Gesellschaft

„In meiner Kindheit gab es nur Sommer wie diesen“ – Nostalgische Erinnerungen können auch trügerisch sein

Foto: Shutterstock

Man begegnet dieser Behauptung immer wieder: Was heutzutage als Klimawandel bezeichnet werde, habe früher als ganz normaler Sommer gegolten. Doch dabei spielt das Gedächtnis einen fiesen Streich.

„In meiner Kindheit gab es nur Sommer wie diesen“, sagt die Tante bei Kaffee und Kuchen. „Auch früher hatten wir schon hitzefrei“, pflichtet womöglich ihr Sohn bei. Heute aber, so die Klage, werde um die hohen Temperaturen ein übertriebenes Bohei gemacht und Panik geschürt.

Willkommen im Sommer 2022! Spätestens jetzt ist das Small-Talk-Thema Wetter zum Politikum geworden.

17.06.2022, Belgien, Brüssel: Menschen ruhen sich im Brüsseler Parc du Cinquantenaire aus. Eine Hitzewelle breitet sich über Teilen Europas aus. Foto: Zheng Huansong/XinHua/dpa

Menschen, die sich ihrer Ansicht nach bis ins kleinste Detail der eigenen Sommer-Jugend erinnern können, spielen genauso wie Klimawandel-Leugner auf der Klaviatur nostalgischer Eindrücke.

Teils viele Jahrzehnte später wollen sie noch genau vor Augen haben, wie sie angeblich wochenlang jedes Jahr bei hohen Temperaturen und stundenlangem Sonnenschein im Stadtbad verbracht hätten.

„In der Erinnerung bleiben vor allem persönliche Rekordmomente und Extreme“, sagt Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Besonders warme und sonnenreiche Sommer hielten sich eher im Gedächtnis als die regenreichen und kälteren. „Der Mensch erinnert sich eben statistisch nicht sauber“, so der Experte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Dass früher nicht alles eitel Sonnenschein war, zeigt schon das berühmte Lied von Rudi Carrell. Es muss ja einen Grund gegeben haben, warum der Entertainer im Mai 1975 sehnsüchtig trällerte, wann es denn mal wieder richtig Sommer werde. Im August desselben Jahres ist es dann tatsächlich heiß: Es gibt eine moderate Hitzewelle mit Temperaturen bis um die 35 Grad Celsius.

29.06.2019, Berlin: Ein Teilnehmer fässt sich mit freiem Oberkörper auf einer Großkundgebung der Gewerkschaft IG Metall an den Kopf. Bei 37 Grad Celsius kann sogar Nichtstun schweißtreibend sein – obwohl das doch ziemlich genau der Temperatur des Körpers entspricht. Warum ist das eigentlich so? Foto: Gregor Fischer/dpa

Aus solchen einzelnen Ereignissen kann man aber nicht ohne weiteres ableiten, früher sei es genauso heiß gewesen wie heute. Auch nicht aus jahrzehntealten Zeitungstiteln und Artikeln, die in sozialen Medien rauf und runter gepostet werden, und in denen damals über tatsächliche oder vermeintliche Rekordtemperaturen berichtet wurde.

„Ein einzelnes Extremereignis ist erstmal immer nur eine Manifestation von Wetter“, sagte Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie an der Universität Leipzig dem Science Media Center (SMC). Dieses könne theoretisch unter vielen Klimabedingungen auftreten. „Was sich ändert, ist die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen, wie Hitze- und Niederschlagsextreme.“

„Wetter und Klima werden oft durcheinandergebracht“, sagt auch Meteorologe Friedrich. Erst aus der Beobachtung des Wetters über einen längeren Zeitraum – etwa 30 Jahre – könne man Trends ablesen. Es gilt also: Ausschlaggebend sind die Daten, nicht das Gefühl.

Im Zeitraum 1991 bis 2020 war es im Juni DWD-Daten zufolge im Schnitt um ein Grad wärmer als im Zeitraum 1961 bis 1990. Der diesjährige außergewöhnlich warme, sehr trockene und überaus sonnenscheinreiche Juni lag mit 18,4 Grad sogar nochmal zwei Grad darüber.

