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Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ heute vor 5 Jahren war der Anfang einer islamistischen Terrorserie

11.01.2015, Frankreich, Paris: Eine Person hält ein Schild mit der Aufschrift "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie) in der Hand, als sich die Menschen am Place de la Nation zu einem Marsch gegen den Terrorismus versammeln. Foto: Yoan Valat/epa/dpa

Es war der Anfang. Auch wenn das nicht ganz korrekt ist, fühlt es sich doch für viele so an. Am 7. Januar vor fünf Jahren dringen die Brüder Chérif und Said Kouachi in die Pariser Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ ein und eröffnen das Feuer.

Es beginnt eine drei Tage währende Großfahndung – inklusive Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt. Insgesamt sterben 17 Menschen, auch die drei islamistischen Täter werden erschossen. Der Anschlag steht symbolisch für den Auftakt einer islamistischen Terrorserie in Frankreich – mit seither mehr als 250 Toten.

Frankreich kennt den islamistischen Terror. Bereits in den 1980er und vor allem 1990er Jahren gab es immer wieder Angriffe – vor allem auf Züge und Metros.

14.01.2015, Frankreich, Paris: Ein Mann, der die neue Ausgabe der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo in der Hand hält, erweist vor dem improvisierten Denkmal in der Rue Nicolas Appert in der Nähe des Hauptquartiers von Charlie Hebdo, dem Ort des Anschlags vom 07. Januar, bei dem 12 Mitarbeiter der Zeitung am 14. Januar 2015 in Paris, Frankreich, von zwei bewaffneten Männern getötet wurden, seinen Respekt. Foto: Ian Langsdon/epa/dpa

Der Angriff auf „Charlie Hebdo“ war auch nicht die erste tödliche Attacke in den 2010ern Jahren im Land: Im März 2012 ermordete Mohamed Merah über mehrere Tage drei Soldaten sowie einen Lehrer und drei Kinder einer jüdischen Schule in Südfrankreich.

Doch nach dem mörderischen Angriff auf das Satiremagazin und den Supermarkt folgten die Attacken in hoher Schlagzahl – und das Land verändert sich.

Paris, November 2015: 130 Tote. Nizza, Juli 2016: 86 Tote. Straßburger Weihnachtsmarkt, Dezember 2018: 5 Tote. Pariser Polizeihauptquartier, Oktober 2019: 4 Tote. Das ist nur eine Auswahl. Und ganz aktuell nun wohl die Messerattacke vom vergangenen Freitag bei Paris mit einem Toten. Mehrere Dutzend Attentate wurden außerdem vereitelt.

Bei dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ töteten die Kouachi-Brüder damals mehrere bekannte Zeichner des Blattes. Die Redaktion wurde wegen ihrer Mohammed-Karikaturen Ziel der Attentäter. Auf die Redaktionsräume war einige Jahre zuvor bereits ein Brandanschlag verübt worden. Die Solidarität nach der Attacke war vor fünf Jahren riesig. Der Slogan „Je suis Charlie“ (dt. Ich bin Charlie) wurde zum Schlagwort für das Zusammenstehen nach Terrorangriffen.

Seit dem 7. Januar 2015 ist die Terrorgefahr omnipräsent

Die Terrorgefahr ist seitdem omnipräsent in Frankreich. Schwerbewaffnete Polizisten und Soldaten patrouillieren an stark frequentierten Orten, Betonbarrieren schützen Großereignisse. Und sogar der weltberühmte Eiffelturm ist nun von einer Glaswand umschlossen. Und jeder herrenlose Koffer bringt das Pariser Leben kurz zum Stillstand.

09.01.2015, Frankreich, Paris: Der Satz „Paris est Charlie“ (Paris ist Charlie) wird auf den Arc de Triomphe projiziert. Foto: Jose Rodriguez/epa/dpa

Die tödliche Messerattacke im Süden der Hauptstadt sorgte kurz vor dem Jahrestag wieder für große Aufregung. Ein Mann griff Menschen wahllos an – tötete einen 56-Jährigen. Und momentan deutet vieles darauf hin, dass auch dieser Angriff terroristisch motiviert war.

Nach den Anschlägen auf die Konzerthalle Bataclan in Paris, das Stade de France und zahlreiche Bars im November 2015 galt der Ausnahmezustand fast zwei Jahre lang. Zahlreiche zentrale Notstandsmaßnahmen wurden kurz vor dessen Ende ins normale Recht übernommen. Sicherheitsbehörden haben im Anti-Terror-Kampf nun weitgehendere Befugnisse.

Ende vergangenen Jahres nahm die Redaktion von Charlie-Hebdo in Straßburg erstmals seit dem Anschlag wieder an einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung teil. „Wir haben die katholische Religion kritisiert, wir kritisieren den Islam, wir kritisieren Buddhisten dafür, die Rohingya angegriffen zu haben“, sagte die Zeichnerin Coco damals dem Sender Franceinfo.

