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In griechischem Flüchtlingslager brennt es – und wer hilft? Deutschland! Alleingang oder Führungsstärke?

17.09.2020, Griechenland, Lesbos: Migranten tragen ihre Habseligkeiten auf einer Straße, die von Moria nach Mytilini führt. Foto: Petros Giannakouris/AP/dpa

Zumindest wenn es um die Aufnahme von Migranten geht, steht Deutschland in der EU ziemlich alleine da. Welche Signale davon ausgehen. Die Bundesregierung um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) ist enttäuscht.

Kaum ein anderes EU-Land will sich an der Aufnahme von 1.553 Flüchtlingen aus griechischen Lagern beteiligen. Berlin steht mit dem Vorhaben, 408 Familien aufzunehmen, weitgehend isoliert da.

Wird der Alleingang womöglich die Bemühungen um die geplante Reform der EU-Asyl- und Migrationspolitik beschädigen? Oder ist es ganz anders: Zeigt Deutschland als wirtschaftsstärkstes EU-Land Führungsstärke?

15.09.2020, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU), Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, unterhalten sich beim Festakt zum 70-jährigen Bestehen des Zentralrats der Juden im Innenhof der Neuen Synagoge. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa

Innenminister Horst Seehofer (CSU) jedenfalls erkennt derzeit wenig Bereitschaft anderer EU-Staaten, sich an der Aufnahme von Migranten aus den völlig überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln zu beteiligen. Das Camp Moria auf Lesbos war vergangene Woche bei einem Großbrand völlig zerstört worden. Rund 13.000 Menschen – von jetzt auf gleich ohne Bleibe. Elf europäische Länder haben seitdem zugesagt, rund 400 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen.

Weitere Unterstützungsangebote dieser Art kamen bislang so gut wie nicht – außer von Deutschland. Belgien sagte am Mittwoch immerhin zu, 100 bis 150 besonders schutzbedürftige Menschen aus Moria aufzunehmen (siehe Bericht an anderer Stelle). Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hingegen sagte kürzlich: „Wenn wir diesem Druck jetzt nachgeben, dann riskieren wir, dass wir dieselben Fehler machen wie im Jahr 2015.“ Dies würde noch mehr Menschen ermutigen, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

Vor Abgeordneten der Unionsfraktion beklagte Seehofer, kein einziges anderes EU-Land sei bereit gewesen, sich an der geplanten Aufnahme der 408 Familien zu beteiligen. Die Migrationspolitik sei eben ein großes „Problem, das vielleicht für das Bestehen der Europäischen Union maßgeblich sein könnte“.

Aktuelles System belastet Länder an EU-Außengrenzen

Die EU-Staaten streiten bei diesem Thema seit Jahren verbittert. Knackpunkt ist die Verteilung Schutzsuchender. Das aktuelle System belastet vor allem die Länder an den EU-Außengrenzen. Deshalb entschieden die EU-Staaten im Herbst 2015 die Umverteilung von bis zu 160.000 Asylbewerbern. Ungarn, Polen und Tschechien stemmten sich jedoch beharrlich dagegen.

Seitdem werden die Risse immer tiefer. Und die Bereitschaft zur Aufnahme von Migranten wird immer geringer. Andere Länder schicken lieber Zelte, Schlafsäcke oder Decken.

17.09.2020, Griechenland, Lesbos: Migranten stehen auf dem Dach eines Gebäudes an einer Straße, die von Moria nach Mytilini führt. Foto: Petros Giannakouris/AP/dpa

Es ist ein Problem, dessen Lösung Seehofer während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres eigentlich vorantreiben wollte. Kommenden Mittwoch präsentiert die EU-Kommission nach langem Warten neue Reformvorschläge, über die EU-Staaten und Europaparlament dann verhandeln müssen.

Seehofer wird die Beratungen der EU-Staaten leiten – und muss zwischen Tschechien und Frankreich, Italien und Schweden vermitteln. Aber fehlt ihm dafür nach dem aktuellen Alleingang nicht die Glaubwürdigkeit? Und könnte das deutsche Vorgehen nicht zu weiteren Blockaden führen?

