Während die klassischen Lexika nur noch in wenigen Haushalten zu finden sind und dort oft genug in den Bücherregalen verstauben, begleitet die Wikipedia die Nutzer im Alltag.
Studie zufolge zumindest Menschen in den reicheren Industriestaaten (OECD) im Durchschnitt neun Wikipedia-Artikel pro Monat an.
Der wichtigste nicht-kommerzielle Dienst der Internet-Geschichte begann am 15. Januar 2001 wie so viele Online-Projekte mit dem Gruß der Programmierer: „Hello World“. Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales tippte die beiden Worte in eine neue Wiki-Software ein, die einen schnellen Aufbau eines Online-Lexikons ermöglichen sollte.
Der Mann aus den Südstaaten der USA hatte schon kurz nach dem Studium an den aufblühenden Finanzmärkten Geld genug gemacht, um ein sorgenfreies Leben führen zu können. Mit zwei Partnern gründete er 1996 die Firma Bomis, die ähnlich wie Yahoo einen Webkatalog pflegte. Zum Angebot von Bomis gehörte auch „The Babe Engine“, eine Suchmaschine für Bilder von spärlich bekleideten Frauen.
Wales verfolgte aber auch schon damals den Plan, ein Online-Nachschlagewerk aufzubauen. Der erste Ansatz für „Nupedia“ war ganz klassisch. Mit Larry Sanger stellte Wales im Jahr 2000 einen Chefredakteur ein. Dieser sollte Beiträge bei Experten bestellen und für die Veröffentlichung sorgen. Doch der festgelegt siebenstufige Review-Prozess erwies sich als teuer und ineffizient. Es wurden viel zu wenige Artikel veröffentlicht, im ersten Jahr nur 21.
Das Experiment mit der Wiki-Software war eigentlich nur als ein Sammelbecken gedacht, wo die ersten Ideen für Online-Enzyklopädie im Internet zusammengetragen werden sollten, sagt der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch, der über die Wikipedia geforscht hat. „Aber sehr schnell zeigte sich dann, dass dieses Sammelbecken das eigentlich Spannende war. Denn während die eigentlich ursprünglich von Wales geplante Enzyklopädie sehr schnell scheiterte, entwickelte sich Wikipedia rasant, zog eine große Zahl von freiwilligen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden an und hatte innerhalb von Wochen schon Tausende von Artikeln produziert.“
Sanger verließ Wikipedia Anfang 2003 und sagte in einem Interview, er habe die Nase voll von den „Trollen“ und „anarchistischen Typen“, die „gegen die Idee sind, dass jemand irgendeine Art von Autorität haben sollte, die andere nicht haben“.
Doch diese Kritik konnte den Aufstieg nicht verhindern: 20 Jahre nach der Gründung gibt es mehr als 55 Millionen Beiträge in knapp 300 Sprachen, verfasst von unzähligen Freiwilligen.
Im Buch „Wikipedia-Story“ des langjährigen Insiders Pavel Richter lobt Wikipedia-Mitbegründer Wales dabei die Rolle der deutschsprachigen Community: „Kurz nachdem wir die deutsche Wikipedia gestartet haben, stellte sich heraus, dass die Deutschen offenbar ein besonderes Verhältnis zur Idee hinter Wikipedia haben. Denn wie sonst ließe sich erklären, dass Deutsch zwar auf der Liste der am häufigsten gesprochenen Sprachen weltweit nur auf Platz 13 steht, die deutsche Wikipedia aber die viertgrößte aller Ausgaben ist?“
Wenn nur die Artikel von menschlichen Autoren gezählt würden, läge die deutsche Wikipedia sogar direkt hinter der englischen Ausgabe an der Spitze. Die Versionen auf Platz zwei (Cebuano, eine auf den Philippinen gesprochene Sprache) und drei (Schwedisch) wurden nämlich mit Texten von umstrittenen Software-Robotern des Schweden Lars Sverker Johansson aufgeblasen.
Auch Wikipedia ist nicht fehlerlos
Die deutschsprachige Community hat auch stark dazu beigetragen, dass sämtliche Ideen einer Kommerzialisierung der Wikipedia verworfen wurden. „Niemand wurde durch sie zum Milliardär, Werbung gibt es nicht“, stellt Richter fest, der von 2011 bis 2014 Vorstand und Geschäftsführer der deutschen Wikimedia-Fördergesellschaft war. Zunächst sei die Wikipedia nur als ein Internetprojekt von ein paar Nerds angesehen worden. Etablierte Nachschlagewerke hätten sie zunächst ignoriert, schließlich heftig bekämpft.
