Notizen

SERIE – Teil 4: Mit Berichten über Deutschland tat man sich beim Grenz-Echo lange Zeit sehr schwer

In den 1990er Jahren nannte man das Grenz-Echo noch "Monopolpresse". Ohne Tageszeitung fiel es den Ostbelgiern schwer, sich auf dem Laufenden zu halten. Das ist im heutigen Internetzeitalter ganz anders. Illustrationsbild: Shutterstock

„Ostbelgien Direkt“ setzt seine Serie zum 90-jährigen Bestehen des Grenz-Echo fort. In Teil 4 beschreibt Autor Gerard Cremer das lange Zeit sehr schwierige Verhältnis der Tageszeitung zum Nachbarland Deutschland, obwohl Städte wie Aachen oder Prüm, die Fußball-Bundesliga und die deutsche Politik den Menschen in Ostbelgien schon immer sehr vertraut waren.

Die Redaktion des Grenz-Echo hat sich seit jeher mit Berichten über Deutschland sehr schwer getan. Inzwischen hat sie kaum noch Probleme damit, interessante Geschehnisse aus dem Nachbarland zu thematisieren, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen.

Das war vor 20 Jahren noch ganz anders.

Natürlich erwartet der Leser von der einzigen ostbelgischen Tageszeitung in erster Linie, dass sie ihn über das Geschehen im Inland, also in Belgien, informiert. Das gilt erst recht für einen öffentlich-rechtlichen Sender wie den BRF. „Belgium first“, könnte man sagen. Und das ist auch richtig und gut so.

Diese Mannschaft von Alemannia Aachen (mit dem späteren AS-Torhüter Gerd Prokop und dem belgischen „Enfant terrible“ Roger Claessen) sorgte Ende der 1960er Jahre in der Bundesliga für Furore. Sie wurde 1969 sensationell deutscher Vizemeister. Dem Grenz-Echo war das Ereignis nur ein Einspalter von 19 Zeilen auf einer hinteren Seite wert. Foto: Die Lupe

Trotzdem wurde im Grenz-Echo und auch beim BRF diese Fixierung auf Belgien übertrieben, spannende Themen aus dem deutschen Grenzgebiet wie auch aus Deutschland wurden oft ignoriert oder mit einer kleinen Meldung abgespeist.

Die Fußball-Bundesliga zum Beispiel zieht seit ihrer Gründung im Jahr 1963 den ostbelgischen Fußballfan in ihren Bann. Das Gleiche gilt für viele Themen und Ereignisse in der deutschen Politik. Und Städte wie Aachen oder Prüm haben für viele Ostbelgier einen ähnlich hohen Stellenwert wie Verviers oder Lüttich, wenn nicht sogar einen höheren.

Das Grenz-Echo wurde 1927 zu belgophilen Zwecken gegründet. Die Zeitung sollte helfen, die Assimilierung der neubelgischen Gebiete zu fördern. Und auch der Belgische Rundfunk, der sich anfangs noch BHF nannte, bevor er in BRF umgetauft wurde, verfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg dieses Ziel.

Diese Ziele wurden jahrzehntelang mit einem gewissen Übereifer verfolgt. Bisweilen war es sogar so, dass nach Gründung der Ostbelgien-Ausgabe der Aachener Volkszeitung Mitte der 1960er Jahre nicht wenige Ostbelgier diese deshalb abonnierten, weil sie im Grenz-Echo Berichte zu deutschen Themen vermissten.

75 Jahre nach dem Versailler Vertrag

Selbst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, immerhin 75 Jahre nach dem Versailler Vertrag, hatte man als Grenz-Echo-Redakteur immer noch das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen, wenn man ein deutsches Thema behandeln wollte.

Beispiel 1: Im Herbst 1997 war Alemannia Aachen im DFB-Pokal sehr erfolgreich. Die Schwarz-Gelben, die in der Regionalliga ein Schattendasein führten, schafften es bis ins Achtelfinale. In Aachen herrschte nach langer Zeit wieder Fußball-Euphorie. Erinnerungen an die große Zeit in der Bundesliga Ende der 1960er Jahre wurden wach. Der (alte) Aachener Tivoli bebte wieder.

Eine Seite über Alemannia Aachen im Grenz-Echo vom 3. Dezember 1997. (Zum Vergrößern Bild anklicken)

Vor dem Pokalspiel gegen Waldhof Mannheim am 3. Dezember 1997 dachte ich, dass es an der Zeit war, über die Aachener Alemannia einen größeren Bericht zu schreiben, was ich dann auch tat. Zusätzlich zum Artikel „Aachen träumt vom Viertelfinale“ brachte ich noch ein Interview mit dem damaligen Trainer Werner Fuchs (siehe Screenshot der Seite anbei).

