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Noch ein Jahr bis Katar: Die WM 2022 als „Qatarstrophe“

17.05.2019, Katar, Al-Wakrah: Katarische Fans kommen zur Eröffnung des Al-Dschanub Stadions (vorher Al-Wakrah Stadion) während des Emir of Qatar Cup Endspiels zwischen al-Sadd und al-Duhail. Foto: Sharil Babu/dpa

Wenn an diesem Sonntag, dem 21. November 2021, erstmals die Formel 1 in Katar Station macht, sind wir auf den Tag genau ein Jahr von der Eröffnung der Fußball-WM 2022 entfernt. Die Kritik an dem reichen Emirat nimmt kein Ende.

Joseph Blatter mühte sich zu einem kurzen Lächeln, als er jene weiße Karte aus dem Briefumschlag zog, die den Weltfußball in jahrelange, hitzige sowie kontroverse Diskussionen und Skandale stürzen sollte. „Katar“, rief der damalige FIFA-Präsident vor elf Jahren in den Zürcher Saal.

An diesem Sonntag (21. November) sind es nur noch zwölf Monate bis zum Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft 2022, die für Millionen Fans und etliche Kritiker niemals an das kleine Emirat hätte vergeben werden sollen – im Spin der Organisatoren aber der größte vorstellbare Segen für die gesamte Golfregion ist.

FIFA-Boss Joseph Blatter bei der Bekanntgabe von Katar als WM-Gastgeber 2022. Foto: dpa

Amnesty International kritisierte in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht weiterhin weit verbreitete Verstöße gegen die Rechte von Arbeitsmigranten. Im vergangenen Jahrzehnt waren Tausende von ihnen auf den Baustellen Katars ausgebeutet worden – und gestorben.

Die lautstarke internationale Kritik führte zu zumindest auf dem Papier tiefgreifenden Reformen, die bei der FIFA und dem Organisationskomitee gerne dem WM-Zuschlag zugesprochen werden. „Die Kraft des Fußball“, heißt es, habe so viel bewirkt. Ist das so?

Die Fortschritte infolge von Gesetzesänderungen stagnierten, schreibt Amnesty, „alte ausbeuterische Praktiken“ gewännen wieder die Oberhand. Katar setze Reformen nicht rigoros um, überwache ihre Umsetzung nicht und ziehe Verantwortliche für Verstöße nicht zur Rechenschaft. So seien Arbeitsmigranten weiterhin skrupellosen Arbeitgebern ausgeliefert.

Darauf angesprochen kritisieren hochrangige Funktionäre im Organisationskomitee ein Alles-oder-Nichts-Denken, nirgendwo auf der Welt würden sich alle an die Gesetze halten. Die Strafverfolgung bei Verstößen gegen die neuen Arbeitsrechte sei aber rigoros, das jahrelang heftig kritisierte Kafala-System abgeschafft.

Dieses auch in anderen Ländern der Region verbreitete System bindet ausländische Arbeiter fest an einen einheimischen Bürgen wie einen Arbeitgeber. Die Abschaffung in Katar hatte die UN-Arbeitsorganisation ILO als „historischen Schritt“ gewürdigt.

20.12.2019, Katar, Lusail: Bauarbeiter arbeiten am Lusail-Stadion, einem der Stadien der WM 2022. Der WM-Gastgeber Katar hat nach eigenen Angaben einen Mindestlohn für alle Arbeiter eingeführt. Foto: Hassan Ammar/AP/dpa

Arbeitsmigranten können jetzt laut Gesetz ohne Erlaubnis ihren Arbeitgeber wechseln. Auch einen Mindestlohn führte Katar ein. Mit den Reformen ging das Emirat weiter als alle anderen Länder am Golf.

