Politik

Zu zaghaft, zu langsam, zu eigensinnig: Die EU ist für eine Pandemie nicht richtig aufgestellt

11.12.2020, Belgien, Brüssel: Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, Ursula von der Leyen (M), EU-Kommissionspräsidentin, und Bundeskanzlerin Angela Merkel kommen am Ende eines zweitägigen Gipfeltreffens des Europäischen Rates zu einer Pressekonferenz. Foto: Mario Salerno/EU Council/dpa

Impfen, testen, reisen: Zum x-ten Mal sucht die Europäische Union eine gemeinsame Linie im Kampf gegen die Corona-Pandemie.

Beim Videogipfel an diesem Donnerstag müssen die Staats- und Regierungschefs erstmal den Groll über Impfstoffknappheit und verschärfte Grenzkontrollen beiseiteschieben. Dann werden die 27 wieder einmal geloben, künftig an einem Strang zu ziehen.

Ob das diesmal besser klappt als all die Male vorher, ist nicht ausgemacht. Denn das erste Jahr der Pandemie hat gezeigt: Die EU ist nicht optimal gewappnet für diese Jahrhundertkrise – zu schwache Strukturen, zu viel Kompetenzgerangel, zu viel Eigensinn. Oder wie es der Ökonom Guntram Wolff vom Brüsseler Bruegel-Institut sagt: „Die EU hat das Rennen begonnen ohne das Rennauto.“

Leere Ampullen des Impfstoffs von Biontech/Pfizer gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 stehen in einem Impfzentrum nach der Vorberietung der Spritzen auf einem Tisch. Foto: Sven Hoppe/dpa

Die EU-Kommission hat viel Prügel bezogen, weil Corona-Impfstoff fehlte. Aber auch die EU-Staaten waren sich oft nur am Konferenztisch einig – und machten dann doch auf eigene Faust, was sie für richtig hielten.

Jüngstes Beispiel ist der Grenzstreit mit Deutschland. Geschlossene Grenzen und Megastaus mitten Europa – nach dem Chaos zu Beginn der Corona-Krise wollten das eigentlich alle verhindern.

Doch dann kamen die Virusvarianten. Noch Ende Januar einigten sich die EU-Staaten beim Reisen auf gemeinsame Empfehlungen. Doch war da schon klar, dass Deutschland seinen eigenen Weg gehen würde. Mittlerweile gelten für Tschechien, die Slowakei und weite Teile Tirols Einreiseregeln, die über die EU-Empfehlungen deutlich hinausgehen.

Auch Belgien ist der Kommission wegen seines Verbots von nicht-notwendigen Reisen ein Dorn im Auge.

Viele EU-Staaten versuchen es im Alleingang

Auch andere Länder scheren sich aus Sicht der EU-Kommission zu wenig um die gemeinsamen Beschlüsse. Dabei argumentiert die Behörde, dass der Warenverkehr nicht stocken dürfe und Grenzpendler zur Arbeit kommen müssten. Womöglich hat die EU-Koordination noch mehr Flickschusterei verhindert. Aber wenn es hart auf hart kommt, starten viele EU-Staaten eben doch den Alleingang.

14.02.2021, Bayern, Märching: Bundespolizei kontrolliert Einreisende an der bayerisch-tschechischen Grenze bei Märching im Landkreis Tirschenreuth. Foto: Matthias Balk/dpa

Weiteres Beispiel: der gemeinsame Corona-Impfausweis. Das Ziel formulierten die EU-Staaten schon beim Gipfel im Dezember. Bisher gibt es aber nur Eckpunkte für einen Nachweis zu rein medizinischen Zwecken. Ausgespart blieb die Debatte, ob damit zum Beispiel leichteres Reisen möglich werden soll.

Die Südländer haben Angst vor einer weiteren „toten“ Reisesaison, wie ein EU-Diplomat am Mittwoch sagte. Griechenland und Zypern haben kurzerhand Vereinbarungen mit Israel über die künftige Einreise von Geimpften geschlossen. Deutschland, Frankreich und andere stehen hingegen auf der Bremse – weil noch nicht klar ist, ob Geimpfte das Virus weitergeben, und weil sie eine Impflicht durch die Hintertür fürchten. Auch diesmal soll es in der Gipfelerklärung nur heißen, man wolle einen gemeinsamen Ansatz für ein Impfzertifikat.

Empfehlungen der EU-Kommission laufen oft ins Leere

Empfehlungen der EU-Kommission laufen oft ins Leere. So mahnte die Behörden die Mitgliedsstaaten schon am 28. Oktober zum Einsatz von Antigen-Schnelltests. Erst am 18. Februar – rund dreieinhalb Monate und einen Lockdown später – einigten sich die 27 schließlich, welche dieser Schnelltests sie gegenseitig anerkennen wollen.