„Eine Hitzewelle, die ohne Klimawandel ein Jahrhundertereignis gewesen wäre, ist jetzt normaler Sommer“, sagte Friederike Otto vom Environmental Change Institute an der Universität in Oxford dem SMC. „Das, was ohne Klimawandel unmöglich gewesen wäre, sind jetzt die neuen Extremereignisse.“

19.07.2022, Nordrhein-Westfalen, Viersen: Die Anzeige eines Außenthermometers an einer Gebäudefassade in Viersen zeigt 40 Grad an. Foto: Lukas Fortkord/dpa

Eindrucksvoll zeigt sich das an einem Wert: 40 Grad Celsius. Diese Temperatur wurde in Deutschland erstmals 1983 an zwei Wetterstationen überschritten – gut 100 Jahre nach Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881.

Das nächste Mal wurde die Marke 20 Jahre später im legendären „Jahrhundertsommer“ von 2003 geknackt. Nach weiteren 12 Jahren wurden mehr als 40 Grad erneut im August 2015 an drei Stationen gemessen, vier Jahre später im Juli 2019 sogar an 25.

Die Abstände werden kürzer: Nun sind nur drei Jahre vergangen, bis der Wert in diesem Juli wieder gerissen wurde. „In 20 Jahren wird womöglich in jedem Sommer irgendwo in Deutschland eine Temperatur von mehr als 40 Grad gemessen“, sagt Friedrich. „Hitzewellen werden zunehmen, es wird immer wieder Rekordtemperaturen geben.“

Stimmen, die behaupten, Tage mit mehr als 40 Grad habe es früher auch schon häufig gegeben, bescheinigt DWD-Meteorologe Adrian Leyser „im besten Falle“ eine „verzerrte, subjektive Wahrnehmung“.

„In Europa wird die Anzahl der Hitzewellen in den kommenden Jahrzehnten weiter drastisch zunehmen“, sagt auch der Leipziger Klimaforscher Haustein. Die kurzen Phasen mit besonders starker Hitze im aktuellen Sommer und in früheren Jahren „sollten Warnung genug sein, uns rechtzeitig mit Anpassungsmaßnahmen zu befassen“. (dpa)

Zum Thema siehe auch folgenden Artikel auf OD:

13 Antworten auf “„In meiner Kindheit gab es nur Sommer wie diesen“ – Nostalgische Erinnerungen können auch trügerisch sein”

  1. volkshochschule

    Die größten Klimasünder sind die Privatflugzeugbesitzer und 100m Yachten Eigner. Aber da ändert sich nichts, nur die kleinen Leute sollen die Opfer bringen und sich drastisch einschränken.

  2. Der kleine Belgier

    könnte das Ozonloch mitverantwortlich für diese Wetter Probleme sein ?
    Auch von immer mehr Krebskranke, Husten, Atemnot hört man in nächster Nähe.
    Ein Freund, welcher auf dem Observatorio del Roque los Muchachos tätig ist berichtete
    mir schon vor Jahren, dass dieses Ozonloch immer grösser wird und kaum einer
    kümmert sich drum ?
    Also Fazit, machen wir gerne weiter wie gehabt und produzieren wir weiteren Atommüll,
    dann brauchen wir nicht mehr an M o r g e n zu denken, sondern vernichten uns selber.

      • Der kleine Belgier

        @Fujitsu son
        Ich möchte damit sagen, falls das Ozonloch nicht dazu beiträgt uns Menschen
        zu vernichten, dann haben wir ja noch den Atommüll, welcher eine Zeitbombe ist,
        um uns zu vernichten, plus natürlich die anderen Möglichkeiten, die wir Menschen
        zum Ausrotten der Lebewesen auf diesem kostbaren Planeten schaffen.

        • Corona2019

          Abstreiten lässt sich das Ganze nicht mehr.
          Ein Beispiel dafür sehe ich aber auch im Winter, denn diesen habe ich tatsächlich mit mehr Schnee und kälteren Temperaturen in Erinnerung.
          Das war natürlich zur Eiszeit ,die wir selbst nicht gekannt haben, noch etwas kälter.
          Das beweist eigentlich nur, dass wir uns in einer Wiederholungsphase befinden.
          Wenn vor Hunderten Jahren, die Temperaturen ähnlich wie heute gewesen sind, hat man dies ja nicht zwangsläufig als besonderes Ereignis angesehen, und wurde somit auch nicht als ein solches in Schriftrollen ausführlich beschrieben.

