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Corona-Ausbruch bei Tönnies: Mehr als 1.000 Infizierte – Regionaler Lockdown? – Billigfleisch am Pranger

20.06.2020, Nordrhein-Westfalen, Rheda-Wiedenbrück: Tierschützer demonstrieren vor dem Betriebsgelände der Firma Tönnies mit Bannern und der Aufschrift "Für die Schießung aller Schlachthäuser". Foto: David Inderlied/dpa

AKTUALISIERT – Mehr als 1.000 Corona-Infizierte, die Bundeswehr im Einsatz, Deutschlands größer Fleischbetrieb für 14 Tage geschlossen: Politiker und Verbraucherschützer fordern ein rasches Umdenken. Der Konzernchef äußert sich nun auch persönlich.

Der Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies in Nordrhein-Westfalen droht außer Kontrolle zu geraten. Am Samstag wurde der Betrieb für 14 Tage geschlossen, zu diesem Zeitpunkt waren 1.029 Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet worden.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung will am Sonntag weitere Maßnahmen beraten. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der vom bisher größten Infektionsausbruch in NRW sprach, schließt einen regionalen Lockdown nicht aus. Politik und Verbraucherschützer erhöhen derweil den Druck auf die Schlachtbranche, den Preiskampf bei Arbeitsbedingungen und Fleisch im Supermarkt zu unterbinden.

20.06.2020, Nordrhein-Westfalen, Rheda-Wiedenbrück: Clemens Tönnies, Geschäftsführer der Tönnies-Holding, verlässt die Firmenzentrale und geht zu den wartenden Journalisten auf dem Betriebsgelände des Fleischwerks. Foto: David Inderlied/dpa

Der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven-Georg Adenauer, sagte am Samstagnachmittag, insgesamt lägen 3.127 Corona-Befunde vor. Die Fabrik in Rheda-Wiedenbrück ist Deutschlands größter Fleischbetrieb, der nun für zwei Wochen geschlossen werde, sagte der Leiter des Krisenstabes, Thomas Kuhlbusch.

Die Behörden hatten große Probleme, an die Adressen der Mitarbeiter zu kommen. Deshalb hätten sich der Kreis und der Arbeitsschutz Zugriff auf die Personalakten der Firma Tönnies verschafft. „Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, uns alle Adressen zu liefern“, sagte Landrat Adenauer. „Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null“, so Kuhlbusch.

Clemens Tönnies sagte dazu: „Wir haben datenschutzrechtliche Probleme.“ Laut Werkvertragsrecht dürfe das Unternehmen die Adressen der betreffenden Arbeiter nicht speichern. Co-Konzernchef Andreas Ruff fügte hinzu: „Wir haben alle Daten, die wir hatten, sofort an die Behörden weiter gegeben.“ Tönnies wies zudem Rücktritts-Spekulationen zurück. „Ich werde dieses Unternehmen aus dieser Krise führen“, sagte der 64-Jährige.

18.06.2020, Nordrhein-Westfalen, Rheda-Wiedenbrück: Ein Mann hält während einer Mahnwache zur Situation beim Fleischwerk Tönnies auf dem Marktplatz in Rheda-Wiedenbrück ein Schild mit der Aufschrift „Erneute Vollbremsung oder schon an die Wand gefahren? Schluß mit dem System Tönnies!“. Foto: David Inderlied/dpa

Die Corona-Reihenuntersuchungen auf dem Gelände der Fabrik gingen am Samstag weiter. Zu den bereits 25 Bundeswehrsoldaten vor Ort wurden 40 weitere hinzugeholt. „20 davon helfen bei der Dokumentation und 20 helfen bei der Kontaktpersonennachverfolgung“, sagte Bundeswehrsprecher Uwe Kort.

Die Kräfte fahren demnach gemeinsam mit medizinischem Personal und Mitarbeitern des Kreises Unterkünfte ab und testen dort Menschen. Laut Kort sprechen die Soldaten osteuropäische Sprachen, um sich mit den Arbeitern verständigen zu können.

