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Kindheit ohne Fleisch und Wurst – gesund oder riskant?

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Wenn Kinder plötzlich Vegetarier sein wollen, sind so manche Eltern ratlos. Doch so lang Eier und Milch auf dem Speiseplan stehen, halten Experten diese Variante für gut machbar. Kritischer ist es, wenn Kinder auf alles verzichten, was vom Tier kommt.

Ein Satz aus dem Radio hat die heute elfjährige Tamara zur Vegetarierin werden lassen. „In einem Interview zur Massentierhaltung sagte ein Experte, dass auch auf Biohöfen Tiere nicht mit Freude sterben, damit wir sie essen können“, erinnert sich Tamaras Mutter. Dieser Satz habe sich derart in das Gehirn des Kindes eingebrannt, dass es plötzlich Fleisch und Wurst ablehnte.

Keine tierischen Produkte

Das war vor eineinhalb Jahren. Bis auf einen Rückfall – die knusprigen Hähnchenflügel waren zu verlockend – hat Tamara komplett auf Fleisch und Wurst verzichtet.

Die 29-jährige dreifache Mutter aus einer kleinen Gemeinde bei Dresden, die mit ihrer Tochter anonym bleiben möchte, musste ihre Kochgewohnheiten umstellen: Statt täglich gibt es nur noch zwei Mal Fleisch pro Woche – separat zubereitet. Fleischersatzprodukte kauft die Mutter nicht. „Da sind zu viele oft ungesunde Zusatzstoffe drin“, argumentiert sie.

Ein veganes Mittagsgericht aus thailändischem Süßkartoffelpüree, knusprigen Tofu-Sticks und warmem Kichererbsensalat. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Tamara gehört zu einer wachsenden Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die auf tierische Produkte verzichten. Wie viele es sind, ist unklar. „Es gibt keine genauen Zahlen. Wir beobachten jedoch, dass immer mehr Kinder und Jugendliche fleischfrei leben“, sagt Wiebke Unger, Sprecherin von ProVeg, dem früheren Vegetarierbund Deutschland. Das liege unter anderem daran, dass vor allem die jüngere Generation offener für Neues und Tierschutzthemen sei.

Doch wie gesund oder schädlich ist es, in der Wachstumsphase Grundnahrungsmittel wegzulassen? Was junge Vegetarier und Veganer genau essen und wie es um ihre Nährstoffversorgung steht, ist bislang nur unzureichend erforscht. „Es gibt keine objektiven Zahlen“, sagt Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungsdepartments Kinderernährung an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Ruhr-Universität Bochum.

Studien wie die VeChi Diet wollen die schlechte Datenlage verbessern. In Berlin wurden am Donnerstag erste Ergebnisse zu Kleinkindern vorgestellt. Die nicht repräsentativen Daten von 364 Kindern im Alter von einem bis drei Jahren zeigen, dass zehn Prozent der vegan ernährten und sechs Prozent vegetarisch ernährten Kinder zu klein für ihr Alter waren.

Auf Vitamin B12 achten

Dies könne ein Anzeichen für eine nicht optimale Ernährung sein, sagte Studienleiter Markus Keller von der Fachhochschule des Mittelstands. Der Großteil dieser Kinder, rund 90 Prozent, seien in Gewicht und Größe normal. Bei den Mischköstlern habe es keine Defizite gegeben, jedoch drei Prozent Übergewichtige.

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, „dass auch eine vegane oder vegetarische Ernährung im Kleinkindalter bedarfsdeckend sein kann, wenn auf eine ausreichende Zufuhr von Nahrungsenergie und kritischen Nährstoffen, insbesondere Vitamin B12, geachtet wird“.

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Ein Zusatz dieses Vitamins ist besonders für Veganer bedeutend, die auf alles Tierische verzichten. Es kommt nur in tierischen Lebensmitteln vor und ist wichtig für die Entwicklung von Hirn und Nervensystem.

Die Forscher untersuchten die Zufuhr bestimmter Nährstoffe, aber nicht, wie sie aufgenommen wurden. Dafür würde man beispielsweise Blutdaten benötigen. Daher seien die Ergebnisse zunächst nur bedingt aussagekräftig, sagt Silke Restemeyer, Ernährungswissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die geistigen Fähigkeiten der Kinder wurden nicht untersucht.

Die DGE empfiehlt eine vegane Ernährung für Kinder und Jugendliche nicht. Eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen sei nicht oder nur schwer möglich. „Wer sich dennoch vegan ernähren möchte, sollte dauerhaft ein Vitamin-B12-Präparat einnehmen, auf eine ausreichende Zufuhr vor allem der kritischen Nährstoffe achten und gegebenenfalls angereicherte Lebensmittel und Nährstoffpräparate verwenden“, heißt es. Als kritisch gelten unentbehrliche Aminosäuren und langkettige n-3-Fettsäuren sowie weitere Vitamine wie Riboflavin und Vitamin D aber auch Calcium, Eisen, Jod, Zink und Selen.

