Leserbrief

Johann Klos: Vom Taktieren mit der Angst

Da war Sie wieder, die Angst – vor ja was? Silvesterpartys wurden abgesagt. Ein Bahnhof gesperrt. Wie war das in Hannover vor einigen Wochen? Stimmt. wir haben es ja schon wieder vergessen: eigentlich nichts.

Mit Angst lässt sich gut Politik machen. Das öffentliche Geheimnis ist, dass heute fast alle Angst haben. Wir laufen Gefahr, dass immer mehr menschliche Aktivitäten „verangstet“ werden. Einmal, weil der Risikofaktor zu groß scheint, ein anderes Mal, weil sie Sicherheitsgefährdungen darstellen.

Wenn wir weiter damit fortfahren, alles nur unter dem Blickwinkel der Gefahr zu beurteilen oder doch vielleicht „beurteilt bekommen“, läuft unsere Gesellschaft Gefahr, dass alle wichtigen Koordinaten unseres Zusammengehörigkeitsgefühl ausradiert werden. Das Ende vom Lied: der Zusammenbruch der Persönlichkeit jedes Einzelnen.

Lassen wir noch eine weitere bewusste Steigerung des Phänomens Angst zu, so ist es nicht mehr weit bis zum Verlust der eigenen Identität. Menschen werden immer austauschbarer und somit leichter kontrollierbar. Wir laufen Gefahr , uns zu einer Gesellschaft zu entwickeln, denen zwar alle Lebensnotwendigkeiten zu verfügen stehen – nur was, wenn man den Zugang an Bedingungen knüpfen wird?

Vielleicht haben Sie es auch schon bemerkt. Reale menschliche Unsicherheit wird für die wachsenden „Sicherheitsbedarf“ genutzt. Das nur, um faktisch die Sicherheit des Staates als Substitut für die Sicherheit des Selbst zu nutzen?

Wir haben damit begonnen, es als selbstverständlich anzusehen, wenn aus „präventivem Taktieren“ seitens der Politik Hausdurchsuchungen, Abriegelungen von Straßenzügen, Personenkontrollen bis hin zum Massengewahrsam zum Alltag dazugehören.

Hat sich die Furcht vor staatlichen Eingriffen erst einmal verbreitet, wird sie verstärkt durch ein Netz sichtbarer Überwachung, das sich über den kompletten öffentlichen Raum erstreckt, um dann wieder als strategisch angeordneter von Angst zu fungieren.

Man könnte geneigt sein zu glauben, dass die Abhängigkeit von der Angst nichts anderes darstellt als eine verzweifelte Maßnahme in Ermangelung eines realen Konzeptes. Die Gefahr, die dahinter steht, könnte darin bestehen, dass Menschen, welche realisieren, dass sie machtlos zu sein scheinen, nach Überschreitung einer kollektiven Angstspitze ihrer Angst den Weg ebnen, in Wut umzuschlagen.

3.1.2016 Johann Klos, Eupen

16 Antworten auf “Johann Klos: Vom Taktieren mit der Angst”

  1. Heuchel-Ei

    Gesundes neues Jahr Herr Klos,

    Wie schon so oft ein sehr guter Kommentar der wiedermal die eigene Machtlosigkeit
    wiederspiegelt an den zukünftigen Zuständen noch selbst etwas ändern zu können.

    Volksverarschung aus Gründen der Besitzstandsicherung.

    Für einen normal denkenden Menschen nicht mehr zu ertragen.

  2. Damien Francois

    Sehr geehrter Herr Klos,
    Sie scheinen ja ein richtiger Experte in Sachen Angst und Überleben zu sein…
    Ich habe im April die verheerenden Erbeben, Lawinen und Erdrutsche am Basislager des Mount Everest (EBC) und in Kathmandu überlebt. Angst habe ich während der Geschehenisse nicht gehabt; das Kleinhirn übernimmt, und man ist bemüht zu überleben, hat keine Zeit Angst zu haben. Aber zwischen dem-der ersten Megabeben-Lawine-Erdrutsch am EBC am 25.4. und dem zweiten Beben am 12.5. Ich hatte bereits ein Jahr zuvor, am 18.4., auch am EBC, eine verheerende Eislawine miterlebt, die 16 Hochgebirgsträger das Leben nahm, überlebt. All dies um eigentlich nur zu sagen, daß ich jetzt etwas zum Thema „Angst ums Überleben“ sagen kann.
    Daß Sie aber die Angst von vielen Menschen in Belgien, in Europa und dem Westen, ja, eigentlich, in der ganzen Welt, nicht ernst nehmen, und diese nur als „politisch motivierte“ Manipulation darstellen, ist, angesichts der Ereignisse des gerade vergangenen Jahres, einfach falsch. Sie prangern die „Hausdurchsuchungen, Abriegelungen von Straßenzügen, Personenkontrollen bis hin zum Massengewahrsam“ an: Wissen Sie eigentlich überhaupt, was 2015 so passiert ist? Unter anderem nur 15 Minuten von Eupen? In diesem Licht haben Ihre „philosophischen“ Überlegungen zum Individuum, usw. haben bestenfalls das Niveau eines pubertierenden „Rebellen“, oder Spät-68er…
    Ich bitte Sie…