          Heute sind die Zeiten eben anders und wenn eine Messstation ein Grad mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres anzeigt, dann laufen bei allen Wetter-apps schon die Alarmglocken , weil diese sich über die Panik der gleichen Lebewesen freuen, die vor hunderten von Jahren mit der Bemerkung eines Dorfbewohners zufrieden waren, der meinte, – heute ist es aber heiß-

          Im Prinzip leben wir also in einer sich zu wiederholenden Wetter verändernden Situation ,bei denen die Beweise für die Geschehnisse unter dem Gletschereis in Form von Baumwurzeln oder Ötzis zu finden sind.

          Die Gründe dafür kann man zwar den Menschen anhängen, persönlich glaube ich aber dass wir zur Beschleunigung der Situation nur einen wirklich minimalistischen Beitrag leisten, es in Wirklichkeit aber auf Dauer nicht verhindern können.

          Es gibt natürlich schon Gründe mit unserem Planeten etwas sorgfältiger umzugehen, und ihn auch für unsere Nachkommen bewohnbar zu hinterlassen.
          Man kann z.B daran arbeiten, keinen Atommüll zu hinterlassen, die Meere vor Plastik schützen, die Wälder nicht bis zum letzten Baum abholzen ohne neue zu pflanzen und noch eine Reihe anderer Dinge unternehmen bei denen man nicht immer dem Bürger das – Du bist schuld-
          Gefühl aufzwingen muss und gleichzeitig hinterrücks die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke praktizieren möchte.

          Zusammengefasst :

          Klimaveränderungen ? – stimmt !

          Nur der Mensch ist an dieser Schuld? – Falsch !

          Trotzdem macht es Sinn , unseren Planeten besser zu behandeln?.
          Richtig !

          Andere Faktoren können uns auch ein Strich durch die Rechnung machen ?
          Ja leider !
          Z.B , weil der Mond sich immer weiter von der Erde ………………

    • Robin Wood

      Vom Ozonloch hört man doch schon ewig nichts mehr… Damals wurde den Menschen auch Angst damit gemacht.
      Ich erinnere mich an Jahre, wo es hiess, kein Auto waschen und keine Blumen giessen, die Talsperre ist fast leer.
      Ich erinnere mich auch an „Sommer“, die a….kalt und nass waren und dass jahrelang hintereinander, so dass Rudi Carell mal sang „Wann wird es noch mal richtig Sommer, so wie er frûher einmal war?“
      Damals, als es so regnete und so richtig kalt und nass im Juli:August war, da hiess es, die Eiszeit kommt. Also alles da gewesen. Das Klima macht, was es will und wann es will. Sicher, wir Menschen tragen einen kleinen Beitrag mit den vielen Rodungen im Regenwald dazu bei und durch Anbau von Monokulturen, dem schädlichen Ausstoss gewisser Fabriken, aber letztendlich wird nicht der kleine Mann das Klima verändern können. Wir können nur versuchen, damit zu leben und uns anzupassen. Ich denke, wir sollten schauen, dass wir wieder Fleisch und Gemüse aus hiesiger Produktion essen und uns wieder an den Jahreszeiten orientieren. Spargel im Frûhjahr, Erdbeeren im Sommer usw.
      Solange aber die grossen Firmen nur gewinnorientiert agieren, ist es gleich, was der „kleine Mann“ macht, um Energie zu sparen.

  3. Peer van Daalen

    2003 hatten wir in Baelen 16 Tage hintereinander über 35°C auf dem Hofe.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Hitzewelle_in_Europa_2003

    Das war ein mörderischer Sommer, wo wie fast alle Fenster von außen mit Spanplatten und nassen Tüchern vernagelt hatten.

    1976 war auch sehr derbe und für einen gemütlichen Sommer ziemlich unangenehm https://brf.be/national/1197849/.

    https://wetterkanal.kachelmannwetter.com/das-waren-die-markantesten-hitzewellen/

    Insofern ist das ganze Geschwafel über Hitzesommer-Phänomene kalter Kaffee …

    Ich brauch das nicht so oft mit meinen 70. Nervt nur ab diese Glut und macht porös im Kopf, wie man in den letzten Wochen auch an dem Niveau der Leser-Kommentare hier unschwer heraus lesen konnte.

    :-)

    • Peer van Daalen

      @Ermitler (?): Nein, Dumpfbäckchen, – wohingegen Ihnen dieses Schicksal schon bei Ihrer Geburt widerfahren sein müßte, wie ich mal locker in den virtuellen Raum stellen möchte. :-))))

Antworten

Impressum Datenschutzerklärung
Desktop Version anfordern