Politik

Erleichterung, aber auch bitterer Beigeschmack: Pressestimmen zum Brüsseler EU-Sondergipfel

17.07.2020, Belgien, Brüssel: Sophie Wilmès (l-r), Premierministerin von Belgien, Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Sanna Marin, Premierministerin von Finnland, stehen beim EU-Gipfel zusammen. Foto: Stephanie Lecocq/EPA Pool/AP/dpa

Vier Tage verhandeln die EU-Staaten um ein Milliarden schweres Finanzpaket. Das Ziel: die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise auffangen. Am Ende steht ein Kompromiss. Nicht alle sehen darin einen Erfolg.

Nach tagelangem Ringen um einen Kompromiss für ein europäisches Corona-Hilfspaket steht der Plan im Umfang von 1,8 Billionen Euro.

Ein besonderer Streitpunkt in den Verhandlungen war die Höhe der nicht zurückzuzahlenden Zuschüsse im 750 Milliarden Euro umfassenden Investitionsprogramm. Am Ende einigten sich die 27 Mitgliedsstaaten hierfür auf einen Umfang von 390 Milliarden Euro.

Während die Einigung von vielen als Erfolg gefeiert wird, melden sich in der internationalen Presse auch warnende Stimmen zu Wort.

LOB UND ANERKENNUNG…

21.07.2020, Belgien, Brüssel: Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, stoßen sich an den Ellbogen, nachdem sie zum Abschluss des EU-Gipfels jeweils eine Rede gehalten haben. Foto: Stephanie Lecocq/EPA Pool/AP/dpa

– „IRISH TIMES“ (Irland): „Die Einigung des EU-Gipfels auf ein 750 Milliarden Euro umfassendes Hilfspaket zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise sowie auf einen neuen Siebenjahres-Haushalt bedeutet zuallererst Erleichterung. Ob das nun ein Schritt in Richtung wirtschaftlicher Integration ist oder eine einmalige Aktion zur Bekämpfung einer außerordentlichen Krise, wird noch lange debattiert werden.“

– „LIDOVE NOVINY“ (Tschechien): „Zu aller Überraschung überwogen am Ende die gemeinsamen Interessen. Dahinter stand das Wissen, dass ein Scheitern der Verhandlungen die EU auseinanderreißen würde. (…) Solange es in der EU einen kleinsten gemeinsamen Nenner gibt, ist dieses europäische Stammesgebilde vielleicht noch nicht zum Untergang bestimmt.“

19.07.2020, Belgien, Brüssel: Charles Michel (2.v.l), Präsident des Europäischen Rates, Xavier Bettel (4.l-r), Premierminister von Luxemburg, Sophie Wilmès, Premierministerin von Belgien, Micheal Martin, Premierminister von Irland, und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, nehmen an einer Konferenz im Rahmen des EU-Sondergipfels am Hauptsitz der Europäischen Union teil. Foto: Pool Eric Vidal/BELGA/dpa

– „MAGYAR NEMZET“ (Ungarn): „Der Rechtsstaatsmechanismus bleibt zwar als Drohung im Raum stehen, wird aber vorerst nicht zur Realität. In einer Zeit der neuen, von der Corona-Krise ausgelösten Wirtschaftskrise sahen die Mitgliedsstaaten ein, dass jetzt nicht die Zeit für politische Scharmützel ist, sondern für eine verantwortliche Politik, für gemeinsame Anstrengungen zur Bekämpfung der Krise.“

– „EL MUNDO“ (Spanien): „Tatsächlich ist das Hilfspaket mit Bedingungen verbunden – angefangen mit der Notbremse, die es den anderen Ländern ermöglicht, die Verwendung der Gelder sehr genau zu überwachen. Das sollten wir nicht negativ sehen, so wie es uns die Regierung versucht hat einzubläuen. Tatsächlich handelt es sich um eine notwendige Kontrolle, damit das Geld nicht verschwendet und zu einem Blankoscheck in den Händen verantwortungsloser und verschwenderischer Politiker wird.“

– „PRAVDA“ (Slowakei): „Die wichtigste Voraussetzung dafür, dass diese Einigung überhaupt zustande kommen konnte, war die Haltung Berlins. Deutschland, das bei der vorherigen Krise noch als Symbol für harte Sparmaßnahmen stand, entschied sich diesmal zum Öffnen der Geldflüsse. Der Grund für die plötzliche Großzügigkeit verbirgt sich hinter der Erkenntnis, dass für Deutschland in Zeiten des weltweiten Protektionismus der gemeinsame Markt lebenswichtig ist.“

KRITIK UND WARNUNGEN

19.07.2020, Belgien, Brüssel: Mark Rutte (l-r), Ministerpräsident der Niederlande, Sebastian Kurz, Bundeskanzler von Österreich, Mette Frederiksen, Ministerpräsidentin von Dänemark, Stefan Löfven, Ministerpräsident von Schweden, und Sanna Marin, Ministerpräsidentin von Finnland, nehmen an einer Konferenz im Rahmen des EU-Sondergipfels am Hauptsitz der Europäischen Union teil. Foto: -/European Union/XinHua/dpa

