Nach einem Autounfall wandelt sich das Leben eines jungen Mannes radikal. Davon erzählt eine bewegende TV-Reportage.
Erinnerungen gehören zum Gedächtnis, in dem alle unsere bisherigen Eindrücke gespeichert werden. Sie sind angeblich das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können, meinte der Dichter Jean Paul (1763-1825).
Was passiert, wenn sie fehlen, steht im Mittelpunkt der Reportage „Echtes Leben: Leben ohne Erinnerung“. Sie ist am Sonntag um 17.30 Uhr im Ersten zu sehen.
Im Februar 2015 gerät der damals 31-jährige Daniel aus Bremen auf der Autobahn in ein Stau-Ende – wenig später rast ein Wagen direkt in sein Fahrzeug hinein. Dabei erleidet Daniel ein schweres Schädel-Hirn-Trauma (SHT) und fällt ins Koma.
Nur mühsam lernt der kräftige Mann später zwar wieder zu gehen und zu sprechen, aber sein Hippocampus – zuständig für Lang- und Kurzzeitgedächtnis – wird nachhaltig geschädigt. Das bedeutet, dass sein Gehirn zwar neue Informationen aufnehmen, aber nicht mehr speichern kann – eine sogenannte „Anterograde Amnesie“ bleibt zurück. Mit Hilfe einer Neuropsychologin beginnt er, seinen Alltag als größte Herausforderung zu begreifen und neu zu strukturieren.
Während einer Pause seiner insgesamt dreijährigen Reha-Therapie lernt der frühere Anlagentechniker und Fitnesstrainer die Psychologin Katharina kennen; mit ihr bekommt er Sohn Levi, beide tun ihm sehr gut. „Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann er geboren ist – und das ist richtig fies“, sagt er.
Katharina und er brauchen ganz viel Verständnis füreinander, insbesondere dafür, dass sie alles gerade Erlebte sehr wohl erinnern kann, wozu er eben nicht mehr imstande ist. Sie meint, dass das insbesondere auch für die Liebe gelte, die sich ja langsam immer mehr aufbaue. Wenn eben das mit den Gefühlen nicht wäre: Sie aufzuschreiben, so wie sie einmal waren, das funktioniert nicht – gemeinsame Erinnerungen gibt es also für sie keine.
Die Autorinnen Nadine Niemann und Mechtild Lehning kommen in ihrem Langzeit-Film (gezeigt wird eine Zusammenfassung, der ganze Film steht in der Arte-Mediathek) den sehr authentischen und sympathischen Protagonisten erstaunlich nahe. Sie haben Daniel, Katharina und Levi zwei Jahre lang ebenso einfühlsam wie verständnisvoll in ihrem Alltag, im Urlaub und zu Therapien und Vorträgen begleitet.
Daniel ist Mitglied im Bremer Verein „Leben mit Schädel-Hirn-Trauma“, wo er die Selbsthilfegruppen betreut. Es wird deutlich, wie derartige Unfallfolgen eine Persönlichkeit stark verändern können.
Daniel erzählt ganz offen, dass er für sich herausfinden müsse, was im Leben ihn völlig zufriedenstelle – und dass es gelte, sich seinen ständig wiederkehrenden Depressionen zu stellen. Er hat begonnen, sehr detailliert Tagebuch zu schreiben – um sich zu erinnern und auch, um über aktuelle Geschehnisse mitreden zu können.
Er weiß zwar Dinge, die sich immer wiederholen, aber richtig merken kann er sie nur, wenn er sie aufschreibt oder auswendig lernt. Er musste seine neue Unterschrift lernen, was sehr schwierig war, denn Geduld sei sein größter Feind, sagt er.
Aber Daniel scheint ein unglaublich positiver Mensch zu sein. So sagt er auch, dass er erst nach dem Unfall intensiv über sich nachgedacht und gelernt habe, was ein Körper so alles könne und was das Laben noch zu bieten habe. Das mit den Erinnerungen als Paradies könnte für ihn vielleicht doch noch klappen. (dpa)