Gesellschaft

Welche Kostüme gehen noch im Karneval? Darf sich mein Kind als Indianer, Cowboy oder Mohr verkleiden?

Teilnehmer im Eupener Rosenmontagszug 2015. Foto: OD

Langsam aber sicher nähert sich der Höhepunkt des närrischen Frohsinns. Am Donnerstag beginnt der Straßenkarneval. Es gibt Feiern in Sälen, Kindergärten und Kantinen – alle im Kostüm. In unserer heutigen „Verbotswelt“ ist aber die Frage: Welche Kostüme gehen noch im Karneval?

Ein unbedacht übergeworfenes Fransen-und-Feder-Kleid könnte heutzutage schnell als Statement (miss)verstanden werden. Ein Begriff zieht dann auf wie die Sonne über der Prärie: Kulturelle Aneignung.

Darunter versteht man in Fachkreisen grob gesagt die Übernahme von Ausdrucksformen aus einer anderen Kultur – in stereotyper Weise, gegen deren Willen und nicht auf Augenhöhe.

Indianer oder Cowboy – geht das noch? Illustration: Shutterstock

Erst im Sommer 2022 hat es eine heftige Debatte in der Sache gegeben. Damals ging es um zwei Begleitbücher zu einem Winnetou-Film, die ein Verlag zurückzog. Die einen hielten das für komplett übertrieben und sahen eine gottgleiche Helden-Figur ihrer Kindheit in Verruf gebracht. Andere hatten das Gefühl, dass da vielleicht doch etwas dran sein könnte.

Wer die Diskussion mitbekommen hat, dürfte beim Durchwühlen seiner Kostümkiste jedenfalls kurz ins Stutzen geraten. Nicht nur, wenn der Federschmuck und die braune Fransen-Jacke zum Vorschein kommen – über Jahrzehnte ja ein Verkleidungsklassiker.

Vorsichtig gefragt: Was ist eigentlich mit der orientalischen Prinzessin? Oder mit der japanischen Geisha? Und huldigt der Cowboy mit dem Colt nicht dem alten weißen Mann und verhöhnt Schussopfer? Ist das nun ein Problem? Hilfe!

Man kann das für eine reichlich akademische Debatte halten, und nicht wenige werden auch einwenden: So eine Geister-Diskussion, lasst mir bitte mein Kostüm und zeigt mir den amerikanischen Ureinwohner, der sich durch Bildstrecken vom Karneval in Ostbelgien oder sonstwo in närrischen Gefilden klickt und sich beleidigt fühlt.

24.02.2020, Nordrhein-Westfalen, Köln: Eine als Afrikaner verkleidete Gruppe im Kölner Rosenmontagszug 2020. Foto: Shutterstock

Offenbar gibt es aber auch einen gewissen Wunsch nach Orientierung. Wer googelt, findet schnell Artikel mit Titeln wie „Indianer-Kostüm: Darf mein Kind das noch tragen?“ oder „Warum du dich zu Karneval weder als Pocahontas noch als Inuit verkleiden solltest.“ Im Mittelpunkt stehen die sogenannten ethnischen Kostüme.

Wenn man den Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst, der das Buch „Kulturelle Aneignung“ geschrieben hat, nach so einer Kostümierung fragt, sagt er: „Das kann man machen. Aber man muss nicht unbedingt erwarten, dass andere Leute dafür Applaus klatschen.“ Er findet tatsächlich, dass man bei Verkleidungen über kulturelle Aneignung diskutieren könne. Obwohl er andere Begriffe günstiger findet, etwa Geschichtsvergessenheit oder mangelnde Sensibilität.

„Es fängt eigentlich auch schon bei dem Wort ‚Indianer´ an“, sagt Distelhorst. „Bei vielen ist noch gar nicht angekommen, dass es die nicht gibt.“ Kolumbus dachte bei seiner Ankunft in Amerika irrigerweise, in Indien gelandet zu sein. Die daraus resultierende Bezeichnung ist nun älter als der Kölner Rosenmontagszug.

Kritisch werde es bei einem Macht-Ungleichgewicht der Kulturen, sagt Distelhorst. Viele Ureinwohner wurden ausgebeutet und diskriminiert. Wenn sich eine Frau ein Geisha-Kostüm oder ein Mann einen Schottenrock anziehe, dann sei das wieder etwas anderes, sagt er. Gleiches gelte für einen Amerikaner, der eine bayerische Lederhose trage. „Da sagt niemand etwas dagegen.“

Ein als Indianer verkleideter Karnevalist. Foto: Pixabay

Der zweite Punkt sei, wenn es auf platte Stereotype hinauslaufe. Ein dritter: Wenn die Betroffenen schon geäußert haben, dass sie das nicht so witzig finden. „Menschen aus indigenen Bevölkerungen haben immer wieder gesagt, dass sie, was man sich bei uns zusammenbastelt – mit Pfeil, Bogen und Marterpfahl – als abwertend empfinden“, sagt er.