    • Damien Francois

      Die Wege der Informatik sind wohl noch unergründlicher… Es fehlte ein ganzer Satz:
      „Aber zwischen dem-der ersten Megabeben-Lawine-Erdrutsch am EBC am 25.4. und dem zweiten Beben am 12.5., da haben wir die Angst kennen gelernt. Und dieses latente Gefühl, das zu jedem Zeitpunkt wieder etwas passieren kann, das ist sehr hart und bedrückend.“

  3. Réalité

    Auch von mir ein gutes Jahr 2016, Herr Klos!
    Lassen Sie sich den Schimmel nicht scheu machen, und bleiben Ihrer Linie treu, die Sachen an zu sprechen!

    Angst schüren ist natürlich eines der Talente, welches beliebt ist bei der Politik von heute.
    Natürlich bedienen sich die Medien so nebenbei auch dieses Instruments, zu meist um Kapital daraus zu schlagen, sprich z Bspl Verkauf des Blattes mit der Veröffentlichung usw.
    Gerade zu grotesk ist zur Zeit das fast im 2 Tage Rythmus ein- und ausschalten der AKW’s in unserm Lande. Gerade zu bizarr das da von der Regierung keine Reaktionen kommen!?
    Anderfalls aber nach Paris und Molenbeek fast Täglich Terrorwarnungen usw vom Band liefen.

  4. Öppe Alaaf

    Ein gute neues Jahr wünsche ich, Herr Klos.

    Ein interessanter Leserbrief. Darf ich ein paar Gedanken beisteuern?

    Nach dem Beitrag von Herrn Francois habe ich mich ein wenig mit dem Begriff „Angst“ auseinandergesetzt.

    Martin Heidegger definiert Angst als „Grundbefindlichkeit des Menschen, welche diesem die Unabgeschlossenheit des eigenen Verständnishorizontes zum Gewahrsein bringe und ihn zur Entschlossenheit befähige.“ …soviel also zum Kleinhirn, das übernimmt.

    Wenn nun die von Ihnen angesprochene Angst als politisches Instrument dient, weil der Mensch dadurch sein das „Unabgeschlossene“ wahrnimmt und entschlossen handelt, so kann man ruhig bei dem Begriff bleiben und einen Vergleich mit einem Erdbeben im Himalaya, sowie die Titulierung als „pubertierenden Rebellen“ relativieren. (Was mir wiederum einiges an Adrenalin geschwängerten Bemerkungen verschiedener Foristen einbringen wird, denke ich.)

    Ich glaube, dass die Angst als politisches Instrument durchaus legitim ist, das politische Handeln daran allerdings auszurichten, töricht ist.

    Nur durch negative Zukunftsszenarien kann der Mensch abschätzen, was bei schlechtem Handeln aus dem Spiel steht und was in Form von „gesellschaftlichen Werten“ bewahrt werden muss.

    Beim Faschismus ist das sehr einfach: Drohkulisse aufbauen, Lösung präsentieren, Strategie durchpeitschen. Dabei wird Opposition als Defätismus (Ich wollte schon „Gutmenschentum“ sagen, aber ich habe es dann doch nicht getan.) betrachtet und Lösungen ausserhalb der Strategie als weitere Bedrohung angesehen, die es zu vermeiden gilt. (Durch Abschaffung oder Ablenkung.)

    In der Demokratie gilt das Selbe…allerdings mit einer entscheidenden Komponente: Der Verantwortung der Wählers!

    Wie wir schon oft an dieser Stelle diskutiert haben, beschränkt sich das Wahlrecht nicht nur auf ein Kreuzchen an der einen oder anderen Stelle, sondern beinhaltet auch die politische Willensbildung. Politisches Engagement ist damit Bürgerpflicht.

