Gesellschaft

Gratis-Wohnung gegen Zeit: Studentin aus Luxemburg zieht in deutsches Seniorenheim – „Residenz-WG“

Eine junge Frau spielt in einer Seniorenresidenz mit Bewohnerinnen ein Gesellschaftsspiel. Foto: Harald Tittel/dpa

In Trier ist eine Studentin in eine Seniorenresidenz gezogen. Sie wohnt mietfrei – dafür, dass sie mit den Bewohnern Zeit verbringt. Bald wird die Studi-WG im Haus noch größer.

Anne Bourgmeyer ist gerade von ihrer Vorlesung an der Uni nach Hause gekommen. Und schon spielt sie mit vier über 80-jährigen Damen ein Zahlenplättchenspiel. Denn die Studentin hat ihre Wohnung in einer Seniorenresidenz in Trier. Dort wohnt sie seit Anfang Januar in einem ganz besonderen WG-Projekt: Sie muss keine Miete zahlen – dafür, dass sie mit den Senioren Zeit verbringt.

„Ich finde das einfach toll“, sagt die 21-jährige Luxemburgerin. „Von alten Menschen lernt man so viel. Ich habe schon so viele interessante Geschichten von ihnen gehört.“

35 Stunden im Monat soll die Erstsemesterin in der „Residenz am Zuckerberg“ mit den Bewohnern reden, spielen, auf den Wochenmarkt gehen – oder was ihr sonst noch einfällt. Dafür wohnt sie umsonst mitten in der Trierer City.

18.01.2019, Rheinland-Pfalz, Trier: Nicole Caspers (l-r, kaufmännische Leiterin), Studentin Anne Bourgmeyer und Andrea Cremer (Geschäftsführerin) stehen in der Bücherei in einer Seniorenresidenz in Trier, welche die Studentin demnächst neu gestalten will. Foto: Harald Tittel/dpa

„Es geht einfach darum, dass wir Leben in dieses Haus bringen“, sagt Geschäftsführerin Andrea Cremer. Und zwar in einem „ganz natürlichen Miteinander“ – neben dem normalen Programm, das es sowieso gebe.

„Gerade junge Leute gehen in ihrer Unbefangenheit ganz anders auf die Menschen zu. Das finde ich total genial“, fügt die kaufmännische Leiterin Nicole Caspers hinzu, die das Konzept entwickelt hat.

Klar sei das Studi-Programm auch „gegen die Einsamkeit“ gedacht. „Viele Bewohner, die hier einziehen, werden entwurzelt. Sie müssen hier neu Fuß fassen“, sagt Caspers. Sie könnten sich in der Residenz zwar persönlich einrichten, seien aber oft alleine. Wenn man jung sei, könne man mit Einsamkeit anders umgehen. „Wenn man älter ist, fehlt der Schritt, noch einmal nach draußen zu gehen, auf andere zuzugehen und an einem gemeinsamen Leben teilzunehmen.“

Bald kommt noch mehr studentisches Leben in das Heim, das insgesamt 167 Bewohner zählt. Denn ab Anfang Februar sollen noch drei weitere Studierende einziehen. Insgesamt zwei große Wohnungen (je 76 Quadratmeter) mit je zwei Zimmern für je zwei Studenten seien vorgesehen, sagt Cremer. Außerdem hätten sich im Zuge des WG-Projekts etliche Studenten gemeldet, die sich ehrenamtlich einbringen wollten, ohne im Haus zu wohnen. „Finde ich super“, meint Cremer.

Die Idee kommt aus den Niederlanden

Die Idee für die „Residenz-WG“ hat Caspers aus den Niederlanden: Da gebe es ein ähnliches Projekt, mit dem gleichen Ziel: Dem „Grijze Druk“ (dem grauen Druck) entgegenzuwirken und eine immer älter werdende Gesellschaft bunter zu gestalten. Nach einer Recherche von Cremer stellt die Trierer WG in ihrer Form für Deutschland ein Novum dar.