– „DE STANDAARD“ (Belgien): „Nach der angemessenen Freude über die von den europäischen Regierungschefs erzielte Einigung bleibt doch ein bitterer Beigeschmack zurück. Querulanten, die ordentlich auf den Tisch gehauen haben, bekamen ihren Willen. Vielleicht nicht ganz, aber doch zum Teil. (…) Das raubt der historischen Tatsache, dass die Union nun zum ersten Mal in großem Umfang gemeinsame Schulden aufnimmt, etwas den Glanz.“

– “FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG“ (Deutschland): „Schon in Brüssel wollte am Ende keiner als derjenige in die Geschichte eingehen, der mit dem Beharren auf seiner Maximalposition die EU mitten in einer Pandemie auch noch in eine existentielle politische Krise stürzte. Ins Positive gewendet, heißt das: Selbst jenen, denen es angeblich vor allem um den ‚nationalen Stolz‘ geht, bietet die EU immer noch zu viele Vorteile, als dass sie deren Zerbrechen riskieren möchten. Auf dem Corona-Gipfel kam es daher (noch) nicht zum großen Knall. Dass die Risse, die sich durch die EU ziehen, breiter werden, ist jedoch nicht mehr zu übersehen.“

– „FINANCIAL TIMES“ (Großbritannien): „Vier Tage lange Verhandlungen in schlechter Stimmung haben tiefe Spaltungen in der EU offenbart – zwischen Norden und Süden sowie Osten und Westen -, die nur zu oft ihre gemeinsame Sache behindern und ihre Handlungsfähigkeit einschränken.“

21.07.2020, Belgien, Brüssel: Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gehen zum Abschluss des EU-Gipfels in ihren Pressekonferenzraum. Foto: John Thys/AFP Pool via AP/dpa

– „SVENSKA DAGBLADET“ (Schweden): „Die Frage ist jetzt, was die EU künftig für ein Projekt sein wird. (…) Fragen zur Hauptaufgabe der EU, EU-Steuern und der Anforderung rechtsstaatlicher Prinzipien hängen in der Luft. Das einzige, was sicher ist: Die Kredite, die die EU-Kommission zur Finanzierung aller wirtschaftlichen Anreize des Wiederaufbaufonds aufnehmen wird, müssen früher oder später bezahlt werden.“

– „NEUE ZÜRCHER ZEITUNG“ (Schweiz): „Die zusätzlichen Transfers werden die EU noch mehr zu einer Umverteilungsmaschinerie machen. Das soll die wirtschaftliche Konvergenz stärken, und vielleicht braucht die EU tatsächlich mehr Transfers als Preis, den die reicheren Länder für den inneren Zusammenhalt bezahlen. Doch Eigenverantwortung und finanzielle Disziplin der Mitgliedstaaten können sie nicht ersetzen.“

– „WALL STREET JOURNAL“ (USA): „Einige sprechen von einem historischen Moment für die politische und fiskalische Integration des Kontinents. Es handelt sich um eine bedeutende Entwicklung, aber vor den «Vereinigten Staaten von Europa» stehen wir deshalb noch nicht. (…) Für eine weitreichendere politische und fiskalische Union fehlt es der EU noch immer an einer einigenden Zielsetzung – von der demokratischen Legitimität ganz zu schweigen.“

19.07.2020, Belgien, Brüssel: Viktor Orban (M), Ministerpräsident von Ungarn, gibt eine Pressekonferenz am Rande des EU-Gipfels. Foto: Johannes Neudecker/dpa

– „LE FIGARO“ (Frankreich): „Es ist unerlässlich, Darlehen und Zuschüsse gut zu nutzen. Wie sollten sie verwendet werden? Indem man sich dafür entscheidet, zu investieren (Digital, Energie, Forschung, Raumfahrt…), um Länder, die unter der Krise leiden, zu transformieren, anstatt die laufenden Ausgaben zu finanzieren.“

– „LA REPUBBLICA“ (Italien): „Wenn die Conte-Regierung schnell Entscheidungen trifft, visionär in Bezug auf Wachstum und mutig in Kampf gegen Bürokratie und Korruption ist, werden wir ein Modell für den EU-Neustart sein. (…) Wenn jedoch interner Streit, politische Blindheit, persönliche Ambitionen und bürokratischer Widerstand überwiegen, wird die Chance verspielt, Italien wird geschwächt hervorgehen und alle, die das Ende der EU wollen, werden davon profitieren.“

– „MÜNCHNER MERKUR“ (Deutschland): „Der EU-Gipfel hat seine Pflicht erfüllt – ob die Kür gelingen wird, ist offen. Denn die Einigung auf das 1,8-Billionen-Euro-Paket allein, um das in den letzten vier Tagen bis aufs Messer gefeilscht wurde, bedeutet nicht, dass die damit verbundenen Ziele, den Wiederaufbau und die Zukunftsfähigkeit Europas zu stärken, erfüllt werden. So wichtig es war, dass die EU ein Signal der Einheit an die Welt sendet, so unübersehbar traten aber auch die vielen Brüche zutage, die die 27er-Union durchziehen.“