Der Kreis hatte am Freitag verfügt, dass alle rund 6.500 Tönnies-Mitarbeiter am Standort Rheda-Wiedenbrück mitsamt allen Haushaltsangehörigen in Quarantäne müssen. Der Ausbruch war am Mittwoch bekannt geworden. Das Land will die Quarantäne-Anordnung für die Mitarbeiter konsequent durchsetzen.

„Wir müssen sicherstellen, dass in dieser Situation jeder sich an die Regeln hält“, stellte Laschet am Freitagabend klar. Noch könne das Infektionsgeschehen lokalisiert werden. „Sollte sich dies ändern, kann auch ein flächendeckender Lockdown in der Region notwendig werden.“

Nach dem erneuten Corona-Ausbruch in der Schlachtbranche wächst der Druck, den massiven Preiskampf zu unterbinden. „Fleisch ist zu billig“, sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Sie setzt sich für eine Tierwohl-Abgabe ein. Im Gespräch ist auch, Billigpreiswerbung für Fleisch einen Riegel vorzuschieben.

ARCHIV – 27.09.2017, Nordrhein-Westfalen, Rheda-Wiedenbrück: Frisch geschlachtete Schweine hängen in einem Kühlhaus der Fleischfabrik Tönnies. Foto: Bernd Thissen/dpa

Aus der SPD kommt der Ruf, höhere Löhne in Schlachtbetrieben durchzusetzen. „Auch für die Verbraucher wird sich etwas ändern müssen“, sagte Klöckner mit Blick auf eine Tierwohl-Abgabe. „Dabei soll Fleisch kein Luxusprodukt für Reiche werden. Aber auch keine Alltagsramschware.“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte dem „Tagesspiegel“ am Sonntag: „Es kann nicht sein, dass Menschen aus Mittel- und Osteuropa in Deutschland ausgebeutet werden, damit skrupellose Firmen milliardenschwere Gewinne einfahren.“ Heil will im Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen, um von 2021 an Werkverträge in der Branche weitgehend zu verbieten – also dass die komplette Ausführung von Schlachtarbeiten bei Sub-Unternehmern eingekauft wird.

Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) forderte ein Ende der Preiswerbung für Fleisch. „Wenn die Branche nicht zügig zu einer Selbstverpflichtung kommt, brauchen wir eine gesetzliche Vorgabe.“ Verbraucherschützer kritisierten ebenfalls den Preisdruck. „Beim Fleischkauf sollte man generell darauf achten, dass nicht das Billigste auch das Beste ist“, sagte Lebensmittelexperte Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. (dpa)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

50 Antworten auf “Corona-Ausbruch bei Tönnies: Mehr als 1.000 Infizierte – Regionaler Lockdown? – Billigfleisch am Pranger”

  1. „Als mutmaßliche Gründe für die zahlreichen Infektionen nannte das Unternehmen die Rückkehr von Arbeitern nach Heimaturlauben. Viele der häufig aus Rumänien und Bulgarien stammenden Beschäftigten hätten die langen Wochenenden für eine Reise genutzt.“
    Damit wäre doch wohl alles geklärt!

  2. Hm, gab es auch solche Meldungen vom hiesigen Schlachtbetrieb DETRY und GHOTTA in Aubel ? Auch dort gibt’s Saisonarbeiter, wohlweislich aber viele über die hiesigen fast ganzen Interim – Leiharbeiteragenturen?

  3. Volkshochschule

    Die Deutschen und die Belgier essen gerne Fleisch, aber wenn es darum geht in Schlachthöfen zu arbeiten macht dies kein Einheimischer mehr. Nur deswegen gibt es die Werkverträge seit vielen Jahren mit den Osteuropäern, für die auch niemand irgend eine andere Arbeit in ihrer durch und durch korrupten Heimat hat. Sie sind das letzte und schwächste Glied in einer langen Kette. Sie arbeiten viel für 1500 netto, sicher wird noch die Miete in einer Massenunterkunft abgezogen, alles unter den Augen der hiesigen wegschauenden Behörden.