Hans Jürgen Heppner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, ist vom Ansatz des Projektes begeistert. „Der Kontakt mit jungen Leuten ist für ältere Menschen extrem wichtig.“ Junge, agile Menschen könnten Senioren „losreißen“. „Dann werden sie geistig rege: Man bleibt einfach in Action“, sagt der Chefarzt der Geriatrischen Klinik und Tagesklinik in Schwelm (Nordrhein-Westfalen). Und: Es sei ein idealer Weg aus der Einsamkeit.

18.01.2019, Rheinland-Pfalz, Trier: Anne Bourgmeyer (21) wohnt in einer Seniorenresidenz in Trier mietfrei – dafür, dass sie mit den Bewohnern Zeit verbringt. Foto: Harald Tittel/dpa

Bourgmeyer hat schon Ideen, was sie mit den Senioren organisieren will: Zum Beispiel eine Senioren-Disco mit gesunden Cocktails, die man selbst mischen kann. Oder gemeinsame Kochabende, wie in einer normalen Studenten-WG eben auch. „Wenn mehrere Studenten da sind, dann können wir das auch gemeinsam aufziehen.“ Caspers meint: „Ich fände es toll, wenn man eine Facebook-Gruppe gründen würde.“

Für den Präsidenten der Universität Trier, Michael Jäckel, ist das Projekt wegweisend. „Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass man, wenn man über Neuerungen nachdenkt, nicht nur an Technik und IT denkt, sondern dass die Welt des Sozialen auch nach neuen Ideen ruft und da würde ich sagen: Das ist eine gute Idee“, sagt er. Das Modell könnte vielleicht auch auf andere Einrichtungen ausgeweitet werden.

Eine verwandte Variante gibt es schon länger: Ein günstiges oder kostenloses Zimmer in einem privaten Haushalt eines Senioren gegen Hilfe im Alltag. An der Vermittlung beim Projekt „Wohnen für Hilfe“ sind deutschlandweit rund 20 Studentenwerken beteiligt.

Irmgard Burghardt (87), gebürtig aus Dortmund, spielt gerne mit der Studentin. „Sie ist sehr sympathisch. Wir kommen prima zurecht.“ Ihre eigenen Enkelkinder kämen sie nicht besuchen. Sie wohnten einfach zu weit weg. Und Hilde Reuter (89) sieht sich schon ein bisschen als Bourgmeyers Adoptiv-Oma. „Wir haben ihr das Spiel Rummikub beigebracht.“

Ob sich die 21-Jährige aus dem südwestluxemburgischen Beles (Belvaux) schon ein bisschen zu Hause fühlt? „Ja definitiv. Absolut“, sagt die Studentin der Erziehungswissenschaften. Mindestens ein Semester sollten die Studenten in der Residenz wohnen. Sie wisse aber heute schon: „Ich will hier bleiben, bis ich meinen Bachelor habe.“ (dpa)

20 Antworten auf “Gratis-Wohnung gegen Zeit: Studentin aus Luxemburg zieht in deutsches Seniorenheim – „Residenz-WG“”

  1. Wo sind denn die Kinder und Enkel dieser Senioren? Auf der Arbeit? Selbst so sehr beschäftigt das sie sich nicht um Ihre eigenen Eltern kümmern können? Es wird noch schlimmer wenn die Generation „Ganztagsschule/Kita“ erwachsen ist. Denen wird so was wohl ganz am …… vorbei gehen.

    • Der Artikel bezieht sich ja auf „drüben“ und DIE wird’s dann wundern. Bei denen gibt’s Firmen Kitas, da kannst du dein Kind morgens um sieben abgeben und abends um sechs abholen. Wahrscheinlich siezen die Kinder dann die Eltern. Was ich damit sagen will, wenn man Kinder dem Familienleben entwöhnt und alles der Ausbildung unterwirft, die liebe zur Heimat entzieht, dann darf man sich nicht wundern wenn du im Alter irgendwo alleine im Heim sitzt. Aber da sollte sich jeder selbst hinterfragen.