Kinderarzt warnt vor Schäden

„Vegane Kinder müssen ernährt werden wie Kinder mit einer Eiweißstoffwechselerkrankung“, betont Mathilde Kersting, die frühere Leiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE). Weil die richtige Ernährung so kompliziert ist, empfiehlt die DGE, sich von einer Ernährungsfachkraft beraten und die Versorgung mit kritischen Nährstoffen regelmäßig prüfen zu lassen.

Der Berufsverband für Kinder- und Jugendärzte lehnt Veganismus bei Kindern laut Sprecher Hermann Josef Kahl „kategorisch“ ab. Kahl warnt vor „fatalen Folgen und irreversiblen Schäden“: „Wenn im Gehirn zu wenig Vitamin B und verschiedene Aminosäuren ankommen, kann es zu einer starken Entwicklungsverzögerung der Hirnreife und wichtigen kognitiven Beeinträchtigungen kommen“, so der Kinderarzt. Es gebe in Extremfällen starke Lernstörungen.

Vegetarische Essen: Ein Teller mit Salat und Schafskäse steht auf einem Tisch. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Eine vegetarische Ernährung halten die Experten für eher machbar. „Da sind wir nicht ganz so ablehnend, da ja in der Regel Eier gegessen und Milch getrunken werden. Die Kinder sind in der Regel gesund ernährt“, so die Erfahrung des Arztes. Die DGE hält diese Variante als „Dauerkost“ für empfehlenswert. Kinderarzt Kahl rät, zusätzlich Eisen einzunehmen – über Tabletten oder Tropfen und einmal im Jahr ein Blutbild machen zu lassen. Auch Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und Nüsse gelten als gute Eisenlieferanten. Daran hält sich auch Tamaras Mutter: „Vollkornbrot kaufen wir ohnehin und einmal die Woche gibt es bei uns Linseneintopf“, sagt sie.

Insgesamt entwickle sich ihre Tochter gut, was auch der Kinderarzt bestätige. „Dass sie durch die vegetarische Kost jetzt aufgeblüht und besonders gesund wirkt, kann ich aber nicht sagen“, so die Mutter.

Mathilde Kersting hält die so genannte optimierte Mischkost mit vielen pflanzlichen Lebensmitteln und mäßigem Konsum von tierischen Produkten für die beste Variante. Dieses Ernährungskonzept sei am FKE entwickelt worden, sagt die ehemalige Leiterin. Es garantiere mit hoher Sicherheit eine adäquate Nährstoffzufuhr. Tamara werde in absehbarer Zeit nicht umsteigen. „Es gehört mittlerweile zu ihrem Selbstverständnis, dass sie Vegetarierin ist“, sagt Mutter Anne. (dpa)

25 Antworten auf “Kindheit ohne Fleisch und Wurst – gesund oder riskant?”

    • Karl-Heinz Braun

      Dax, wir haben unsere Kinder nicht vegetarisch erzogen. Wir Eltern sind es im Übrigen nicht. Und dennoch hat sich eines unserer Kinder mit 11 dafür entschieden. Mit Höhen und Tiefen tastet es sich and diese Ernährungsweise heran. Kinder sind eigenständige Wesen. Ich komme manchmal aus dem Staunen nicht mehr raus.

  1. Das ist Körperverletzung mit Ankündigung durch die Eltern!. Solche Eltern müssen ermahnt und gegebenenfalls hart bestraft werden. Im Wiederholungsfall muss den Eltern das Kind entzogen werden, um das Kind vor nachhaltigem Schaden zu bewahren. Sorry, da kenne ich kein Pardon.

  2. Somebody

    Und dann die anmassende Aussage „wir ernähren uns gesund“ – obwohl es jedem bekannt ist das diese „gesunde“ vegane Ernährung mit künstlichen Präparaten ergänzt werden muss. Soviel also zum Thema „gesund“ …

    • Tom Jones

      Was ist denn schlimmer, künstliche Präparate oder Massentierhaltung. Respekt vor jedem, der es schafft, sich vegetarisch zu ernähren. Besser für die Umwelt ist es auch und damit für uns alle.

      • Somebody

        Es gibt für Sie also nur Massentierhaltung? Dann sollten Sie vielleicht mal regional einkaufen, denn es gibt schon auch Fleisch aus extensiever Weidehaltung! Der Ausgangsstoff für chemische Präparate (zB Vitamin B12) ist auch tierischen Ursprungs und der kommt mit Sicherheit NICHT aus der Region, sondern aus einem Großbetrieb.