    • Corona2019

      @Volkshochschule

      Fast richtig .

      Das Ganze findet aber auch im Baufach , Transport und Gesundheitswesen stat .

      Und nicht unbedingt durch die
      Korruption der Herkunftsländer der Arbeitnehmer , und auch nicht durch das wegschauen unserer Behörden .

      Es liegt an der Leichtigkeit unsere Politiker zu bestechen.
      Von Diesem korrupten Pack kann jedenfalls keiner erklären warum man es zulässt , das in Belgien bei sämtlichen Branchen die Leute vom Arbeitgeber raus geekelt werden dürfen , um billig Löhner einzustellen .
      Und beide Augen feste zu schliessen wenn Diese Unternehmer einen Guten Umsatz erreicht haben um dann mit samt Unternehmen nach Luxemburg zu flüchten .
      Alles gesund für die Belgische Staatskasse .
      Besser kann man sich selber kaum bei den Nächsten Wahlen Disqualifizieren.

  4. denke global, handle lokal

    Jeder Abbau von Sklaverei schmälert Profite und lässt Verbraucherpreise steigen. Trotzdem ist er unumgänglich. Und Solidarität mit den versklavten Fließbandmetzgern auch.

  5. Radikaler Eingriff!

    Hier gilt dasselbe wie die Situation bei der Politik! Da muss radikal und einmalig der eiserne Besen zum Einsatz kommen! Jahrelange Versprechungen, Prahlereien und Gemauls änderten rein gar nichts!
    Sub-Sub-Sub muss weg! Einstellung durch Tönnies und Schluss!
    Höhere und anständige Löhne!
    Bessere und Menschengerechte Unterkünfte!
    Dadurch wird zwar das Fleisch was teurer, aber immerhin Gerechter und Menschenfreundlicher!

    Bei uns sollte der ganzen Politikbranche dasselbe passieren! Und zwar sofort!
    Einiges da „oben“ streichen, wie Senat und Provinz!
    Posten drastisch reduzieren!
    Vorteile und „Sonstiges“ unter die Lupe!
    Renten herabsetzen, da viel zu hoch!

    • Ihre Forderungen sind völlig korrekt, werden aber nie Wirklichkeit. Die Kräfte in Wirtschaft und Politik haben sich nun eben dahin verschoben, wo sie jetzt sind und mit großer Sicherheit auch bleiben werden. Auch wir Verbraucher sind schuld an den Billiglöhnen, weil wir ohne schlechtes Gewissen zugreifen, egal wie verdächtig billig die Ware ist.

    • denke global, handle lokal

      Den Bürgern die hart erarbeitete Rente kürzen? — Warten Sie damit ab bis ich da bin, wo ich mich im Grabe rumdrehen kann. Und reparieren Sie vorher Ihre Punkt-Taste („.“).

  6. Ich selbst bin glühender Bratwurstfreund aber wenn ich die Lebensbedingungen der Tiere dort sehe wird mir anders. Passend dazu die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Aber wir kaufen ja möglichst gern billig. Ob die steigenden Krebsraten damit in Zusammenhang stehen könnten lass ich mal dahingestellt, ich kann’s ja nicht wissen. Aber eines weiß ich, bislang war ich ja kein Freund des FC Bayern, doch der Club ist mir mittlerweile sympathischer als Schalke. Der Schalkepräsident finanziert Spielerkäufe von seinen Fleischgewinnen und den Russen von Gasprom. SO4 Nein danke!