  2. Da ist nichts „umsonst“. Die junge Frau muss 35 h / Monat mit fremden Menschen verbringen, ob sie dazu Lust hat oder nicht oder diese Leute mag oder auch nicht. Sie verkauft Zeit gegen Geld. 35 h x Mindestlohn 10 €/h = 350 €/Monat die in Form einer verpflichtenden Dienstleistung zu zahlen sind. Wie gesagt, daran ist nichts „umsonst“….

  3. Mit Verlaub...

    … aber in der Wg werden nicht nur griesgrämige Daxe sein, sondern auch positive und aufgeschlossene Senioren und so kann aus dem Projekt eine Winwin-Sache für beide Seiten werden….

  4. Ahnungslos

    Super Idee von der Studentin . Es hat mal eine Zeit gegeben wo drei Generationen unter einem Dach gewohnt haben . Damals brauchte man als Eltern nicht den Kopf zu zerbrechen wo man seine Kinder unterbrachte während man arbeiten ging .Es war ja immer jemand zu Hause . Weder die Alten noch die Jungen brauchten Angst vor Einsamkeit haben und alle waren irgendwie Gewinner .

    • Ich bin in einem 3 Generationenhaushalt aufgewachsen, so wie viele meiner Altersgenossen auch. Das wird heute romantisiert von jungen Menschen die das nicht erleben mussten. Aber was soll’s, die werden schon merken dass die Realität oft das Gegenteil von der Vorstellung davon ist….

      • Dazu drei Anmerkungen meinerseits:
        1. Absolut korrekt 3-Generationenhaushalte können, müssen aber nicht funktionieren.
        – Es besteht Konfliktpotential bzw. hoher Kompromisanspruch.
        – Lebt man Im Haus der Grosseltern? Welcher Seite?
        – Wer übernimmt die Haushaltsführung?
        – Wer erteilt der Jugend welche Genehmigung, welches Verbot?
        2. Welches sind die Motive des 3-Generationenhaushalts (nicht wertend)?
        – Billiger Wohnraum?
        – Einfacherer Start?
        – Bauernhof?
        – Betreuung der Jugend?
        – Betreuung der Alten?
        3. Eine Primarschullehrerin erklärte mir, dass es kaum drei-vier Monate benötigt um treffsicher festzustellen, ob ein Kind von den Eltern oder von den Grosseltern oder vom Fernseher großgezogen wurde.

  5. Mit Verlaub...

    …. @Dax.. aber ich habe das Gefühl, dass Sie ein unglücklicher alter Mann sind… Versuchen Sie mal locker zu werden und das Positive zu sehen. Ich bin auch in ein Großfamilie aufgewachsen mit vielen Kindern, Eltern und Großeltern und ich habe das wird in bester Erinnerung. Aber die Erfahrung scheint nicht überall die gleiche sein…

    • Ich weiß, früher war alles besser….
      In der Verhaltensforschung nennt man das Erinnerungsoptimismus. Das ist eine positiv verzerrte Wahrnehmung der Vergangenheit. Am besten erkennt man das daran dass (fast) alle von früher schwärmen aber heute auf keinen Fall so leben wollen….

      • Erinnerungsoptimismus in einer aggressiven Form ist bei vielen Posts zum Thema „Kinderstreiks“ zu beobachten. Neben der Verklärung des „Früher“ noch die „Verachtung“ des heute.

        • Neben der Verklärung des „Früher“ noch die „Verachtung“ des heute.

          @ Der.

          Ihre Analyse greift zu kurz, Es ist nicht das „Heute“ das verachtet wird sondern einige verachten die Menschen die sich Sorgen um das „Morgen“ machen.

          • @EdiG
            Klar, verstanden. Doch das „heute“ ist der letzte Tag des „gestern“ und als Verlängerung letzterens noch so gerade erträglich.
            Bei der Sorge um das „morgen“ projizieren alle/viele ihre Bewertung des „heute“ in die Zukunft.

            Nicht nur in diesem Forum sorgen sich die Vertreter / Anhänder aller Strömungen um das „morgen“ und rechtfertigen ihre Meinung damit, das Richtige bzw. das Gute zu wollen.
            Zwischenschlussfolgerung: die Gruppe der Gutmenschen ist in diesem Sinne weit personalstärker als die, die gerne damit beschimpft werden.

