Gesellschaft

Häusliche Gewalt gibt es nicht nur im „Tatort“, sondern auch real bei uns in Ostbelgien

So sehen die Tüten aus, die im Rahmen der Aktion "Gewalt kommt nicht in die Tüte!" von zahlreichen Bäckereien in der DG verwendet werden. Foto: Gerd Comouth

Häusliche Gewalt gibt es nicht nur in der TV-Krimireihe „Tatort“ oder in irgendeiner fernen Großstadt, sondern auch bei uns in Ostbelgien. Bei der Lektüre mancher Zeitungsartikel über Verfahren vor dem Eupener Strafgericht kann man sich davon überzeugen. Etliche Fälle bekommt man aber nicht mit, weil sie sich hinter den häuslichen Mauern abspielen und man darüber nicht spricht.

Die Gemeinden Eupen, Kelmis, Lontzen und Raeren, der Landfrauenverband, die Frauenliga und das Frauenzentrum PRISMA führen in Zusammenarbeit mit zahlreichen Bäckereien im Norden und Süden der DG die Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte!“ durch. Anlass ist der „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“ am 25. November.

Jede vierte Frau einmal im Leben Opfer

Vertreterinnen von Gemeinden und Frauenorganisationen bei der Vorstellung der Aktion "Gewalt kommt nicht in die Tüte!" in der Bäckerei Kessel in Walhorn. Foto: Gerd Comouth

Vertreterinnen von Gemeinden und Frauenorganisationen bei der Vorstellung der Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte!“ in der Bäckerei Kessel in Walhorn. Foto: Gerd Comouth

„Häusliche Gewalt ist ein Thema, das seit 10-15 Jahren immer mehr in der Öffentlichkeit diskutiert wird, aber heute noch nicht völlig enttabuisiert ist“, betonte Ruth Driessen vom Frauenzentrum PRISMA in einem BRF-Interview: „Häusliche Gewalt findet meistens in den eigenen vier Wänden statt, sie hat aber Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.“

Die Lontzener Schöffin Sandra Houben-Meessen wies ihrerseits darauf hin, dass „häusliche Gewalt sehr oft totgeschwiegen“ werde und es deshalb wichtig sei, mit Aktionen wie dieser das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.

„Ich habe mir jahrelange Unterdrückung gefallen lassen, nur weil ich nicht wusste wohin und wie ich finanziell zurechtkommen sollte, und auch aus Scham, dass ich meiner Familie sagen musste, dass meine Ehe gescheitert ist“, zitiert das Frauenzentrum PRISMA eine 47-jährige Frau.

Ein Paar streitet: Nicht selten führen solche Auseinandersetzungen zu Gewaltszenen. Foto: dpa

Ein Paar streitet: Nicht selten führen solche Auseinandersetzungen zu Gewaltszenen. Foto: dpa

Statistiken zufolge wird jede vierte Frau einmal in ihrem Leben Opfer von häuslicher Gewalt. Die Täter sind zum großen Teil männlich, sie sind bekannt, sind Ehemänner, Väter oder Lebenspartner.

Häusliche Gewalt gegen Frauen kommt in allen sozialen Schichten vor. Sie hat viele Gesichter und geschieht nicht nur da, wo ein Mann seine Frau schlägt. Psychische Unterdrückung bis hin zur völligen Kontrolle, aber auch Beleidigungen, Beschimpfungen und Demütigungen gehören zur häuslichen Gewalt. Ebenso sexuelle Übergriffe – Belästigungen bis hin zu Vergewaltigungen – sowie die (völlige) finanzielle Abhängigkeit der Frau vom Mann sind Formen von partnerschaftlicher Gewalt.

Ruth Driessen vom Frauenzentrum PRISMA. Foto: Gerd Comouth

Ruth Driessen vom Frauenzentrum PRISMA. Foto: Gerd Comouth

Im Gegensatz zu einer „gesunden“ Beziehung sind in Paarbeziehungen, in denen Gewalt vorkommt, die Machtverhältnisse verschoben. Meinungsverschiedenheiten, Auseinandersetzungen und Streitigkeiten finden nicht auf einer Ebene zwischen den Partnern statt, sondern passieren vom (scheinbar) Stärkeren zum (scheinbar) Schwächeren. Die Folgen können weitreichend sein: von Schlafstörungen und Magengeschwüren über Migräne, chronische Angstzustände, Depression bis hin zu sozialer Isolation und Selbstmordgedanken.

Wenn die Gewalt zum Beziehungsalltag wird

„Er hat versprochen, er ändert sich, und und und…. Damals hab ich noch gehofft, er ändert sich wirklich“, zitiert PRISMA eine 34-Jährige.

