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Kriegsverbrechern auf der Spur – Experten sammeln Beweise gegen Putin – Folter, Mord und Vergewaltigung

11.04.2022, Ukraine, Butscha: Ein Ermittler trägt eine Weste mit der Aufschrift „War Crimes Prosecutor“ (Ankläger für Kriegsverbrechen“) und beginnt damit, neben Leichen aus einem Massengrab hinter der Kirche St. Andreas Beweise für Kriegsverbrechen zu sammeln. Foto: Carol Guzy/ZUMA Press Wire/dpa

Nicht weniger als 70.000 Verbrechen wirft die Ukraine Russland vor. Ein Jahr nach Kriegsbeginn laufen Ermittlungen wegen Folter, Mord und Vergewaltigung. Doch die Arbeit ist kompliziert. Das weiß auch der deutsche Oberstaatsanwalt Klaus Hoffmann in Kiew.

Selbst unter dem Eindruck schwerster Gewalttaten hält sich der deutsche Oberstaatsanwalt Klaus Hoffmann mit voreiligen Schlüssen zu russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine zurück.

„Unser Ansatz ist immer: weit und offen zu ermitteln, was passiert ist. Auch genau zu dokumentieren, wie welche Zivilisten in irgendwelchen Orten gefangen genommen, vergewaltigt, getötet worden sind“, sagt der 49-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in Kiew.

Seit dem Sommer berät der Jurist aus Freiburg die Ukrainer bei den Ermittlungen zu Kriegsverbrechen. Deren Zahl gibt die Regierung in Kiew nach fast einem Jahr Krieg mit 70.000 an. Die Bilder der Leichen im Hauptstadt-Vorort Butscha, deren Hände auf dem Rücken gefesselt waren, und anderer Bluttaten gingen um die Welt.

16.04.2022, Ukraine, Kiew: Die 70-jährige Nadiya Trubchaninova weint am Sarg ihres 48-jährigen Sohnes Vadym, der am 30.03.2022 in Butscha durch einen Schuss der russischen Armee getötet wurde, während seiner Beerdigung. Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa

Inzwischen hat die Ukraine auch eine Internetseite eingerichtet, die Zeugnis gibt von den Zerstörungen, vom Leid der Zivilbevölkerung. Auch Opfer kommen zu Wort. Zeugen können sich melden.

Der Jurist Hoffmann, der immer wieder aus Baden in die Ukraine reist, sieht im Fall Butscha „viele Beweismittel“ – auch, weil die Russen den Ort im Frühjahr Hals über Kopf verließen. Oft sei es aber nicht einfach, Kriegsverbrechen nachzuweisen – also Verbrechen, bei denen es nicht um militärische Ziele ging, sondern um zivile Opfer. Mehr als 7.000 tote Zivilisten haben die Vereinten Nationen in dem Krieg bisher registriert. Die tatsächliche Zahl liegt wohl höher.

Hoffmann, Mitglied einer internationalen Expertengruppe, half dabei, einheitliche Fragenkataloge für die Vernehmung von Kriegsgefangenen zu erstellen. So wollen Ermittler nicht nur erfahren, „warum und wie jemand möglicherweise einen Zivilisten erschossen hat, sondern auch die Hintergründe erfragen, Wissen abfragen über die Kommandostrukturen, wann, mit wem sie in die Ukraine gekommen sind“.

Vor allem geht es darum, Befehlsketten zu ergründen, um die Verantwortlichen zu finden und Schuld zu klären – bis hin zu Kremlchef Wladimir Putin. Hoffmann: „Am Ende ist es die Frage: Wie können für bestimmte Verbrechen Putin oder sein Verteidigungsminister, der Generalstabschef, der oberste General oder zumindest eine Ebene darunter vor Gericht gestellt werden?“

16.09.2022, Ukraine, Ijsum: Säcke mit Leichen sind während der Exhumierung im kürzlich zurückeroberten Gebiet zu sehen. Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Einfach ist das nicht. Das zeigt auch die ARD-Dokumentation „Anklage gegen Putin? – die Spur der Kriegsverbrechen in der Ukraine“. Dort zeichnet der Autor Christian Hans Schulz nach, wie Experten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) mit Computersimulationen, Satellitenaufnahmen und Zeugenaussagen Raketenangriffe aufklären.