            Mit jedem verrinnenden Tag wird das „morgen“ eines Jeden etwas kürzer. Somit sollte doch die Sorge um „morgen“ umso mehr eine Sorge für das Wohlergehen der nächsten Generation sein.
            Zwischenfeststellung: zahlreiche Forumsteilnehmer positionieren sich der nächsten Generation gegenüber verächtlich, beschimpfend und vorwurfsvoll.
            Zwischenfrage: ist die Sorge um „morgen“ in diesen Fällen nicht nur ein rechtfertigender (heuchlerischer) Vorwand seine eigene Bedeutung ins beste Licht zu stellen und ggf. von der unendlichen Projizierung der eigenen miserablen Existenz zu träumen (frei nach Frank Zappa).

            Zurück zur eigentlichen Sorge um das „morgen“. Unabhängig von der jeweils angedachten Ausgestaltung des „morgen“ eint also alle die Sorge darum. Dies wäre somit der erste Konsenzpunkt der Debattierenden.
            Ob nun aus niederen (Verlängerung meiner miserablen Existenz) oder höheren (meine Nachkommen und die meines direkten Umfeldes) oder erhabenen (Rettung der Menschheit) Motiven finde ich mich in der Vereinigung der „Besorgten“ wieder.
            Erschreckende Feststellung: da bin ich in einem Club gelandet, in dem ich gar nicht sein wollte, denn
            – die erhabenen Motive entsprechen nicht meinen Fähigkeiten und Ambitionen, der Respekt der Menschheit schon, jedoch nicht aller ihrer Einzelexemplare
            – die höheren Motive entsprechen meinen Ambitionen aber auch hier ergeben sich Grenzen aufgrund meiner Fähigkeiten, wobei ich aber der Überzeugung bin, dass die nachfolgenden Generationen über Fähigkeiten verfügen und als direkt Betroffene bestimmt auch ein Wörtchen mitzureden haben
            – von niederen Motiven kann auch ich mich nicht freisprechen.
            Meine Schlussfolgerung:
            – der Club der Besorgten ist nichts für mich, da Besorgtsein und Beschimpfen für mich im Widerspruch stehen
            – ein Club der Macher wäre mir lieber, da jedoch hier grössere Auswahl herrscht möchte ich nicht in jedem vertreten sein
            – ohne Club vielleicht am besten, in Respekt für die Menschheit und die nachfolgende Generation (und dieser auch vertrauend), aus der Geschichte lernend und mit dem eigenen Wissen und der eigenen Erfahrung zur Seite stehend.
            Zur Seite stehen bedeutet auch zur Seite treten können und Platz machen.

            Warnhinweise:
            – diese Überlegungen waren in erster Linie an EdiG gerichtet
            – diese Überlegungen erheben keinen Anspruch auf Leichtverdaulichkeit
            – ich bin zuversichtlich, dass EdiG und ein paar andere dem aber locker folgen können
            – denjenigen, die bei der Lektüre solcher Zeilen zu Verdauungsproblemen tendieren, empfehle ich (unverbindlich) statt einer derartigen Replik nachzuschauen, ob nicht noch der Gehweg von Schnee zu befreien bleibt
            – auf alle anderen Antworten inhaltlicher Natur (ob nun übereinstimmend oder kontrovers) freue ich mich.

  6. Mit Verlaub...

    … ja, ich habe gute Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend, obwohl wir mit einer großen Anzahl (!!!) Geschwister nicht im Überfluss lebten, sogar ohne Fernseher. Und heute gehe ich mit dieser Erfahrung positiv und trotzdem kritisch durchs Leben. Denn alles negativ sehen und nur nörgeln, da kann man nur mitmutig werden… Schauen Sie mal in den Spiegel, lächeln sich an und später ihre Mitmenschen, das wird helfen! ?

    • Es geht sich doch gar nicht um die Kindheitserinnerungen sondern darum dass ich erst als Erwachsener die Probleme meiner Eltern im 3 Generationenhaushalt verstehen konnte. Das würde ich mir und meiner Familie niemals ohne Not antun. Distanz ist oft wichtiger als erzwungene Nähe.

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