Topnews

Vergewaltigungsprozess in Avignon: Ex-Ehemann von Gisèle Pelicot zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt

19.12.2024, Frankreich, Avignon: Gisèle Pélicot spricht mit der Presse, während sie den Gerichtssaal im südfranzösischen Avignon verlässt. Foto: Lewis Joly/AP/dpa

Jahrelang wurde Gisèle Pelicot von ihrem Mann betäubt und von ihm sowie von Fremden vergewaltigt. Der Prozess gegen die Männer endet mit Strafen, die einige zu kurz finden.

Zusammengerechnet mehr als 400 Jahre Haft müssen die 51 Angeklagten im Vergewaltigungsprozess von Avignon nach Willen des Gerichts für den massenhaften Missbrauch von Gisèle Pelicot absitzen. Die Höchststrafe von 20 Jahren erteilte der Vorsitzende Richter, Roger Atara, nur für den Hauptangeklagten, Pelicots Ex-Mann.

Fast zehn Jahre lang hatte dieser seine damalige Frau immer wieder mit Medikamenten betäubt, missbraucht und Fremden zur Vergewaltigung angeboten. Insgesamt blieb das Gericht mit seinem Urteil deutlich unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zurück.

02.09.2024, Frankreich, Avignon: Mitangeklagte sprechen mit einer Anwältin (r) im Gerichtsgebäude während des Prozesses gegen einen Mann, der angeklagt ist, seine Frau fast zehn Jahre lang unter Drogen gesetzt und Fremde eingeladen zu haben, sie in ihrem Haus in Mazan, einer kleinen Stadt in Südfrankreich zu vergewaltigen. Foto: Christophe Simon/AFP/dpa

Die 50 Mitangeklagten verurteilte das Gericht zu Haftstrafen zwischen 3 und 15 Jahren, zumeist wegen Vergewaltigung, teils nur wegen sexueller Gewalt oder versuchter Vergewaltigung. Den von vielen erhofften Freispruch erteilte das Gericht keinem.

Die Angeklagten hielten ihre Köpfe beim Urteil gesenkt, einer brach in Tränen aus, wie die wenigen zugelassenen Journalisten aus dem Gerichtssaal berichteten. Vor dem Gebäude skandierten Aktivistinnen „Schande über die Justiz!“ Gisèle Pelicot sagte zum Strafmaß lediglich, dass sie das Urteil respektiere. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, Berufung ist möglich.

– Ex-Mann gesteht, hält sich aber nicht für sehr gewalttätig: Etwa 200 Vergewaltigungen glaubt Gisèle Pelicot durch das erschütternde Treiben ihres früheren Partners erlitten zu haben. Die Ermittler gehen davon aus, dass noch ein Dutzend weitere Männer an den Taten, die Dominique Pelicot auf Hunderten Fotos und Videos festhielt, beteiligt waren. Identifiziert werden konnten sie aber nicht.

Der Ex-Mann hatte vor Gericht gestanden, sich als sexsüchtig und pervers bezeichnet. Er habe sich eine emanzipierte Frau unterwerfen wollen, gab er an. Als besonders gewalttätig sehe er sich aber nicht. Er war es, der die massenhafte Vergewaltigung seiner Frau orchestrierte und zu diesem Zwecke im Internet Bekanntschaften schloss.

– Viele Angeklagte wollen Taten nicht als Vergewaltigung sehen: Der Prozess um die Gräueltaten war geprägt von verächtlichen Aussagen und Uneinsichtigkeit – wenn etwa Angeklagte angaben: „Ich habe gegen meinen Willen vergewaltigt“ oder sich zu der entschuldigend gemeinten Aussage verstiegen: „Ich hatte einen Penis dort, wo das Gehirn hingehört.“

Viele erkannten zwar an, Gisèle Pelicot ohne deren Einwilligung penetriert zu haben. Eine Vergewaltigung wollten etliche darin aber dennoch nicht sehen. So ist es auch kaum verwunderlich, dass mehr als die Hälfte der Angeklagten über ihre Anwälte einen Freispruch gefordert hatte. Gisèle Pelicot nannte das Verfahren den „Prozess der Feigheit“. Er sei für sie ein „schmerzhafter Weg“ gewesen.