Am 15. Oktober drängelte die Kommission, die Impfkampagne logistisch vorzubereiten. Doch zum feierlichen Start am 27. Dezember waren dann doch nicht alle soweit. Belgien setzte nur symbolisch einige Spritzen, die Niederlande dackelten erst am 6. Januar hinterher.

01.10.2020, Belgien, Brüssel: Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission, mit Mund-Nasen-Schutz gibt im Hauptsitz der Europäischen Kommission eine Presseerklärung ab. Foto: Johanna Geron/Reuters Pool/dpa

All das stand bald im Schatten des Streits über den Impfstoffmangel. Zuständig war die Kommission, die für alle Staaten bestellt hatte – allerdings im Einvernehmen mit den 27, die auch beim Impfstoffkauf nur schwer auf einen Nenner kamen. Manche hatten Vorbehalte gegen die mRNA-Technologie, anderen waren die neuartigen Impfstoffe zu teuer, die dritten wollten wegen einfacher Handhabe vor allem Astrazeneca. Es lief zäh, im Nachhinein zu langsam und zaghaft.

Die Kommission hätte die Mitgliedstaaten mehr pushen müssen, sagt Bruegel-Experte Wolff. „Bei den Verträgen hätte ich mir mehr Leadership gewünscht.“ Das System sei insgesamt zu träge und zu vorsichtig gewesen – mit dem Effekt, dass die EU beim Impfen weit hinterherhinke, mit schweren Folgen für die Wirtschaft. „Als Volkswirt muss ich sagen, das ist natürlich Kappes“, meint Wolff.

Kommissionsvize Margaritis Schinas hält Kritik für grundlos. „Es wäre sehr unfair und substanzlos zu sagen, die Europäer hätten in der Zusammenarbeit versagt“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. „Ich teile nicht die Sicht einiger Katastrophologen in der deutschen öffentlichen Debatte.“

Dennoch weiß auch er, dass die EU die nächste Krise besser meistern sollte, wenn die Bürger bei der Stange bleiben sollen. Beim Videogipfel soll die Kommission den Auftrag bekommen, bis Juni „Lektionen aus der Covid-19-Pandemie“ zu erarbeiten. Ein Vorschlag liegt schon auf dem Tisch: eine neue EU-Behörde namens Hera und als Vorläufer ein Programm für neue Impfstoffe gegen Virusvarianten.

Das hält auch Bruegel-Experte Wolff für sinnvoll und verweist auf den Impferfolg in den USA, wo ein ehemaliger Viersternegeneral in der zuständigen Behörde Barda Dampf machte. „Das ist eine der Lektionen für Europa: Wenn man Dinge gemeinsam macht, muss man auch exekutive Macht zentralisieren. Man kann nicht alles im Konsensverfahren versuchen“, sagt Wolff. Um im Bild zu bleiben: „Man kann das Rennauto nicht halb fertig lassen, man muss es fertig bauen.“ (dpa)

55 Antworten auf “Zu zaghaft, zu langsam, zu eigensinnig: Die EU ist für eine Pandemie nicht richtig aufgestellt”

    • schlechtmensch

      Ja, das sehe ich auch so. Eine untalentierte Gurkentruppe zusammengestellt aus in ihren Ländern ausgemusterten C-Politikern die ihr Unvermögen bereits mehrfach unter Beweis gestellt haben. Sie können es nicht, sie wollen es nicht. Dieses Konstrukt muss weg.

      • Walter Keutgen

        Die Mitgliedsstaaten halten eben an allen Befugnissen fest, bis dass es fast brennt. Bundesminister Spahn wollte mit einigen ausgesuchten Ländern, worunter die Niederlande, Impfstoff bestellen. Das hat dann Bundeskanzlerin Merkel glücklicherweise gestoppt und das ganze – recht spät – an die EU vergeben, die auf sowas nicht vorbereitet war. Statt des Miniländerverbunds wären dann Alleingänge der 27 politisch besser gewesen. Außerdem wollte die EU unbedingt keine Notzulassung. Ja, was hätte dann Dr. Joseph Meyer gesagt? Aber mal richtige Überstunden kloppen hätte die Zulassungsbehörde schon können.

        • schlechtmensch

          Frau Merkel hat dann aber auch zu verantworten dass es in die Hose gegangen ist. Wiedermal. Diese Frau ist seit 2005 Kanzlerin und bekommt nichts gebacken. Nicht dass unsere besser wären… Aber wenn ein Konstrukt wie die EU seit Jahrzehnten besteht und nicht funktioniert muss es weg und mit etwas neuem ersetzt werden. Ich bin ja grundsätzlich für ein einiges Europa aber man sieht ja das es so nicht weitergehen kann.

