Seit vielen Jahren besucht Elli Brandt fürs Grenz-Echo vornehmlich in Eupen und Umgebung Kulturveranstaltungen. Kein leichter Job, denn gerade Kulturveranstalter sehen es nicht gerne, wenn ihre Aufführung oder Ausstellung in der Presse auf Kritik stößt. „Das merke ich gelegentlich an einigen unfreundlichen Leserbriefen. Frühmorgendliche erboste Anrufe bei mir zu Hause hat es auch schon gegeben“, sagt die Kulturreporterin.
Elli Brandt stellten wir die Frage, ob die Kunstelite in der DG – vom Agora Theater über Irene K. bis zum Ikob – eventuell Narrenfreiheit genieße, denn noch nie sei in der hiesigen Presse auch nur ein Hauch von Kritik an deren Produktionen laut geworden.
„Von Narrenfreiheit würde ich nicht sprechen“, bekräftigt Elli Brandt: „Auch in der DG haben Künstler wenig zu lachen. Müssen sich ihr Brot hart verdienen. Dass die ‚Kunstelite‘ nicht den harten Knüppel der Kritik von der hiesigen Presse bekommt, das stimmt. Dass sie nie ‚auch nur einen Hauch von Kritik erntet‘, stimmt jedoch nicht.“
Eupen und St. Vith seien nicht Chicago, sagt die Grenz-Echo-Mitarbeiterin: „Hier herrscht nicht das Großstadtdschungelgesetz. Doch subtile Kritik ist auch Kritik. Und die fehlt in meinen Artikeln sicherlich nicht. Zumindest von den Künstlern wird sie wahrgenommen. Das merke ich an einigen bösen Leserbriefen. Frühmorgendliche erboste Anrufe bei mir zuhause hat es auch schon gegeben.“
Kunst braucht ein Gegenüber
Vielleicht sollten sich Künstler und Kunstkritiker ein dickeres Fell zulegen, damit der viel beschworene Dialog endlich starten könne, meint die Kulturreporterin: „Hören wir nicht immer wieder von Künstlern: Kunst braucht ein Gegenüber. Kunst provoziert, will eine Reaktion. Braucht sie, um sich zu entfalten. Wenn die Presse mutig vorangeht, wird die Kunst- und Kulturgemeinde folgen. Auch mal zugeben: Habe ich nicht verstanden. Oder: Gefällt mir nicht.“
Fazit von Elli Brandt: „Das Dschungelgesetz sollten wir nicht einführen. Nicht alles niedertrampeln, was dabei ist, zur Elite heranzuwachsen oder schon als Elite gilt. Zwischen Draufhauen, weil es cool ist, und DG als Biotop für Künstler, damit wir auch auf diesem Gebiet etwas zum Vorzeigen haben, gibt es einen Zwischenweg.“
Zu „Kunst braucht ein Gegenüber“: genau das tut unsere „Kunstelite“, z.B. in Bezug auf die Schüler unserer Gemeinschaft… Ich hatte vor 2 Wochen die Choreografin und den Dramaturgen der neusten Irene K. Produktion „Hungry“ (von Frau Brandt übrigens super rezensiert!!) in eine meiner Abiturklassen eingeladen, und stellte fest, dass wieder einmal „eine Stunde nicht reicht“… Die Schüler hatten noch mehr Fragen, Anmerkungen etc., welche die Kunstschaffenden nur zu gerne beantworteten… Kritik (positiv und negativ) ist absolut gefragt, und ich war (wieder mal ;-) sehr stolz auf meine Schüler: von „Warum müssen die Tänzerinnen nackt sein? Mich hat das gestört!“ bis zu „Was bitte hat das noch mit Tanz zu tun?“ war alles dabei… Kunst und Kultur brauchen (!) Kritik, aber unser Publikum braucht auch einen „Einstieg“ in die Materie, und da leistet Frau Brandt einen ganz wichtigen Beitrag.
„Das Publikum war begeistert“.