Die Erste Schöffin der Stadt Eupen, Claudia Niessen. Foto: Gerd Comouth

Die Erste Schöffin der Stadt Eupen, Claudia Niessen. Foto: Gerd Comouth

Doch der Schein trügt! Die Gewalt wird zum Beziehungsalltag. Die Abstände zwischen den Gewaltausbrüchen werden kürzer, das Ausmaß der Gewalt steigert sich, manchmal bis zur Tötung der Partnerin!

Einer Untersuchung zufolge geben 47% der weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt an, dass diese im Laufe der Beziehung zugenommen hat.

Angst, dass die Gewalttaten durch eine Trennung schlimmer werden, das Wohl gemeinsamer Kinder, aber auch materielle bzw. psychische Abhängigkeit sowie Scham und Schuldgefühle sind neben der Hoffnung auf Besserung Gründe, die die Opfer daran hindern, sich von ihrem gewalttätigen Partner zu trennen. Dazu kommt, dass viele Frauen nicht wissen, wo sie hinsollen, an wen sie sich wenden können und wie sie alleine überleben sollen!

Frauenzentrum PRISMA erste Anlaufstelle

„Ich wusste nicht, wenn ich ihn verlasse, wo ich dann bleiben kann und wo ich Geld herbekomme, ich wusste nichts darüber“, sagt eine 64-Jährige.

Die Lontzener Schöffin Sandra Houben-Meessen. Foto: Gerd Comouth

Die Lontzener Schöffin Sandra Houben-Meessen. Foto: Gerd Comouth

Als Opfer von häuslicher Gewalt bei dem gewalttätigen Partner zu bleiben, ohne sich professionelle Hilfe von außen zu holen (Beratungsstellen, Ärzte, Therapeuten), ist ein Risiko für die eigene körperliche und psychische Gesundheit!

Eine erste Anlaufstelle in der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist PRISMA V.o.G., Frauenzentrum für Beratung, Bildung und Opferschutz. Sie finden PRISMA in der Neustr. 53 in Eupen.

Am 25. November ist der „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“. Die Gemeinden Eupen, Kelmis, Lontzen und Raeren beziehen in Zusammenarbeit mit dem Landfrauenverband, der Frauenliga, PRISMA und zahlreichen Bäckereien (siehe Auflistung unten) der DG Stellung zu häuslicher Gewalt. In diesen Bäckereien erhalten Sie Ihre Brötchen in Tüten mit dem Aufdruck „Gewalt kommt nicht in die Tüte!“. (cre)

Folgende Bäckereien sind an der Aktion beteiligt:

Im Norden:

Kessel, Walhorn; alle Kockartz Filialen; Leffin, Kettenis; Lok, Kelmis; Mattar, Eupen; Reul, Kettenis; Rodtheut, Raeren.

Im Süden:

Fonk, St. Vith; Gommes, Nidrum; Halmes, Bütgenbach; Heinen, Bütgenbach; Marquet, Amel; Noel, Rocherath; Theis, Recht.

 

23 Antworten auf “Häusliche Gewalt gibt es nicht nur im „Tatort“, sondern auch real bei uns in Ostbelgien”

  1. Altweltenaffe

    Das Problem ist real, aber die Aktion ist so wirkungsvoll wie die Hinweise auf Lungenkrebs auf Tabakwaren. Die Konflikte entstehen oft, wenn im Ehe-Alltag die Beziehung zu kurz kommt, wenn nur noch über Probleme geredet wird. Vielleicht hätte man, statt dem Spruch, ein wenig Informationen auf die Tüten drucken können, wo und wie man Paaren helfen kann.

    • Dagmar Fintz

      Die Kontaktadresse von Prisma steht auf der Rückseite der Tüte! Eine erste Anlaufstelle in der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist PRISMA V.o.G., Frauenzentrum für Beratung, Bildung und Opferschutz. Sie finden PRISMA in der Neustr. 53 in Eupen

      • Altweltenaffe

        Danke für die Infos. Ich sehe nur ein Problem darin, dass, wenn die Frau dort vorstellig wird, der Mann dann gleich als gewaltbereit stigmatisiert wird, obwohl man ja am besten schon Hilfe anbietet eh es soweit kommt, oder? Wenn Paare die Möglichkeit hätten sich, im gemeinsamen Einverständniss, an jemanden zu wenden, der ihnen hilft ihre Alltagsprobleme zu bewältigen, dann käm es wahrscheinlich oft garnicht zu Gewalt in der Ehe. Ich hoffe, dass meine Kritik nicht nur negativ gesehen wird, ich finde nur, dass man die Ursachen und nicht die Symptome bekämpfen sollte.

  2. Reiner Mattar

    Es ist sicher richtig, dass der weitaus größte Anteil an häuslicher Gewalt von Männern an Frauen verübt wird.
    Aber sowohl im Artikel als auch bei der Aktion ausschließlich die Gewalt an Frauen zu beleuchten, erscheint mir doch ein bisschen einäugig.