Marie De Somer, Migrationsexpertin der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre, argumentiert anders. Sie betont, das deutsche Aufnahmeangebot löse Debatten in anderen Staaten aus, die politische Entscheidungen beeinflussen könnten. Zudem werbe Deutschland bei der Asylreform dafür, dass sich künftig möglichst viele EU-Staaten an der Aufnahme von Schutzsuchenden beteiligen. „Wenn Deutschland als EU-Ratspräsidentschaft da jetzt keine Führung übernimmt, wird es schwierig, bei den Verhandlungen später für Solidarität einzutreten.“

Seehofer will kein „kaltherziger Verhinderer“ sein

Seehofer liegt jedoch noch etwas im Magen. Er findet, er sei in der öffentlichen Debatte am vergangenen Wochenende völlig zu Unrecht als kaltherziger Verhinderer dargestellt worden. Das sei „alles Käse“. Schließlich habe er, Seehofer, doch schon am Freitag vorgeschlagen, Familien von den griechischen Inseln nach Deutschland zu holen.

Zufrieden ist der Innenminister trotzdem: weil er – zumindest aus seiner Sicht – mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) jetzt so gut zusammenarbeitet. Kurz bevor beide aus der Bundespolitik ausscheiden wollen. Und das ausgerechnet beim Thema Migration, einem Feld, auf dem die beiden schon so manchen Kampf ausgetragen haben.

17.09.2020, Griechenland, Lesbos: Ein Baby krabbelt auf einer Straße, die von Moria nach Mytilene führt. Foto: Petros Giannakouris/AP/dpa

„Ich bin sehr froh gewesen am Montagabend, dass wir uns dann in einem Vier-Augen-Gespräch bei der Kanzlerin in sehr, sehr kurzer Zeit verständigt haben auf eine ausbalancierte Lösung“, erzählt Seehofer am Mittwoch am Rande einer Sitzung des Innenausschusses im Bundestag.

Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sei ebenfalls zufrieden gewesen, so Seehofer. Er habe Merkel am Dienstagabend am Telefon dafür gedankt, dass Deutschland nicht einfach eine bestimmte Zahl von Asylsuchenden aus Moria aufnehmen wolle, sondern Familien, deren Schutzbedürftigkeit in Griechenland schon bestätigt wurde – und die zum Teil auch auf anderen Ägäis-Inseln leben.

Damit ist aus Sicht des Innenministeriums beiden Seiten gedient: Deutschland, dem es aus praktischen Gründen oft nicht gelingt, abgelehnte Asylbewerber, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. Und Griechenland, das verhindern will, dass der Eindruck entsteht, mit Unruhen und Brandstiftung könne man eine Weiterreise in andere Länder erzwingen.

Denn in den vergangenen Tagen hat die griechische Regierung immer wieder betont, die Moria-Bewohner gar nicht gehen lassen zu wollen, sondern vor Ort zu versorgen.

Die Behörden gehen davon aus, dass das Feuer von Migranten gelegt wurde, die ihre Weiterreise in andere EU-Staaten erzwingen wollen. Deshalb fürchtet Athen Nachahmer. In der Nacht zum Mittwoch hat es erneut nahe eines griechischen Flüchtlingslagers gebrannt. Diesmal auf der Insel Samos. (dpa)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

18 Antworten auf “In griechischem Flüchtlingslager brennt es – und wer hilft? Deutschland! Alleingang oder Führungsstärke?”

  1. charly sironval

    Merkel und Seehofer bürden anständig arbeitende Steuerabgezockte BÜRGER tausende Emigranten auf SIE SELBER PROFITIEREN SELBSTVERSTÄNDLICH VON DIÄTERHÖHUNGEN MAN GÖNNT SICH JA SONST NICHTS. ZUM KOTZEN

  2. Ossenknecht

    „ Alleingang oder Führungsstärke?“

    Man stelle sich vor: Es gibt (noch) keine EU. Aber es gibt einen Vertrag mit Schweden, der dem Flüchtlingsvertrag mit der Türkei entspricht. Und die Leute würden von Schweden (≈Türkei) nach MeckPomm (≈Griechenland) übersetzen (unverschämtes Glück hat, wer dabei nicht ertrinkt) und sie würden auf Rügen (≈Lesbos) staatlicherseits vom Rest der Welt abgeschnitten. Niemand kann weg. Schwimmen geht nicht, anders als auf dem Festland-nahen Alcatraz. – Ursprünglich wollten die Leute natürlich ins reiche und bevölkerungsstarke Bayern (≈Deutschland) gelangen. Aber dann, als sie schon über zwei Jahre lang dem Erstgespräch mit den meckpommischen (≈griechischen) Asylbehörden entgegen gefiebert hatten: Brennt ihr Lager, in der Größe von Eupen, ab. Brennt komplett ab. Und es gab keine 13.000 Brandstifter, noch nicht einmal 100. Aber die Stadt ist weg. Weg von der Landkarte.