Und hier etwas nuancierter… ;-) (Grenz Echo, 15.10.12) Von Elli Brandt „Sie sind zu einer Reise eingeladen, die wir gemeinsam starten, die Sie jedoch alleine machen“, begrüßte Irene Bourguet-Kalbusch ihre Premierengäste. Es wurde eine wunderbare Reise, bei der wohl niemand den Anschluss verlor. Als ein sehr zugängliches Stück erwies sich die neueste Produktion von Irene K. Surrealistische Bilder, die jedoch nicht auf Distanz gehen. „Ich verstehe zwar nichts von modernem Tanztheater, aber ich bin berührt“, sagte ein Mann nach der Premiere in Welkenraedt. Der Titel „Hungry“, also hungrig, verrät viel, aber nicht alles. Hungrig nach Leben. Also schälen sich die Tänzer immer und immer wieder aus ihren Kokons. Beißen sich durch. Geburtsschreie sind zu hören, die Bereitschaft, neues Leben zu spenden, ist zu sehen. Die Kokons, aus vielen Schichten weißer Plastikfolie, rascheln. So ganz scheinen sich die herausgeschlüpften Wesen davon nie befreien zu können. Ein Wuseln und Krabbeln auf der Bühne. Sie richten sich auf, erkennen einander. Werden zu Individuen, unterscheiden sich voneinander, finden sich, trennen sich. Mit einer Fülle an Bildern ist der Zuschauer konfrontiert. Beglückt, dass es die Kokons gibt, in denen das Leben endet und neu beginnt. Das Innehalten vor dem neuen Ausbruch des Lebens. Auch der Zu-schauer nutzt die Ruhe, reflektiert, sortiert die Bilder. Oft erst im Nachhinein stellt er fest: die kleinen Wesen, die über die Bühne huschen, sind nicht nur niedlich, sondern ziemlich witzig. „Hungry“ versteht es, Spannung zu erzeugen, sie zu halten. Bilder bau-en sich auf. Das Aha der Zuschauer folgt. Nur passagenweise nimmt die Musik das Kommende vorweg. In Weiß gehüllt die Tänzer, lichtdurchflutete weiße Kokons, geschaffen von Werner Bitzigeio. Strahlend helles Licht. Eine Welt voller Unschuld, irgendwann und irgendwo. Die riesigen Kokos verraten Leichtigkeit, schaukeln im Luftzug. Sind immer präsent, stehen für Beständigkeit. Doch die Welt um sie herum verändert sich, durch gekonnt eingesetztes Licht, durch unterschiedliche Musik, einmal vom Altmeister Bernd Thewes, einmal von dem jungen belgischen Komponisten Pierre Remy. Es gibt Ruhe, aber nie Stillstand in dem Reigen aus schönen Bildern und immer wieder neuen Formen. Das Leben hört nie auf, Bewegung hört nie auf. Es geht um Metamorphose. Es ist ein sehr persönliches Stück, ein Stück voller Lebensweisheit, voller Philosophie. Es ist ein sehr ausgereiftes Stück und ausgefeiltes Stück und es verfehlt nicht seine Wirkung auf das Publikum. Nach rund anderthalb Stunden ein überraschendes Finale: Eine Arie der Operndiva Callas. Bei manchen Zuschauern war dies der letzte Tropfen, der die Tränendrüsen zum Überlaufen brachte. Überwältigenden Applaus hatte sich „Hungry“ verdient. Leider steht noch nicht fest, ob, und wenn ja wann, „Hungry“ in Eupen zu sehen sein wird.
Ich stimme Elli und Alessandra nur zu! Wir bräuchten viel mehr Auseinandersetzung über Kunst – natürlich kritisch, negativ wie positiv. Kunst kann gar nicht jedem gefallen. Und darauf schauen ja auch die wenigsten Künstler – sie behandeln, was ihnen bedeutsam erscheint… Da sind die Artikel von Elli ein guter Anfang – aber sich auseinandersetzen muss man schon selbst. Ich finde aber das Thema des Artikels etwas merkwürdig: „Unsere Kulturveranstalter und Künstler vertragen keine Kritik. Ist doch so, Frau Brandt, oder?“. Nur gut, dass Elli das so gut aufgefangen hat…