19.12.2024, Frankreich, Avignon: Ein Mann hält ein Plakat mit der Aufschrift „Danke für Ihren Mut Gisele Pelicot“ vor dem Gerichtsgebäude in Avignon. Foto: Lewis Joly/AP/dpa

Die Rechtssoziologin Irène Théry weist dazu auf den Begriff der „Opportunitätsvergewaltigung“ hin. Vergewaltigungen fänden häufig dann statt, wenn sich eine Möglichkeit dazu ergebe, sagte sie im Magazin „Le Nouvel Obs“. „Diese Opportunitätsvergewaltigung ist in einer noch immer tief verankerten chauvinistischen Sichtweise begleitet von einem Gefühl der Unschuld (‚Ich habe nicht vergewaltigt‘) und der Straffreiheit (‚Mir wird nichts geschehen‘).“

– Vom Missbrauchsopfer zum Vorbild: Das Verfahren zeigt aber auch den Kampf einer Frau, die nicht für immer Opfer bleiben will. Anwalt Stéphane Babonneau erzählte von Pelicots Scham darüber, eine vergewaltigte Frau, ein „ewiges Opfer“, ein Objekt des Mitleids geworden zu sein. Um anderen missbrauchten Frauen Mut zu machen, entschied die Anfang-Siebzigjährige, den Prozess nicht hinter verschlossenen Türen zu führen. „Ich will, dass sie keine Schande mehr verspüren. Nicht wir sollten uns schämen, sondern sie“, sagte sie vor Gericht.

Wie groß die Aufmerksamkeit für ihr entschiedenes Auftreten sein würde, sah Pelicot, die längst als feministische Ikone gefeiert wird, nicht kommen. Sie sei mittlerweile auf der ganzen Welt bekannt. Beim Namen Pelicot denke man vor allem an sie, sagte die Seniorin vor Gericht. Sie wolle, dass ihre Kinder den Namen ohne Schande tragen könnten. Nach dem Urteil betonte sie, nicht zu bereuen, den Prozess offen geführt zu haben.

– Prozess könnte Strafrecht ändern: Noch vor dem Urteilsspruch hielten die Anwälte von Madame Pelicot in ihrem zutiefst politischen Plädoyer fest, dass Prozess und Urteil Teil des Testaments seien, das man an die kommenden Generationen übergebe. Und tatsächlich ist das Verfahren bereits jetzt historisch und könnte Frankreich mit Nachhall erschüttert haben. Wegen der politischen Krise im Land herrscht zwar aktuell weitestgehend Stillstand im Parlament, doch Änderungen im Strafrecht sind angeregt, um festzuschreiben, dass in sexuelle Handlungen explizit eingewilligt werden muss – auch wegen des Verfahrens in Avignon.

19.12.2024, Frankreich, Avignon: Gisèle Pelicot spricht zu den Journalisten, als sie den Gerichtssaal im südfranzösischen Avignon verlässt. Foto: Lewis Joly/AP/dpa

– Masche des Ehemanns bleibt vorerst ungelöstes Problem: Einzelne Politiker wohnten dem Prozess auch selbst bei. Doch noch ist unklar, wie Frankreich künftig gegen das Problem der sogenannten „chemischen Unterwerfung“, also der böswilligen Betäubung mit Medikamenten oder Drogen, vorgehen will. Dominique Pelicot besorgte sich nicht etwa über das Darknet Drogen, um seine Frau zu betäuben. Alle paar Monate kaufte er die Schlafmittel auf Rezept.