  3. In der Tat wird über die Gewalt an Männern nicht gesprochen. Weshalb? wahrscheinlich weil sie nicht physisch, sondern psychisch ist. Es gibt Männer, die können einem echt leid tun. Das sind echt arme Schweine.Die haben zuhause nichts zu sagen, müssen stets wie ein Hündchen bei Fuß stehen, wenn die Chefin sie ruft. Aber das darf man ja nicht thematisieren, denn das passt nicht in die gemeinen Klischees. Lieber zum 1000. Mal berichten, dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Das hören wir jetzt bis zum Gehtnichtmehr. Dem Thema Frauen verdanken viele inzwischen sogar ihren Arbeitsplatz.

  4. Laut aktuellen Studien ist der Anteil „männlicher“ und „weiblicher“ Gewalt ungefähr gleich hoch.
    Der Unterschied. Im gegensatz zu Gewalt gegen Frauen ist die Gewalt von Frauen gegen Männer echt ein Tabuthema.
    Männer haben auch kaum spezialisierte Anlaufstellen (im Gegensatz zu Frauen).

    • Ja André und das darf man nicht sagen.
      Durch die immer weitere Zugeständnisse an die Frauen (was auch richtig ist) wird leider immer mehr verdrängt, dass auch Männer unterdrückt und ausgebeutet werden.

    • André, absolut richtig. Es gibt Männer, die schämen sich, wenn sie sagen würden, dass sie sich unterdrückt fühlen. Man muss das Problem nicht auf Gewalt reduzieren. Es gibt keine physische Gewalt von Frauen an Männern, aber es gibt eine subtile Form von Gewalt, die man auch nicht unbedingt Gewalt nennen muss. Und glauben Sie mir, bevor hier ein falscher Eindruck entsteht: Ich selbst bin nicht Opfer solcher Formen von Gewalt, aber ich kenne Männer, die es sind. Es ist auch gut, dass es solche Foren gibt wie hier, wo man solche Themen anonym zur Sprache bringen kann. Anders ginge es auch gar nicht.

      • Also, physische Gewalt von Frauen an Männern gibt es schon (sogar häufig).

        Ich habe großen Respekt vor PRISMA und ähnlichen Einrichtungen. Nur finde ich es eben Schade dass Männer immer ausgegrenzt werden. Im Falle häuslicher gewalt oder scheidungen gibt’s für Männer kaum etwas. Die stehen meistens ziemlich alleine da.
        Wieso richten Frauen, die ja so auf Gleichberechtigung aus sind, Einrichtungen NUR für Frauen?

      • „Es gibt keine physische Gewalt von Frauen an Männern,“

        Wie bitte Referee? Und die Frau denn, die mit der Kuchenrolle hinter der Haustür steht und genüsslich wartet, bis der Ehemann erscheint, oder diejenige, die mit einem Feuerhaken auf ihren Mann eindrischt. (s. Bericht im Grenz-Echo) Ist das alles etwa keine physische Gewalt ?
        Und dann gibt’s noch die Ehefrauen, die
        ihre Gönnergatten beispielsweise durch Blaubeer pudding stufenweise vergiften,
        durch Beimischung raffinierter Giftsubstanzen. Wie gesagt, beide Geschlechter sind zu Gewalttaten in der Lage.

    • Kettenis1

      Wenn Männer der Meinung sind, dass auch sie eine Anlaufstelle zum Schutz gegen häusliche Gewalt benötigen, müssen sie sich halt gruppieren/diskutieren bis ein Schlachtplan auf dem Papier besteht, danach geht’s halt weiter

  5. http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/degs-studie-auch-maenner-werden-in-beziehungen-opfer-von-gewalt-a-902153.html

    Frauen werden ihrem Partner gegenüber häufiger gewalttätig als Männer – zu diesem Ergebnis kommt die neue große Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland.

    Aber das thematisiert man nicht gerne, das Rollenverständnis lautet ja Frau = Opfer ; Mann = Täter.
    Und noch was, > 90% der unterhaltspflichtigen Frauen zahlen nicht, bei den Männern sind es nur knapp > 50%. Noch eine Realität die nicht in’s klassische Rollenverständnis passt….

  6. Eupenmobil

    Gewalt, ob an Frauen oder an Männern oder an Kindern, kann viele verschiedene Formen annehmen. Neulich war ich in einem Café, da saß ein Paar. Der Mann hat eine geschlagene Stunde mit seinem Handy telefoniert und seine Frau keines Blickes gewürdigt. Die Frau musste sich halt gedulden, weil er so wichtige Gespräche zu erledigen hatte.

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