Die renommierten Lexika hat Wikipedia aber seit Jahren hinter sich gelassen. Nach 244 Jahren gab der Verlag der Encyclopaedia Britannica 2012 bekannt, dass diese nur noch digital erscheint. Zwei Jahre später zog der Brockhaus – der hierzulande das Maß aller Nachschlagewerke war – nach.
Die Wikipedia kommt dagegen mit vergleichsweise kleinen Summen aus: Die Wikimedia Foundation, die die Infrastruktur des Online-Lexikon finanziert und mehr als 100 Programmierer bezahlt, nimmt jährlich über 120 Millionen Dollar an Spenden ein. Der deutsche Förderverein Wikimedia Deutschland verfügt mit über 80.000 Mitgliedern über einen Jahresetat von rund 18 Millionen Euro.
Wie alle Medienprojekte, an denen Menschen mitarbeiten, ist die Wikipedia nicht fehlerlos. So wurde erst nach Jahren entdeckt, dass der Rhein nicht 1.320 Kilometer lang ist, sondern nur 1.230 Kilometer. Der Zahlendreher stand zuvor aber auch in gedruckten Lexika.
Gravierender sind Fehlleistungen wie die falsche Behauptung, dass in einem deutschen Konzentrationslager in Warschau 200.000 Polen vergast worden seien. Es gibt zwar keinen Zweifel, dass es das Konzentrationslager Warschau gegeben hat, dieses war aber kein Vernichtungslager, wie 15 Jahre lang in der englischen Wikipedia zu lesen war. „Es bleibt ein dunkler Schatten auf der Geschichte der Wikipedia, in diesem zentralen Fall über einen so langen Zeitraum versagt zu haben“, schreibt Richter.
Früher oder später funktioniert Qualitätskontrolle doch
Immerhin ist der Beitrag um das Warschauer Lager auch ein Beweis, dass bei wichtigen Wikipedia-Artikeln früher oder später die Qualitätskontrolle doch funktioniert. Wikipedia-Forscher Dobusch sieht das Fehlerrisiko bei kleinen Beiträgen höher als bei großen Themen: „Wenn ich die Wikipedia benutze, dann muss mir bewusst sein, dass die Wikipedia umso vertrauenswürdiger ist, je populärer und wichtiger ein Thema ist. Denn das bedeutet, dass mehr Menschen sich dafür interessieren, mehr Menschen diese Artikel lesen, drüberschauen oder Fehler beanstanden und korrigieren.“
Mitbegründer Wales betont oft, dass funktionierende Wikipedia-Communities die Voraussetzung für eine Qualitätssicherung seien: „Communities, in denen die Mitglieder respektvoll und freundlich miteinander umgehen; Communities, die offen sind für Menschen aus jeder Religion, jeden Geschlechts, jeder politischen Ausrichtung und jeder sozialen Herkunft.“ Allerdings kommt die Wikipedia bei dieser Herausforderung seit Jahren nicht von der Stelle. Rund 90 Prozent der Autoren sind Männer, die meisten von ihnen aus westlichen Industrienationen. Und nicht wenige meinen, dass die Diskussionskultur in der Wikipedia-Gemeinde stark verbesserungswürdig sei.
Ein Impuls für die Zukunftsfähigkeit der Wikipedia kommt aus der deutschsprachigen Community, nämlich Wikidata. „Das ist die Idee hinter Wikipedia nur für maschinenlesbare Wissensdatenbanken“, erläutert Richter in einem Gespräch mit der dpa. Die Zukunft werde der künstlichen Intelligenz gehören. „Darin sind sich eigentlich alle einig.“ Mit Wikidata werde eine große und wichtige Basis, nämlich strukturiertes maschinenlesbares Wissen, von Anfang an auf eine gemeinnützige Basis gestellt und durch die Kraft einer starken Community getragen. „Das bedeutet, dass wir als Gesellschaft nicht in die Abhängigkeit von Google, Facebook und Alibaba und anderen Internetriesen kommen.“ (dpa)
Geschichten aus Wikihausen
Playlist 1:
https://www.youtube.com/playlist?list=PLDKSMbo_GyGizbygT29PBOiw_NewtwUSF
Playlist 2:
https://www.youtube.com/playlist?list=PLDKSMbo_GyGj4xdSOoAIwmw1rvQF-SDw0
Erklärbär „Fiedler“ über Wikihausen.
https://youtu.be/A35xmKJvkEA
Gratulation! 20 Jahre nach der Gründung gibt es mehr als 55 Millionen Beiträge in knapp 300 Sprachen. Für mich ist es ein schönes Nachschlagewerk. Ich interessiere mich meistens für Informationen über Personen, die in der Öffentlichkeit gehen. Wikipedia ermöglicht mir so in Sekundenschnelle genau die Infos zu finden, die mich interessieren.
