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Ende einer TV-Ära nach fast 35 Jahren: Am Sonntag letzte Folge der „Lindenstraße“

10.03.2020, Niedersachsen, Langenhagen: Bei einer Pressekonferenz langjähriger Darsteller der ARD-Kultserie „Lindenstraße“ im Maritim Hotel am Flughafen Hannover stehen die Schauspieler (l-r) Felix Maximilian, Jacqueline Svilarov, Moritz A. Sachs, Marie-Luise Marjan, Andrea Spatzek, Moritz Zielke und Sybille Waury für ein Gruppenfoto. Foto: Lucas Bäuml/dpa

Für so manchen Zuschauer waren Helga Beimer, Dr. Dressler oder Gabi Zenker fast sowas wie gute Bekannte. Die „Lindenstraße“ war für Jahrzehnte eine feste Instanz im deutschen TV. Nun heißt es Abschied nehmen.

Fans der „Lindenstraße“ war der Sonntagabend heilig: Um punkt 18.50 Uhr saßen sie vor dem Fernseher – Woche für Woche, jahrelang. Bald müssen sie diese Zeit anders verbringen.

Am Sonntag (29. März) läuft die letzte Folge der ARD-Kultserie. Nach fast 35 Jahren ist Schluss mit den Geschichten um Mutter Beimer & Co.

Die Fernsehprogrammkonferenz der ARD hatte sich 2018 mehrheitlich gegen eine Verlängerung des Produktionsvertrags entschieden. Die „Lindenstraße“ sei zwar eine Ikone im deutschen Fernsehen, erläuterte ARD-Programmdirektor Volker Herres damals. Doch das Zuschauerinteresse und die Sparzwänge seien nicht vereinbar mit den Produktionskosten.

ARD/WDR LINDENSTRASSE, FOLGE 1.758, „Auf Wiedersehen“, am Sonntag (29.03.20) um 18.50 Uhr im ERSTEN.
Herzliche Begrüßung: Klaus Beimer (Moritz A. Sachs, r) und die neuen Mieter der Lindenstraße, Rachel Goldberg (Hana Geißendörfer, l) und Ron Liebermann (Benjamin Röschel, M). Foto: WDR/Steven Mahner/dpa

Der Erfinder der „Lindenstraße“, Hans W. Geißendörfer, kann dies bis heute nicht nachvollziehen. „Ich habe nach wie vor totales Unverständnis für die Entscheidung, die mir willkürlich erscheint“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. „Das Ende der ‚Lindenstraße’ erfüllt mich mit großer Trauer.“

Als die ARD am 8. Dezember 1985 die erste Folge zeigte, dachte wohl niemand, dass die „Lindenstraße“ eine der am längsten laufenden Serien im deutschen TV werden würde. In ihren Anfangszeiten, als es erst wenige Fernsehprogramme gab, waren die Ereignisse der jüngsten Folge am nächsten Tag Gesprächsthema in Büros und auf dem Schulhof – immerhin hatten am Vorabend durchschnittlich zwölf Millionen Menschen die Sendung eingeschaltet.

Von ihrer Grundidee her zeigte die „Lindenstraße“ den Alltag einer Nachbarschaft. „Wir wollten erzählen, was den Zuschauern passiert oder passieren könnte – Krankheit, Tod, Liebe, die großen Begriffe, die immer wieder zu ungeheuer großen Geschichten einladen“, sagt Geißendörfer. „Der normale Zuschauer sollte sich selbst in der Serie wiederfinden.“

Mit Tabu-Brüchen sorgte die „Lindenstraße“ in den ersten Jahren immer wieder für gesellschaftlichen Zündstoff. Der legendäre Skandal-Kuss zwischen Carsten Flöter (Georg Uecker) und Robert Engel (Martin Armknecht) zum Beispiel war ein Dammbruch im deutschen Fernsehen. Die „Lindenstraße“ war auch die erste deutsche TV-Serie, die Aids thematisierte und in der zwei Schwule heirateten.

Woche für Woche ganz nah am Puls der Zeit

Solche Tabu-Brüche gelangen später angesichts der vielen Reality-Formate im TV nur noch selten. Doch ihrem Anspruch, brisante Diskussionen aufzugreifen, blieb die „Lindenstraße“ treu. In der jüngeren Vergangenheit gab es zum Beispiel längere Erzählstränge zu Themen wie Flüchtlinge, Rechtsextremismus, den Umgang mit Pädophilen oder die Legalisierung von Cannabis.

