Es war ein bittersüßer Abschied: Nach acht Krisenjahren verlässt Griechenland endlich den Euro-Rettungs-Schirm, und in Brüssel überwogen am Montag Freude und Stolz. Gerettet ist das hoch verschuldete Euroland indes noch lange nicht.
„Ihr habt es geschafft“, twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk und gratulierte dem griechischen Volk. Vielen Griechen war indes nicht zum Feiern zumute, und auch Ministerpräsident Alexis Tsipras hielt sich zunächst zurück.
Acht Jahre, drei Kreditprogramme mit insgesamt 289 Milliarden Euro und immer wieder neue Spar- und Reformprogramme auf Druck der EU-Partner und des Internationalen Währungsfonds: Der Abschluss der scheinbar endlosen Rettungsbemühungen markiert in jedem Fall einen tiefen Einschnitt.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bemühte das Bild des „neuen Kapitels“, Finanzkommissar Pierre Moscovici sprach von einem „symbolischen Schlussstrich unter eine existenzielle Krise des Euro-Währungsgebiets“. Beide lobten die Anstrengungen der Griechen und versprachen Beistand und Freundschaft.
Der Athener Buchhalter Nikos Wroussis sah die Sache nüchterner. „Für mich und meinen Kunden ändert sich nichts“, sagte der Prokurist der Deutschen Presse-Agentur, der kleinere Unternehmen in Arbeitervierteln im Westen Athens betreut. Er verweist zum Beispiel auf anhaltende Kapitalverkehrskontrollen.
Die Griechen dürfen bei einer Ausreise höchstens 3.000 Euro mitnehmen und auch nur begrenzt Gelder elektronisch ins Ausland überweisen. Auch die „Hyperbesteuerung“ stört Wroussis: Für jede 100 Euro die ein Händler, ein Rechtsanwalt, ein Arzt kassiere, müssten 72 Euro als Steuern, Rentenbeiträge und Krankenkasse gezahlt werden.
Änderungen sind nicht absehbar – dafür bleibt der griechischen Regierung auch nach Ende des Hilfsprogramms kaum Spielraum. Für die billigen Kredite aus dem Euro-Rettungsschirm ESM und künftige Schuldenerleichterungen musste sie harte Auflagen akzeptieren. Der Staat muss so viel Geld sparen, dass er bis 2022 jährlich Primärüberschüsse von 3,5 Prozent erreicht – gemeint sind Haushaltsüberschüsse ohne Berücksichtigung von Zins und Tilgung für Kredite. Bis 2060 soll Jahr für Jahr 2,2 Prozent Primärüberschuss bleiben. Wroussis nennt dies eine „ökonomische Zwangsjacke“.
Die Gläubiger wollen mit strikten Kontrollen verhindern, dass Griechenland die während der Rettungsaktion erzwungene Reformpolitik aufgibt. Schon in der Woche ab dem 10. September sollen wieder Experten der Kreditgeber nach Athen reisen und dann regelmäßig im Rhythmus von drei Monaten.
Zugesagt, aber noch nicht umgesetzt, sind zum Beispiel weitere Rentenkürzungen. EU-Kommissar Moscovici wurde am Montag gefragt, ob die denn – bei entsprechenden Haushaltsspielräumen – zu umgehen wären. Das könne er nicht kommentieren, sagte der Franzose, machte dann aber doch eine klare Ansage: „Gemachte Zusagen müssen respektiert werden.“ Immerhin würden nun keine neuen Vorgaben mehr gemacht. „Griechenland ist jetzt ein normales Land“, sagte Moscovici.
Alles andere als normal – und wirtschaftlich gesund – ist jedoch der gigantische Schuldenberg des Landes von rund 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Mit Spannung wird erwartet, ob und wie sich Griechenland nun wieder an den Finanzmärkten Geld leihen kann. Zeitdruck besteht nicht: Das Land verlässt den Rettungsschirm mit Rücklagen von rund 24 Milliarden Euro und könnte sich notfalls knapp zwei Jahre lang selbst finanzieren.
Linke Kritiker sind sich da völlig einig, darunter der frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis, der 2015 ebenso spektakulär wie vergeblich zum Aufstand gegen die Vorgaben der Gläubiger blies. Der Staat sei noch immer pleite, die privaten Leute seien ärmer geworden, Firmen gingen noch immer bankrott und das Bruttosozialprodukt sei um 25 Prozent gesunken, kritisierte er in der „Bild“-Zeitung.
Tatsächlich ächzen viele Griechen unter den täglichen Folgen der Sparprogramme und spüren nichts von der Stabilisierung, die sich in den Statistiken spiegelt: Haushaltsüberschüsse, Wachstum, sinkende Arbeitslosigkeit. Diese liegt eben trotzdem noch bei 19,7 Prozent. Viele Bürger haben seit 2010 rund ein Viertel ihres Einkommens verloren. Gut 400.000 Menschen sind ausgewandert, darunter Tausende Ärzte und Ingenieure.
Andererseits: Der Tourismus boomt, und nicht alle haben den Mut verloren. „Unsere Mentalität bleibt so wie sie war: Optimismus und gute Laune trotz aller Schwierigkeiten“, sagte Giannis Kapasakalis, Direktor einer der größten Reiseagenturen auf der Touristeninsel Kos. (dpa)