„Ich würde Kinder niemals davon abhalten wollen, sich zu verkleiden“, sagt Distelhorst. „Nur muss man ja sehen, dass man Kinder hochgradig in die Irre führt, wenn man ihrem Erkenntnisinteresse dadurch zu entsprechen meint, dass man sie in verhohnepipelnde Kostüme steckt.“

Martin Booms, Professor für Philosophie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, findet die Strenge der Diskussion dagegen befremdlich. Er glaube nicht, dass es zielführend sei, dass man jetzt eine Liste macht mit Kostümen und Rollenmotiven, die noch „gehen“ und solchen, die „nicht gehen“, sagt er. Man müsse sich doch mal klar machen, was im Karneval passiere. Rollenklischees würden bewusst eingesetzt.

„Wer sich ein Kostüm überzieht und in eine fremde Rolle schlüpft, der macht das mit Selbstironie. Genau diese Eigenschaft – über sich selbst lachen zu können – ist eine Kultur, die so etwas wie Diskriminierung und Exklusion verhütet“, so Booms.

Die Frage sei auch, was kulturelle Aneignung heiße. „Man muss aufpassen, dass in dieser Debatte nicht ein Kulturbegriff verwendet wird, der essenzialistisch ist. Der sagt: Bestimmte kulturelle Merkmale ‚gehören’ einer bestimmten Gruppe“, sagt Booms. „Ich halte das für ein problematisches Kulturverständnis.“ Karneval, das sei eigentlich „praktiziertes Aufheben von Unterschieden“. „Für ein paar Tage ist egal, wer man ist und wo man herkommt“, sagt Booms. (dpa/cre)

 

45 Antworten auf “Welche Kostüme gehen noch im Karneval? Darf sich mein Kind als Indianer, Cowboy oder Mohr verkleiden?”

  1. Robin Wood

    „Karneval, das sei eigentlich „praktiziertes Aufheben von Unterschieden“. „Für ein paar Tage ist egal, wer man ist und wo man herkommt“, sagt Booms.“

    Recht hat Herr Booms!
    Es ist doch schön, wenn man die Kultur des anderen so mag, dass man sich so verkleidet oder einfach mal einen Tag jemand anderes sein möchte.
    Im Karneval geht es wohl auch nicht um die Kultur an sich, sondern einfach um den Spass des Verkleidens.

    Wenn ich mir z.B. im normalen Leben Rasta-Locken zulegen würde (was inzwischen auch fast kriminell ist), täte ich das, weil ich diese Art Frisur schön finde, nicht aber um Menschen aus Rasta-Kulturen zu beleidigen. Im Gegenteil – es wäre etwas, was ich an dieser Kultur so interessant finde, dass ich es selbst machen möchte. Es ist doch schön, wenn Kulturen sich etwas vermengen. Sonst können wir doch direkt Einheitskleidung ähnlich wie in China tragen.
    Diese Diskussionen führen doch eher zum Rassismus durch dieses immer wieder auf die Unterschiede zeigen.

  2. Sitting Bull

    Willkommen in der Welt von heute! Meine Kinder dürfen sein, was sie wollen – Männlein, Weiblein, Trans, Binär, Frettchen oder Ukulele. Aber wehe sie verkleiden sich als Indianer auf Karneval…

  3. Reden wir erstmal über unsere Dreigestirne die sich sowas zu Lachnummer entwickelt haben … da hat man dann plötzlich „aus Tradition“ ein Prinz, eine Prinzessin (also Bruder und Schwester als Paar) und eine Närrin.
    Genausogut könnten wir nächstes Jahr als Dreigestirn Jesus, Maria und Joseph haben … oder Die Bremer Stadtmusikanten, die Kamelle vom „Prinzenwagen“ werfen … die haben ja auch alle Tradition … oder die drei Könige … aber da muss sich ja wieder einer schwarz schminken … ausserdem ist keine Frau dabei … und kein „X“ … Öpe Alaaf(i)(e)(x) kein Ahnung wie man das Gendert.

  4. noergeler

    Wenn das so wäre ,dann dürfte sich auch keiner anderen Rasse oder Farbe,als Weisser verkleiden. Die japanischen Comiczeichner dürften ihre Figuren nicht mit Europäisch aussehenden Gesichter zeichnen

  5. Krisenmanagement

    Diese ganze Diskussion ist doch nur noch Schwachsinn. Wer sich verkleiden will, soll die Verkleidung wählen, die ihm gefällt. Karneval soll eigentlich auch Freiheit bedeuten. Die Obrigkeit darf einem nicht vorschreiben, welche Verkleidung man wählt.