  3. Merowinger

    Ein Großteil der Inder sind Vegetarier aus religiöser Überzeugung. In verschiedenen Strömungen des Jainismus, Hinduismus oder Sikhismus wird auf tierische Lebensmittel teilweise oder ganz verzichtet. Ein weiterer Grund für den verbreiteten Vegetarismus in Indien ist recht simpel. Viele können sich das Luxusgut Fleisch schlicht nicht leisten.
    Die Inder fallen dort auch nicht alle wie Fliegen von der Decke nur weil sie Vegetarier sind. Die Inder haben eine Fülle an Gemüse und Getreidesorten die wir Europäer oft noch nie zu Gesicht bekommen haben. Zu einer ausgewogenen Ernährung ist also eine auf tierischen Produkten basierende Ernährung nicht unbedingt notwendig. Es müssen nur die Klimatischen Gegebenheiten stimmen.
    Im relativ kalten Nord-Europa haben unsere Vorfahren nur durch tierische Lebensmittel überleben können. Unsere Kultur ist geprägt durch eine Ernährung von Kohlehydraten und tierischen Lebensmittel. Je weiter südlich wir uns in Europa bewegen je mehr überwiegen die pflanzlichen Lebensmittel. Besonders dort wo das Klima einen Anbau von Oliven zulässt werden tierische Produkte wie Milchprodukte und Fleisch weniger verzehrt. Der tägliche Kalorienbedarf konnte dort viel leichter durch pflanzliche Lebensmittel gedeckt werden. All diese Klimatischen Gegebenheiten haben sich in unsere Ernährungsgewohnheiten manifestiert.

    Heute haben wir das ganze Jahr Zugang zu hochwertigen Lebensmittel aus aller Welt. Eine vollwertige vegetarische Ernährung für Kinder ist somit möglich. Ich würde sogar sagen eine vegetarische Ernährung von Kindern ist sogar gesünder als dieses zuckerreiche Junkfood was manche Eltern ihren Kindern kredenzen.

  4. Merowinger

    @Somebody
    Ihre Analyse besagt nur dass Armut das größte Lebensrisiko ist. Das ist jetzt nichts Neues. Das hat jetzt recht wenig mit vegetarischer Ernährung zu tun. Der Vegetarismus ist, wie ich schrieb, in Indien nicht nur religiös begründet, sondern oft nur eine Möglichkeit sich mit knappen finanziellen Ressourcen zu ernähren. Den Armen in Indien bleibt oft keine andere Wahl, als ihre Kalorien aus staatlich subventioniertem Getreide, meist Reis zu beziehen, weil sie sich nicht mal hochwertige pflanzliche Nahrungsmittel leisten können. Sie leiden häufig an Kalorien- und Proteinmangel, kein Vegetarismus sondern eher massenhafte Mangelernährung, und sind in der Folge anfälliger für Krankheiten.
    Die Mitglieder der höchsten Kasten wie Brahmanen oder die Religionsgemeinschaft der Jains können sich und ihre Kinder hingegen problemlos vegetarisch ernähren. Seitdem die hindu-nationalistische Partei BJP an der Macht ist, ist Ernährung zu einem Politikum in Indien geworden. Diese konservative hinduistische Partei verbreitet gezielt Richtlinien und Halbwissen über Lebensmittel und Ernährung. Die indischen Regierung und Verwaltung kommen alle aus einer gewissen Kaste und sozialen Schicht. Sie haben sich noch nie mit den Lebensbedingungen der Armen und der Unberührbaren beschäftigt und kommen mit deren Lebenswirklichkeit kaum in Berührung. Stattdessen erklärt die Regierung den Armen, wenn dein Magen irgendwie voll ist solltest du dankbar sein. Das Schicksal der Armen hat in der indischen Demokratie keine hohe politische Priorität. Billige Kalorien aus Kohlenhydraten reichen jedoch nicht für eine vollwertige Ernährung aus.

    Ich bin kein Vegetarier, habe nichts gegen Vegetarier solange die mich nicht als Tierquäler oder Aasfresser verunglimpfen und keinen apostolischen Eifer an den Tag legen mich zu bekehren. Die Entscheidung zum Vegetarismus in Europa ist eher eine ethische und individuelle denn eine kollektiv religiöse oder finanzielle wie beispielsweise in Teilen der indischen Bevölkerung. Die Kreation von Fleischersatzspeisen aus z.B. Tofu unterscheidet den westlichen Vegetarismus sehr stark von dem aus der Kultur herausgewachsenen mehr oder minder vegetarischen Lebensstil anderer Esskulturen.
    Wir als reicher Westen sind heute in der Lage frei zu entscheiden was wir essen möchten. Alles ist fast jederzeit verfügbar. Ob es sinnvoll ist Lebensmittel über den halben Globus zu schippern muss jeder für sich selbst beantworten. Der Kauf regionaler Produkte vermeidet jedenfalls lange Transportwege mit dem Flugzeug, LKW, Bahn oder Schiff. Das Warenangebot unterliegt jedoch den Jahreszeiten.

    @rb1976
    Da das heizen von Gewächshäusern im Herbst und Winter und das Einlagern von gewissen pflanzlichen Lebensmittel (Äpfel, Kartoffeln,…) in gekühlten Lagerhäusern auch Energieintensiv ist kann man nicht so einfach sagen was jetzt besser oder schlechter ist.

  5. Alfons Van Compernolle

    Ich habe nie gerne Fleisch gegessen, dass haben meine Eltern damals kommentarlos akzeptiert.
    So gab es dann fuer mich „Gemuese etc“ ! Und seit mehr als 60 Jahren esse ich ueberhaupt kein Fleisch mehr. Es hat mir nicht geschadet !

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