In dem reichen Golfemirat leben rund zwei Millionen Arbeitsmigranten. Sie kommen vor allem aus armen Ländern wie Bangladesch, Nepal oder Indien. Amnesty beklagt nach wie vor zahlreiche Verstöße, die ungeahndet geblieben seien. Die Migranten seien trotz anderslautender Zusagen de facto weiter an ihren Sponsor gebunden. Wollten sie den Job wechseln, sähen sie sich Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt. Zudem blieben viele Todesfälle unter den Arbeitsmigranten ungeklärt. Trotz klarer Hinweise auf Hitzestress bleibe es extrem schwierig zu erfahren, in wie vielen Fällen die Arbeitsbedingungen für den Tod verantwortlich seien. Betroffene Familien erhielten keine Kompensation.

In Europa schrecken diese Berichte aus dem 4.500 Kilometer entfernten Emirat auf. Umfragen ergeben immer wieder, dass die WM boykottiert werden müsse.

Menschenrechtsorganisationen raten davon ab. „Nach all den Verbesserungen – auch wenn man da jetzt nicht Entwarnung geben muss – wäre jetzt ein Boykott absolut kontraproduktiv“, sagte auch Dietmar Schäfers, Vizepräsident der IG BAU und der internationalen Bau- und Holzarbeiter-Gewerkschaft BHI, im „Kicker“-Interview. „Ein Boykott hilft den Menschen dort nicht. Er würde die Gefahr in sich bergen, dass es Stillstand gibt, und Stillstand können die Leute da unten nicht gebrauchen.“

Protestaktionen gibt es weiter – aber kein Boykott

Die Ansicht wurde auch auch am Dienstagabend im Fernsehstudio der RTBF nach dem letzten Gruppenspiel der belgischen Nationalmannschaft in Cardiff gegen Wales (1:1) vertreten. Belgien hat sich bereits zusammen mit elf anderen Ländern für die WM in Katar qualifiziert. Neben den Roten Teufeln sind auch Deutschland, Dänemark, Titelverteidiger Frankreich, Kroatien, Serbien, Spanien, England, Schweiz, Niederlande, Brasilien und Argentinien qualifiziert. Katar ist als Gastgeber automatisch dabei.

25.09.2019, Katar, Doha: Das Khalifa International Stadium, aufgenommen aus dem 50. Stock des Torch Towers. Foto: Michael Kappeler/dpa

Insgesamt nehmen 32 Nationen an der WM 2022 teil. In den europäischen Playoffs sind Portugal, Wales, Italien, Schottland, Russland, Schweden, Türkei, Polen, Nordmazedonien, die Ukraine, Österreich und Tschechien vertreten. Von diesen zwölf Nationen reisen drei zur WM.

Für die WM, die vom 21. November bis zum Nationalfeiertag am 18. Dezember 2022 in acht Stadien gespielt wird, rüstet Katar massiv auf. Die hochmodernen Arenen, die teils komplett neue Infrastruktur, Hunderte Hotels, die auf den Ansturm von Millionen Fans hoffen. Baustellen für die WM und Baustellen für den bis 2030 geplanten Aufschwung Katars lassen sich oft nicht voneinander trennen.

Protestaktionen gibt es weiter: Kürzlich war bei einem Länderspiel der belgischen Nationalelf auf den Rängen ein Transparent mit der Aufschrift „QATARSTROPHE“ (wie Katastrophe) zu sehen.

Korruptionsvorwürfe nie gerichtsfest bewiesen

„Football Supports Change“ (Fußball unterstützt Wandel) stand bereits im März 2021 auf schwarzen T-Shirts, welche die niederländischen Nationalspieler beim WM-Qualifikationsspiel gegen Lettland bis kurz vor dem Anpfiff trugen.

Superstürmer Erling Haaland und seine norwegischen Mitspieler präsentierten weiße Shirts mit dem Aufdruck: „Human rights – On and off the pitch“ (Menschenrechte – auf und neben dem Platz).

25.03.2021, Nordrhein-Westfalen, Duisburg: Die Spieler der deutschen Nationalmannschaft stehen zusammen und bilden den Schriftzug „Human Rights“. Foto: Tobias Schwarz/AFP-Pool/dpa

Die deutsche Nationalelf trug vor dem Anpfiff gegen Island Shirts mit Buchstaben, die gemeinsam ebenfalls das Wort „Human Rights“ bildeten.

