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Nicht nur Belgien diskutiert über seine Kolonialgeschichte

Kolonien-Kontinent Afrika. Foto: Shutterstock

Zahlreiche Statuen berühmter Persönlichkeiten sind aus heutiger Sicht für viele nicht mehr tragbar. Der Protest wächst – vor allem gegen Denkmäler für Protagonisten der Kolonialgeschichte – und das nicht nur in Belgien, wo Statuen von König Leopold II. entfernt oder zerstört wurden.

Statuen von Persönlichkeiten der Kolonialgeschichte haben schon vor dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd in der Kritik gestanden. Der Protest hat nun aber in vielen Ländern eine neue Dynamik bekommen.

BELGIEN: Aus Protest gegen die von ihm verantwortete Schreckensherrschaft im Kongo sind an mehreren Orten Belgiens Statuen von König Leopold II. (1835-1909) mit Farbe übergossen oder umgestoßen worden (siehe Bericht an anderer Stelle). Auch Straßenschilder mit seinem Namen wurden übermalt.

10.06.2020, Kongo, Kinshasa: Statuen von Sklaven aus der Kolonialzeit (r) sind neben einer Statue von König Leopold II. von Belgien auf einem Pferd reitend (l) im Institut der Nationalmuseen des Kongo zu sehen. Foto: John Bompengo/AP/dpa

Zehntausende haben Online-Petitionen mit der Forderung unterschrieben, die Statuen aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. Einige sind bereits abgebaut. Unter Leopold II. wurde der Kongo systematisch ausgeplündert, Millionen Menschen dort kamen ums Leben. Das zentralafrikanische Land gehörte noch bis 1960 zum belgischen Kolonialreich.

Laut Esther Kouablan vom rassismuskritischen Verband MRAX haben sich die Aktionen seit dem Tod Floyds gehäuft, es gab sie aber schon lange vorher. „Für die afrobelgische Community sind die Statuen in der Öffentlichkeit wie psychologische Gewalt, weil sie die Verbrechen banalisieren.“

NIEDERLANDE: Auch hier werden die Forderungen immer lauter, die eigene Geschichte kritischer zu bewerten: Das 17. Jahrhundert war nicht nur das Goldene Zeitalter mit Reichtum und Rembrandt, sondern auch ein blutiges mit Kolonialismus und Sklaverei.

Im Zentrum der Kritik stehen die einstigen Repräsentanten der Handels- und Seemacht: Piet Hein, Witte de With und Jan Pieterszoon Coen. An sie erinnern Statuen, Gebäude, Straßen und Tunnel. Eine Statue und ein Gebäude sind bereits rot beschmiert worden.

Ur-Symbol des Kulturkampfes ist in den Niederlanden seit Jahren der schwarze Helfer des Nikolaus, der Zwarte Piet. Jedes Jahr erfreut die schwarz angemalte Figur zwar Kinder, doch sie sorgt auch für heftige Proteste. Mehrere Städte haben angekündigt, die Figur nicht mehr bei Nikolausumzügen zuzulassen.

19.11.2015, Spanien, Madrid: Spaniens Diktator Francisco Franco nimmt von der Tribüne des Präsidentenpalastes eine Parade ab (Archivfoto von 1959). Foto: -/Cifra/dpa

SPANIEN: Hier ist es nur eine kleine Minderheit, die seit jeher die spanische Kolonialisierung der „Neuen Welt“ kritisiert. Eine größere Diskussion darüber gibt es in dem Land nicht. Daran haben auch die jüngsten weltweiten Demonstrationen gegen Rassismus vorerst nichts geändert. Wenn linke Politiker und Organisationen etwa Umbenennungen von Straßen und Plätzen fordern, stehen vor allem Protagonisten der Franco-Diktatur am Pranger.

Als die mexikanische Regierung Spanien vor gut einem Jahr darum bat, sich für die Eroberung und Unterwerfung indigener Völker im 16. Jahrhundert zu entschuldigen, lehnte die sozialistische Regierung in Madrid ab. Die Ankunft der Spanier in Amerika vor 500 Jahren könne aus zeitgenössischer Sicht nicht beurteilt werden, hieß es.

PORTUGAL: In dem Land, das einst zahlreiche Kolonien in Amerika, Afrika und Asien hatte, gelten die Seefahrer um Pedro Alvares Cabral, Ferdinand Magellan und Vasco da Gama für die meisten noch als Helden. Allerdings wurde kürzlich in Lissabon die Statue des katholischen Theologen und Missionars António Vieira mit roter Farbe beschmiert. Am Sockel stand groß „Entkolonisierung“.

GROSSBRITANNIEN: Die Bilder, wie die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol kürzlich von Demonstranten vom Sockel gerissen und ins Hafenbecken geworfen wurde, gingen um die Welt. Seitdem sind Dutzende Skulpturen ins Visier der Anti-Rassismus-Bewegung geraten. Darunter die von Nationalhelden wie dem legendären Premierminister Winston Churchill (1874-1965), dem rassistische Ansichten und eine rücksichtslose Politik in Indien und Irland vorgeworfen werden. Auch die Statue des Entdeckers James Cook (1728-1779) ist einer interaktiven Karte von Aktivisten im Netz zufolge ein Symbol rassistischer Unterdrückung und Gewalt.

