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Europas Motor ruckelt: Deutschland steht vor Rezession – Ende eines Erfolgsmodells? [Fragen & Antworten]

Illustration: Shutterstock

Seit jeher galt die Bundesrepublik als der Motor Europas. „Wenn es Deutschland gut geht, geht es Europa gut“, lautete vielerorts die Devise. Jetzt aber steuert die größte europäische Volkswirtschaft auf eine Rezession zu.

Energiekrise und Rekordinflation treffen die deutsche Wirtschaft hart. Volkswirte rechnen damit, dass die Wirtschaftsleistung vom laufenden dritten Quartal an bis ins nächste Frühjahr hinein schrumpfen wird.

Deutschland steuert in eine Rezession mit längerfristigen Wohlstandsverlusten, sagen auch führende Wirtschaftsforscher in ihrer am Donnerstag vorgelegten Herbstprognose voraus. Nachfolgend eine Analyse in Form von Fragen & Antworten.

– Was sind die Ursachen des erwarteten Konjunktureinbruchs?

Der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar hat die Hoffnung auf eine nachhaltige Erholung der deutschen Wirtschaft nach zwei Corona-Jahren jäh zunichtegemacht. Der Krieg und seine Folgen potenzieren die Probleme, die Europas größte Volkswirtschaft schon vorher belasteten – allen voran steigende Energiepreise sowie Engpässe bei wichtigen Rohstoffen und Vorprodukten.

14.07.2022, Hamburg: Das Containerschiff CMA CMG Zheng He der Reederei CMA CMG legt im Waltershofer Hafen an. Deutschland steuert auf einen Wirtschaftseinbruch zu. Foto: Christian Charisius/dpa

„Der Krieg in der Ukraine hat wohl das Ende des sehr erfolgreichen deutschen Wirtschaftsmodells markiert: Billige (russische) Energie und Vorleistungsgüter importieren, hochwertige Produkte in die Welt exportieren und von der Globalisierung profitieren“, sagt ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski.

– Was stützt die deutsche Wirtschaft?

Die Auftragsbücher der deutschen Industrie sind nach wie vor kräftig gefüllt, auch wenn zuletzt weniger neue Bestellungen eingingen. „Insgesamt ist die Auftragslage aber weiterhin gut, so dass die Industrie in den kommenden Monaten zu einer wichtigen Stütze der Konjunktur werden kann, wenn die Lieferengpässe nachlassen“, sagte Nils Jannsen vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) im August. Zudem versucht die Bundesregierung mit milliardenschweren Entlastungspaketen die Folgen der drastisch gestiegenen Energiepreise für Verbraucher und Unternehmen abzumildern. Damit könne der Staat die Lasten allerdings nur umverteilen, „aus der Welt schaffen kann er sie nicht“, gibt IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths zu bedenken.

– Was belastet die deutsche Wirtschaft?

Die Explosion der Energiepreise erfasst inzwischen weite Teile des Wirtschaftslebens und heizt die Inflation an. Der Einkauf im Supermarkt, Tanken oder der Restaurantbesuch – vieles ist teurer geworden. Das dämpft den Konsum als wichtige Konjunkturstütze. „Eine hohe Inflation drückt die Kauflaune der Kunden, das sorgt für weniger Geld bei den Unternehmen, um zu investieren“, erklärt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. „Das könnte eine Abwärtsspirale mit einer für ein oder zwei Jahre anhaltenden schwachen Wirtschaftsleistung in Gang setzen.“

09.09.2021, Baden-Württemberg, Biberach an der Riß: Ein Mitarbeiter kontrolliert beim Maschinenbauer Liebherr eine automatische Stahlschneidemaschine. Foto: Stefan Puchner/dpa

Die steigenden Energiepreise belasten zugleich die Unternehmen. Viele Firmen haben die Produktion mancher Güter heruntergefahren, weil diese nicht mehr rentabel ist. Hinzu kommen die seit der Corona-Krise gestörten globalen Lieferketten. Durch Chinas Null-Covid-Politik, die in diesem Jahr regelmäßig zu Lockdowns in Teilen des Landes führte, geraten Lieferketten immer wieder unter Druck. Materialien und Vorprodukte sind teilweise knapp und teuer.

Wie ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt?

Die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges haben bislang kaum Einfluss auf den Arbeitsmarkt. „Trotz der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten ist der Arbeitsmarkt robust“, sagte die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles, im August. Volkswirte rechnen auch in den kommenden Monaten nicht mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit, weil ohnehin Fachkräftemangel herrscht und der Staat mit Kurzarbeitergeld hilft.