Der Druck für eine klare Positionierung dürfte weiter zunehmen. In München protestierten die Fans zuletzt in der Allianz Arena erneut mit einem riesigen Plakat gegen die Sponsoren-Beziehung des FC Bayern zu Katar, das im Weltsport Milliarden investiert. An diesem Wochenende wird erstmals ein Formel-1-Rennen in Katar ausgerichtet. Aushängeschild ist der französische Fußballclub Paris Saint-Germain, der komplett in katarischer Hand ist. Die Geschäfte mit Frankreich spielten damals auch in die Berichterstattung um die WM-Vergabe.

Auch die AS Eupen ist seit 2012 fest in katarischer Hand. Anfangs wurde oft behauptet, die Übernahme des ranghöchsten ostbelgischen Fußballclubs habe sogar direkt mit der Ausrichtung der WM 2022 zu tun. Lange Zeit standen auch katarische Spieler – wie zum Beispiel der heutige Nationalspieler Akram Afif – bei der AS unter Vertrag.

Verbrieft ist ein Abendessen des damaligen UEFA-Präsidenten Michel Platini im Élysée-Palast vor der Entscheidung mit Frankreichs Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy und dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani. Letzterer jubelte wenig später in Zürich, als Blatter die Karte mit der Aufschrift „Qatar“ aus dem Umschlag zog.

Die umstrittene Wahl für Katar als Ausrichter der WM 2022 traf das FIFA-Exekutivkomitee, das in den Nullerjahren und bis zum großen Knall 2015 einem Selbstbedienungsladen glich. Von den damaligen Funktionären wurden etliche gesperrt und angeklagt. Korruptionsvorwürfe rund um die WM-Vergabe wurden nie gerichtsfest bewiesen – und von Katar deutlich zurückgewiesen. (dpa/cre)

14 Antworten auf “Noch ein Jahr bis Katar: Die WM 2022 als „Qatarstrophe“”

  1. Preussens Gloria

    Was für ein Witz. Die WM in Russland war ja auch kein Ding. Olympia in China kein Problem. Jaja und in Katar schaut man plötzlich hin aber mit kleinen Ländern kann man ja den starken Mann markieren und bei den anderen zieht man den Schwanz ein. Typisch EU, geht mal Eier kaufen.

  2. Osteuropa

    Richtig – die Großmäuler der deutschen Nationalmannschaft protestieren ( wie viele andere….. z.B die Norweger – die haben es etwas einfacher , fahren eh nicht hin ….. ) neugierig wer von denen kommendes Jahr zur Fußball-WM in Katar fährt ……. – wer boykottiert denn die kommenden Olympischen Winterspiele in China – wir sollten in Europa mal vor der eigenen Türe kehren und das Problem der billigen Lohnarbeiter sowie der LKW Fahrer lösen….,,

  3. Robin Wood

    Jetzt wird wieder viel diskutiert und protestiert und am Ende fährt wohl jeder wieder hin.
    Heuchelei wie man es eben auch aus anderen Bereichen kennt. Da hätte man schon vorher Protest einlegen können, weil ja schon die Wahl von Katar erhebliche Zweifel an der Seriösität der Wahl ausgelöst hat.
    Aber Geld regiert die Welt – in absolut allen Bereichen.

  4. Alles ist käuflich
    ist immer nur eine Frage des Preises, auch vereidigte Personen werden schwach dann
    Sogar bei Gericht und da herrscht Gerechtigkeit ( angeblich) die kleinen hängt man die großen lässt man laufen

  5. Mann hätte diese WM sofort boykottieren sollen, ist aber nicht möglich weil da soviel, ja zuviel Geld im Spiel ist. Der Fussball gehört in Deutschland, England, Italien, Brasilien, Argentinien usw., aber bitte nicht in Ländern die sich alles kaufen können und überhaupt keine Fussballtradition haben !

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