Meinung

Der „lange Arm“ wird immer kürzer [Zwischenruf]

Ministerpräsident Oliver Paasch (r) mit Eupens grüner Bürgermeisterin Claudia Niessen (M) bei einem Treffen zwischen der Regierung und den Bürgermeistern der DG-Gemeinden. Links der Lontzener Bürgermeister Patrick Thevissen. Der "kurze Arm" zur DG-Regierung in Eupen wird immer wichtiger. Foto: OD

Der „lange Arm“ hat für die deutschsprachigen Belgier schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Aber statt nach Brüssel, nach Namur oder nach Lüttich wird er inzwischen immer öfter auch nach Eupen ausgestreckt. Enge Beziehungen zur DG-Regierung werden für die neun deutschsprachigen Gemeinden immer wichtiger.

Als es die DG noch gar nicht gab und die CSP allmächtig war, brüstete sich diese damit, einen „langen Arm“ nach Brüssel zu haben. In jedem Wahlkampf stritten sich die sogenannten traditionellen Parteien (Christlich-Soziale, Liberale und Sozialisten) darüber, wer den längsten Arm hat.

Wer sich bis Anfang der 1970er Jahre in Brüssel Gehör verschaffen wollte, wandte sich an Joseph „Fritjof“ Schmitz, Attaché beim Premierminister, an den CSP/PSC-Abgeordneten Willy Schyns, der eine kurze Zeit – bis zur Einsetzung des Rates der deutschen Kulturgemeinschaft (RdK) im Oktober 1973 – sogar Staatssekretär für die Ostkantone war, oder ans sogenannte Ostbelgienkabinett bzw. noch später an ostbelgische Parlamentarier wie Albert Gehlen (CSP) oder Fred Evers (PFF).

Der „lange Arm“ zur DG-Regierung in Eupen wird immer wichtiger: Ministerpräsident Oliver Paasch (5.v.r) und seine Ministerkollegen mit den Bürgermeistern der neun DG-Gemeinden bei einer Pressekonferenz im Rathaus von St. Vith. Foto: Serge Heinen / Kabinett Paasch

Nach der Einsetzung des RdK war der „lange Arm“ nach Brüssel ungemein wichtig, zumal das Gebiet deutscher Sprache eine Zeitlang rein formal dem Premierminister unterstellt war.

Im Zuge der Föderalisierung des Landes streckte die DG den „langen Arm“ immer häufiger zur Wallonischen Region nach Namur und zum Teil auch zur Provinz nach Lüttich aus. In Namur oder Lüttich lief die meiste Zeit nichts ohne die Hilfe der Sozialisten. Die SP hatte zwar in der DG nicht viel zu sagen, aber dank ihres „langen Arms“ zur Wallonischen Region und zur Provinz hatten die Roten großen Einfluss auch in der DG.

Mit Beginn der 1990er Jahre glaubte die CSP sogar, auf die Unterstützung durch die Sozialisten in Namur nicht verzichten zu können. Deshalb bevorzugte sie die SP als Koalitionspartner. So war Karl-Heinz Lambertz (SP) ab 1990 DG-Minister – erst in einer Dreierkoalition mit CSP und PFF, ab 1995 in einer Zweierkoalition mit der CSP.

13. Juni 1999: Ministerpräsident Joseph Maraite (rechts) am Wahlabend mit seinem Noch-Koalitionspartner Karl-Heinz Lambertz (links). Maraite ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass der „Rote Baron“ ihn entmachten und sein Nachfolger als Regierungschef wird. Foto: Belga

Für die Christlich-Sozialen wurde das Bündnis mit Lambertz 1999 zum Bumerang, denn zusammen mit dem Liberalen Fred Evers warf die SP die CSP aus der Regierung.

Kein anderer Politiker hat den „langen Arm“ nach Namur so oft einzusetzen versucht wie Lambertz als Minister und später als Ministerpräsident. Wenn es um die Unterstützung der Wallonischen Region ging – beispielsweise im Straßenbau – oder um die Übertragung von wichtigen Zuständigkeiten von Namur nach Eupen, zog der „Rote Baron“ die Fäden.

Mit dem stetigen Ausbau der Autonomie für die Deutschsprachigen war indes nicht mehr nur ein „langer Arm“ nach Brüssel und Namur gefragt, sondern zunehmend auch ein deutlich kürzerer Arm zur DG-Regierung nach Eupen.

Wenn etwa in der finanziell arg gebeutelten Gemeinde Kelmis mal wieder das Geld knapp wurde, half ein „langer Arm“ zur Residenz des DG-Ministerpräsidenten in Gospert 42 genauso wie für Überbrückungshilfen während der Pandemie bzw. nach der Hochwasserkatastrophe in der Eupener Unterstadt Mitte Juli 2021.