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

14 Antworten auf “Erleichterung, aber auch bitterer Beigeschmack: Pressestimmen zum Brüsseler EU-Sondergipfel”

  1. volkshochschule

    Glaubt man dem Top Ökonom Nouriel Roubini der seit Februar mit all seinen Prognosen richtig lag wird auch dieses Hilfspaket das abgleiten in eine große Depression nicht verhindern können. Ab dem Herbst werden wir eine ungeahnte Welle von Pleiten und Massenentlassungen erleben rund um den Globus, aber auch in Europa. Soziale Unruhen die sich schon jetzt in Großstädten zeigen werden zunehmen. Forderungen nach politischer Veränderung werden ebenfalls lauter, da es die bisherige Politik mit ihren Umverteilungs- und Regulierungs- Maßnahmen nicht geschafft hat die Finanz und Wirtschaftspolitik so zu steuern das die soziale Ungleichheit gering bleibt. Auch ist die Eindämmung der Virenkrise gescheitert da keine Maßnahmen getroffen wurden wie in Wuhan wo für einige Wochen alles zum Stillstand kam weil es notwendig war. Auch kam die Maskenpflicht zu spät und es gibt zu viele Ausnahmen. Denn neue Erkenntnisse zeigen das auch im Freien Masken erforderlich sind.

    • @volksschule: Ihnen fehlt wirklich was, verordnen sie sich selbst auch das mit Maske schlafen, tragen sie diese bitte 24 Stunden jeden Tag, eine gewisse Branche wird sind dann bald freuen!
      Das ist wirklich erforderlich!!

  2. Ja die Prüsse, ist aber viel zu lange her, der Vergleich ist passé! Die Deutschen sollten was mehr einzahlen, aber an denen und Frau Merkel sollten sich andere ein Beispiel nehmen! Die Frau macht Politik so wie das Volk es will! Und die Wirtschaft dreht gut. Andere Staaten können da nur neidig werden! Macron, ein Viel(ver)Sprecher, die Südlichen Staaten, die nur am schluchzen sind, und ihre Zahlen noch immer nicht im Griff haben, bzw kriegen! Der Rutté, ein typischer Holländer! Der schielt auf seine Wahlen, und hat seine Hosen voll eine Regierung zusammen zu bekommen. Andere Staaten sollten den Mann jetzt auch mal erpressen, denn mit seinen Steuervorteilen zieht er grosse Weltfirmen und Banken nach Amsterdam, ob der Steuervorteile! Jetzt sollten ihn die Merkel und Co mal in die Angel nehmen dafür! Der smarte Kurz war nur auf Imagepflege und Publicity raus. Da hat man die E U ganz anders gekannt vor Jahren. Die Populisten aus Polen, Ungarn, Tschechien usw, sollten ab jetzt viel mehr in die Zange genommen werden, denn sie verulken den Rest E U. Dieser Staatenverbund hat’s schwer, denn jeder schaut zuerst in sein Portemoné. 27 Staaten unter 1 Hut, einmalige Chance, aber dann mit seriösen Leuten, und nicht diese Mitläufer von Hampelmännern! Ansonsten, raus mit denen, denn einige faule Äpfel könnten eine ganze Kiste anstecken! Solche Profitöre braucht keiner!

    • Piersoul Rudi

      Lieber Herr/Frau Faktum (22/07/2020 15:58)
      Ich glaube nicht das Sie das Ganze, ganz, verstanden haben.
      Es ging der Herr Rutte (und nicht Rutté) darum das die Staaten die gespart und wirtschaften können nicht (schon wieder) die Schulden der Süd-Staaten (und es sind immer die gleichen Länder=Sp, Gr, It=) „mittragen sollen“…
      Subsidien, „Herr/Frau Faktum“, werden nicht zurück gezahlt…mit anderen Worten…Subsidien werden/sind geschenkt…
      Aber irgendwann wird irgend jemandem die trotzdem begleichen müssen…
      Überlegen Sie mal wie viel Millionen diese Staaten schon bekommen haben(Siehe Bankenkrise).
      Die Aussichten dass, diese Millionen irgendwann zurückgezahlt werden sehen, gelinde gesagt, „sehr düster“ aus…
      Das die „Firmen“ sich lieber in NL(oder in die skandinavische Länder) statt woanders in Europa festigen wollen hängt, vielleicht, auch an der holländische/skandinavische Mentalität…
      Eine Tatsache von der viele andere Länder „ein Scheibchen abschneiden könnten“…
      Oder glauben Sie echt das in viele andere europäische Länder die Firmen nicht steuerlich unterstützt und entlastet werden???
      Warum kommen reiche Franzosen sich in Belgien festigen???
      Ach ja genau…wegens unsere Fritten…Gggrrrööölll…
      MfG

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