Nach dem Abzug russischer Truppen aus der von April bis September besetzten Stadt Isjum im Osten der Ukraine wurde bekannt, dass Dutzende Zivilisten in einem von einer russischen Rakete getroffenen Hochhaus getötet wurden. In der Stadt wurden auch Folterkeller entdeckt. Hunderte Leichen wurden in Gräbern verscharrt, teils mit Spuren schwerer Misshandlungen.

HRW veröffentlicht immer wieder Berichte zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kriegszeiten. So verurteilte die Organisation den Einsatz verbotener Landminen, sowohl durch Russland als auch die Ukraine. Zwar ist Russland – anders als die Ukraine – dem Übereinkommen über das Verbot von Antipersonenminen nicht beigetreten. Trotzdem verstößt deren Einsatz HRW zufolge gegen das Völkerrecht.

15.02.2023, Ukraine, Kiev: Der 49-Jährige Klaus Hoffmann, Oberstaatsanwalt aus Freiburg, steht auf dem Majdan Nesaleschnosti (Platz der Unabhängigkeit). Hoffmann berät die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft in Kiew bei der Ermittlung von Kriegsverbrechen. Foto: Andreas Stein/dpa

In dem Film erinnern die HRW-Experten Richard Weir und Sam Dubberley auch an den verheerenden Einsatz von Streumunition auf dem Bahnhof Kramatorsk im Gebiet Donezk im April. Dort wollten Hunderte Menschen mit dem Zug fliehen, als eine Rakete einschlug und Dutzende kleine Geschosse freisetzte. „Deswegen sind 61 Menschen gestorben“, sagt Dubberley.

Oberstaatsanwalt Hoffmann macht deutlich, dass es jetzt vor allem darum geht, Beweise zu sammeln und Zeugenaussagen auf Video festzuhalten. Auch mögliche ukrainische Verbrechen müssten ermittelt werden. „Der Fokus liegt heute darauf, alles sicher zu dokumentieren, so dass man es auch in 20, 30 oder 40 Jahren vor Gericht verwendet werden kann.“ Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass nicht alles aufgeklärt werden könne und vor Gericht kommen werde. „Man muss natürlich sehen, dass einzelne Soldaten, die als Täter identifiziert wurden, möglicherweise längst tot sind.“

Und Russland? Der Machtapparat in Moskau bleibt seiner Linie treu, Vorwürfe zurückzuweisen oder der Ukraine die Verbrechen zuzuschreiben. So beklagt Moskau die Hinrichtung russischer Kriegsgefangener oder die Stationierung ukrainischer Panzer und anderer militärischer Ziele in Wohnvierteln und Schulen. Vor allem versucht Russland den Einmarsch immer wieder damit zu rechtfertigen, dass im Osten der Ukraine bereits seit 2014 Blut fließt, dass Kiew bereits damals Truppen schickte, um prorussischen Separatisten in der Region Donbass zu bezwingen.

Schon seit acht Jahren wirft Moskau Kiew vor, die russischsprachige Bevölkerung im Donbass mit Waffengewalt an Selbstbestimmung hindern zu wollen. Das russische Außenministerium zeigt auf seiner Internetseite eine Sammlung nicht überprüfbarer Bilder von Zerstörungen und Blut, die ukrainische Verbrechen belegen sollen.

29.09.2022, Russland, Moskau: Wladimir Putin, Präsident von Russland, während einer Videokonferenzsitzung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates im Kreml. Foto: Gavriil Grigorov/Kremlin Pool via Zuma Press Wire/dpa

Aus Moskauer Sicht war das Vorgehen Kiews gegen das Russische und andere Sprachen nationaler Minderheiten der Funke, der den Konflikt ausbrechen ließ. Minderheiten beklagen, dass im Zuge des Sturzes des moskaufreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch 2014 an die Macht gekommenen Kräfte ihre Rechte beschneiden.

Doch eine Rechtfertigung für diesen Krieg gibt es nicht. Aus Sicht von Experten ist die Zahl russischer Kriegsverbrechen so hoch, dass es nun vor allem darum geht, einzelne konkrete Taten möglichst lückenlos aufzuklären. Der Völkerrechts-Professor Claus Kreß von der Universität Köln sagt in dem ARD-Film, dass für eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein sehr klarer Fall gefunden werden müsse. Das sei schwierig.