    Somit hat die Politik den Auftrag, den Wähler mit den Problemen der (negativen) Zukunftsszenarien zu konfrontieren und dessen Angst als Mittel des Diskurses zu nutzen. (Gewagte These?)

    Warum schützt die Politik das Wahlvolk nicht vor der Angst? Weil das im heutigen Demokratieverständnis einem Faschismus gleich kommt, in dem eine Kaste die Lösung der Probleme hat und das Fussvolk glücklich hinterher marschiert! Wir haben heute erkannt, wie komplex die Zukunft ist und nur ein sehr kleiner Geist würde einer Politik folgen, die absolute Sicherheit in alle Zukunft verspricht.

    Eine Demokratie ist nur so stark, wie sie in der Lage ist, Herausforderungen zu lösen. Dauernd dabei die Angst anzutriggern ist nötig. Wir müssen das eben lernen auszuhalten und uns trotzdem als verantwortungsbewußte Menschen verhalten. Wenn nicht, ist es immer einfacher, Gott, Allah oder „die westlichen Werte“ alles richten zu lassen.

    …das hat dann aber nichts mit Religion, sondern schlicht mit Mangel an gesellschaftlicher Verantwortung zu tun, oder?

    • Damien Francois

      Eine kleine Bemerkung, die Ihre tiefgründige Recherchen etwas… relativieren :-)
      Heideggers Begriff „Angst“ ist im Rahmen seiner Analyse des „In-der-Welt-Sein“ zu deuten, und nicht unbedingt – überhaupt? – auf das politische und soziale Geschehen zu reduzieren. Alles, was Heidegger schrieb, hatte damit zu tun – daher ist sein Hauptwerk: SEIN UND ZEIT.

  5. Réalité

    Chapeau, und Hut ab, vor all den guten Kommentaren, u a Wortschatz und Inhalt hiervor.

    – Ich vergass noch an zu merken gestern:
    Die Angst unserer Regierenden in Eupen, von vor einigen Jahren, in Sachen Parlamentsbau, Gospert Gebäude und all die Schulen.
    Jahrelang wurde nichts unternommen, und dann wurde alles auf einmal rein gehauen. Es wurden Gründe vor geschoben um den Parlament Protzbau voran zu treiben, ja nichts zu verpassen. Ohne Rücksicht auf Schuldenberge wurde drauf los investiert. Genaueste Zahlen wurden erstellt und vorgerechnet, vorgeplant bis zu über 20 Jahren im voraus usw.
    Anstatt das ganze über einige Jahre hin zu ziehen, wurde ohne Bedacht und Nachsicht ein Schuldenberg angehäuft an dem unsere Kinder noch zu denken bekommen.
    Unvernunft hoch drei.

  6. Delanda Raqqa

    Ich frage jetzt alle „Ist-doch-alles-nur-Panikmacherei“, wie Herrn Klos: Was wenn die Polizei, bzw. die Regierung nichts unternommen?
    http://brf.be/national/953667/
    Seid ihr alle Rambos, die keine Angst kennen? Seid ihr alle Bürgerkrieg-erprobte tough guys, die das Überleben in allen Situationen meistern? Die Regierung tut nicht genug, und die Welt tut nicht genug GEGEN die Terroristen. Fangt mit Raqqa, der Kommandozentrale, an, schaltet sie aus, und räumt weltweit auf, ohne Gnade. Fehler werden gemacht werden, Unschuldige werden sterben – aber das tun sie ohnehin. Nicht USA-im-Irak-2003-Stil, damit sich Öl zu sichern, sondern um hier ein wenig (viel) Ordnung zu schaffen. Delanda Raqqa!

    • @ Delanda Raqqa

      Der sog, IS wirbt im Moment mit einem Video das die Ausfälle von Herrn Trumpp zeigt. Sprüche wie der von den „hinnehmbaren Kollateralschäden“ sind es die diesem Abschaum den Nachwuchs sichern. Jeder tote Zivilist sichert den Mördern neue Selbstmordattentäter. Haben Sie sich schon mal die Bilder von Ischaki angesehen? Die Stadt wurde zurückerobert wenn man die Bilder sieht braucht man sich nicht über die Radikalisierung zu wundern.