    • Danke fürs Angebot:) Aber das ich Bayern Sympathischer finde als S04 ist kein Kompliment für Bayern und erst recht nicht für Schalke.
      Übrigens, ich bin auch schwarz-gelb:) Alemannia ole ole und damit bin ich einiges gewohnt:)

  7. Wir haben letzte Woche zwei Kottelett vom „Wollschwein“ gegessen. Super Qualität, die beiden kosteten aber auch 13 €. Mal sehen wie Medien und Politik damit umgehen würden wenn es Fleich nur noch in dieser Qualität zu diesen Preisen gäbe. Ich kann es mir ja zum Glück leisten…:)

    • Gratulation. Jetzt haben Sie hoffentlich keine Haare auf den Zähnen vom.Wollschwein.
      Ha,ha,ha, ein Brüller.
      Ernsthaft, erinnert man sich an das Gejammer hier vor einigen Tagen, weil man kurzfridtig msl nicht billiger in D einkaufen konnte, dann ist doch klar, dass das „gemeine“ ( Achtung Wortspiel) Volk das so will.
      Billiger,billiger,billiger

  8. Volkshochschule

    Das mit Billigfleisch nichts zu verdienen ist stimmt so nicht denn der bekannte Fleischkönig und Fußballfreund konnte immerhin ein Vermögen von 1,4 Milliarden Euro für sich rausholen.

  9. Guido Scholzen

    Was hat „Billig-Fleisch“ mit „Corona“ zu tun? Nichts!
    Ausser dass Grünlinge versuchen, beides miteinander zu kombinieren, um politisches Kapital daraus zu schlagen.

    1.000 Infizierte? na und?
    Und die werden nun alle sterben?
    Wie viele dieser Mitarbeiter sind denn älter 65 Jahre? Denn Corona ist bekanntlich eine tödliche Krankheit für die älteren Semester.

    Warum wird nicht auch nach Immunität getestet, d.h. als Hinwweis dass wir auf dem Weg in eine Herdenimmunität sind? Ohne Infektion kann ein Immunsystem keine Antikörper bilden. DAS ist auch Medizin.
    dies wurde untersucht in Bergamo:
    https://www.meinbezirk.at/niederoesterreich/c-lokales/italien-massentest-in-bergamo-laesst-auf-herdenimmunitaet-schliessen_a4099044

    Sogar Corona sorgt dafür, dass die politische Landschaft grün-versiffter wird: Nur Grünlinge machen alles richtig, und nur korrekt-politisierte Grünlinge dürfen die Corona-Verordnungen brechen: man siehe sich die Proteste im Fall „George Floyd“ an: da gehen 10.000e protestieren OHNE die Corona-Regelungen zu beachten. man stelle sich momentan eine Pegida-Demo vor: da hätte die Politik und die Polizei noch zu wenig Wasserwerfer und Knüppel.

    • Krisenmanagement

      Dieses Billigfleisch stammt von hochspezialisierten Schweinemästern in Deutschland. Meistens stammt dieses Fleisch also aus Deutschland. Also ist es „Made in Germany“. Die Schweineregionen, wie z.B. das Münsterland kämpfen mit zu hohen Nitratwerten. Seit Jahren wurden die Vorgaben, die von der EU gemacht wurden, von Deutschen Landwirtschaftsministern wieder ausgehöhlt und teilweise rückgängig gemacht. Es herrschte die Vorgabe „Masse statt Klasse“. Viele dieser Schweinebauern haben hohe Investitionen getätigt und können jetzt nicht einfach aufhören. Fett werden die nicht von ihren Schweinen. Aber auch der Rindfleischsektor leidet unter diesen Dumpingpreisen. Das Fleisch muss endlich raus aus den Discountern. Tönnies hatte von der Politik einen Freifahrtschein bekommen. Seit Jahren wussten alle von der Ausbeutung in den Schlachthöfen.

  10. Ob „Billigfleisch“ aus dem Osten kommen muss, lasse ich dahin gestellt und billig bedeutet nicht unbedingt mindere bzw. ungenügende Qualität.
    Aber so lange Billigfleisch mit Billiglöhnen verbunden ist und Billiglöhne mit Billigfleisch, schliesst sich der Kreis – und der Hersteller macht weiterhin Profite, die in keinem Verhältnis zu den Löhnen stehen.

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