicht um die Schweiz. Und die 27 EU-Staaten haben ebenfalls berechtigte Interessen, die sie verteidigen“, sagte dagegen der Schweiz-Experte im Europaparlament, Andreas Schwab (CDU), dem „Spiegel“. Die Schweiz auf ihre kleine Größe zu reduzieren, ist für die Eidgenossen aber ein rotes Tuch. Sie geben sich selbstbewusst. „Die Schweiz möchte mit ihren starken Handelspartnern – EU, USA, China – Verträge auf Augenhöhe abschließen“, so Autonomiesuisse.

06.06.2020, Schweiz, Romanshorn: Passagiere genießen die Fahrt auf der frisch renovierten MS St. Gallen der Schweizerischen Bodensee Schifffahrt (SBS) auf dem Bodensee. Foto: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa

Die Schweiz lässt die EU in einem Moment abblitzen, in dem diese sich eigentlich obenauf fühlt: Sie hat sich in dem harten Pandemiejahr mehrfach zusammengerauft, nicht nur bei der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung, sondern auch mit dem milliardenschweren Corona-Aufbaufonds. „Was den Erfolg des europäischen Projekts betrifft, so glaube ich, dass der klar ist. Das ist für jeden sichtbar. Wir sehen das in unserer Antwort auf die Covid-Krise“, sagte Kommissionssprecher Eric Mamer. Es gebe eine positive Dynamik.

Dass aber gerade diese immer engere Verzahnung abschreckend wirken könnte auf traditionell eigenwillige Staaten mit aktuell starken populistischen Strömungen, das scheint in Brüssel kein Thema. Mamer hörte sich fast trotzig an: „Wir sind in einer sehr pro-aktiven Phase und ich glaube nicht, dass die Entscheidung, die die schweizerischen Behörden bekannt gegeben haben, irgendetwas daran ändert.“ (dpa)

Nachfolgend im VIDEO die erste Reaktion des Chefredakteurs der Schweizer WELTWOCHE, Roger Köppel, der sich freut, dass das Rahmenabkommen mit der EU gescheitert ist:

26 Antworten auf “Nach dem Brexit die Schweiz: Abweisung ist eine neue Ohrfeige für Brüssel – Warum stößt EU auf Ablehnung?”

  1. Corona2019

    Parmelin macht ein Gesprächsangebot und Ursula van der Leyen lehnt ab ?
    Aha ,
    Wenn dann in Zukunft Brüssel wieder wissen möchte wo denn das Geld der Vermögenden geblieben ist , darf Parmelin das Gesprächsangebot auch ablehnen ,
    Und schon sind beide Seiten wieder zufrieden .

      • Corona2019

        @ – Walter Keutgen

        Einen Zusammenhang ob nun Mann oder Frau kann ich hier nicht erkennen.

        Ich erkenne aber wieder ein Drehbuch zu einem Theater, bei dem es am Ende des Stücks darum geht ein Schlupfloch zu schaffen , um Gelder unauffällig in der Schweiz zu Deponieren .

        Die Uneinigkeit beider Seiten lässt wenigstens die Vermutung zu , das man sich in diesem Punkt einig ist .

        • Walter Keutgen

          Corona2019, schon den Shitstorm vergessen, weil sie, die Nr. 2 der EU, in der Türkei nicht als Nr.1 hingesetzt worden ist? Den haben sie und man auch an ihr Geschlecht aufgehangen. Nochmal, es ging mir darum, dass sie laut Artikel nicht den Telefonanruf des Schweizer Staatschefs (Nr. 1) angenommen hat.

  2. schlechtmensch

    Die Schweizer sind nicht blöd. Die sehen auch wer hier in der EU das Sagen hat und welche „Qualität“ dieses Personal besitzt. Dazu passt perfekt dass unsere EU-Uschi jetzt die beleidigte Leberwurst spielt. Gratulation Schweiz. Alles richtig gemacht.

    • Die Schweizer sind auf die EU angewiesen denn sie liefern mehr Waren in die EU als andersherum
      und wenn dieser Markt wegfällt hat sie Probleme,
      Adolf wollten sie auch Blockieren und ließ keine Kohle durch, Adolf lieferte keine Flugzeuge
      und andere Waren mehr, und siehe die kleine Schweiz machte ihre Durchfahrt mit Eisenerz wieder
      auf sie kommt auf lange sicht damit durch, nicht umsonst lockerte sie ihr Bankgeheimnis

      • Corona2019

        @ – Filou

        ……Nicht umsonst lockerte Sie ihr Bankgeheimnis .