Als die Seite fertig war, merkte ich, dass es von Seiten eines verantwortlichen Redakteurs Vorbehalte gegen die Veröffentlichung der Seite über die Fußball-Euphorie in Aachen gab. „Was machen wir jetzt mit dieser Seite über Alemannia Aachen?“ äußerte sich der Redakteur ziemlich abschätzig einem Kollegen gegenüber. Die Seite über Aachen missfiel ihm gewaltig.

Dabei hatte ich die Seite ganz nebenbei, außerhalb der normalen Dienstzeit, produziert, weil das Thema mich interessierte und vor allem deshalb, weil ich der festen Überzeugung war, dass das Thema auch viele Grenz-Echo-Leser interessieren würde.

Übrigens stellte ich damals beim Durchforsten des Grenz-Echo-Archivs fest, dass am Ende der Saison 1968-1969, als Alemannia Aachen in der Bundesliga sensationell Deutscher Vizemeister wurde (mit Roger Claessen, hinter Meister Bayern München), dies dem Grenz-Echo vom 9. Juni 1969 nur ein mickriger Einspalter „Aachen ist Vizemeister“ von gerade mal 19 Zeilen auf einer hinteren Seite wert war.

Diese Vorbehalte gegen alles, was Aachen und Deutschland betraf, bestimmten die Redaktionsinhalte des Grenz-Echo lange Zeit. Erst Anfang der 2000er Jahre, als die erste Verjüngung der Redaktion stattfand, zeigte sich die Zeitung viel offener für Themen aus dem Nachbarland.

Oskar Lafontaines flammende Rede

Heute ist diese Barriere fast ganz verschwunden – fast, denn manchmal glaubt man als Leser der Tageszeitung, gewisse Berichte würden absichtlich klein gehalten, nur weil sie Deutschland betreffen.

So war ich erstaunt, dass am vergangenen Samstag, dem 17. Juni 2017, auf Seite 1 der Tod des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl – immerhin ein führender Europäer, als Kanzler Wegbereiter der Deutschen Einheit, der Europäischen Union und des Euro – nur oben unter dem Zeitungskopf mit einem kleinen Bildchen und einem Kurztitel abgefertigt wurde. „Kanzler der Einheit – Helmut Kohl ist tot“ – mehr war da nicht zu lesen.

Die Seite vom 17. November 1995 über Oskar Lafontaines fulminante Rede auf dem SPD-Parteitag in Mannheim. (Zum Vergrößern Bild anklicken).

Dies ist aber eher die Ausnahme. Die junge Generation von Grenz-Echo-Redakteuren blickt heute viel gelassener auf den „großen Nachbarn“.

Man scheut sich nicht, eine Seite über den Fanclub Ostbelgien von Schalke 04 oder Borussia Dortmund zu bringen. Bei so viel Aufmerksamkeit für die Bundesliga wäre ehemaligen Sportredakteuren des Grenz-Echo übel geworden, um es mal etwas überspitzt zu formulieren.

Das gilt übrigens nicht nur für Sportthemen. Wie schwer man sich in den Redaktionsstuben am Marktplatz noch bis zu den 1990er Jahren mit bundesdeutschen Themen tat, zeigt das zweite Beispiel.

Man weiß, dass sich die Ostbelgier sehr stark für die deutsche Politik interessieren. Das hat gleich mehrere Gründe. Trotzdem gab es auch dazu in der Grenz-Echo-Redaktion noch vor 20 Jahren viele Vorbehalte.

Ich erinnere mich an einen SPD-Parteitag in Mannheim am 15. November 1995. Es muss so um die Mittagszeit gewesen sein, als Oskar Lafontaine eine Rede hielt, die in die Geschichte eingegangen ist. Sie riss nicht nur die Delegierten in Mannheim von ihren Stühlen, sondern auch mich vor einem Fernsehgerät in der Grenz-Echo-Redaktion in Eupen.

Lafontaine hielt eine Rede, wie ich sie nur selten von einem Politiker gehört hatte. Für ihn gab es tosenden Applaus. Mehrere Delegierte forderten den Saarländer auf, gegen den amtierenden Parteivorsitzenden Rudolf Scharping zu kandidieren, was er dann auch tat. Am darauf folgenden Tag wurde Lafontaine Parteichef.

Ich dachte, dass man diesem Ereignis auch im Grenz-Echo gebührend Beachtung schenken sollte. Ich machte daraus eine Sonderseite und schrieb eigens einen Kommentar (siehe Screenshot der Seite anbei).