Inzwischen ist der „lange Arm“ nach Eupen für die neun Gemeinden der DG nicht nur der kürzeste, sondern auch der wichtigste. Größere Investitionen sind ohne die finanzielle Unterstützung durch die DG nicht zu stemmen. Möge der Arm mit der Zeit nicht zu kurz werden… (cre)

14 Antworten auf “Der „lange Arm“ wird immer kürzer [Zwischenruf]”

  1. Offiziell leben wir in einer Demokratie, das was hier beschrieben wird ist aber eine reine Günstlingswirtschaft. Das sollte nicht die Geschäftsgrundlage der DG sein, wer es mit dem Oli am besten kann hat die schönsten Straßen…. Da muss man sich über Politik(er) Frust nicht wundern.

    • Olle Kamellen…

      @Dax

      So sind viele lukrative Pöstchen besetzt worden (Qualifikation bestenfalls zweitrangig, unbedingte Loyalität Grundvoraussetzung!)… ist auch als „Seilschaften“ bekannt!

        • Alfons van Compernolle

          Das, musste ich erst einmal Einsehen , ist leider in ganz Belgien so und nicht nur in der DG!
          Ich habe die Frage schon mehrfach gestellt, ohne je eine ernsthafte Antwort zu erhalten:
          Sind wir mit 11,6 Millionen Einwohnern mit einen Einheitsstaat und nur einer Regierung in Brussel nicht besser bedient??? Ein Einheitsstaat Belgien mit drei Sprachgemeinschaften deren Sprache in einer jeglichen Schule in gleicher Stundenzahl gelehrt wird ??
          Ein Zebntralparlament , was den politischen Selbstbedienungsladen in den Teilstaatenparlamenten direkt beenden wuerde. Mir ist es gelinde gesagt „scheiss-egal“ ob mein Mitbuerger aus der franz-sprachigen Gemeinschaft , aus der flamisch-sprachigen Gemeinschaft oder aus der Deutsch-Sprachigen Gemeinschaft kommt , fur mich zaehlt der Charakter des Mitbuergers! Waeren wir nicht mit einem Einheitsstaat besser bedient ????
          Die selbige Frage , stelle ich auch im Bezug auf Hamburg – Berlin – Bremen ,muessen das eigenstaendige Bundeslaender sein, ich denke mal nicht !!

          • Alfons van Compernolle, vieles ist historisch bedingt. In Deutschland durch die Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass die deutschen Politiker nicht einige Länder zusammenlegen, ist praktisch gesehen unverständlich. Zuletzt hat man versucht Berlin und Brandenburg zu vereinigen. Dazu ist ein nicht bindendes Referendum laut Grundgesetz vorgeschrieben. Die Wahlbürger haben dagegen gestimmt.

            Der Einheitsstaat Belgien hat doch von Anfang an begonnen zu bröckeln. Das lag an zwei widersprüchliche Fügungen der Verfassung „der Gebrauch der Sprachen ist frei“ und „die Verwaltung des Staates geschieht auf Französisch“. So durfte die Gemeindeverwaltung dem Bürger gegenüber gemäß der örtlichen Gewohnheit auf Deutsch oder Flämisch geschehen und in Antwerpen sogar zwingend auf Flämisch, aber alles was den Staat anging also auch die Provinzen war auf Französisch.

            Die Dreisprachigkeit in Schulen ist nun wirklich Fantasterei eines Ingenieurs. Eines Ingenieurs! Ich habe noch als Ostkantönler die Zweisprachigkeit mit Vorrang des Französischen erlebt. Die Jugendlichen, die sprachlich nicht so begabt waren, aber durchaus technisch und mathematisch begabt waren, waren benachteiligt. Auch interessierten die Sprachlehrer sich ab einem gewissen Schüleralter nur für Literatur. Muttern, Schrauben, Bolzen unbekannt, kommt in Romanen nicht vor. Auch Lebensläufe schreiben lehrten sie nicht. So war man im französischsprachigen Gebiet sprachlich durchaus den Eingeborenen nicht ebenbürtig.

  2. Catherin

    Langer Arm? Gehören da nicht auch lange Finger dazu…!? Sowieso, bei der Politik wird vieles Dramatisiert und Vorweg als heikel und Dramatisch verkauft! Die Lorbeeren danach wären dann üppiger, süffiger, besser und ansehnlicher. Wenn man dann heute sieht wie der Karren im Schuldendreck steckt, dann war alles hiervor nur Haluzinazion und Volksverdummung. Man hätte es besser und viel billiger haben können?!

  3. Ramona Rammel- Haaperscheidt

    Die Ostbelgier waren immer christlich, bis Lambertz kam und uns weismachte, ohne Sozen würden wir untergehen. Einige christliche Politiker sind vor soviel Frechheit eingeknickt und die Liberalen haben das Spiel mitgemacht, aus Eigennutz.
    Wie schrieb ein Forist mal? Lambertz hat zwar ein schönes Haus aber er hat seine Seele verkauft.

  4. Klaus die Maus

    Nicht nur die „traditionellen Parteien hatten einen „langen Arm“, die angeblich unschuldige PDB hatte sogar zwei: der eine reichte über den „Rat der deutschen Volksgruppe“ bis ins Vorzimmer von Leo Tindemans, der andere führte von St. Vith an den Rhein zum Millionen-„Onkel“ mit den gefälschten Überweisungen.