          • Walter Keutgen

            schlechtmensch, Frau Merkel hat vielleicht zu verantworten, das es für Deutschland in die Hose gegangen ist oder war Belgien bei den auserwählten Ländern. Ich möchte mal hören, was Sie dazu sagen würden, wenn Belgien dadurch an schlechter Stelle stünde.

            Seit 2005 nichts gebacken? Ich denke mal in den meisten Ländern beneidet man Deutschland wegen Kanzlerin Merkel.

            • @Walter Keutgen: Als 1/2 D, oder sagen wir als zum Teil (das ist schwierig) die Annen eben, kann ich sagen so ist es nicht, ALLE die ich kenne sind gegen Merkel und gegen diese DDR Politik!!! Dies aber GANZ geschlossen!! Beneiden braucht man D nicht, eher bemitleiden, und die geknechtete Bevölkerung erst recht!
              Aber wo kämen wir hin, auch unsere Bevölkerung ist bemitleidenswert…..was haben wir zu bieten?
              Jeder Politiker füllt sich selbst die Taschen voll, ist eben über die Grenze nicht anders….

              • Frankenbernd

                bei allem was recht ist: da die Deutschen diese Frau mehrmals wiedergewaehlt haben kann das mit dem ‚Geknechtetsein‘ nicht so weit her sein.
                Wuerde eher sagen wir Belgier sind geknechtet durch unsere Staatstruktur, die nichts auf die Beine bringt.

    • Die EU ist nicht reformierbar. Sie ist eben kein Staat. Sie ist undemokratisch und bürgerfern. Großbritannien hat es vorgemacht: Austritt. Alle anderen Länder sollten dem britischen Beispiel folgen. Regierungen müssen demokratisch legitimiert und kontrolliert werden. Weder das eine noch das andere findet in der EU statt. Also: Grenzen dicht und jedes Land für sich. Ein gesunder Wettbewerb hat noch keinem geschadet.

    • schlechtmensch

      Ja das dumme Volk wählt immer wieder die Selben. Am Ende haben sie es nicht anders verdient. In D wie in Belgien. Ich habe keine Hoffnung mehr auf Besserung. Man kann nur noch auf sich selber gucken und zusehen dass man durch diesen Wahnsinn irgendwie durch kommt.

  1. Alle Besserwisser hier haben scheinbar nie das Europa mit Grenzkontrollen, Währungsschwankungen, 5 oder 6 verschiedene Devisen zuhause ‚rumliegen, usw.
    Das war soo schön, wenn man in Aachen einen Pullover billig ergattert hatte, ihn dann aber verzollen musste, jedes Elektronikteil seinen eigenen Importpass hatte, man aus dem Urlaub kam und die dort gekaufte Kamera am Flughafen versteuert wurde, man solche Sachen nur in’s Nachbarland mitnehmen konnte, wenn man das Importdokument für Belgien hatte.
    Noch spannender war der Kauf eines Gebrauchtwagen im Ausland, Wagen, den man dann in Belgien nicht zulassen konnte.
    Am schönsten war natürlich, dass man sich regelmässig mit kleinen oder auch grösseren Kriegen platt machen konnte… Da wurde unser Geld in tolle und deftige Waffen investiert und nicht an nutzlose Politiker verteilt !

    • @5/11
      Kriege habe ich effektiv nicht mitgemacht, aber die Grenzen schon. Es war spannend, wenn mein Vater in Aachen einkaufte. Wenns ein Pullover war, wurde der angezogen, überhaupt war Kleidung einfach rüberzubringen.
      Wenns was anderes war, wurde auf Schleichpfaden hin-und zurückgefahren…so wie heute auch.
      Grenzkontrollen können von mir aus morgen wieder eingeführt werden wenn sie der Sicherheit dienen.

      • Walter Keutgen

        Pierre, wissen Sie eigentlich, was ein Carnet de Passage en Douane ist? Das ist ein internationales Dokument in dem jeder Grenzübertritt mit einem Gerät von einem Zöllner eingetragen werden musste. So hatte ich mal so eins, um mit einem tragbaren Computer nach England zu fahren. In den Anweisungen darauf stand, dass man es beim letzten Übertritt dem Zoll zurückgeben musste. Der Zöllner im Flughafen war ziemlich verdutzt, nahm es aber an. Am Ende des Jahres war ein Zöllner im Betrieb, der nach dem Carnet fragte. Ein Kollege von mir musste Wartungsarbeiten in Belgien und Luxemburg ausführen und hatte dafür seinen Wagen voll elektronischer Geräte. Eines Tages war er so spät fertig, dass sein üblicher Grenzübergang nicht mehr bewacht war. Er wollte aber nicht den Umweg über einen noch bewachten Übergang fahren. Als er dann das nächste Mal nach Belgien einfuhr, bemerkte der Zöllner den fehlenden Stempel und beschlagnahmt alle Geräte. Diese Formalitäten gelten nicht als Überstunden für Angestellte und man ist oft heilfroh überhaupt um 22h30 zuhause zu sein. Die Abschaffung dieser Formalitäten stammt vom 31.12.1992.