        Sie glauben tatsächlich das Geheimnisse jeder Person freigegeben wurden ?
        Kann sein ,
        nur jedem dem das unangenehm ist und mit am Langen Hebel sitzt ,
        entscheidet dann wer dafür bestraft wird und wer nicht .

  3. Krisenmanagement

    Herzlichen Glückwunsch an die Schweizer Eidgenossen. Das war eiene mutige Entscheidung. Die Politiker in der Schweiz können sich nicht erlauben über die Köpfe der Schweizer Entscheidungen zu treffen. Es war ein überfälliger Schritt.

  4. Die EU Administration (durch Deutschland dominiert) versucht die politische Gefolgschaft für ihre kranke Klima- Energie- Verkehrs- und Migrationspolitik durch wirtschaftliche Erpressung zu gewährleisten. Das funktioniert immer schlechter, GB ist schon raus, die Mitgliedsstaaten im Osten (Polen, Ungarn…) lassen sich eh nicht so einfach erpressen, DK und S schwenken in der Asylpolitik deutlich auf einen anderen Weg um, und auch die Schweiz will der Umarmung der „schwarzen Witwen“ Merkel, UvL und jetzt auch noch Baerbock entgehen. Das Matriarchat der „Gutmenschinnen“ Deutscher Prägung kommt an seine Grenzen, diese EU-Politik der bösartigen Schwiegermütter hinter empathischer Fassade wird zum Schreckgespenst und so langsam wird es einsam um die moralisch beste Politik aller Zeiten….

    • Die Schweizer sind Schweizer und keine Europäer im Sinne der Anfängen der EU.
      Auch brauchen wir sie nichts hofieren, um eine eh‘ unwirksame Distanz zum Osten zu schaffen.
      Diese Tatsachen haben mit der Persönlichkeit oder Politik Ihrer „böswilligen und schwarz-verwitweten Gutmenschinnen-Schwiegermütter“ wohl kaum etwas zu tun. Wie wär’s mit konkreten Argumenten gegen diese Damen ?

    • Walter Keutgen

      Dax, kranke Klimapolitik deutscher Prägung? Wie alles Neue kommt sie von Westen. Die Deutschen sind nur gut darin, alles penibel gründlich zu machen. Die US-Amerikaner machen es lässig gründlich. Bei der Einwanderungspolitik ist es ähnlich.

    • Walter Keutgen

      Realist, das glaube ich nicht. Ich bleibe dabei, zu denken, dass alle die Bestrebungen die EU zu vertiefen, nachdem sie erweitert worden war, falsch waren. Nebenbei verhandelte man auch seit Jahrzehnten mit der Türkei, ein flächenmäßig größtenteils asiatisches Land, für ihren Anschluss an die EWG, EG, EU.

    • Ermitler,
      Bis vor wenigen Jahren hätte man ja noch sagen können „Côte d’Or“ statt „Toblerone“ oder „Cadbury“ statt „Suchard“.
      Aber heute, in weniger als 10 Jahren, ist alles Mondelez und geht in einen Topf…

    • Schweizer Exporte in die EU besteuern? Dann macht die Schweiz es umgekehrt genauso. Blöd nur, dass die Schweiz mehr importiert als sie exportiert. Am Ende würde die Schweiz an einer Importsteuer also noch Geld verdienen.

  5. Blick.ch lesen. Unter anderem ist es gescheitert weil die Schweiz kein Lohndumping zulassen wollte. Find ich gut. Ich muss Ostbelgien Direkt mal loben. Die andere Presse hat das Thema noch nicht mal aufgegriffen. Aber wenn man diese Verhandlungen mal verfolgt, sieht man was in der EU alles schiefläuft, bzw. wie das Volk einfach hintergangen wird. Wir werden nicht gefragt, die Schweizer schon.

  6. Stratege

    Schauen Sie sich mal die bilateralen Abkommen mit der Schweiz an dann sehen Sie dass diese Absage fast irrelevant ist. Die Schweiz weiß ihre Interessen zu verteidigen und die Europäer wissen warum sie es so akzeptieren.

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