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Eupener Topjurist Brammertz in einem „Spiegel“-Interview: „Den Haag leistet Beitrag gegen das Vergessen“

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, der Eupener Jurist Serge Brammertz, kommentiert am 22.11.2017 in Den Haag das Urteil zu lebenslanger Haft gegen den serbischen Ex-General Mladic. Foto: Peter Dejong/AP POOL/dpa

Zusammen mit dem Raerener Mathias Cormann, der erst Australiens Finanzminister und kürzlich Chef der OECD wurde, ist der Eupener Serge Brammertz einer von zwei Ostbelgiern, die es karrieremäßig nach ganz oben gebracht haben, wie jetzt auch ein großes Interview des Magazins „Der Spiegel“ mit dem 59-jährigen Topjuristen zeigt.

Serge Brammertz ist seit Anfang 2008 Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag.

Diese Woche wurden die beiden letzten Urteile zu den Balkan-Kriegen verkündet. Aus diesem Anlass führte „Der Spiegel“ in der kenianischen Hauptstadt Nairobi ein langes Gespräch mit Brammertz, der neben dem Völkermord in Ex-Jugoslawien auch den Genozid in Ruanda im Jahr 1994 aufzuarbeiten hat.

Ein Gräberfeld in Srebrenica im Osten von Bosnien und Herzegowina. Foto: dpa

Was die Aufklärung der Gräueltaten im ehemaligen Jugoslawien betrifft, so zeigte sich Brammertz im Großen und Ganzen zufrieden. „Als das Gericht geschaffen wurde, hätten wir uns nicht träumen lassen, dass es 161 Anklagen geben würde. Das ist aber gelungen, es gibt keine flüchtigen Angeklagten mehr. Auch Karadzic und Mladic wurden verurteilt. Das ist sicherlich ein voller Erfolg. Ich denke, dass die Mütter von Srebrenica sehr glücklich darüber sind.“

Indes räumte der Ostbelgier ein, dass man noch mehr hätte erreichen können. „Trotzdem würde der Balkan heute anders aussehen, hätte man diese Haupttäter nicht international verfolgt.“ Die ganzen Urteile mit mehr als 5.000 Zeugenaussagen hätten „einen Beitrag gegen das Vergessen“ geleistet.

Dass der Völkermord auf dem Balkan von einigen immer noch geleugnet wird, „frustriert mich in der Tat sehr“, so Brammertz in dem „Spiegel“-Interview.

Der Internationale Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag. Foto: Shutterstock

„Ich würde mir wünschen, dass die internationale Gemeinschaft darauf drängt, das Leugnen des Völkermordes von Srebrenica unter Strafe zu stellen.“

Brammertz erachtet es als unglaublich, dass zum Beispiel in der Republika Srpska, einem überwiegend von bosnischen Serben bewohnten Teil von Bosnien-Herzegowina, am Tag der Verurteilung von Karadzic ein Studentenwohnheim nach ihm benannt wurde und der Unterrichtsminister gesagt habe, es werde in den Schulbüchern nichts über einen angeblichen Völkermord in Srebrenica geben, weil er nicht passiert sei.

Dass es in den 13 Jahren, wo er als Chefankläger in Den Haag tätig war, auch einige umstrittene Freisprüche gab, muss man laut Brammertz akzeptieren. „Natürlich hat es ein paar Freisprüche gegeben, über die wir nicht sehr froh waren. Aber das ist nun mal das System, das wir als Demokraten unterstützen. Es kann ja nicht sein, dass diese Gerichte automatisch zu Verurteilungen führen. Ich denke, dass Freisprüche – so bedauerlich sie auch manchmal für den Staatsanwalt sind – eigentlich nur beweisen, dass das System funktioniert.“

Ein Forensiker untersucht Knochnreste nach der Aushebung eines Massengrabes in Srebrenica. Foto: Shutterstock

Auf die Frage des „Spiegel“, ob das Tribunal auch für Versöhnung auf dem Balkan habe sorgen können, sagte der Topjurist: „Ich denke nicht, dass man von einem internationalen Gericht erwarten kann, dass es durch Strafverfolgung einen direkten Weg zur Versöhnung gibt. Versöhnung muss aus der Gemeinschaft kommen, von den Opfergruppierungen, von verantwortungsvollen Politikern. Und die fehlen ja in den meisten Ländern des ehemaligen Jugoslawiens leider Gottes. Aber die gerichtliche Strafverfolgung ist eine Voraussetzung dafür, überhaupt eine Chance auf Versöhnung zu haben.“

Künftig wird sich Brammertz vermehrt auf Ruanda und die Aufarbeitung des Völkermordes von 1994 konzentrieren. In Ruanda bestehe seine Hauptaufgabe darin, sechs flüchtige Tatverdächtige aus Ruanda zu fassen, die wegen Beteiligung am Völkermord angeklagt wurden. „Mein Team reist in den nächsten Tagen nach Simbabwe und Südafrika, um diese Leute aufzuspüren“, so Brammertz. (cre)

Das komplette Gespräch des Magazins „Der Spiegel“ mit dem Eupener Topjuristen Serge Brammertz lesen Sie unter folgendem Link:

„SPIEGEL“-Gespräch mit Serge Brammertz

13 Antworten auf “Eupener Topjurist Brammertz in einem „Spiegel“-Interview: „Den Haag leistet Beitrag gegen das Vergessen“”

  1. der heilige josef

    Wenn der ehrwürdige Jurist Mut hat und wenn er tatsächlich frei agieren kann von der Politik, dann bereitet er eine Anklage gegen Mister Blair vor, wegen der Vorbereitung und der Beteiligung an einem völkerrechtswidrigem Angriffskrieg im Jahre 2003. Die dabei begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Irak und die Schuld die Mister Blair daran trägt sind ausreichend dokumentiert. Die bis heute andauernden Folgen dieses Krieges sind verheerend, das menschliche Leid scheint kein Ende zu nehmen. Den Hauptverantwortlichen Mister Bush, den kann er ja gar nicht anklagen da die USA den Strafgerichtshof überhaupt nicht anerkennen. Aber wenn vermeintliche Täter aus dem Westen kommen passiert rein gar nichts, sie werden noch belobigt oder wie im Falle des Oberst Klein der in Afghanistan einen Tanklastzug bombardieren lies, bei dem dutzende Kinder und Jugendliche starben sogar noch befördert.

