Politik

EU-Gipfel sucht Wege aus der Energiekrise – Scholz im Kreuzfeuer – Polen warnt vor „Diktat Deutschlands“

07.10.2022, Tschechien, Prag: Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (vl), Mark Rutte, Ministerpräsident der Niederlande, und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, spazieren nach einem gemeinsamen Treffen am Rande des informellen EU-Gipfels zur Prager Burg. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Der Herbst ist da und mit ihm die Energiekrise. Wie kann Europa seine Bürger vor den horrenden Preisen schützen? Deutschland sträubt sich gegen einen Schritt, den viele andere Länder fordern. Und auch wegen Scholz‘ „Doppel-Wumms“ steht Deutschland unter Druck.

Die Heizsaison hat begonnen, und der Europäischen Union läuft in der durch Russland verursachten Energiekrise die Zeit davon. An diesem Freitag wollen die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten in Prag darüber beraten, wie die drastisch gestiegenen Gaspreise wieder auf ein für Verbraucher und Unternehmen erträgliches Niveau gebracht werden können.

Streit ist dabei programmiert – vor allem seitdem Deutschland ein bis zu 200 Milliarden Euro schweres nationales Entlastungspaket vorgestellt hat.

06.10.2022, Tschechien, Prag: Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Ankunft zu einem Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft auf der Prager Burg. Foto: Petr David Josek/AP/dpa

Für den deutschen Kanzler Olaf Scholz dürfte es ungemütlich werden. Der bis zu 200 Milliarden schwere Abwehrschirm, mit dem Scholz Energie für Haushalte und Unternehmen in Deutschland günstiger machen will, stößt auf heftige Kritik.

Scholz hatte die geplanten Maßnahmen als „Doppel-Wumms“ bezeichnet – viele EU-Länder werfen Deutschland jedoch einen Alleingang vor und verweisen darauf, dass nicht alle die finanziellen Mittel für ein solches Paket hätten.

Kritisiert wird auch, dass Deutschland mehr Geld für derzeit knappes Gas ausgeben kann, andere Länder so überbietet und die Preise hochtreibt. „Es darf nicht sein, dass die Interessen eines Landes, die Interessen Deutschlands, die Preisentwicklung für alle Mitgliedstaaten bestimmen“, schimpfte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki. Es dürfe nicht sein, dass die Energiepolitik der Europäischen Union „unter dem Diktat Deutschlands“ umgesetzt werde, sagte Morawiecki. Deutschland habe schon in der Corona- und in der Finanzkrise „andere belehrt und sich sehr arrogant“ verhalten. „Heute will derselbe Staat, indem er die gewaltige Kraft seiner Wirtschaft und seines Kapitals nutzt, enorme Mittel bereitstellen, nämlich 200 Milliarden Euro, um allein seiner Industrie zu helfen.“

06.10.2022, Tschechien, Prag: Alexander De Croo, Premierminister von Belgien, spricht mit den Medien, als er zu einem Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft auf der Prager Burg eintrifft. Foto: Darko Bandic/AP/dpa

Viele Regierungen nehmen das deutsche Paket zum Anlass, um ihren Forderungen nach europäischen Maßnahmen Nachdruck zu verleihen. Länder wie Frankreich und Italien fordern bereits seit dem Frühling einen Gaspreisdeckel, mittlerweile sind es mehr als die Hälfte der EU-Staaten. Konkret wollen sie einen Maximalpreis für Gas, das an Großhandelsplätzen in der EU verkauft wird sowie für Gasimporte. Ein Vorschlag von Polen, Italien, Belgien, Griechenland und Spanien sieht einen „dynamischen Korridor“ vor, mit dem sich der Preis etwa bei fünf Prozent über einem bestimmten Index bewegen würde.

Unter anderem die Bundesregierung warnt jedoch vor Engpässen bei der Versorgung. Der Ökonom Simone Tagliapietra von der Denkfabrik Bruegel weist darauf hin, dass Firmen einfach anderswo ihr Gas verkaufen könnten. Würde man hingegen für den Preisunterschied aufkommen, wäre das eine enorme Last für die Staatshaushalte. Zugleich gibt es die Sorge, dass bei einem Preisdeckel mehr Gas verbraucht werden könnte, da es trotz der Knappheit keinen großen Anreiz mehr zum Sparen gäbe.