        Die Schleichpfade konnten Sie auch für einen Fotoapparat vergessen. Es sei denn, dass sie alle Urlaubsfahrten ins Ausland nur über Schleichpfade machen. Flugzeug ab Brüssel-National war da schon mal ausgeschlossen.

      • Walter Keutgen

        Pierre, und die öffentlichen Verkehrsmittel fahren auch keine Schleichwege. Kindern mehrere Kleidungsstücke übereinander anziehen ist nicht so einfach und die alte Kleidung wegwerfen, das taten arme Mütter nicht.

  2. @ 5/11
    Das macht es jetzt natürlich besser
    Die Briten haben es richtig gemacht. Wird zwar vieles schwerer für die Insel aber wenigstens dürfen die wieder in ihrem Land walten und schalten ohne vorher 600 Abgeordnete in Brüssel um Erlaubnis zu fragen

        • Walter Keutgen

          Petz, die Verordnungen der EU sind nicht so dumm wie Sie glauben. Wie in anderen Ländern werden sie von der Verwaltung also der Kommission vorbereitet. Dann durch die Regierungen der Mitgliedstaaten verabschiedet. Er seit ein paar Jahren ist Einstimmigkeit nicht mehr nötig. Aber eine nötige Mehrheit ist auch nicht ohne. Bevor Großbritannien draus war, konnte es gemeinsam mit Deutschland so alles blockieren, was es wollte. Formal kann das das EU-Parlament auch, aber es ist die zweite Kammer. Und ja, es macht auch eine Detaillesung, die meist Komplikationen hinzufügt.

    • Guido Scholzen

      Die CO2-Steuer und andere Öko-Abgaben werden offiziell eingeführt, um das Klima zu retten. In Wahrheit suchte man schon seit langem nur neue Gründe, die Portmonnees des Volkes zu plündern. Da die Kassen nach Corona noch leerer sind, werden wir noch mehr damit belästigt werden.
      Ergo: die Klimapolitik wird gebraucht, um die leeren Corona-Kassen zu füllen.

  3. Klötschkopp

    Die EU ist für gar nichts richtig aufgestellt.
    Sie dient nur dem Profit Einzelner.
    Hier wird getrickst und geheuchelt um Subventionen raus zu kitzeln.
    Dem Bürger wird durch intransparente Aktionen die Wichtigkeit vorgegaukelt.
    Unterstützt von den gekauften Medien.
    Ergebnis ist das die Realwirtschaft schon lange am Boden liegt und nur durch Geld drucken und
    Subventionen am Leben erhalten wird.
    Unternehmern mit Kreativität und Visionen werden mit einer unüberwindbaren Bürokratie in die Knie gezwungen.
    Ende vom Lied. Sesselfurzer, Mäuschenspieler, Fachidioten und ein großer Teil der keinen Sinn mehr darin sieht etwas zu tun da man es auch ohne Arbeit bekommt.
    Ich bin übrigens nicht frustriert. Das ist meine persönliche Meinung von einer Gesellschaft die immer dekadenter wird und jeder auf den anderen scheißt.
    Wir unsere Umwelt in einem Tempo kaputtmachen und nur wenige begreifen das wir auf einem Planeten leben der nicht mitwächst.
    Viele Menschen Angst vor Corona haben und nicht merken das sie schon lange tot sind.

  4. Krisenmanagement

    Dieses DIlemma der EU ist, dass dort Gestalten geparkt werden, die in der Politwelt total versagt haben. Also praktisch ein Abstellgleis für Versager (siehe Von der Leyen) Diese Politikerkinder in der 2. oder 3. Generation sollten den Einkauf des Impfstoffs organisieren. Diese Gestalten können leider nur reden, aber nicht anpacken. Es ist eine Illusion, dass die EU mit der Pharmaindustrie spielen kann. Im Prinzip kann man sagen, dass wir im Moment das ganze Versagen Merkel und Macron zu verdanken haben. Das kann nicht funktionieren. Ich weiss nicht, ob Weber die richtige Wahl gewesen wäre, aber es kann nicht sein, das dass EU Parlament nicht selbst ihren Präsidenten bestimmen kann. Dringende Reformen sind nötig! Aber ob sie passieren.

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