  2. Greffier

    Was zeichnet ein Topjurist aus ?

    ,,Letzter Akt in Den Haag,, von Wolfram Neidhard
    https;//www.n-tv.de/politik/Vojislav-Seselj-die großserbische Giftspritze

    Interessant ist die Seite 2 . . . Mehrfach überarbeitete Anklageschrift . . .

  3. Marcel Scholzen eimerscheid

    Serge Brammertz und der Gerichtshof haben gute Arbeit geleistet. Meinen Respekt.

    Nur per Gerichtsbeschluss lässt sich der Hass und Nationalismus nicht aus der Welt schaffen. Die Einwohner des Balkans müssen selbst zu der Einsicht kommen, dass Hass, Intoleranz, Nationalismus schlechte Sachen sind.

    2018 war ich selbst in Sarajevo und Mostar. Ein sehr beeindruckender Aufenthalt. Sarajevo ist eine muslimisch geprägte Stadt, man wird schon früh am Morgen durch den Gebetslautsprecher der Moscheen geweckt. Mittlerweile sind auch viele Golf-Araber in Bosnien, die dort günstig Immobilien kaufen. Gibt spezielle Immobilienagenturen nur für die. Auf dem Flughafen von Sarajevo stehen viele Fahrzeuge aus arabischen Ländern. Und die Situation in Mostar ist total verrückt. Ein Fluss teilt die Stadt in zwei Teile, auf einer Seite leben die katholischen Kroaten und auf der anderen Seite die moslemischen Bosniaken. Zwei verschiedene Welten dich beieinander, durch eine unsichtbare Mauer getrennt. Bei den Kroaten die gleiche freizügige Atmosphäre wie in den meisten westlichen Ländern, auf der bosniakischen Seite das Gegenteil, etwas bedrückende, viele Frauen verschleiert. Auch sieht man noch viele Kriegsruinen. Und man darf nicht vergessen Serben, Kroaten, Bosniaken sprechen die gleiche Sprache, früher bekannt als Serbokroatisch. Heute wird künstlich unterschieden zwischen kroatisch, serbisch und bosniakisch.

    • der heilige josef

      Die Zentralregierung in Belgrad wollte lediglich den gemeinsamen Bundesstaat Jugoslawien erhalten. Erst die voreilige Anerkennung all dieser Kleinstaaten durch den Westen ließ die Lage eskalieren. Jeder Staat hat das Recht sich gegen auch noch bewaffnete Separatisten und Extremisten zur Wehr zusetzen.

      • Marcel Scholzen eimerscheid

        Danke für die Antwort.

        Der Ursache für den Bosnienkrieg war die Angst der bosnischen Serben, dass das unabhängige Bosnien ein moslemischer Staat wie das Osmanische Reich werden würde und die Serben zu Menschen zweiter Klasse. Durchaus zu Recht. Izetbegovic, Bosniens erster Präsident nach der Unabhängigkeit, war moslemischer Fundamentalist, hatte unter Tito im Gefängnis gesessen. Ich habe in Sarajevo ein Museum besucht, das sich mit ihm beschäftigt. Hat ua eine

        Bosnien ist jetzt noch kein richtiger unabhängiger Staat. Ist eine Art internationales Protektorat, kontrolliert von einem Hochkommissar, der jedes Gesetz annullieren darf, wenn es gegen den Frieden von Dayton verstößt. Man bezahlt in Bosnien mit konvertibler Mark. Vorbild war die deutsche Mark. Ist fest an den Euro gekoppelt.

        • Walter Keutgen

          Marcel Scholzen eimerscheid, der heilige josef, damals war ich im Hamsterrad und konnte das nicht so verfolgen. Hier meine vielleicht sehr partiell gegründete Meinung.

          Nicht nur die Zentralregierung wollte Jugoslawien erhalten, auch die Gutmenschen-EU, die einen Multikultistaat erhalten wollte. Das, obwohl alle Zeichen auf Bürgerkrieg standen. Statt den diplomatischen Helfer zu spielen, der die Grenzen der Aufteilung mitbestimmte und dafür sorgte, dass Mischehepartner und deren Kinder – und es gab wohl viele – vollständige Rechte behielten. Ja, und dann, Portugal hatte den EU-Vorsitz, und statt als neutraler Staat (bis Zweiten Weltkrieg) Hilfestellung zu leisten, trat es das Problem an Großbritannien ab, das turnusmäßig den nächsten Vorsitz hatte. Aber Großbritannien hatte doch am Ersten Weltkrieg teilgenommen! So kam es dann zu den Anerkennungen, nicht der EU – sie hat doch diesbezüglich nichts zu sagen – sondern einzelner Mitgliedstaaten, nach ihren vielleicht historisch begründeten Vorlieben. Nur die USA, pardon NATO, haben mit Bombardierungen dem Bürgerkrieg ein Ende bereitet.

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