Notizen

Prozess gegen Ex-Bundespräsident Wulff beginnt

Christian Wulff am 26. Oktober vor dem Bundesligaspiel Hannover 96 gegen TSG 1899 Hoffenheim in der HDI-Arena in Hannover. Foto: dpa

Seit Donnerstag steht zum ersten Mal ein ehemaliger deutscher Bundespräsident vor einem Strafgericht. Christian Wulff muss sich wegen Vorteilsnahme verantworten.

Wulff hat sich laut Anklage als niedersächsischer CDU-Ministerpräsident vom Filmunternehmer David Groenewold 2008 schmieren lassen – mit der Übernahme von Kosten für zwei Hotelnächte und Babysitter sowie einer Einladung in ein Edelzelt des Oktoberfests in München.

Das Medieninteresse an dem Prozess ist riesig: 70 Pressevertreter – darunter auch mehrere aus dem Ausland – werden ab 10 Uhr im Gerichtssaal jedes Wort, jede Geste und Mimik von Wulff verfolgen. 22 Verhandlungstage sind angesetzt – bis in den April hinein. 45 Zeugen sollen gehört werden, darunter auch Bettina Wulff, die ihre Sicht auf die Dinge schildern wird, die zum Aus ihrer Ehe führten.

Rücktritt am 17. Februar 2012

Groenewold wird der Vorteilsgewährung beschuldigt. Er soll für Wulff in München 510 Euro Hotel- und Babysitterkosten übernommen und außerdem 209,40 Euro für ein Abendessen und den Festzeltbesuch gezahlt haben.

Bettina und Christian Wulff im Jahre 2010. Foto: Wikipedia

Bettina und Christian Wulff im Jahre 2010. Foto: Wikipedia

Im Fall Wulff haben sich indes auch die Medien nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Als „Rudel-Journalismus“ bezeichnet Stern-Chefredaktionsmitglied Hans-Ulrich Jörges die öffentlichen Erregungswellen in den Medien.

Die Wulff-Affäre begann im Dezember 2011, mit indirekten Vorläufern in den Monaten davor, und führte zu Wulffs Rücktritt als Bundespräsident am 17. Februar 2012. Es ging zunächst um den Vorwurf, im niedersächsischen Landtag eine Anfrage, die mit der Finanzierung seines Eigenheims zusammenhing, unzutreffend beantwortet zu haben (sog. Kreditaffäre). Dann wurde Wulff vorgeworfen, er habe versucht, die Berichterstattung darüber zu verhindern (sog. Medienaffäre).

In der Folge wurden immer wieder neue Vorwürfe wegen früherer Verhaltensweisen aus Wulffs Zeit als Ministerpräsident erhoben. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat schließlich unter anderem wegen einer Urlaubsreise nach Sylt, die David Groenewold bezahlt haben soll, Ermittlungen wegen Verdachts der Vorteilsannahme aufgenommen und die Aufhebung von Wulffs Immunität als Bundespräsident beantragt. Wulff trat daraufhin zurück.

Pressestimmen zum Prozessauftakt gegen Wulff

Frankfurter Rundschau: „Richtig ist: Christian Wulff ist ein Opfer. Richtig ist aber auch: Er ist vor allem ein Opfer Christian Wulffs. Er ist nicht nur der erste ehemalige Bundespräsident, der sich vor Gericht verantworten muss. Er war auch der erste hochrangige Politiker der Bundesrepublik, der es fertigbrachte, eine Affäre, die keine war, zu einem Skandal zu machen, in dem er untergehen musste, weil er sich auf Halb- und Unwahrheiten verlegte, wo es genügt hätte, die Wahrheit zu sagen. Seit dem ersten Tag der Affäre erinnerte Wulff an einen Mann, der lügt, weil ihm der Mut zur harmlosen Wahrheit fehlt, der sich in heillose Rabulistik flüchtet, wo ein klares Wort genügt hätte, um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen.“

Christian Wulff 2005 als CDU-Ministerpräsident in Cuxhaven. Foto: Wikipedia

Christian Wulff 2005 als CDU-Ministerpräsident in Cuxhaven. Foto: Wikipedia

Berliner Zeitung: „Seine Existenz als Politiker hat er verloren, seine bürgerliche Existenz aber verteidigt er gegen den überzogenen Strafanspruch der Staatsanwaltschaft. Das Gericht sollte ein Einsehen haben und die Staatsanwälte daran erinnern, dass sie als Ankläger aufzutreten haben, nicht als Racheengel.“

Nordbayerische Kurier: „In dem Prozess geht es nicht mehr um den Bundespräsidenten, sondern um die Person Christian Wulff, die um ihren guten Ruf kämpft. In diesem Kampf hat er immerhin schon einen Teilerfolg errungen: Medien, die zum Höhepunkt der Affäre noch über ihn hergefallen sind, berichten jetzt wohlwollend. Die Stimmung hat sich gedreht. Wulff, der Amt, Ansehen und Ehefrau, aber nicht den Ehrensold verloren hat, kommt plötzlich in die Opferrolle – und erneut entsteht ein verzerrtes Bild.“

Der Tagesspiegel: „Es ehrt den Ehrverletzten, nicht den bequemen Weg gegangen zu sein. Aber das juristische Urteil, egal wie es lautet, wird das öffentliche Urteil kaum revidieren. Zu groß ist der Kreis jener, die ihn als Präsidenten von Anfang an ablehnten, als dass sich deren Grundhaltung im Falle eines Freispruchs ändern würde. Für diesen Kreis sind die strafrechtlich irrelevanten Dinge dann eben moralisch relevant. Wulffs Blässe, seine Salamitaktik, seine Vertuschungsversuche, seine Halbwahrheiten, sein Anruf beim Chefredakteur der Bild-Zeitung. Selbstgerechtigkeit ist oft das Gegenteil von Gerechtigkeit.“ (dpa/focus.de/bild.de/wikipedia/cre)

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