Russland erkennt die Zuständigkeit des Gerichts nicht an. Zudem gilt die Immunität Putins und anderer russischer Funktionäre als Hindernis. Auch deshalb wird international immer intensiver ein Sondertribunal diskutiert, weil das Verbrechen des Angriffskriegs oder der Aggression als leichter zu belegen gilt.

„Man kann sagen, der russische Angriffskrieg ist die Ursünde, aus dem dann die ganze Flut weiterer Straftaten hervorgegangen ist“, resümiert Kreß. „Beim Verbrechen der Aggression geht es darum, diejenigen Staatsführer zur Rechenschaft zu ziehen, die in offenkundiger Verletzung des Völkerrechts die Entscheidung zum Krieg treffen“, so der Völkerrechtler. „Es nimmt der Grausamkeit jedes einzelnen Kriegsverbrechens nichts, wenn man feststellt: Ohne die Entscheidung zum Angriffskrieg wären die Tore zu all den vielen Grausamkeiten im Krieg gar nicht erst geöffnet worden.“ (dpa)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

29 Antworten auf “Kriegsverbrechern auf der Spur – Experten sammeln Beweise gegen Putin – Folter, Mord und Vergewaltigung”

  1. Joseph Meyer

    Es ist richtig, ja notwendig, das Kriegsverbrechen aufgeklärt werden, und es ist gut, dass im Beitrag hier nicht nur die russischen, sondern auch die ukrainischen Militärangehörige als mögliche Täter angesprochen werde -„Auch mögliche ukrainische Verbrechen müssten ermittelt werden.“! Deshalb kann ich wenig anfangen mit einem Satz wie diesem hier:
    “ Vor allem geht es darum, Befehlsketten zu ergründen, um die Verantwortlichen zu finden und Schuld zu klären – bis hin zu Kremlchef Wladimir Putin. Hoffmann: „Am Ende ist es die Frage: Wie können für bestimmte Verbrechen Putin oder sein Verteidigungsminister, der Generalstabschef, der oberste General oder zumindest eine Ebene darunter vor Gericht gestellt werden?“
    Es hätte also lauten müssen:
    „Vor allem geht es darum, Befehlsketten zu ergründen, um die Verantwortlichen zu finden und Schuld zu klären – bis hin zu Kremlchef Wladimir Putin oder Wolodymyr Selenskyj. Hoffmann: „Am Ende ist es die Frage: Wie können für bestimmte Verbrechen Putin oder Selenskyj, die Verteidigungsminister beider Seiten, die Generalstabschefs, die obersten Generäle oder zumindest eine Ebene darunter vor Gericht gestellt werden?“

    Und wenn dann Kriegsverbrechen nur auf russischer Seite untersucht werden sollen, ohne auch die USA zu nennen, die in Afghanistan, im Irak, in Libyen, Syrien, und in vielen andern Ländern mit den ständig laufenden Drohnenmorden massive Kriegsverbrechen begangen haben und ständig begehen, dann ist es in meinen Augen ein Hohn wenn der Völkerrechts-Professor Claus Kreß von Völkerecht schreibt!

    Dann ist es gut, „vor lauter Bäumen nicht den Wald zu übersehen“, das jedenfalls tun diese beiden jungen Männer nicht, die hier zu hören sind:
    7. FEBRUAR 2023 
    Skandal: grausame Wahrheit enthüllt (heftig!)
    https://stine113blog.wordpress.com/2023/02/07/skandal-grausame-wahrheit-enthuellt-heftig/

      • Joseph Meyer

        @Boomerschreck
        Kein Kriegsverbrechen wird jemals irrelevant oder gedulde! Aber wenn für die gleiche abscheuliche Tat nur der Eine als Kriegsverbrecher bezeichnet wird, der Andere aber nicht, dann existiert kein Völkerrecht mehr. Das ist es, was unsere Main-Stream-Median-Vertreter offensichtlich nicht begreifen wollen und scheinbar auch nicht manche, neoliberal-global ausgerichtete Uni-Professoren.

        • Robin Wood

          @Jospeh Meyer
          „Aber wenn für die gleiche abscheuliche Tat nur der Eine als Kriegsverbrecher bezeichnet wird, der Andere aber nicht, dann existiert kein Völkerrecht mehr. “

          Absolut richtig.