Scheuklappen endlich abgelegt

Obwohl dies mancher Kollege reichlich übertrieben fand, setzte ich mich durch – gemäß der Devise: nicht diskutieren, sondern machen! Diese Maxime sollte ich später noch oft beherzigen. Es war manchmal die einfachste Methode, ein Vorhaben, von dessen Notwendigkeit man als Journalist überzeugt war, in die Tat umzusetzen.

Es ist jedenfalls erfreulich festzustellen, dass die Redaktion der einzigen deutschsprachigen Tageszeitung in Belgien ihre Scheuklappen gegenüber dem Geschehen im Nachbarland abgelegt hat.

Mich hat immer schon gestört, dass im Grenz-Echo ein Baum, der in der Provinz Westflandern umgefallen ist, zu der die Ostbelgier kaum einen Bezug haben, lange Zeit mehr Beachtung fand als ein ebenfalls umgefallener Baum in den nahe gelegenen Städten Aachen, Alsdorf oder Bleialf, nur weil dazwischen die Staatsgrenze verläuft…

GERARD CREMER

Diese Serie wird in Kürze fortgesetzt. Bereits erschienen:

SERIE – Teil 1: Die Faszination der „Alten Dame“ vom Eupener Marktplatz

SERIE – Teil 2: Vor 20 Jahren war GE-Redaktion unabhängiger als heute

SERIE – Teil 3: Grenz-Echo brauchte trotz Monopol mehr Marketing – Der Coup mit „Kaiser“ Franz Beckenbauer

22 Antworten auf “SERIE – Teil 4: Mit Berichten über Deutschland tat man sich beim Grenz-Echo lange Zeit sehr schwer”

  1. Desinteresse

    Das G E und viele Belgische Medien, u a auch der BRF haben sehr wenig Interesse an dem Geschehen in der nahen BRD. Auch heute noch. Da fehlen dynamische Leute mit neuen Ideen. So z Bspl in Wirtschaflichen Bereich, der Touristik und vielem anderen, Vergleiche ziehen. Steuern dort gegen Steuern hier, Gesundheitsbereich, Kranken Kassen in Deutschland gegen Belgien, Beiträge, Rückvergütungen, der Touristik, wie gehen die Deutsche darin vor, wie die TAO in der DG, sowie vieles mehr. Wenn schon keine Ideen, dann auch kein Resultat!?

  2. Vereidiger

    Also, dieser doch sehr subjektive Rückblick hat schon etwas von Selbstverliebtheit…
    Woher kommt eigentlich die Annahme, dass ausgerechnet die Allemania „die“ Leser des GE interessiert? Mit Blick auf die in dieser Wahrnehmung offenbar nicht existenten Abonnenten südlich des Venns kann ich schon nachvollziehen, dass damals andere Redakteure wenig begeistert waren! Und dann diese recht team-unfähige Haltung „mir egal, ich mach einfach mein Ding“…
    Die Berichterstattung über Ereignisse und Befindlichkeiten in Deutschland war womöglich komplex-behaftet, aber das kann man wohl kaum daran ermessen, wie ausführlich über die Allemania geschrieben wird…

    • Ostbelgien Direkt

      @Vereidiger, ich habe das zwar schon mehrfach betont, mache es aber gerne noch einmal: Das ist kein klassischer Rückblick von 1927 bis 2017. Den macht das Grenz-Echo ohnehin immer in seiner Jubiläumsausgabe. Um mal etwas anderes zu bringen, sollen eben Anekdoten und Erinnerungen aus den 13 Jahren, die ich am Marktplatz verbracht habe, geschildert werden. Und was Alemannia Aachen betrifft, so war das Interesse damals schon groß, selbst in der Eifel. Es rechtfertigte auf jeden Fall vor einem Achtelfinale im DFB-Pokal diese eine Seite. Die wäre heute sowieso selbstverständlich. Gruß

  3. Töröö

    Beruflich, Gesundheitswesen, Pendler, Sport und erst recht in der Wirtschaft haben wir in teilen mehr mit D zu schaffen als mit B…. früher hat man versucht das unter dem Teppich zu kehren, da nicht sein kann was nicht sein darf. Zum Glück sind die Beziehungen zu unseren ehemaligen Landsleuten etwas entspannter.