– Besteht die Gefahr einer Pleitewelle?

Der Fall des Düsseldorfer Klopapierherstellers Hakle ließ aufhorchen: Das Unternehmen ist wegen der stark gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten zum Sanierungsfall geworden und teilte Anfang September mit, ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt zu haben. Eine Pleitewelle lässt sich anhand bisher vorliegender Zahlen nicht ausmachen: Im ersten Halbjahr zählte das Statistische Bundesamt mit 7113 Unternehmensinsolvenzen vier Prozent weniger als ein Jahr zuvor.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Foto: Sebastian Iwersen/dpa

Es sei nicht auszuschließen, dass die Zahl der Firmenpleiten innerhalb der nächsten zwölf Monate um bis zu 40 Prozent steige, teilte der Verband der Insolvenzverwalter mit: «Dies wäre allerdings auf der historisch niedrigen Basis keine Insolvenzwelle, sondern eine Normalisierung der Zahlen.» Commerzbank-Chef Manfred Knof befürchtet ebenfalls keine Pleitewelle: Aus Gesprächen mit Kunden nehme er wahr, „dass sie natürlich besorgt sind und dass schwierige Zeiten auf uns zukommen. Aber es ist überhaupt kein Grund für Panikmache“, sagte Knof Anfang September.

– Wie sind die längerfristigen Perspektiven?

Berenberg-Chefökonom Holger Schmieding ist trotz der bevorstehenden schwierigen Quartale zuversichtlich: „Keine Rezession dauert ewig. Dies ist vor allem ein Problem für den Winter.“ Es gebe die Chance, dass sich die Konjunktur in Deutschland bereits im Frühjahr 2023 wieder stabilisiere. „Danach erwarten wir wieder Wachstum“, sagte Schmieding jüngst bei der Vorstellung der Konjunkturprognose der Chefvolkswirte der privaten Banken. „Strukturell ist die deutsche Wirtschaft weiterhin ganz gut aufgestellt“, meint Schmieding: „Der Vorteil der deutschen Wirtschaft ist oftmals der Erfindungsreichtum des Mittelstandes, der kleineren und mittleren Unternehmen.“

09.05.2022, Nordrhein-Westfalen, Kreuztal: Verzinkte Stahlträger werden aus dem Zinkbad gehoben. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht die deutsche Wirtschaft bereits mitten in einer Rezession. Foto: Oliver Berg/dpa

Volkswirte rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaft nach einem Rückgang der Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr 2023 im Jahr darauf wieder wachsen wird. Bis dahin sollte sich auch die Inflation spürbar abgeschwächt haben. Strukturelle Probleme wie Fachkräftemangel, Abhängigkeit von Rohstoffen aus dem Ausland und Überalterung der Gesellschaft sind damit allerdings nicht vom Tisch.

– Welche Rolle spielt die Geldpolitik in der Krise?

Mit zwei Zinserhöhungen im Juli und September hat die Europäische Zentralbank (EZB) der rekordhohen Teuerungsrate den Kampf angesagt. Weitere Zinserhöhungen werden erwartet. Allerdings: Höhere Zinsen sind auch eine Bürde für die Wirtschaft, etwa weil sich Kredite verteuern. Die Inflationsbekämpfung bringe Belastungen mit sich, sie dürfte vorübergehend das Wachstum dämpfen, führte kürzlich Bundesbank-Präsident Joachim Nagel aus. „Nichts zu tun und den Dingen ihren Lauf zu lassen, ist aber keine Alternative. Inflation zehrt Wohlstand auf. Sie entzieht wirtschaftliche Teilhabe, denn sie trifft die Schwächsten am härtesten“, betonte der Bundesbank-Präsident. (dpa/cre)

15 Antworten auf “Europas Motor ruckelt: Deutschland steht vor Rezession – Ende eines Erfolgsmodells? [Fragen & Antworten]”

  1. Interessant an solchen „Frage und Antwort“ Spielchen, die Fragen sind so gestellt, und die Antworten sind so formuliert, dass eines immer dabei heraus kommt: die Politiker trifft keine Schuld. Das ist so zu sagen wie eine biblische Heimsuchung über uns herein gebrochen. Weder die „Energiewende“ noch die EZB Zinspolitik oder der „green deal“ haben irgend etwas damit zu tun. Putin ist schuld, mehr muss das Stimmvieh nicht wissen. Mal sehen wie lange das noch funktioniert….

