Zwischenruf

Was für ein Gedöns vor dem NSU-Prozess!

Wenn der Anlass des Prozesses gegen ehemalige Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU ) in München nicht so tragisch wäre, könnte man sich über die Art und Weise, wie die deutsche Justiz das Problem des Akkreditierungsverfahrens für die in- und ausländischen Medien zu lösen versucht, nur totlachen. Was für ein Gedöns! Dass der Prozessbeginn auf den 6. Mai verlegt werden musste, ist noch das kleinere Übel im Vergleich zum Imageschaden, den Deutschland wegen der Pedanterie der Münchner Justiz in Kauf nehmen muss.

Die Bezeichnung „typisch deutsch“ macht wieder die Runde. Und München leistet dem Vorurteil, eine kleinkarierte Provinzstadt zu sein, ungewollt selber Vorschub.

Ursprünglich hatte das Gericht die Plätze nach der Reihenfolge der Anmeldungen vergeben. Türkische Medien gingen dabei leer aus, obwohl die Neonazi-Terroristen acht Menschen türkischer Herkunft getötet hatten. Jetzt wird das gesamte Akkreditierungsverfahren wiederholt. Diesmal werden die 50 begehrten Plätze per Losentscheid bestimmt.

Beispiel Dutroux-Prozess 2004 in Arlon

Vielleicht hätten sich die Verantwortlichen des Münchner Oberlandesgerichts mal an die belgischen Justizbehörden wenden sollen. Diese haben im Jahre 2004 beim Prozess gegen den Kindermörder Marc Dutroux in Arlon bewiesen, wie man einen Mammut-Prozess problemlos durchführen kann.

Die meisten Journalisten – darunter übrigens sehr viele deutsche – befanden sich damals in einem Nebenraum und konnten die Gerichtsverhandlung per Video verfolgen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, die Rechtmäßigkeit des Dutroux-Prozesses mit der Gefahr einer möglichen Revision infrage zu stellen.

Weitere Überraschung immer noch möglich

Im NSU-Prozess ist der Streit um die Presseplätze im Gerichtssaal übrigens nicht zu Ende. Dieser Prozess ist noch immer für eine Überraschung gut. Losverfahren gut und schön, aber stellen Sie sich mal vor, bei der Auslosung bekommen das „Ahlener Tageblatt“, die „Ostfriesischen Nachrichten“ und andere weitgehend unbekannte Blätter eine Akkreditierung, nicht aber „Bild“ und die „Süddeutsche Zeitung“, um nur diese beiden zu nennen! Was dann?

Dann wäre wohl nichts mehr „typisch deutsch“, sondern genau das Gegenteil, nämlich total chaotisch – und noch peinlicher als heute schon.

GERARD CREMER

 

10 Antworten auf “Was für ein Gedöns vor dem NSU-Prozess!”

  1. Gerd Fuss

    Bravo Gerhard Cremer dieser Artikel trifft den Nagel auf dem Kopf, mich nervt dieses Akkreditierungsverfahren auch schön länger. Wieso nicht wie hier angeregt parallel zu den Journalisten im Saal eine Videoonferenz das ist doch schon länger möglich!

  2. R.A. Punzel

    Wen interessiert denn in Ostbelgien die NSU? Sorry, Herr Cremer, aber haben Sie schon Ihre Akkreditation zwecks deutschem Blid-Böld-Reporter gestellt? Dumpfbacken-Niveau scheint nun Standard zu werden.

    • Kommentator

      @R.A.Punzel: Warum regen Sie sich so auf? Der NSU-Prozess findet internationale Beachtung, nicht zuletzt wegen der chaotischen Vorbereitungen. Wenn Sie das nicht interessiert, ist das Ihr gutes Recht. Niemand zwingt Sie, den Artikel zu lesen.

  3. Die Münchener Justiz hätte besser daran getan stur zu bleiben, statt auf dreiste Forderungen der türkischen Presse einzugehen. Jetzt hat sie den Salat.
    Ich weiß aber nicht, was Sie geraucht haben, als Sie auf die Idee kamen, den Dutroux-Prozeß als „problemlos“ zu bezeichnen. Aber Maastricht ist eigentlich eine schöne Stadt.

  4. @nmm – die Münchener Justiz hatte keine Chance „stur“ zu bleiben da das deutsche Verfassungsgericht das alte Vegabeverfahren gekippt hat. Um Revisionen wegen Vefahrensmängeln zu vermeiden, und damit dem Nazipack eine Plattform in der Öffentlichkeit zu entziehen, mußte es neu aufgelegt werden.

    Eine Videoübertrageung in einen Nebenraum ist aus Gründen des Persönlichkeits- und Zeugenschutzes in Deutschland per Gesetz verboten. Somit entfällt auch diese Möglichkeit.

    Der Vorwurf den sich das Münchener Amtsgericht gefallen lassen muß ist der des leichtfertigen Umgangs mit einer so heiklen Angelegenheit. Während für die Prozesse gegen die RAF eine eigene Halle gebaut wurde um des Andranges von Publikum und Presse gerecht zu werden, hat man in München sich auf einen „normalen Gerichtssaal“ festgelegt. Auch in München gibt es Häuser die für diesen Prozess besser geeignet gewesen wären. Der Gipfel der Peinlichkeit aber war die Pressekonferenz zur Prozessverschiebung. Eine „Pressesprecherin“ die ausser dem neuen Termin keinerlei Informationen zu verkünden hatte und so ziemlich hilflos der Weltpresse gegenüberstand hatte schon eine, bisher nicht erreichte, „Qualität“.

  5. Das Problem der deutschen ist, einen Prozess von internationalem Interesse in einem Peovinzgericht abzuhalten. Wozu hatAN eigentlich Stuttgart Stammheim gebaut, ach ja, da waren die Opfer bekannte Industrielle, jetzt sind es halt Imbissbuden Betreiber. Aber wir sollten nicht auf so einem hohen Ross sitzen, bei uns ist Justiz und Polizei, siehe Fall in Hergenrath oder unsere „üüberfüllten“ Anstalten

  6. …..sorry hatte ein kleines Übertragungsproblem.
    Wollte anmerken die deutsche Justiz macht ihren Job aber wie bei uns total Überlastet oder beschränkt durch eine völlig „eigenwillige“ Gesetzgebung.

  7. Zitat Kelemeser –
    Das Problem der deutschen ist, einen Prozess von internationalem Interesse in einem Peovinzgericht abzuhalten. Wozu hatAN eigentlich Stuttgart Stammheim gebaut, ach ja, da waren die Opfer bekannte Industrielle, jetzt sind es halt Imbissbuden Betreiber.
    Zitat Ende

    Das deutsche Rechtssystem und die Aufteilung der Bundesländer bringt es mit sich das der Prozess nicht da stattfindet wo Platz ist sondern da wo die erste Tat begangen wurde. Qua Zuständigkeit ist das also München.
    Unstrittig ist aber das es in einer Stadt wie München sicherlich geeignetere Räumlichkeiten gibt.

  8. Danke für den Hinweis.
    Soweit ich weis sind Bundesländer recht unabhängig, eigene Polizei,Bildung etc. würde ich mir hier auch wünschen!
    Aber das nur am Rande. Mir k der Richter in München nur sehr pedantisch vor.

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