Alles, was sich nicht irgendein „linkes“ Grüppchen als „auch ihr Thema“ auserkoren hat, ist in der englischsprachigen wikipedia sehr lesenswert; anders, wenn diese Grundvoraussetzung nicht gegeben ist, und dann insbesondere in der deutschsprachigen Ausgabe: Entweder ganz Finger weg oder unter der Prämisse „Feindbeobachtung“ lesen!
Zwei Dinge noch: Nicht alles, was wir als „unpolitisch, sollte also unproblematisch sein“ einordnen, ist dann auch entsprechend von Entstellung und Verzerrung verschont geblieben, denn gewisse Grüppchen endecken immer mehr Themen für sich: „alles ist politisch!“, also obacht! – und, die seit Jahren ja kostenpflichtige (und offenbar so teure, dass auch kaum eine öffentliche Bibliothek sie sich noch leisten will) Alternative britannica.com war für mich bei („unpolitischen“ aber extensiven) Recherchen (für die ich Vollzugriff hatte, letztens) von der Informationstiefe eine sehr große Enttäuschung: bei wikipedia (engl.) sind die Themen oft auf viele Einzelseiten verteilt, die man dann alle nacheinander aufrufen muss, aber insgesamt erfährt man dann sehr viel mehr als auf den einschlägigen ein, zwei britannica-Seiten, auch wenn diese auf den ersten Blick sehr umfangreich wirken mögen.
Insofern kann ich die Begeisterung für wikipedia also durchaus nachvollziehen, man sollte sich eben nur nicht auf sie verlassen, zumal bei (auch nur möglicherweise) „umstrittenen“ Themen, und was ist heute nicht „umstritten“, nicht wahr? Zur relativen „Unzuverlässigkeit“ insbesondere auch, aber nicht nur der deutschsprachigen wikipedia finden sich im Netz übrigens ganze Berge an Nachweisen.
Oh, da schreibt jemand „Feindbeobachtung“! Und offenbart damit viel über sich selbst.
@Logisch
„Ich interessiere mich meistens für Informationen über Personen, die in der Öffentlichkeit stehen. Wikipedia ermöglicht mir so in Sekundenschnelle genau die Infos zu finden, die mich interessieren.“
– Genau deshalb sollten Sie sich die beiden oben verlinkten Playlist’s und das verlinkte Video von @Maria Heidelberg anschauen. Wikipedia ist eine – gerade wenn es um politische Themen und Menschen im öffentlichen Raum geht – eine Propaganda- und Denunziationsplattform.
@Wehrmut: Das Thema Politik interessiert mich nicht bei Wikipedia. Es gibt so viele andere Bereiche, die zu erforschen Spaß machen. Sport, Kultur, Geschichte und vieles mehr.
Bei mir liegt der Brockhaus seit über 20 Jahren im Keller. Seit gut 10 Jahren ziehe ich Wikipedia den Werbeergebnissen von Google vor. Wenn ich im de.wiki nicht fündig werde, schaue ich bei fr. en. oder nl. nach. Politisches in Wiki interessiert mich nicht, es gibt so viele andere Beireiche die wissens/lesenswert sind. Leider finde ich Artikel häufig überladen für ein Nachschlagwerk.
Ja, Logisch, interessant ist, dass die Artikel in den verschiedenen Sprachen verschieden sind. Besonders bei den geschichtlichen, die ja immer politisch sind fällt das auf. Allerdings, wenn sich die Wikipedia-Autoren auf bestehende Veröffentlichungen, die immer nationalistisch geprägt sind, beziehen müssen, ist das nicht zu vermeiden.
Zu „die klassischen Lexika nur noch in wenigen Haushalten zu finden sind“ im Artikel. Das „nur noch“ ist wohl falsch, sie waren schon nur in wenigen Haushalten zu finden, denn sie waren teuer.
„Wissen“ gibt es kein Wort in Wikipedia. Es ist bloß eine Fabrik für eine politisch korrekte Desinformation. Ich übertreibe, natürlich, aber nur ein wenig…
WISSEN? Der war gut. Naive Figuren mögen den Inhalt der Wikipedia für „Information“ halten. (Dem entsprechend fallen dann auch deren Kommentare bei OD aus). Aber dieses „Wissen“ ist entweder wortwörtlich bei anderen Quellen abgekupfert, oder es ist inhaltlich so manipuliert, dass es einem bestimmten Weltbild entspricht und diesem weiter Vorschub leistet. Ich gebe zu, auch in Wikipedia nachzuschauen, aber dann geht es ausschließlich um Inhalte, die sich nicht einmal für deren rot-grüne Zuträger zu fälschen lohnt, zum Beispiel Lebensdaten von Personen. Wer seine Informationen aus Wikipedia bezieht, kann auch im Wald auf den Osterhasen warten, der gibt objektivere Auskunft.
