Politik

Höfers „Frühschoppen“: Heute vor 70 Jahren kam die Mutter aller Polit-Talks ins deutsche Fernsehen

23.08.1987, Nordrhein-Westfalen, Köln: Ein Archivbild des Fernseh-Moderators Werner Höfer (3.v.r.) mit seinen Gästen, darunter die ehemaligen Regierungssprecher Klaus Bölling (r) und Peter Boenisch (l), am 23.4.1987 in einem Studio des WDR in Köln während seiner Diskussionsrunde "Internationaler Frühschoppen", die allsonntäglich von der ARD ausgestrahlt wurde. Foto: Franz-Peter Tschauner/dpa

Sechs oder sieben Männer sitzen an einem Tisch und tauschen sich rauchend und trinkend über die Weltlage aus. Dieses Konzept trug über 30 Jahre lang eine der erfolgreichsten Fernsehsendungen – den „Internationalen Frühschoppen“.

Vor 70 Jahren, am 30. August 1953, war die Fernsehpremiere des „Internationalen Frühschoppens“. Für die Spätgeborenen: Das hatte nichts mit Shoppen zu tun, sondern bezog sich auf den damaligen Brauch, zwischen Kirchgang und Sonntagsbraten noch mal schnell einen trinken zu gehen, was Frühschoppen genannt wurde.

Geleitet wurde die gleichermaßen alkoholisierte wie verräucherte Runde von einem Herrn mit Vorderglatze und dickglasiger Hornbrille: Werner Höfer (1913-1997). Er moderierte die Sendung 35 Jahre lang – die ersten eineinhalb davon ausschließlich im Radio, dann auch im Fernsehen. „Ich bin in der Versuchszeit des Fernsehens als Versuchskarnickel vorgeführt worden“, sagte er 1985. Im Rückblick gilt der „Internationale Frühschoppen“ als Mutter aller Polit-Talks.

Nachdem der „Frühschoppen“ 1953 ins Fernsehen gekommen war, lief er ein halbes Menschenleben lang nach dem gleichen Muster ab. Zu Beginn um Punkt Zwölf ertönte die sonore Stimme von Egon Hoegen – auch bekannt aus der Verkehrserziehungsserie „Der 7. Sinn“ – und kündigte „sechs Journalisten aus fünf Ländern“ an. Dann sah man diese Gäste auch schon in der minimalistischen Studiokulisse hinter Moselweingläsern sitzen, und Werner Höfer leitete die Sendung beispielsweise mit folgendem Satz ein: „Die Wiedersehensfreude ist unter allen Weihnachtsfreuden der reinsten und der rarsten eine.“

19.10.1980, —: Die Diskussionsrunde „Internationaler Frühschoppen“ mit dem Moderator Werner Höfer (2.v.l.) und seinen Gästen während der 1.500. Sendung am 19.10.1980. Rechts neben Höfer Leon Davico (Jugoslawien) und Ian Frazier (Großbritannien). In der vom WDR von 1952 bis 1987 produzierten Sendung diskutierten jeden Sonntag Journalisten aus mehreren Ländern über aktuelle Themen. Foto: picture alliance / dpa

Die Wiederholung des Immergleichen kam dem Bedürfnis der traumatisierten Kriegsgeneration nach Konstanten entgegen. Als Höfer es sich 1954 einmal herausnahm, ein paar Wochen Urlaub zu machen, gingen beim WDR wäschekorbweise Protestbriefe ein.

Danach ließ Höfer die Sendung nie mehr ausfallen. Er machte nur noch Urlaub auf Sylt und fuhr jedes Wochenende nach Köln und wieder zurück. Als er Sylt 1962 wegen einer Flutkatastrophe nicht verlassen konnte, leitete er den „Frühschoppen“ telefonisch. Optisch veränderte sich Höfer in all den Jahren so gut wie nicht.

So loriothaft die heute noch auf Youtube verfügbaren Ausschnitte (siehe VIDEO unten) auch wirken mögen, einige Elemente heutiger Talkshows sind schon deutlich erkennbar: Es gab einen Moderator, es gab Gäste, und es gab ein Thema, möglichst aktuell.

Sobald sich innerhalb der honorigen Runde aber eine auch nur halbwegs angeregte Diskussion zu entwickeln drohte, ging Höfer dazwischen und zwang alles in den Ritus des Reihum-Abfragens zurück. Es musste friedlich bleiben, schließlich war Sonntag. Dagegen wurde es ohne weiteres geduldet, wenn einer der Gäste eine minutenlange Polemik vom Blatt ablas – so geschehen in einer Sendung zu Beethoven.

Normalerweise besprachen Höfer und seine Gäste Themen aus der hohen Politik, und zwar keineswegs nur aus der deutschen. Es war nicht ungewöhnlich, wenn sich die Herren eine geschlagene Stunde lang über französische Innenpolitik austauschten. Und dabei wurde einfach mal vorausgesetzt, dass der Zuschauer mit den grundlegenden Fakten vertraut war. Von wegen Einspielfilmchen und Erklärstücke: Am Ende verlor man sowieso den Durchblick, denn dann verschwand die Runde zunehmend hinter einem Schleier von Zigarettenqualm.

