Notizen

Fälschungsvorwürfe und massive Polizeigewalt bei Präsidentenwahl in Belarus

09.08.2020, Belarus, Minsk: Menschen stehen auf einem Gehweg an einem Wahllokal Schlange. Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Unter dem Eindruck beispielloser Fälschungs-Vorwürfe und massiver Polizeigewalt haben Millionen Menschen in Belarus (Weißrussland) am Sonntag einen Präsidenten gewählt.

Zwar erwartete Staatschef Alexander Lukaschenko, der die ehemalige Sowjetrepublik seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit harter Hand regiert, einen hohen Sieg. Bejubelt wurde aber die politisch nur wenig erfahrene Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja (37).

Viele riefen „Sweta, Sweta!“. Vor den Wahllokalen bildeten sich teils lange Schlangen von einigen Hundert Metern mit Lukaschenko-Gegnern. Das gab es in der Ex-Sowjetrepublik noch nie.

09.08.2020, Belarus, Minsk: Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, gibt seinen Stimmzettel während der Präsidentschaftswahlen in einem Wahllokal ab. Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Ein ganz anderes Bild als bei der Kandidatin gab es bei Lukaschenko, der als „Europas letzter Diktator“ gilt und immer noch die Todesstrafe vollstrecken lässt: Der 65-Jährige gab seine Stimme in kleinem Kreis an der Universität in der Hauptstadt Minsk ab. Er hatte mit dem Einsatz der Armee gedroht, um seine Macht zu sichern.

Der Staatsagentur Belta zufolge sagte er: „Es kann keine Rede davon sein, dass mit dem morgigen Tag im Land Chaos und Bürgerkrieg ausbrechen. Es gerät nichts außer Kontrolle. Das garantiere ich.“ Er erwartete laut staatlichen Nachwahlbefragungen 79,7 Prozent der Stimmen, Tichanowskaja soll demnach nur 6,8 Prozent zugesprochen bekommen.

In sozialen Netzwerken wurden Videos von Militärfahrzeugen veröffentlicht, die an den Straßen nach Minsk Stellung bezogen. Auch am Wahltag kam es wieder zu zahlreichen Festnahmen, darunter ein Team des russischen Internet-Fernsehkanals Doschd. Männer in schwarzen Sturmhauben von der Anti-Terror-Polizei OMON nahmen unter Protest von Passanten mehrere Bürger fest. Oft war der Grund nicht klar.

09.08.2020, Belarus, Minsk: Swetlana Tichanowskaja, Kandidatin bei der Präsidentenwahl in Belarus und Ehefrau des prominenten inhaftierten Bloggers Tichanowski, gibt ihren Stimmzettel in einem Wahllokal während der Präsidentschaftswahlen ab. Foto: AP/dpa

„Ich will, dass die Wahl ehrlich verläuft“, sagte Tichanowskaja bei der Stimmabgabe. Sie wurden von Hunderten Bürgern bejubelt. Es gab Dutzende Videos von Manipulationen in den sozialen Netzwerken und Klagen von Bürgern über Verstöße. Verbreitet war demnach, dass Wahlzettel mit dem Kreuz für Lukaschenko schon vorher ausgefüllt waren. Deshalb lag die Wahlbeteiligung unabhängigen Beobachtern zufolge in Minsk stellenweise bei mehr als 100 Prozent. Viele Menschen mussten Stunden warten, um ihre Stimme abzugeben.

Die Opposition bezweifelt, dass Lukaschenko in der Lage ist, eine Abstimmung ohne massive Fälschungen zu gewinnen. Seine Gegner haben deshalb friedliche Proteste angekündigt, die sich mehrere Tage hinziehen könnten. Tichanowskaja hat die Unterstützung von anderen nicht zur Wahl zugelassenen Oppositionskandidaten – nicht nur von ihrem Mann Sergej, einem regierungskritischen Blogger, auch vom früheren Banken-Chef Viktor Babariko. Beide sitzen in Haft wegen Anschuldigungen, die als politisch inszeniert gelten.

Kollegen und Mitstreiterinnen Tichanowskajas wurden ebenfalls in Gewahrsam genommen, darunter Maria Kolesnikowa von ihrem Wahlkampfstab. Sie kam nach kurzer Zeit am Samstag wieder frei. Schon im Wahlkampf waren Hunderte Menschen festgenommen worden. Die Gesamtzahl stieg am Sonntag auf mehr als 1.500. (dpa)

2 Antworten auf “Fälschungsvorwürfe und massive Polizeigewalt bei Präsidentenwahl in Belarus”

  1. Ossenknecht

    Wer sich bei der Zählung von Millionen Wählerstimmen nicht schon um 70 Prozentpunkte vertan hätte werfe den ersten Stein.

    Es lebe die Republik! Freiheit! Gleichheit! Geschwisterlichkeit! Offenheit! Überprüfbarkeit!

    Ceterum censeo: Im Übrigen bin ich dafür, alle Gedenkstätten für Leopold II mit Warnungen vor rassistisch motiviertem Massenmord zu versehen.

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