ARD/WDR, LINDENSTRASSE, FOLGE 1758, „Auf Wiedersehen“, am Sonntag (29.03.20) um 18.50 Uhr im ERSTEN – Die letzte Klappe in der fast 35-jährigen Geschichte der Lindenstraße fiel am 20. Dezember 2019.
Foto: WDR/Steven Mahner/dpa

Dank eines einfachen Kniffs war die Serie zudem Woche für Woche ganz nah am Puls der Zeit: In den weit im Orraus gedrehten Folgen blieb stets ein Platzhalter frei, der erst kurz vor der Ausstrahlung gefüllt wurde – mit einem Dialog zu einem nahezu tagesaktuellen Thema. Bei Bundestagswahlen wurden sogar die zeitgleich ermittelten Hochrechnungen eingeblendet und von „Lindenstraße“-Bewohnern kommentiert.

Auf dem WDR-Gelände in Köln-Bocklemünd, wo die in München spielende Serie produziert wurde, stehen nach Angaben einer Sprecherin inzwischen nur noch die hölzernen Außenkulissen. Der letzte Drehtag war bereits kurz vor Weihnachten, danach habe der Abbau der aufwendigen Innenkulissen begonnen. Die beiden Hallen, in denen sich die Wohnungen und das Treppenhaus befanden, seien jetzt nahezu leer.

Eine Reihe von Requisiten gingen an Museen. Die Küche von Helga Beimer etwa wanderte nach WDR-Angaben ins Bonner Haus der Geschichte, das Technik Museum Speyer nahm das Restaurant „Akropolis“ und das „Café Bayer“ auf. Einige Liebhaberstücke wurden bei einem Fan-Flohmarkt verkauft.

Wie die „Lindenstraße“ nach ihren fast 35 Jahren ausgehen wird, bleibt bis Sonntag eine Überraschung. Die 1.758. und letzte Folge heißt „Auf Wiedersehen“. „Über das Ende haben wir uns lange die Köpfe zerbrochen“, sagt Produzentin Hana Geißendörfer, Tochter des Serienerfinders, der dpa. Es sei dramaturgisch nicht leicht gewesen, alle Figuren so an einen Punkt zu bringen, dass sich die Zuschauer von ihnen verabschieden könnten. „Ich hoffe, es ist uns gelungen. Für uns fühlt es sich zumindest rund an.“

Wissenswertes zur Lindenstraße

Mehr als drei Jahrzehnten war sie Kult – jetzt ist Schluss mit der „Lindenstraße“. Was bleibt?

FANS: Kaum war die Nachricht vom Serien-Aus in der Welt, melden sich die Fans: „Die Lindenstraße darf nicht sterben!“, schrieb einer auf der offiziellen Facebook-Seite. In Berlin und anderen Städten versammelten sich Hardcore-Anhänger zu Demos mit Protestplakaten.

Ein Bild aus frühen „Lindenstraßen“-Tagen (Archivbild von 1986): Helga Beimer (Marie-Luise Marjan, hinten rechts) mit ihrem ersten Mann Hans (Joachim Hermann Luger, l) und ihren Kindern (l-r) Marion (Ina Bleiweifl), Benny (Christian Kahrmann) und Klausi (Moritz A. Sachs). Foto: Fotoreport WDR/WDR/dpa

LEBENSLANG: Nur wenige Hauptdarsteller der ersten Folge aus dem Jahr 1985 sind bis zuletzt in der „Lindenstraße“ dabei geblieben. „Mutter Beimer“ (Marie-Luise Marjan) gehört dazu, aber auch ihr Serien-Sohn „Klausi“ (Moritz A. Sachs) und „Gabi Zenker“, die damals noch Skabowski hieß (Andrea Spatzek). „Dr. Dressler“ (Ludwig Haas), der Hausarzt, verabschiedete sich im Dezember 2019 mit einem TV-Suizid. Dafür gibt es noch Vasily Sarikakis (Hermes Hodolides), der heutige Wirt des Lokals „Akropolis“, hatte schon einen Auftritt im Erstling.

KINDER: Viele Darsteller sind in der „Lindenstraße“ erwachsen geworden – die Rollen etwa der Ziegler-Kinder Sarah, Tom und Sophie blieben vom Kleinkindalter bis zum Erwachsenwerden mit denselben Menschen besetzt. Auch der mit dem Down-Syndrom geborene Bruder Martin wird seit Anbeginn von Jan Grünig gespielt. Vereinzelt gibt es auch Wechsel: Sunnyboy „Nico Zenker“ hat inzwischen schon das dritte Gesicht.

VORREITER: Als sich in Deutschland vieles änderte, im Frühjahr 1990, bahnt sich auch in der „Lindenstraße“ Revolutionäres an: Der junge Carsten Flöter (Georg Uecker) knutscht vor laufender Kamera mit seinem neuen Freund. Die Szene geht als „erster Schwulenkuss in einer TV-Serie“ in die Fernsehgeschichte ein. (dpa)

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