Politik

„Ostbelgische Verhältnisse“ in Luxemburg? Der stärksten Partei droht die Opposition

Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission. Foto: dpa

Im Großherzogtum Luxemburg bahnen sich „ostbelgische Verhältnisse“ an. Die Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) von Premierminister Jean-Claude Juncker ist aus der Parlamentswahl am Sonntag als stärkste Kraft hervorgegangen. Dennoch könnte sie auf der Oppositionsbank landen: Sozialdemokraten, Liberale und Grüne haben sich auf eine Dreierkoalition geeinigt.

Das erinnert an das, was 1999 in der DG passiert ist. Alles deutete zunächst darauf hin, dass die CSP die Koalition mit der SP fortsetzen und Joseph Maraite Ministerpräsident bleiben würde, doch kam alles anders. SP, PFF und Ecolo einigten sich auf eine Regenbogenkoalition unter dem neuen Regierungschef Karl-Heinz Lambertz (SP). Mit Hans Niessen stellte Ecolo erstmals in ganz Belgien einen Minister.

Die CSP als stärkste Fraktion im RDG, wie das Gemeinschaftsparlament damals noch genannt wurde, war erstmals in der Opposition. Eine kleine Revolution. Jetzt droht in Luxemburg Jean-Claude Juncker das gleiche Schicksal wie Joseph Maraite vor 14 Jahren.

„Einmalige Gelegenheit“ für Neuanfang

Jean-Claude Juncker (2.v.l.) mit den CSP-Politikern Herbert Grommes, Patricia Creutz und Luc Frank (v.l).

Jean-Claude Juncker (2.v.l.) mit den CSP-Politikern Herbert Grommes, Patricia Creutz und Luc Frank (v.l).

Die Sozialdemokraten LSAP, die liberale Demokratische Partei DP und die Grünen haben sich am Montag darauf geeinigt, Koalitionsgespräche aufzunehmen.

„Wir haben eine einmalige Gelegenheit, dem Land einen Neuanfang zu geben“, sagte der LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Der luxemburgische „Regenbogen“ käme im 60 Plätze zählenden Parlament auf 32 Sitze. Dies würde das Ende der gut 18-jährigen Regierungszeit von Juncker bedeuten.

Aus der Wahl am Sonntag war Junckers Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) mit 33,68% der Stimmen zwar als stärkste Partei hervorgegangen, hatte aber im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren gut vier Prozentpunkte eingebüßt. Juncker hatte nach der Wahl für seine Partei „den Führungsanspruch in diesem Land“ reklamiert.

Die CSV erzielte 23 Sitze im Parlament – und bräuchte demnach zum Regieren einen Koalitionspartner. Eine Dreierkoalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen würde für Luxemburg eine historische Zäsur bedeuten: Erstmals seit der sozialliberalen Regierung von 1974-1979 würde dann die stärkste Partei in der Opposition landen.

„Informateur“ vor dem „Formateur“?

Ihn ereilte 1999 das Schicksal, das jetzt auch in Luxemburg Jean-Claude Juncker droht: Joseph Maraite. Foto: Gerd Comouth

Ihn ereilte 1999 das Schicksal, das jetzt auch in Luxemburg Jean-Claude Juncker droht: Joseph Maraite. Foto: Gerd Comouth

Der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Xavier Bettel, sagte am Montagabend: „Der Stillstand, den wir zuletzt hatten, muss aufhören.“ In Gesprächen müsse jetzt geschaut werden, ob die drei Parteien programmatisch die nächsten fünf Jahre zusammen gestalten könnten.

An diesem Dienstag werden Vertreter der neun Parteien, die bei der Parlamentswahl angetreten waren, bei Luxemburgs Großherzog Henri vorsprechen. Dieser muss einen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragen. Es ist gut möglich, dass der Staatschef vor dem „Formateur“ zunächst einen „Informateur“ bestellt, der die politische Lage sondiert.

In anderen europäischen Ländern ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die stärkste Partei automatisch an der Regierung beteiligt sein muss. (dpa/cre)

17 Antworten auf “„Ostbelgische Verhältnisse“ in Luxemburg? Der stärksten Partei droht die Opposition”

  1. Grenzlauscher

    Der Vergleich zwischen Jean-Claude Junker und Joseph Maraite hinkt aber gewaltig! Während Junker über eine Geheimdienstaffäre zu stolpern scheint (bei der auch die anderen Fraktionen keine gute Figur machen), wurde der selbstgefällige Maraite aufgrund eines Milliarden-Fehlers nicht mehr ins Regierungsboot genommen.
    Für die DG war dies die einzige Möglichkeit, aus der finanziellen Schieflage zu kommen.
    Außerdem ist Junker ein Staatsmann, der auch international ein enormes Renommee besitzt. Davon ist Maraite um Lichtjahrtausende entfernt.