    Was würden die anderen Länder Deutschlands tun? Und wie würden die belgischen Medien reagieren?

  3. Deutschland flutet die Welt mit Ihren Waren. Die haben die Goldbarren bis unters Dach gestapelt, da fallen ein Paar mehr nicht auf.Die sollten das Übel mal an der Wurzel packen und diesen 3.Welt Regierungen kein Geld in den Rachen werfen sondern wirkliche Hilfe leisten. Flüchtlinge in Europa gut ausbilden zb als Bauarbeiter, Ingenieur, Mediziner, Landwirt und so weiter und dann mit der entsprechenden Ausrüstung wieder in ihr Land schicken um dieses dann aufzubauen. Ganz wichtig, vorher Intensivkurse in Demokratie! Hat alles bei den deutschen nach dem letzten Krieg überaus erfolgreich geklappt.

    • @Törö:
      Guter Ansatz, leider hapert es immer und überall an der Verwaltung.
      So lange der „Migrant“ nicht als „Flüchtling“ anerkannt ist, hat er keine Arbeitserlaubnis. Inzwischen müssen die Menschen überleben, in abgeschotteten „Einrichtungen“.
      Das mag ja noch einige Wochen erträglich sein und für Mütter mit Kleinkindern genügen. Aber die Väter und Jugendlichen suchen nach einer schnellen Lösung, Geld verdienen, leben!
      Schwarzarbeit und Kriminalität sind in greifbarer Nähe.
      In diesen Einrichtungen läge der Ansatz für eine individuelle Zukunft, vielleicht auch für viele (hiesige) Arbeitslose, die hier eine Stelle finden könnten.
      Bis dato werden die Menschen aber vor allem „aufgefangen“. Das kann auch lange Sicht nicht gut gehen.
      Ihr einziger Kontakt zur Aussenwelt sind die Handys, die schlechte Nachrichten aus der Heimat bringen. Der eine oder andere „Glaube“ hilft über den Alltag hinweg.

      • Ich habe, wie so oft, alles etwas vereinfacht beschrieben. Natürlich braucht es ein durchdachtes Konzept. Einfach nur aufnehmen reicht ganz und garnicht. Man muss sich schon um die Leute kümmern aber das tut man ja schon nicht bei einheimischen Menschen bei Flüchtlingen eben auch nicht. Man denk man bezahle Geld und damit ist alles erledigt. Eben nicht. Beispiele gibt es genug.

        • Völlig richtig.
          Aber es fehlt an Weitsicht, Planung, Kompetenz.
          Da ist es einfacher, ein Paar Betten zu schicken und sich selbst zu beglückwünschen.
          So, wie jetzt der Hype des Klimawandels durch die Politik geht, wird auch die Realität der Völkerwanderung einige wachrütteln.
          Ob das noch rechtzeitig geschieht, wage ich zu bezweifeln.

        • Arnold Heck

          Sie wollen den Flüchtlingen Demokratie beibringen? Die wollen die meisten gar nicht ,weder hier noch in ihren Ländern. Die stehen auf ihre patriarchalischen Strukturen und Stammeshäuptlinge. Siehe Afghanistan, da beißen sich seit Jahrzehnten Russen , Amis und Europäer die Zähne dran aus.

  4. „Deutschland! Alleingang oder Führungsstärke?“
    Weder noch.
    Es sei denn man versteht unter Führungsstärke: Der größte Ochse läuft immer vor der Herde
    oder
    Alleingang, da die Anderen vorsichtiger sind – die Herde ist nicht mehr zu sehen – der Ochse läuft allein.

  5. Feuer ist im Aufnahmezentrum Vathy auf der griechischen Insel Samos ausgebrochen. Nach Angaben von Polizei und Feuerwehr kein Risiko, dass sie sich ausbreiteten, hieß es. Mehrere Wohncontainer sind zerstört.
    „Es soll in einem Bereich des Lagers gebrannt haben, in dem unbegleitete Minderjährige wohnen. In der Nähe des Flüchtlingslagers hatte es bereits am vergangenen Dienstag ein Feuer gegeben.“

    Die Brandstifter haben womöglich neue Benzinlieferungen erhalten?
    Was denkt der führungstarke Alleingänger? Vielleicht erst Untersuchungseinrichtungen bauen lassen und dann Aufnahmelager?

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