          Und da gibt es doch jemanden, der Kriegsverbrechen eines anderen Landes als Russland veröffentlicht hat und dieser wird gefangen gehalten und er wird von eben diesen Kriegsverbrechern der Spionage bezichtigt und soll lebenslag in verschärfte Einzelhaft kommen, sofern er nicht die Todesstrafe erhält. Laut N. Melzer, UNO-Berichterstatter gegen Folter, ein Unding, aber es gibt Länder, die sich eben nicht an UN-Regeln halten…

  2. Baudimont

    Hier ist ein schönes Beispiel für die Absicht, die Öffentlichkeit zu manipulieren:
    Ein Foto von Klaus Hoffmann, voller Sonnenschein, lächelnder Mann, blauer Himmel… und ein Foto von Wladimir Putin, grau, verschwommen, schlechte Qualität, besorgtes Gesicht, werden einander gegenübergestellt.

    • Boomerschreck

      oder man denkt sich einfach überall seien Verschwörungen und Manipulation.
      Gibt’s denn AKTUELLE situative „glückliche“ und „Sonnenschein“ Bilder von Putin? Tourt der herum für einen Wahlkampf und schüttelt Babys?

  3. Natürlich werden nur die Kriegsverbrechen der Russen untersucht.
    Die Ukrainer haben keine Kriegsverbrechen verübt.
    Die führen einen sauberen krieg.
    Die Beiden letzten Sätze waren ironisch gemeint.

    • Alessandro Vega

      Im Verhältnis zu den bewiesenen Gräueltaten der Russen führen die Ukrainer tatsächlich einen „sauberen“ Krieg. Ich glaube wenn jemand meine Famile und Freunde vergewaltigt, foltert und ermordet so wie es die Russen täglich machen, würde ich nicht so „sauber“ mit ihnen umgehen wie es aktuell der Fall ist.

  4. der heilige josef

    All die Kriegsverbrechen die es im Irak nach dem Angriff britisch amerikanischer Truppen gab sind gut dokumentiert dennoch hat man die Hauptverantwortlichen nie zur Rechenschaft gezogen. Auch die Medien hielten sich bis auf wenige Ausnahmen zurück, jetzt aber liest und hört man nichts anderes mehr, alles Böse auf dieser Welt kommt aus dem nahen und fernem Osten.

  5. volkshochschule

    Bin gespannt wann der erste staatliche Waffenhändler aufkippt, der beide Seiten gleichzeitig beliefert, so mancher erinnert sich ja noch an den dreisten Iran – Contra Deal in den 1980ziger Jahren.

    • Von diesen Berichten können Sie sicher auch Beweise erbringen? Bewiesen ist jedenfalls dass Russland ukrainische Kinder aus ukrainischen Gebieten verschleppt, in Russland zur Adoption freigibt und sehr wohl prorussisch und antiukrainisch indoktriniert.
      Belegt ist auch dass die Ukraine immer sehr russenfreundlich war, nicht nur im Osten. Das dies aber nun vorbei ist ist nicht die Schuld der USA, der Nato oder der EU sondern wohl eher des verbrecherischen Vorgehens Russlands, oder?

      • Ach, das ist belegt? Wo bitte findet man diese Belege? Die Belege von Misshandlungen russischsprachiger Ukrainer gibt’s online, vom UN Büro, seit Jahren, … niemanden interessiert es. Aber Sie liefern uns jetzt Ihre Belege, ich freu mich drauf.

        • #Haha

          Vielleicht haben „Polit-Touristen“ dies bei ihrer Studienreise erkannt?

          Sahra Wagenknecht:
          „Dieser Polit-Tourismus, bei dem man bewacht in ein Land fährt und Fotos macht und danach sagt, dass man weiß, wie die Stimmung im Land ist, daran glaube ich nicht.“

          Vielleicht hängt es damit zusammen?

        • Nun, dies ist belegt in offiziellen Berichten z.B. vom Roten Kreuz, welches entführte Kinder aus Russland zurück zu ihren Eltern gebracht hat. Hat Russia Today nicht darüber berichtet? Sogar auf Russia Today gibt es Berichte über entführte ukrainische Kinder. Aber ja, RT ist ja auch ein MSM?

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