  2. Dr. Julius Speckschwarte

    „In anderen europäischen Ländern ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die stärkste Partei automatisch an der Regierung beteiligt sein muss. (dpa/cre)“

    Sie wollen also damit sagen das in Deutschland eine Koalition von Rot, Roter und Grün nicht rechtens wäre?????????

      • Ostbelgien Direkt

        Hallo, niemand hat behauptet, dass eine Koalition ohne die stärkste Partei nicht rechtens wäre. Es wurde nur geschrieben, dass es Länder gibt, in denen die Beteiligung der stärksten Kraft an der Mehrheitskoalition verpflichtend ist. In Belgien ist dies nicht der Fall, und in Deutschland auch nicht.

        • Dr. Julius Speckschwarte

          „““In anderen europäischen Ländern ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die stärkste Partei automatisch an der Regierung beteiligt sein muss.“““

          Unterliegt dieser Satzaufbau keiner Verallgemeinerung?

        • nachgefragt

          Hallo Ostbelgien Direkt,

          in welchen (demokratischen) Ländern gibt es denn die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht, dass die stärkste Partei an der Regirung beteiligt werden muss? Das würde mich doch sehr interessieren, da ich keines kenne!

          • Ostbelgien Direkt

            @nachgefragt: In Italien bekommt die stärkste Kraft automatisch einen dicken Bonus und die absolute Mehrheit. Das geht also noch weiter als die bloße Beteiligung der stärksten Kraft an der Mehrheitskoalition. Ich melde mich später noch einmal, muss noch einen älteren Artikel raussuchen. Gruß Gerard Cremer

            • Ostbelgien Direkt

              In Griechenland sichert das Wahlrecht der erfolgreichsten Partei 50 zusätzliche Sitze, was in der Praxis ihre Beteiligung an der Mehrheit zur Folge hat. Das ist aber nicht das Beispiel, das ich schonnmal für einen früheren Artikel gefunden hatte. Ich suche weiter. Wenn Sie erlauben, schaue ich mir währenddessen mit einem Auge das Spiel AC Milan gegen Barcelona an ;)

              • Ostbelgien Direkt

                Vielleicht gab es die Regel in Bezug auf die Beteiligung der stärksten Partei an der Mehrheitskoalition bei Landtags- oder Regionalwahlen. Ich bin aber sicher, dass ich das seinerzeit recherchiert habe. Sollte es aber nicht stimmen, werde ich mich hochheilig für den Fehler entschuldigen! Gut, die Beispiele Italien und Griechenland habe ich ja genannt, aber diese beiden Ländern meinte ich nicht. Ich bleibe am Ball.

              • Mehrheitswahlrecht

                @ Ostbelgiendirekt
                Studieren Sie doch mal den Unterschied zwischen Mehrheistwahlrecht (angelsächsische Länder und die damit verbundenen katastrophalen Patts wie jüngst in den USA) und Verhältniswahlrecht. Vielleicht dämmert es dann irgendwann.

          • Ostbelgien Direkt

            @nachgefragt: Bei der Suche nach den National- oder Regionalparlamenten, bei denen die stärkste Fraktion automatisch an der Mehrheit beteiligt sein muss, was von Ihnen ja bezweifelt wird, werden wir uns mal an die Bundeszentrale für Politische Bildung wenden. Vielleicht werden wir dort fündig. Wir melden uns.

  3. Vergleiche

    Die Vergleiche zwischen dem Großherzogtum und der Deutschsprachigen Gemeinschat können noch weiter ausgeführt werden, auch wenn der Vergleich zwischen Junker und Maraite in der Tat etwas hinkt. LSAP-Spitzenkandiadat Etienne Schneider ist ähnlich wie Karl-Heinz Lambertz machtgeil. Und DP-Parteichef Xavier Bettel, der in den deutschen Medien (Die Zeit, Bild) aufgrund seiner Homosexualität mit Guido Westerwelle verglichen wird, ist mit „Clerverle“ Oliver Paasch vergleichbar: Jurist (Anwalt mit Spezialgebiet Finanzangelegenheiten) und redegewandt. Er hat sich in der Stadt Luxemburg als Sozialschöffe einen Namen gemacht, ehe er Bürgermeister wurde.

  4. Zappel Bosch

    @Grenzlauscher 13:03
    Vielleicht ist gerade das „internationale Renommee“ der Grund, weshalb die anderen Parteiführer in ausbooten möchten? Vielleicht hat er sich aber auch zu viel „international betätigt“ und seine Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht (siehe Beispiel Geheimdienst)? Das ist m.E. jedenfalls der Grund, weshalb ihm 5% der Wähler abhanden gekommen sind.
    Vielleicht bekommt er dann in Zukunft aber auch mal die Hände – ganz – frei, um seine europäische Karrière voranzutreiben? „Junker for president“, das würden die Luxemburger dann wiederum lieben und sie stolz machen.
    Schaunmermal, Europawahlen gibt’s ja auch bald…

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