  7. Delanda Raqqa

    Und KÖLN wird mit Sicherheit diese unbegründete Angst wegzaubern, nicht wahr, Herr K.? Und, ja, Ed, vielleicht gleicht Köln bald Ramadi? Und daran wird Trup Schuld tragen, gewiss!

  8. Réalité

    Siehe auch unter Rubrik: LEUTE VON HEUTE vom 5/1/16, die schlauen Sprüche unerer Politiker (Provinz-).
    Das alles kann man ruhig hier unter: ANGST ( essen Seele auf ) reinklassieren.
    Jetzt bemühen sich diese Möchtegerne mit schlauen und allwissenden Reden, woher man vorher nicht viel von ihnen sah noch hörte. Einer tritt dem anderen auf die Füsse.
    Typisch! Und jeder will der beste und schlaueste sein!
    Welch eine Farce! Lachhaft, obschon sehr ernstes Thema.
    Wenn man dann sieht und fest stellt was alles vorher gelaufen ist.
    Fazit: O Kompetenz noch Wissen, noch Witsicht!
    Allemal!

  9. Öppe Alaaf

    Da meine These sogar weiter geht, mische ich mich nochmal ein:

    Während Herr Klos anscheinend davon ausgeht, dass man Angst mit einem Konzept lösen kann, gehe ich davon aus, dass Angst natürlicher Bestandteil einer jeden Gesellschaft ist.

    Ich glaube nicht, dass Herr Klos ein Konzept vorweisen kann. Er mag da optimistischer als ich sein. Ich bin mit der Angst vor dem Atomkrieg groß geworden, habe die Angst vor den CCC in Belgien erlebt, dann Angst vor der Osterweiterung und schliesslich dem Börsencrash 2001. Seitdem geht die Angst vor den Taliban, dem Balkan und neuerdings dem IS um. …neu ist, dass der IS Medienspezialisten und soziale Netzwerke einsetzt, um geziehlt Angst zu verbreiten. Perfide!

    Haben sich noch in den 80ern Staaten gegenseitig Angst gemacht (WIR waren die Guten, oder?), so machen nun professionell arbeitende Terroristen den Bürgern direkt Angst. Angst wird nicht politisch erzeugt, sondern politisch eingesetzt. Gemeinschaftsgefühl Fehlanzeige…Tricky!

    Kann man etwa behaupten „Wir Belgier schaffen das?“

    Belgier? …demontieren sich gerade selbst.
    schaffen? …ja was denn? Jede Tendenz wird sofort durch eine Gegentendenz gestoppt und durch falsch verstandenes Oppositionsgehabe ausgebremst.
    das? …Ja Herr Klos, jetzt könnte man ja ‚mal einen konstruktiven Vorschlag diskutieren, der, sh. oben, keine Chance auf Durchführung hat.

    „Ich Bürger schaffe das?“ Was ich lachhaft finde, dass die Bürger einen Heidenspaß zu haben scheinen, ihren Staat selbst zu demontieren, gesellschaftliche Normen ad absurdum zu führen, sich gegenseitig Angst zu machen und dann noch zu stöhnen, wenn ein Angreifer Angst als Waffe benutzt.

    „Europa wird auf der Domplatte vor dem IS verteidigt!“ DEN Wagen schiebe ich noch selbst durch den Rosenmontagszug!

    …und am allerbesten kommt dann ein Ruf nach der Abschaffung des Staates, weil sich ja jeder selbst der Nächste ist! Ja: Trump und Baudimont hätten mit ihren Waffen für ein munteres Feuerwerk auf der Domplatte gesorgt. …“Niemand hat die Absicht einen Staat zu bauen!“ Wo war die Staatsmacht am ersten Januar? Muss noch klarer werden, wohin es geht, wenn gesellschaftliche Normen verrohen?

    Warten wir, bis der Aktionismus der Politik unsere Freiheiten nimmt. Warum? Weil er es muss! Weil Freiheit ein leichter Gegner ist! Weil es kein Konzept gibt, ausser der Zerstörung einer Sache, die wir bereit sind aus Angst zu opferen und durch eine andere Sache zu ersetzen, die uns unsere Angst kurzfristig nimmt. …leider ist das mit der Angst nehmen trügerisch: Wir müssen lernen, mit einem Lebensrisiko zu leben und nicht aus Angst unsere Gesellschaft selbst zu zerstören.

    These: Angst die beste Waffe der Extremisten und wir wären soziale Attentäter, wenn wir aus Angst vor der Angst unsere offene Gesellschaft opfern.

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