Als Kolonialwaren wurden früher, besonders zur Kolonialzeit, überseeische Lebens- und Genussmittel wie z. B. Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Kakao, Gewürze und Tee bezeichnet. Kolonialwarenhändler importierten diese Produkte, die in Kolonialwarenläden und -handlungen verkauft wurden. Bis 1970 wurde der Begriff Kolonialwarenladen noch verwendet. Foto: Pixabay

DEUTSCHLAND: In Deutschland setzt sich die Initiative Berlin Postkolonial u.a. für die Umbenennung von Straßen in Berlin ein, die Kolonialisten gedenken. Eine Statue von Hermann von Wissmann in Bad Lauterberg im Harz, eine Büste von Gustav Nachtigal in Stendal, die ehemalige Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg – sie alle ehren Menschen, die in der Kolonialzeit an Verbrechen beteiligt waren.

Deutschland eignete sich ab 1884 Kolonien in Afrika, Ozeanien und Ostasien an. Es verfügte damit über das viertgrößte koloniale Gebiet. Die gewaltvolle Herrschaft der Deutschen führte zu Aufständen und Kriegen. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika begingen die Kolonialmächte einen Massenmord, der als erster Genozid des 20. Jahrhunderts gilt. Auch im Maji-Maji-Krieg von 1905 bis 1908 im damaligen Deutsch-Ostafrika töteten sie Hunderttausende. Mit der Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg wurden ihre Kolonien unter den Siegermächten aufgeteilt.

FRANKREICH: In Frankreich steht besonders eine Statue Jean-Baptiste Colberts vor der Nationalversammlung in Paris in der Kritik. Der Finanzminister unter Sonnenkönig Louis XIV. schrieb den „Code Noir“, der den Umgang mit den schwarzen Sklaven in den Kolonien regelte. Nach Aufrufen, die Statue zu zerstören, wird sie Berichten zufolge nun von der Polizei besonders bewacht. Ähnlich sieht es bei einer Statue des Generals Joseph Gallieni aus. Er regierte Ende des 19. Jahrhunderts in den Kolonien mit harter Hand. (dpa)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

16 Antworten auf “Nicht nur Belgien diskutiert über seine Kolonialgeschichte”

  1. Ostbelgien Direkt

    ZUSATZ – In Deutschland setzt sich die Initiative Berlin Postkolonial u.a. für die Umbenennung von Straßen in Berlin ein, die Kolonialisten gedenken. Eine Statue von Hermann von Wissmann in Bad Lauterberg im Harz, eine Büste von Gustav Nachtigal in Stendal, die ehemalige Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg – sie alle ehren Menschen, die in der Kolonialzeit an Verbrechen beteiligt waren.

    • An den Statuen sollen die Schandtaten dieser Herren schonungslos genannt werden. Nur so lernen die Menschen aus der Geschichte. Alles andere ist Heuchelei und Verdrehung der Vergangenheit.

      • denke global, handle lokal

        @Logisch
        Ich denke ich verstehe warum Sie meinen, dass an den Statuen „die Schandtaten dieser Herren schonungslos genannt“ werden sollten. Trotzdem ich bin mir alles andere als sicher, ob ich wirklich vor einer Statue mit einer Inschrift wie der folgenden stehen will, die wahrscheinlich ständig geschändet würde:

        Leopold II (1835–1909)
        Profitgetriebener rassistischer Massenmörder
        König der Belgier 1865–1909

        Auf sein Betreiben hin und unter seiner Aufsicht und Verantwortung wurden zwischen 1888 und 1908 die Kongogräuel verübt, die bis zu 13 Millionen Kongolesen das Leben kosteten und viele weitere mit amputierten Gliedmaßen und anderen Verstümmelungen zurückließen. Einige Schätzungen lassen vermuten, dass der Kongo etwa die Hälfte seiner Bevölkerung verlor. Die Überlebenden litten unter schwersten Traumata, die bis heute das kollektive Bewusstsein der Landesbewohner prägen.

        Bitte besuchen Sie am 30. Juni, dem nationalen Kongogräueltag, eine der landesweit über 1.000 Gedenk- und Lehrveranstaltungen gegen Genozid und Rassismus.

  2. Gandhi und Dalai Lama sind Rassisten!

    Ach du heilige Scheis… Jetzt muß sogar Gandhi dran glauben!
    https://www.hindustantimes.com/world-news/black-lives-matter-protests-winston-churchill-mahatma-gandhi-statues-in-london-covered/story-RrQDZD79f36NtfvzYjpZmN.html
    Vor kurzem wurde der… Dalai Lama ja verbal angegriffen, weil er sagte „Euopa für Europäer“.
    Die „Progressiven“ sind einfach nur noch total bekloppt und drehen jeden Tag schneller am Rand,. Sie provozieren den Bürgerkrieg. Sie werden ihn bekommen.

  3. H E U C H E L E I

    Das größte Verbrechen ist die Scheinheiligkeit, das Gewissen stillen. Ich fühle mich NULL verantwortlich für die Vergangenheit, lebe lieber vernünftig heute und auch morgen.
    Chaos und Anarchie werden NICHT dazu führen, daß die Dinge besser werden, im Gegenteil. Und die Vergangenheit werden sie mit Sicherheit nicht ändern. Aber das wollen die Anarchisten und Chaoten nicht, und die selbsternannten „Guten“ noch weniger, denn dann wären sie um ihr gutes Gefühl beraubt.

  4. Die Vergangenheit ist die Vergangenheit ! Wer glaubt mit Vandalismus die Gemüter zu beruhigen, der hat sich gewaltig getäuscht ! Es wird nur noch mehr Hass verursachen, leider ! Dann bitte nicht weinen kommen wenn der Vlaams Belang noch mehr stimmen bekommt.

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