Sie war am Tag des Anschlags gerade auf dem Weg in die Redaktion, als die zwei Angreifer sie bedrohten und zwangen, die Tür zu öffnen. Ein Horror-Szenario. Anschließend richteten die Gebrüder Kouachi ein Massaker an.

Im Frühjahr 2020 steht nun in Paris der Prozess gegen mutmaßliche Hintermänner des Anschlags an. „Ich hoffe auch, dass dieser Prozess uns wirklich den Krieg bewusst macht, den der islamische Fanatismus uns erklärt hat“, sagt Patrick Pelloux dem Magazin „Paris Match“. Er ist Notfallarzt und hat immer wieder für „Charlie Hebdo“ gearbeitet – nach dem Anschlag war er einer der ersten am Tatort. Die Opfer gehörten zu seinen engsten Freunden. Es sei nun wichtig „ein starkes Signal an unsere Feinde zu senden“.

„Rastloser Kampf“ gegen den islamistischen Terrorismus

Einer, der den Anschlag auf das Satiremagazin damals begrüßte, war Mickaël Harpon. Fast fünf Jahre später greift er selbst zum Messer. Er trifft Frankreich mitten ins Herz: Im Pariser Polizeihauptquartier, einen Steinwurf von Notre-Dame entfernt, tötet er brutal drei Kollegen und eine Kollegin. Er selbst war Polizeimitarbeiter, arbeite in einer sensiblen Abteilung. Harpon war Jahre vorher zum Islam konvertiert und hatte sich radikalisiert. Kollegen hatten auffälliges Verhalten gemeldet.

Große Kundgebung in Paris nach dem Anschlag gegen „Charlie Hebdo“. V.l.n.r.: Israels Premierminister Benjamin Netanyahu, Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita, Frankreichs Präsident François Hollande, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Polens Premierminister Donald Tusk und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Foto: dpa

Für den Islamexperten Gilles Kepel ist dieser Angriff ein „wichtiger Wendepunkt“. Er habe eine enorme symbolische Bedeutung, sagt er der Zeitung „Le Figaro“. „Das Innere der Pariser Polizeipräfektur soll eine Bastion sein. Sie ist das Symbol für Recht und Ordnung in Frankreich und für den Kampf gegen den erschütternden Dschihadismus.“ Dieser Terrorismus „unter dem Radar“, für den Harpon stehe, sei eine besondere Gefahr, sagte der Experte.

In diese Reihe könnte auch der aktuelle Messerangriff von Paris passen. Der Täter war psychisch krank, konvertierte vor einigen Jahren zum Islam und rief während der Tat „Allahu akbar“ (Arabisch für „Gott ist groß“). Wie Harpon hatten ihn die Terrorfahnder vorher nicht auf dem Schirm.

Präsident Emmanuel Macron versprach den Franzosen bei der Trauerfeier für die Opfer des Angriffs auf das Polizeihauptquartier einen „rastlosen Kampf“ gegen den islamistischen Terrorismus. Der Islamismus, sagte der Staatschef, sei eine Hydra – also wie das Ungeheuer aus der griechischen Mythologie mit mehreren Schlangenköpfen, dem beim Abschlagen eines Kopfes mehrere nachwachsen. Frankreich dürfte der Hydra noch nicht den letzten Kopf abgeschlagen haben.

„Charlie Hebdo“-Leiter warnt vor Zensur

Fünf Jahre nach dem Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ haben Angehörige und Mitarbeiter an das Attentat erinnert und zum Schutz der Meinungsfreiheit aufgerufen. Zensur gehe heutzutage nicht mehr vom Staat aus, sondern sei privatisiert worden, sagte Herausgeber und Karikaturist Laurent Sourisseau alias Riss, am Dienstag in einem Interview mit dem Nachrichtensender Franceinfo. „Wir haben es mit einem neuen Moralismus zu tun“, so Riss.

Ein Leser von „Charlie Hebdo“ hält eine schon ältere Ausgabe des Satire-Magazins in der Hand. Foto: Shutterstock

Das Magazin erschien am Jahrestag des Anschlags mit einer Titelseite, die einen Karikaturisten zeigt, dessen Arme und Zunge von einem überdimensionalen Smartphone platt gedrückt werden und ihn damit an der Arbeit hindern. Auf dem Handydisplay sind Apps wie Twitter und Facebook zu sehen.

„Wir haben die Angst überwunden, die sie versucht haben, uns zuzufügen“, so Riss. Der Anschlag sei ein politisches Verbrechen gewesen, das diese Art von Humor verschwinden lassen sollte. Auf lange Sicht hätten die Terroristen aber verloren, sagte Riss.

Am Dienstag gab es mehrere Gedenkveranstaltungen für die Toten des Anschlags. Vor den ehemaligen Redaktionsräumen von „Charlie Hebdo“ in der Pariser Rue Nicolas-Appert wurde eine Schweigeminute abgehalten. An dem Gedenken nahm laut Franceinfo neben der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo auch Frankreichs Innenminister Christophe Castaner teil. (dpa)

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