  6. Anonymos

    @Marcel scholzen eimerscheid

    – „Klima-Kleber und Greta Thunberg sind die besten Verkleidungen“
    ist jedoch nicht anzuraten, es sei denn man steht drauf bespuckt, mit Tomaten beworfen etc. zu werden.

    Und liebe Strassenkleberaktivisten/innen und sonsitiges, mein Traktor hat nicht die besten Bremsen, verkneift Euch dass Strassenkleben.

    Also ich gehe dies Jahr als,
    schwuler veganer transgender Mohr mit Migrationshintergrund. LOL

  7. Besorgte Mutter

    Die Strack-Zimmermann Freude argumentieren damit, dass man(n) im Karneval vieles Ertragen muss. Wenn dem so ist, dann müssen diejenigen die ein Problem mit Kostümen haben es auch ertragen, dass es um Karneval nicht ihren Geschmack trifft. Ich lasse mir zu Karneval auf jeden Fall kein Kostüm von irgendwelchen selbsternannten Gutmenschen verbieten!

  8. Prinz Kuckuck

    Danke für diesen wirklich inspirierenden Artikel, den ich als Ergänzung der OBD Selbstrechtfertigungsendlosschleife „Wir protestieren in unserem Wolkenkuckucksheim“ lese und der auch und v.a. dank der ausgewogenen und überraschenden Kommentare einen erfrischend frechen Beitrag nicht nur zum politischen Diskurs der DG liefert, sondern mir auch bei meiner persönlichen Kostümfindung entscheidend geholfen hat: Ich werde als frustrierter alter weißer Mann gehen – gleichermaßen grotesk und lächerlich. Oepe Alaaf und Prost, meine Herrn.

    • WOKE Klischees

      Hört sich an wie ein Kommentar einer G-E oder BRF Kommentar-Koryphäe…
      So viele WOKE Klischees auf einmal! Sie sollten sich dort bewerben, wenn Sie noch nicht dort angestellt sind…
      Unter uns: Was hat der frustrierte alte weiße Mann hier verloren? Sind Sie einer oder suchen Sie noch was Sie sind (Gender 123 oder 124?)

  9. Robin Wood

    Es wird immer bekloppter… Jetzt denunziert eine Bürgerin einen Bäcker wegen „kolonialistischer“ und „diskriminierender Motive“ auf Berlinern bei der Antidiskriminierungsstelle.

    Focus online
    „Wegen kolonialistischer Motive – Antidiskriminierungsstelle mahnt Krapfen-Bäcker ab – der versteht die Welt nicht mehr.
    Ein Bäcker in Heilbronn verziert seine Berliner respektive Krapfen im Fasching mit Figuren. Neben Chinesen und Cowboys zeigen diese auch schwarze und indigene Menschen. Nun wurde er von der Antidiskriminierungsstelle der Stadt aufgefordert, das zu unterlassen.

    Eine Kundin war den Angaben zufolge auf die Süßwaren aufmerksam geworden, hatte die Auslage fotografiert und die Heilbronner Antidiskriminierungsstelle eingeschaltet. Letztere mahnte den Bäckereibetreiber umgehend ab: „Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass sich Darstellungen dieser Art stereotypen Bildern bedienen. Es handelt sich um eine Reproduktion kolonialistischer Vorstellungen und einer Geschichte von Unterdrückung und kultureller Aneignungen.“

    Es sterben Menschen an Hunger, im Erdbebengebiet oder in Kriegen – aber das woke Deutschland wird immer übergriffiger. Haben wir keine anderen, echten Probleme?

    • @ Robin Wood
      Sie haben natürlich sowas von Recht.
      Paradoxerweise werben die Organisationen, die auf Hunger spezialisiert sind, auch immer mit den gleichen stereotypen Bildern, nämlich schwarzen Kindern mit großen Kulleraugen.

  10. Aunderstädter

    Hmmm, wenn nicht-europäische Menschen einen Herrenanzug mit Krawatte tragen, ist das nicht auch kulturelle Aneignung? Oder geht das nur in eine Richtung? Außerdem, unsere Vorfahren trugen auch Lederkluft mit Fransen, hatten Dreadlocks, Zöpfe, etc. Die Entwicklung der Kultur war teilweise parallel zu anderen, es gab immer einen Austausch von Idee, Moden, usw. Das einzige, was in dieser Diskussion richtig ist, dass man nicht andere Kulturen durch festhalten an Klischees herabwürdigen sollte. Dies aber an einem Kinderkostüm festzumachen, halte ich für falsch. Bei Erwachsenen ist das eine andere Geschichte, siehe Karneval in Aalst, wo man den Antisemitismus im Karneval gerne auslebt.

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