  2. Wenn die Pipelines irreparabel beschädigt sind,wie einige Experten bereits vermuten und die DERZEITIGE Bundesregierung auf ihrem Standpunkt bleibt,eigene Energieversorgungsmöglichkeiten (Fracking,Atom,…)zu ignorieren und die Handelsbeziehungen zu Russland für IMMER abzubrechen,ist dies das Ende des Deutschen Wirtschaftswunders.

  3. Paul Siemons

    Deutschland wird von innen zerstört. Dafür braucht man keinen Putin. Es genügen ein Klabauterbach, ein Habeck, ein Bärbock und ein Scholz. Und allen voran ein Merkel. Putin mag ein Drecksack sein – aber die deutsche Wirtschaft haben Kommunisten und Öko-Terroristen auf dem Gewissen.

  4. schlechtmensch

    Durch Dilettanten und Verräter selbstverschuldeter Niedergang der gesamten europäischen Industrie. Und auch wenn es die meisten Schafe immer noch glauben. Das ist nicht wegen Putin. Das ist so geplant und perfekt durchgeführt von unseren lieben „Freunden“. Die breite Masse ist schlicht zu uninteressiert oder zu dumm um die Zusammenhänge zu begreifen. Obwohl offensichtlich. Unglaublich!

  5. Eastwind

    Es ist das erste Mal, dass Deutschland nicht den anderen EU-Staaten seinen Willen aufzwingen kann, so wie es in der Vergangenheit immer der Fall war. Moralapostel Deutschland ist jetzt wahrscheinlich sogar auf die Solidarität der anderen Staaten in der EU angewiesen.

  6. 9102Anoroc

    Man kann das ganze nicht verallgemeinern.
    Ganz Deutschland ist nicht schuld .
    Da gibt es sicherlich hart arbeitende und gute Leute.
    Und mal abgesehen vom Putin Krieg, der sicherlich auch einen Beitrag zur Schwächung verschiedener Länder beiträgt , ist doch schon lange klar, dass es so nicht weitergehen kann.
    Man hat vor langer Zeit schon einfach zugesehen wie die Schere zwischen Arm und Reich sich immer weiter geöffnet hatte, auch bei uns.
    Selbst das Land mit den meisten Multimillionären Europas wusste dass es irgendwann schief geht.
    Von politischer Seite nur den Freunden aus der Wirtschaft das Geld zu gönnen, ist ein Fehler gewesen der dazu führte dass jetzt die Kaufkraft fehlt.
    Ohne die Kaufkraft des kleinen Mannes oder Frau stirbt der Mittelstand .
    Wenn dieser dann beerdigt ist , merkt es auch der größte Millionär .
    Im Prinzip interessiert es die Millionäre aber nicht , weil sie eben durch die Gefälligkeiten und das falsche System der politik Millionär geworden sind und auch ohne Einnahmen bis ans Ende des Lebens über die Dummheit so mancher Politiker lachen können.

    Der Putin Krieg hat das ganze schlechte wirtschaftliche Resultat sicherlich beschleunigt , ist aber in Wahrheit nicht alleine für die ungerechte Verteilung des Geldes verantwortlich.
    Unterschätzen darf man die Gefährlichkeit des Putinspiel aber trotzdem nicht.

    Wenn die Flüchtlinge gezwungenermaßen auf Dauer hier bleiben müssen , weiterhin Milliarden Gelder verschoben werden für Waffen , bei dem kein Mensch kontrollieren kann was Stückzahl mäßig wirklich davon gekauft wird und der Krieg sich mittlerweile durch das Sprengen von Gaspipelines immer mehr in unsere Richtung verlagert , werden wohl auch wir bald die Rezession noch mehr zu spüren bekommen.

  7. Robin Wood

    Hoffentlich sind die anderen europäischen Staaten schlauer.

    Ökonom und Autor Dr. Daniel Stelter beobachtet die drohende Deindustrialisierung mit Sorge. Was muss die Politik tun, um sie zu verhindern?
    Er sagt: „Wenn wir den Energie-Krieg Russlands für uns entscheiden wollen, müssen alle Optionen zur Erhöhung des Angebots an Energie genutzt werden. Nur so verhindern wir die De-Industrialisierung und einen nachhaltigen Verlust an Wohlstand. Handeln wir nicht endlich entschlossen, verlieren wir nicht nur den Energie-Krieg Russlands, sondern auch unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Voraussetzung für den Erhalt des Sozialstaats und die Finanzierbarkeit unserer klimapolitischen Ambitionen ist.“
    https://www.youtube.com/watch?v=1B-u7iIdyNs

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