Frauen traten in der Sendung lange vorzugsweise als Kellnerinnen auf, die den Herren eifrig nachschenkten. Als Höfer 1985 einmal von dem jungen Thomas Gottschalk interviewt wurde, berichtete der 71-Jährige: „Da kommen immer Briefe von Feministinnen: ‚Warum immer Frauen für diese dienenden Funktionen? Warum nicht Männer?'“ Das war als launige Bemerkung gedacht und kam auch genauso an: Das Publikum lachte und klatschte.

Das Ende kam plötzlich. Im Dezember 1987 grub der „Spiegel“ einen Hetzartikel Höfers aus der Nazizeit aus. Höfer wand sich, wiegelte ab und erging sich in Ausflüchten. Dann musste er abtreten. Nachfolgesendung war der bis heute laufende „Presseclub“. Auf Phoenix gibt es den „Internationalen Frühschoppen“ bis heute: Er läuft dort immer dann, wenn der „Presseclub“ ausfällt.

Höfer lebte nach seinem Abgang noch zehn Jahre, aber er war zum Gemiedenen geworden. Einer der wenigen, die für ihn Partei ergriffen, war der Publizist Sebastian Haffner („Anmerkungen zu Hitler“), der in den 1930er Jahren vor den Nazis nach England geflohen war. Er sagte: „Wenn alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder sich nach dem Kriege so engagiert für die Demokratie eingesetzt hätten wie Werner Höfer, dann brauchten wir uns um den Bestand der Demokratie keine Sorgen zu machen.“ (dpa)

Nachfolgend ein VIDEO zum 60-jährigen Bestehen des „Internationalen Frühschoppens“:

14 Antworten auf “Höfers „Frühschoppen“: Heute vor 70 Jahren kam die Mutter aller Polit-Talks ins deutsche Fernsehen”

  1. Zu den geladen Gästen heute kann man nur sagen „5 Stühle, eine Meinung“. Aus der politischen Debatte wurde die politische Erziehung. Wer sich heute noch den „Presseclub“ antut muss ein Masochist oder ein Aalglatter Linienjournalist sein.

      • guido scholzen

        damals wussten die Journalisten noch etwas.
        Heute?
        vielerorts ein Haufen Hofschranzen, die in einem staatlich geförderten Parallel-Universum vegetieren, weil diese Kreaturen in der freien Wildbahn nicht überleben würden, was aber auch das Dasein eines Berichterstatters sein sollte.

        Kennt ihr den?
        Treffen sich zwei politisch korrekte Journalisten auf der Straße.
        Der eine sagt: „Na, wie geht’s, lange nicht gesehen!“
        „Naja, nicht so gut. Ich hatte gerade zwei Wochen lang Covid. Aber zum Glück bin ich viermal geboostert, sonst wäre ich bestimmt im Krankenhaus gelandet. Und wie geht es dir?“
        „Nun ja, der Mensch mit Gebärmutter an meiner Seite und ich bekommen jetzt ein Kind, wenn auch etwas ungewollt. Aber immerhin haben wir ein Kondom benutzt, sonst wären es Zwillinge geworden.“
        😁😁😁
        In Höfers Frühschoppen wären viele heutige Journalisten gar nicht hingekommen, weil die zu „weltfremd“ sind, um es milde auszudrücken.

        • Ach, ja, früher war alles besser, zu Höfers Zeiten, in den Zeiten seines Hetzartikels, ganz toll zur Kaiserzeit, und so wirklich wunderbar doch eigentlich im romantischen Mittelalter. Heute dagegen finden wir Altertümelnden uns nicht mehr zurecht, jeder macht, was er will, sogar Sachen, die uns nicht passen, die wir nicht kennen, furchtbare Frechheit! Zurück zu den Wurzeln, die gute alte Zeit, in der noch Gewalt und Willkür herrschten und wo die Staatsmacht so ein Forum wie dieses verboten hätte. Das ist die Lösung!

    • Guido Scholzen

      Ab Mitte der 80er Jahre habe ich in jungen Jahren des öfteren den ‚internationalen Frühschoppen‘ gesehen, weil dies zur Allgemeinbildung im deutschsprachigen Raum gehörte genau so wie das Lesen des „Spiegel.‘
      Erinnern kann ich mich an einen Sonntag nach der Fußball-WM 1986, wo auch ein Journalist aus dem deutschsprachigen Belgien eingeladen war. Höfer meinte „Hätte ihr Land Belgien im Halbfinale gegen Argentinien gewonnen, wäre es zum Endspiel Deutschland-Belgien gekommen…“

      Welcher ostbelgische Journalist war damals bei Höfer zu Gast?
      Herr Cremer, erinnern Sie sich vielleicht noch daran?

      • Ostbelgien Direkt

        @Guido Scholzen: Ich habe eigentlich ein gutes Gedächtnis, aber dass ein ostbelgischer Journalist Gast in Höfers „Frühschoppen“ gewesen sein soll, daran kann ich mich nicht erinnern. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dies Kurt Grünebaum war oder vielleicht auch Hubert Jenniges, jedenfalls einer aus Brüssel. Gruß

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