Der lettische Premierminister Krisjanis Karins sagte, der Unterschied der deutschen Maßnahmen zu denen anderer Länder liege in der Größenordnung des deutschen Pakets. „Die deutsche Wirtschaft ist so groß, dass die Unterstützung, die die deutsche Regierung ihren Unternehmen gibt, den EU-Binnenmarkt verzerren könnte.“ Der portugiesische Premierminister Antonia Costa bemerkte ebenfalls, dass jedes Land je nach Finanzmöglichkeiten Pakete verabschiedet habe. „Das zeigt, dass es fundamental ist, dass wir zusätzlich zu den eigenen Kapazitäten der einzelnen Länder einen europäischen Mechanismus als gemeinsame Antwort der EU haben.“ Die Aufnahme gemeinsamer Schulden in der Corona-Pandemie habe sich schon einmal als gute Lösung bewiesen, sagte Costa.

06.10.2022, Tschechien, Prag: Ursula von der Leyen (l), Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht mit Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, während eines Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft auf der Prager Burg. Foto: Alastair Grant/Pool AP/dpa

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron forderte zusätzliche europäische Lösungen. „Wir haben heute zunächst eine europäische Strategie, die es zu stärken gilt“, sagte Macron. Er stellte sich hinter die Vorschläge der EU-Kommission, um den Preis von Gas in der EU zu deckeln.

Der niederländische Premierminister Mark Rutte stellte sich hingegen hinter die Bundesregierung. Es sei „völlig legitim“, was Deutschland mache. Es habe die Souveränität, solche Entscheidungen zu treffen. Österreichs Kanzler Karl Nehammer äußerte Verständnis für das deutsche Vorgehen: „Wenn es die Europäische Kommission nicht macht, wenn es die Europäische Union nicht tut, dann müssen wir es machen“, sagte der konservative Politiker. Dabei machte er deutlich, dass ihm ein gemeinsames Handeln auf EU-Ebene jedoch lieber wäre.

In einem Brief an die EU-Staaten zeigte sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diese Woche erstmals offen für einen generellen Preisdeckel und machte verschiedene Vorschläge. Einer davon ist ein vorübergehender Höchstpreis für in der EU gehandeltes Gas. Eine weitere Option sei, nur den Preis für das Gas zu deckeln, mit dem Strom produziert wird, hieß es. Ähnliches hatten Spanien und Portugal eingeführt. Ein möglicher Gesetzesvorschlag der EU-Kommission hängt stark von der Debatte beim Gipfel ab – und davon, ob es eine Einigung geben wird. Das ist jedoch völlig offen. (dpa)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

8 Antworten auf “EU-Gipfel sucht Wege aus der Energiekrise – Scholz im Kreuzfeuer – Polen warnt vor „Diktat Deutschlands“”

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    In einem Brief an die EU-Staaten zeigte sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diese Woche erstmals offen für einen generellen Preisdeckel und machte verschiedene Vorschläge. Einer davon ist ein vorübergehender Höchstpreis für in der EU gehandeltes Gas. Eine weitere Option sei, nur den Preis für das Gas zu deckeln, mit dem Strom produziert wird, hieß es. Ähnliches hatten Spanien und Portugal eingeführt.
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    Mit solchen Aussagen suggerieren die Politiker dass sie die Preise kontrollieren könnten. Dem ist aber nicht so! Natürlich hält sich kein Arabischer Potentat oder Putin, noch ein internationaler Gashändler, an solche „Preisdeckel“. Es ist vielmehr so dass die EU-Politiker die Differenz zum Marktpreis via Steuergeld ausgleichen. Direkt oder indirekt, am Ende zahlen die Verbraucher immer. Die Politik hat längst die Kontrolle verloren, es soll nur keiner bemerken; deswegen solche Show-Veranstaltungen.

  2. Man kann den Preis sehr wohl deckeln. Man kann festlegen, dass wir in Europa z.B. maximal bereit sind 150 Euro pro MWh zu bezahlen. Dann kann man ja sehen, wer bereit ist zu diesem Preis zu liefern. Es werden sicherlich weniger sein, als bei einem Preis von 300 Euro/MWh (wie vor kurzem erst), aber vielleicht nicht so viel weniger. Denn in Amerika, Asien und Afrika bekommen sie nur maximal 50 Euro/MWh für ihr Gas.