Natürlich bietet Wikipedia auch eine Plattform für politisch gesinnte (bei den Kommentaren sehr gerne auf rot-grün gerichtet, als ob der schwarz-braune nicht auch sein Stückchen Zucker finden würde).
Auf Wikipedia habe ich schon immer sehr informative Artikel gefunden, sei es über Menschen, Länder, Maschinen, Erfindungen, Schriffsteller, Komponisten, Berufe, Chemie,Biologie usw und sofort. Und das ist auch Wissen.
Ich bin dankbar dass es diese Plattform gibt.
P.S. Da jeder reinschreiben kann, gibt es Menschen die ihre eigene Geschichte auf Wikipedia schreiben (der Traum der Unsterblichkeit). Ich dachte es wäre ein Witz. Ein Abteilunsgleiter meinte es bei einer Jahresfeier erwähnen zu müssen. Als nur vier Personen laut lachten (es waren locker 100 Personen da und ich gehörte zu den 4) wussten wir, demnächst wird ein Sturm über uns kommen. Zum Glück fand ich eine bessere Stelle nach „nur“ sechs harten Monate.
Ich hatte mich oben ja „differenziert“ ausgedrückt, und beides stimmt ja auch, der echte Informationsgehalt UND die quasi systematische Manipulation von Informationen dort.
Dass da jeder schreiben kann, ist falsch, dafür sorgt da eine Stammbesatzung, die alles ihr nicht Genehme löscht, aber, und das ist das eigentliche Problem, eben auch alles, was das von ihr quasi „Genehmigte“, besser, das ihr „Genehme“, eben auch vor Korrekturen, Richtigstellungen, Ergänzungen in nicht genehmer Richtung zuverlässig schützt.
Gerade heute hier https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/alexander-wallasch-heute/urteil-in-koblenz-8-000-euro-strafe-fuer-luegen-in-wikipedia/ ein interessanter Artikel dazu, der aber nur die Spitze des Eisbergs zeigt, ich zitiere: „Der Verurteilte hätte in seinem Eintrag bei einem Artikel über eine lebende Person gleich eine ganze Reihe von unwahren und einseitig negativen Änderungen vorgenommen. (…) Der in diesem Fall Betroffene wurde vom Verurteilten als Antisemit und Verschwörungstheoretiker dargestellt, und zusätzlich noch wurde seine berufliche Qualifikation infrage gestellt. (…) Wikipedia ist nach zwanzig Jahren leider durch und durch penetriert von einer „aufkeimenden Bürokratenmacht“, wie sie beispielweise der Soziologie Christian Stegbauer nennt.“
Was hier nicht so gut klar wird, ist folgendes: Der Kläger wird nämlich erst einmal monatelang vergeblich versucht haben, die Sache auf wikipedia selbst wieder richtigzustellen, und das wird ihm nicht gelungen sein, das Web ist „voll“ von Berichten Betroffener, die von solcher Ohnmacht gegenüber wikipedia und denen, die da eben „schreiben dürfen“, im Gegensatz zu ihnen, berichten.
So, und wenn wir jetzt noch in Rechnung stellen, dass sich eine teure Klage nur der leistet, der wirklich massiv auch persönlich / beruflich betroffen ist (und sich den Klageweg leisten kann), dann kann man sich schön vorstellen, wieviele Falschdarstellungen dort quasi auf ewig stehenbleiben, eben weil zahllose Leute, die es besser wissen, zwar den Kopf schütteln und ggf. auch einen Korrekturversuch machen, der dann aber sofort abgeblockt wird, dann aber nicht auf eigene Kosten deswegen vor Gericht gehen, sondern sich sagen, scheiß drauf.
Und ja, die deutschsprachige wikipedia ist ganz besonders schlimm, und eine Chance, die Lügen und Auslassungen (die gezielt gesetzt sind und daher eben auch nicht ergänzt werden dürfen) zu erkennen, hat man eigentlich nur, wenn man selbst die besseren Informationen hat, als wie sie wikipedia anbietet: derjenige, der sich informieren will, wird „geleimt“. Und das ist der Sinn der Sache, und denen ihre „Chefs“ – die gibt es nämlich, und die werden auch bezahlt von den Millionen an Spenden – lassen das zu. Und nochmal, manchen Leuten gilt mittlerweile alles als „politisch“ und also nach ihrem Gusto manipulationswürdig; auch das unterschätzt so mancher treue Leser der Platform.
Die dunkle Seite der Wikipedia
https://www.youtube.com/watch?v=5vdHiPGhIc0