  4. Frankenbernd

    Die bessere Berichterstattung hat auch damit zu tun, das wir ‚Neubelgier‘ nicht mehr beweisen muessen, dass wir in Belgien ‚angekommen[ sind. Heute nennt man uns sogar die ‚letzten wahren Belgier‘, Ironie der Geschichte. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass z.B. manche Foristen bei OD wie GE immer noch meinen, mit naiven, dummen anti deutschen Kommentaren zu punkten. Das kann einem auch in einer Eupener Kneipe passieren. ‚Deutschlandbashing‘ ist vor allem in Eupen noch gut vertreten. Da scheint manche Geschichte (1940-44?!) immer noch nicht verarbeitet zu sein. Aber gerade die Jungen haben doch kein Problem mehr. Man siehts an der Zahl derjenigen, die in D studieren, arbeiten und auch leben. Habe selbst eine Tochter an D ‚verloren‘.

      • Ach was!

        „Vorurteile halten sich aber über Generationen hartnäckig.“

        Nun ja, wenn „Vorurteile“ sich auf Tatsachen beziehen, dann sind „Vorurteile keine „Vorurteile“ mehr, sondern vorhandene Feststellungen, bzw erwiesene.Tatsachen, welche, wenn man sie denn erwähnt, einem wiederum als Vorurteile vorgehalten werden…..

      • Frankenbernd

        da gibts abrer genuegend gegenteilige Erfahrungen, mich inklusive. Habe in Deutschland studiert meine Tochter lebt dort seit 11 Jahren usw. ‚Auslaenderfeindlichkeit‘ heisst heute in D wie in Belgien ‚andere Kulturen und Sprachen‘ leider immer noch. Kommt natuerlich auch immer drauf an wie man sich als (deutschsprachiger) Auslaender verhaelt. In Oesterreich ist man schnell als „Piefke“ verschrien wenn man das ‚Deutsche‘ zu sehr raushaengen laesst. Kann auch schnell einem DG’ler auf Urlaub passieren. Das als ‚Ausaenderfeindlichkeit‘ zu bezeichnen ist falsch.

  5. Dorfbewohner

    Als Deutscher, der seit über 20 Jahren in Ostbelgien lebt, möchte ich noch etwas anmerken:

    Für Menschen wie mich ist das Grenzecho eine schöne Möglichkeit, mehr mitzubekommen von den ostbelgischen Themen, sei es von der Parteienlandschaft (die für einen Deutschen erst einmal ziemlich unübersichtlich ist), der Lokal- und Regionalpolitik bis hin zu nationalen Themen, die in den deutschen Medien kaum vorkommen. Aber auch kulturelles – ein Bereich in dem in Ostbelgien erstaunlich viel passiert, wenn man die doch überschaubare zur Einwohnerzahl berücksichtigt.

    Da man aber natürlich nicht zwei Tageszeitungen abonnieren will (also die AN oder AZ plus das GE), ist es für diese Leseschaft gut, wenn zumindest über wichtige Themen aus Aachen und dem weiteren Grenzgebiet berichtet wird.

    • Réalité

      Alles Ansichtssache Dorfbewohner! Sie sind glaube ich ja in Hessen geboren, also müssten Sie ja eher die „FAZ“ lesen!?_?_?_? Und sehr wichtig ist hier in der DG besonders die Politik! Das sind Sie in Deutschland ganz sicher nicht gewohnt wie verwöhnt wir hier in der Hinsicht sind!
      Etwa EIN Politiker (höherer) kümmert sich um 10.000 Bürger!
      Weltrekordverdächtig und gehört ins „GINESS Buch der Rekorde“!
      Mein Tipp!
      Lesen Sie viel OD! Dabei lernen Sie auch viel „unentdecktes“ kennen, was die anderen Medien nicht so berichten! Und OD bringt Sie des Öfteren auch zum lachen!
      Also, das G E abonnieren und OD ömesös! Das 1 für die Kultur, Todesanzeigen, Service, Restauranttipp des Monats, und das 2 für Politik, DG, Reisen, Konferenzen, Parlament, Gemeinden, usw.

      • @ Réalité

        Glauben Sie eigentlich wirklich alle Posts die nicht von Ihnen oder einem Ihrer vielen Aliase stammen wären von mir oder wollen Sie nur die Welt verarschen indem Sie auf Ihren eigen Unsinn antworten?

    • Frankenbernd

      @Ekel Alfred
      Bedaure ich ueberhaupt nicht, Super Schwiegersohn, die ist gluecklich dort. Und lacht sich uebrigens oft schief ueber all die ‚anti’deutschen Kommentare‘ auf OD. Ihre Bemerkung dazu: Gibt immer noch sehr viele ‚zu Hause‘ fuer die die Welt in Lichtenbusch aufhoert.

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