    Es ist ein riskantes Experiment, weil wir ja einen Mangel vermeiden wollen, aber durchaus einen Versuch wert, denn momentan geht die ganze europäische Industrie den Bach runter…

    • 150 €/MWh hört sich vielleicht jetzt gut an, wenn man 300 €/MWh als Vergleich nimmt. Vor 2020 lag der Preis aber bei 30 €/MWh. Und damit hat man sich die „Energiewende“ schön gerechnet, das billige russische Gas als Backup für den volatilen Windstrom. Auch mit einem Preisdeckel von 150 €/MWh sprechen wir von einer Verfünffachung des Preises seit 2019. Wir erleben den Offenbarungseid der „Energiewende“ auch wenn Politik und Medien ständig das Gegenteil verkünden….

      • Ach hören sie doch auf mit dem Quark. Was hat die Energiewende damit zu tun, dass Russland uns kein Gas mehr liefert?

        Schlechtes Management der fossilen Versorgungskette ist hier das Problem. Selbst in europäischen Staaten mit 0.0 Solar oder Windstrom zahlen sie derzeit Mondpreise für Gas und Strom, das hat doch mit der Energiewende nichts zu tun. Sie sind ja regelrecht besessen. Ist das Krebsgeschwür ihrer Oma auch die Schuld der Energiewende?

        Natürlich ist 150 immer noch hoch, ist ja nur der Maximalpreis, kann auch tiefer gehen, wenn die Nachfrage sinkt, ist ja klar. Immer noch besser als 300. Ich zahle lieber 3500 Euro dieses Jahr für meine Heizung also 7000 Euro, sie nicht?

        • Warum so ausfallend nur weil Sie die Zusammenhänge auf dem Energiemarkt nicht verstehen (wollen?). Die Gaspreise gingen schon 2021 steil nach oben, Grund war dass EU-weit 20.000 MW Kohlestrom seit 2020 aus dem Markt genommen wurden. Hinzu kam der geplante Atomausstieg in Deutschland und Belgien. In D und B sollte ein „Kapazitätsmarkt“ aus Gaskraftwerken als Backup für die volatilen Windräder entstehen, der Gasbedarf durch Nordstream II gesichert werden. Da aber schon letztes Jahr Nordstream II politisch auf der Kippe stand stiegen die Preise für die Gaskontrakte. Der Krieg in der Ukraine hat die Sache dann zum Platzen gebracht. Im Übrigen, es war nicht Putin der nicht mehr liefern will, es sind die Europäer die sein Gas „boykottieren“. Wie Herr Langer, der hiesige Windbaron, bei der Veranstaltung des H. Arimont erklärte, muss er um seine Kontrakte zu bedienen ständig „Regelenergie“ zukaufen – seine Windräder liefern ja keinen Strom nach Bedarf sondern nach Wetterlage. Ergebnis, auch der Preis von seinem „Windstrom“ bildet sich am Gasmarkt, also nix „Wind kostenlos“ wie man sonst gerne aus dieser Ecke hört. Hätte Deutschland noch die Energieinfrastruktur von 1995 = 300 TWh / anno aus Braunkohle und Kernkraft (damals waren 17 KKW am Netz), die aktuelle „Gas Krise“ wäre nicht halb so schlimm. Das alles ist zu wahr um schön zu sein, für grünen Geister….

          • #Dax

            Im Übrigen, es war nicht Putin der nicht mehr liefern will, es sind die Europäer die sein Gas „boykottieren“.

            Ja,
            der Grüne Robert Habeck wollte sich bis Ende Dezember 2022 völlig unabhängig von russischem Gas machen.

            Er hatte es schon am 15. September geschafft.

  3. Die Politik hat durchaus sehr viel möglichen Einfluss, sie muss ihn nur nutzen. Das ist in den letzten Jahrzenten in Europa komplett verloren gegangen, besonders in UK und Deutschland, da vertraut man dem Markt ja schon fast religiös. Ein bisschen mehr Planwirtschaft ist wieder vonnöten, besonders wenn man gegen aggressive Wirtschaftspolitik aus den USA, China und Russland bestehen will.

  4. Spanien hat sein Frühsommer einen Preisdeckel (Die Preisobergrenze für Gas für die Stromerzeugung soll zunächst bei 40 Euro pro Megawattstunde angesetzt werden und innerhalb der kommenden zwölf Monate im Schnitt bei knapp 50 Euro liegen ) – Polen hatte nicht kritisiert.

    Deutschland will die Mehrwertsteuer für Gas abschaffen, die EU schaltet sich ein, Ergebnis: geht so nicht.
    Deutschland muss anscheinend immer erst nachfragen, was es machen darf.

    Deutschland eine afrikanische Lendenschurz-Republik mi Bananen-Plantage?

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