  5. Uns (dem sogenannten mündigen Bürger, der aber nur als Wahlvieh dienen soll und danach die Klappe zu halten hat) ständig mit dem politischen Fake-Argument zu kommen, wir würden in einer Demokratie leben, macht dieser Rückblick deutlich, dass ‚alle Parteien‘ verboten werden müssen, ohne wenn und aber…. wenn es denn wirklich war sein soll : „…die Würde des Menschen/Bürgers ist unantastbar…“ Jeder der sich anmasst, andere befehligen/kontrollieren/missachten zu können, aus welchen Motiven auch immer, kultiviert nur seine ‚geistige Armseligkeit‘, und andere dazu zu ermutigen diesem Beispiel zu folgen ist ja gänzlich ‚unwürdig und vergeudete Lebenszeit‘!

  6. Alle 9 Gemeinden sind zunehmend auf die finanzielle Unterstützung der DG angewiesen, besonders bei größeren Investitionen. Das schafft eine potenzielle Abhängigkeit, da sie sich weniger auf eigene Ressourcen stützen können und für finanzielle Stabilität stark auf die DG-Regierung angewiesen sind. Dadurch ist die Autonomie der Gemeinden in Gefahr.
    Die enge Verbindung zwischen der DG-Regierung und den Gemeinden führt unweigerlich dazu, dass politische Netzwerke und persönliche Beziehungen eine größere Rolle spielen als sachliche Kriterien. Dies gefährdet die Transparenz und Fairness bei der Verteilung von Ressourcen und Zuständigkeiten. Die Tatsache, dass in vielen aussichtsreichen Listen für die anstehenden Gemeinderatswahlen Mitglieder oder Anhänger der ProDG als Kandidaten zu finden sind, lässt sich ebenfalls durchaus kritisch betrachten. Es besteht das Risiko einer politischen Monopolisierung. Die ProDG könnte – bei entsprechendem Wahlausgang-sowohl auf Gemeindeebene als auch in der DG-Regierung einen überproportionalen Einfluss ausüben, was zu einer ungesunden Machtkonzentration führt. Als regierungsnahe Kandidaten könnten ProDG-Mitglieder oder deren Anhänger auf Gemeindeebene in einem Interessenkonflikt stehen. Sie könnten zum Beispiel dazu neigen, Entscheidungen auf Gemeindeebene so zu treffen, dass sie im Einklang mit den Prioritäten der DG-Regierung stehen, auch wenn diese möglicherweise nicht immer den spezifischen Interessen der jeweiligen Gemeinde entsprechen. Politische Erfolge würden dann weniger auf Kompetenz und Programme zurückzuführen sein, sondern auf Beziehungen und Netzwerke. Was zu einem Klientelismus führt, bei dem politische Gunst auf der Basis persönlicher oder parteipolitischer Verbindungen gewährt wird. Wenn eine Regierungspartei oder deren Anhänger auf allen Ebenen vertreten sind, wird der politische Pluralismus geschwächt. Unterschiedliche Sichtweisen und politische Ansätze könnten an Einfluss verlieren, was eine ausgewogene demokratische Debatte erschwert.
    All diese Aspekte sollten sorgfältig abgewogen werden, bevor wir Wähler am 13.10. unsere Entscheidung in den Gemeinderatswahlen treffen.

    • Der Alte

      @ Cunning

      „Alle 9 Gemeinden sind zunehmend auf die finanzielle Unterstützung der DG angewiesen, besonders bei größeren Investitionen. Das schafft eine potenzielle Abhängigkeit, da sie sich weniger auf eigene Ressourcen stützen können und für finanzielle Stabilität stark auf die DG-Regierung angewiesen sind.“

      Muss Sie leider korrigieren: die Abhängikeit ist nicht potenziell, die Abhängigkeit ist real. Wer bezahlt bestimmt die Musik. Hinzu kommt, dass sich alle politisch Aktiven in einer kleinen Gemeinschaft kennen, schätzen oder eben nicht. Man kann nur hoffen, dass sich die Einflüsse ein wenig gegenseitig neutralisieren.
      Allerdings ist zu bemerken, dass diese Abhängigkeit auch von einer die DG dominierenden politischen Formation Tradition hat. Wer konnte früher etwas in Ostbelgien werden wenn er nicht den Segen der CSP hatte? Wer konnte in der Wallonie etwas werden wenn er nicht den Segen der PS hatte?

  7. Vielen Dank für diesen durchdachten Kommentar! Auch ich mache mir seit einiger Zeit Gedanken über diese Entwicklungen. Ich sehe die Gefahr, dass in Zukunft möglicherweise mehr Sympathisanten von ProDG im öffentlichen Dienst der DG Karriere machen könnten. Zudem könnte die schleichende Abschaffung des Beamtenstatuts (siehe Ernennungsstopp, Einführung von Mandaten, vertragliche Einstellungen, Wegfall anonymer SELOR-Prüfungen) in der DG künftig ebenfalls negative Auswirkungen auf die Neutralität des öffentlichen Dienstes haben.

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