Nebenklageanwalt Antoine Camus mahnte, seit Jahren sei das Problem bekannt, vor allem durch K.-o.-Tropfen in der Clubszene. Doch 99 Prozent der Opfer fehlten schlicht die Beweise. Seine Mandantin Pelicot sei die Ausnahme. „Ohne diese Videos ist es wahrscheinlich, dass diese Misshandlung Gisèles angedauert hätte, bis dies sie umgebracht hätte.“

„Ich habe heute Vertrauen in unsere Fähigkeit, gemeinsam eine Zukunft in die Hand zu nehmen, in der jeder, Frau und Mann, in Harmonie, mit Respekt und in gegenseitigem Verständnis leben kann“, sagte Gisèle sichtbar ergriffen nach den Schuldsprüchen. Das Verfahren um den massenhaften Missbrauch von Gisèle Pelicot findet mit dem Urteil nun ein Ende. Doch die gesellschaftliche Aufarbeitung des Falls hat gerade erst begonnen. (dpa)

8 Antworten auf “Vergewaltigungsprozess in Avignon: Ex-Ehemann von Gisèle Pelicot zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt”

  1. Besorgte Mutter

    Auch an der Anzahl an Kommentaren hier, stellt man fest, dass so ein Fall einfach nur sprachlos macht.
    Hierbei kann man gut erkennen was es in Menschheit für Abgründe gibt. Zum Glück lebe ich in einem äußerst gesunden Umfeld.

    • Es genügt ein krankes Hirn, um die Perversität anderer zu wecken…
      Leider gilt das nicht nur für Sexualdelikte.

      Nur gut, dass G. Pélicot eine öffentliche Verhandlung forderte. Das Leben der meist jungen Täter ist damit ruiniert – eine bessere Strafe als einige Zeit auf Staatskosten zu leben…

    • ne Hondsjong

      Sie scheinen aber einen riesen Geltungsdrang zu haben, kein Kommentar ohne einen vergleich zu Ihrer vermeintlich perfekten Welt ! Oder doch vielleicht nur ein Minderwertigkeitskomplex ?

  2. Hier geht es mal ausnahmsweise nicht um Ihr Umfeld! Das das Umfeld von Madame Pelicot sicher ist, hat sie vermutlich auch irgendwann mal angenommen, bis dieser Alptraum begann!
    Ich bewundere diese Frau, mit welcher Stärke sie aus diesem Berg an Müll, den ihr diese Schweine angetan haben, hervor geht! Ich hoffe und wünsche ihr von Herzen, dass sie irgendwann mal wieder glücklich sein wird, und vertrauen kann!

      • Vielleicht interessiert es Sie, dass das Ganze durch eine Anzeige im September 2020 in’s Rollen kam.
        Der Ex-Ehemann wurde von einem Wachmann dabei erwischt, in einem Kaufhaus unter den Röcken der Kundinnen zu filmen. Nach Strafanzeige kam es zu einer Hausdurchsuchung und die Ermittler entdeckten die zahlreichen Videos der Vergewaltigungen.
        Anhand der Aufzeichnungen konnten 51 Täter identifiziert werden, 20 blieben unerkannt.

        Zu Ihrer Frage:
        20 „Gelegenheiten“ über’s Jahr scheinen mir durchaus möglich. Im Übrigen konnte sich das Gericht anhand der Aufnahmen davon vergewissern, ob das Opfer bei Bewusstsein war oder nicht…

      • @ 46 und Richtig
        Bei K.O. Tropfen bekommt man schon etwas mit, wenn die Wirkung nach lässt oder zu niedrig dosiert wird. Nur wehren kann man sich dann trotzdem noch nicht, und deutlich sprechen auch nicht!
        Probieren Sie doch mal, und schauen wie Sie das finden, bevor Sie hier indirekt irgendwelche Dinge in Zweifel ziehen

Antworten

Impressum Datenschutzerklärung
Desktop Version anfordern