Bei „Über den Wolken“ singt der ganze Saal mit. Mit solchen Liedern zur Gitarre begeistert Reinhard Mey, der nun 80 wird, seine Fans bis heute. Dabei hatte er in jungen Jahren erst einmal einen ganz anderen Beruf ergriffen.
Es gibt wohl nicht so viele Menschen, die eine andere als die Startbahn null-drei kennen. Reinhard Mey hat der Piste – deren zugehöriger Flugplatz im Unklaren bleibt – ein musikalisches Denkmal gesetzt. In seinem viel gecoverten Song „Über den Wolken“ weht der Wind auch stets aus Nord/Ost. Und, ja, in der Luftaufsichtsbaracke scheint ein Kaffee-Trinker zu arbeiten. Am heutigen Mittwoch (21. Dezember) wird der leidenschaftliche Hobbypilot und Liedermacher Reinhard Mey 80 Jahre alt.
Alter bedeutet auch für Mey nicht automatisch Ruhestand. Gerade erst hat er – allein und mit Gitarre vor bis zu 7.000 Fans – coronabedingt verschobene Konzerte gespielt. Bei „Über den Wolken“ singt der ganze Saal mit. Er nennt es auf seiner Homepage „Tournee meines Lebens“.
Der gebürtige Berliner ist der Stadt weitgehend treu geblieben. Hier lernt er nach Klavier und Trompete schließlich Gitarre. Das Instrument wird ihn durch sein Leben begleiten. Er spielt früh mit den Rotten Radish Skiffle Guys und im Trio Les Trois Affamés (Die drei Hungrigen).
Die Eltern sind mit einem französischen Paar befreundet. Damit sowas wie Krieg zwischen beiden Ländern nicht mehr passiert, schicken sie Reinhard aufs französische Gymnasium in Berlin. Nach deutschem Abitur und französischem Baccalauréat lernt Mey Industriekaufmann, bricht aber das ebenfalls nur zur Beruhigung der Eltern begonnene Betriebswirtschaftsstudium ab. Er will sich ganz der Musik widmen.
Die Karriere beginnt als „Barde mit der Gitarre“ („Ich wollte wie Orpheus singen“) in den 1960er Jahren in Frankreich als Frédérik Mey. Er vertont Balladen von François Villon und Gedichte des Lyrikers Georg von der Vring. In Deutschland tingelt er durch Kneipen, spielt Konzerte mit Hannes Wader – das jeweils dürftige eigene Programm der jungen Barden reicht für komplette Konzertabende noch nicht aus.
Anfang der 1970er Jahre stellt sich der Erfolg ein, Mey wird zum Alleingänger unter den deutschen Liedermachern. Alben werden vergoldet, er spielt lange Tourneen. Liedtitel wie „Der Mörder ist immer der Gärtner“ finden mit den Jahren als Sprichwörter ihren Platz im allgemeinen Sprachgebrauch. Mey erzählt Kuriositäten wie „Ich bin Klempner von Beruf“ oder „Ankomme Freitag den 13.“, gibt sich rettungslos verliebt in „Annabelle, ach Annabelle“, er wird sarkastisch in „Die heiße Schlacht am kalten Büffet“ oder gar böse wie in „Diplomatenjagd“.
Für das Duo Inga und Wolf schreibt er das einfühlsame Chanson „Gute Nacht, Freunde“, singt das Stück auch selbst. Seine Sammlung umfasst mehr als 500 Lieder. Die lange Karriere zählt bisher 28. Studioalben. Die Songs auf der jüngsten Aufnahme „Das Haus an der Ampel“ werfen in melancholischem Grundton den Blick zurück aufs Elternhaus.
Mit seiner zweiten Frau Hella gründet Reinhard Mey die eigene Familie. Das Leben mit den Kindern Frederik, Maximilian und Victoria-Luise macht auch das Liedrepertoire privater. Maximilian stirbt 2014 nach fünf Jahren im Wachkoma. Frederik wird Pilot. Victoria-Luise begleitet den Vater mitunter als Sängerin oder Fotografin.
„Alle Fehler, die ich gemacht habe, mussten gemacht werden“, verrät er der Tochter im Interview auf seiner Homepage. „Zweifel begleiten mich immer, ich glaube sie sind ein unverzichtbares Instrument, das hilft, den kritischen Abstand zu sich selbst zu wahren.“ So prüfe er seine Zeilen für die Songs auch mit Abstand „wie ein Maler, der von seinem Bild zurücktritt, um es deutlicher zu sehen“. (dpa)
Alles Gute zum Geburtstag, Reinhard! Deine Lieder sind Kult.
Seine „goldenen Jahre“ waren die 1970er.