Politik

Frankreich: Macron blamiert sich bei Parlamentswahl – Sowohl die Links- als auch die Rechtsextremisten jubeln

Bild links - 19.06.2022, Frankreich, Paris: Jean-Luc Mélenchon, Kandidat der Linken, hält eine Rede in seinem Hauptquartier nach der Parlamentswahl. Bild rechts - 14.06.2022, Frankreich, Pont-Sur-Yonne: Marine Le Pen, Vorsitzende der rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN), trifft zu einer Pressekonferenz ein. Fotos: Foto: Michel Euler/AP/dpa - Thibault Camus/AP/dpa

AKTUALISIERT – Für Frankreichs Staatschef ist das Ergebnis der Parlamentswahl ein Debakel. Nach einem herben Sitzverlust kann er nur noch mit einfacher Mehrheit weiterregieren und muss bei anderen Parteien Unterstützung suchen. Zugleich trumpft die Rechte Le Pen mit ihrer Partei auf.

Fast konnte man meinen, der Kalender auf internationaler Bühne ließe Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kaum Zeit für einen Heimatstopp für die Parlamentswahl. Gerade noch ein Truppenbesuch in Rumänien, Zwischenstopp in Moldau und dann der lange erwartete Besuch in Kiew, bevor es in wenigen Tagen zum EU-Gipfel nach Brüssel und dann zum G7-Treffen auf Schloss Elmau weitergeht.

19.06.2022, Frankreich, Le Touquet: Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, wirft seinen Stimmzettel in eine Wahlurne, während seine Frau Brigitte daneben steht. Foto: Michel Spingler/AP Pool/dpa

Am Sonntag aber zur Wahl zur Nationalversammlung gab der Staatschef seine Stimme wie üblich im Badeort Le Touquet ab – um kurz darauf hart geerdet einer neuen Realität ins Auge zu sehen.

Nachdem schon die erste Wahlrunde eng gewesen war, erzielte Macrons Mitte-Lager am Ende nur eine einfache Mehrheit mit dem Verlust vieler Sitze. Die radikale Linke und insbesondere auch das rechte Rassemblement National legten kräftig zu – eine regelrechte Blamage für den ambitionierten Staatschef.

Denn der gerade erst für eine zweite Amtszeit wiedergewählte Liberale muss sich nun auf eine Beschränkung seiner Machtfülle einstellen. Um seine Reformvorhaben in Frankreich und Europa voranzutreiben, braucht er fortan im Parlament die Unterstützung anderer Lager – und seine gestärkten Gegner werden keine Möglichkeit ungenutzt lassen, Einfluss zu gewinnen. Eine solche Regierung nur mit einfacher Mehrheit gab es in Frankreich zuletzt unter Präsident François Mitterrand (1988-1991).

19.06.2022, Frankreich, Paris: Elisabeth Borne, Premierministerin von Frankreich, hält eine Rede nach der Parlamentswahl. Foto: Ludovic Marin/Pool via AP/dpa

Während der Wille des 44-Jährigen zur Modernisierung Frankreichs und Reformierung der EU ungebrochen scheint, ist der Enthusiasmus vieler Franzosen, der ihn 2017 beim Start in den Élyséepalast begleitete, längst verflogen. Nach der von Protesten, Corona-Einschränkungen und der Ukraine-Krise begleiteten ersten Amtszeit herrscht viel Enttäuschung mit dem als Überflieger gestarteten Jung-Präsidenten.

Abzulesen ist das im Wahlergebnis vom Sonntagabend. Nach vorläufigem amtlichen Endergebnis kassierte das Präsidentenlager herbe Verluste und kommt nur noch auf 245 der 577 Parlamentssitze. 289 wären für die absolute Mehrheit erforderlich gewesen.

Das vom altlinken Populisten Jean-Luc Mélenchon in Rekordzeit geschmiedete Linksbündnis indes verbuchte mit 131 Sitzen tüchtigen Zuwachs und löst als stärkste Oppositionskraft die bürgerlich-konservativen Républicains ab. Diese verlieren stark und kommen mit Verbündeten auf 74 Sitze.

Spektakulär ist der Zuwachs des rechten Rassemblement National von Marine Le Pen, dass die Anzahl seiner Parlamentssitze auf 89 steigerte – gut elf Mal so viel wie bisher. Bislang hatte das Mehrheitswahlrecht die Partei ausgebremst: Nur wer einen Wahlkreis für sich gewinnt, bekommt auch ein Mandat, Zweitstimmen gibt es in Frankreich nicht. Nun wurde die rechte Partei in deutlich mehr Wahlkreisen stärkste Kraft. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 46,23 Prozent einen Tiefpunkt.

19.06.2022, Frankreich, Straßburg: Freiwillige leeren eine Wahlurne in einem Wahllokal in Bischheim außerhalb von Straßburg. Foto: Jean-Francois Badias/AP/dpa

Trotz deutlich gestutzter Mehrheit für den Proeuropäer Macron dürfte Europa auch künftig auf Frankreich bauen können. In Frankreich selbst, wo Macron sich bei seinem Antreten 2017 aufmachte, das verkrustete politische System zu reformieren und die Wirtschaft zu erneuern, fällt die Bilanz indes gemischt aus.

Auf der Habenseite kann Macron verbuchen, dass die Wirtschaft auch nach der Corona-Krise wieder stark Fahrt aufgenommen und die Beschäftigung zugelegt hat. Die propagierte Reindustrialisierung zeigt erste Resultate und ausländische Investitionen in Frankreich, vor allem aus Deutschland, haben angezogen. Frankreich ist wieder da, heißt es nicht nur von Macron. Viele Menschen aber fühlen sich mit ihren Nöten nicht wahrgenommen, abgehängt und etliche Baustellen blieben offen.

Statt auf visionäre Reden hoffen viele Franzosen angesichts der steigenden Preise im Moment auf Unterstützung der Regierung. Obenan steht auch der Zustand der Schulen und des Gesundheitswesens. Ein weiterer Knackpunkt bleibt die Rente, Macron will das Eintrittsalter auf 65 Jahre anheben, Mélenchon auf 60 Jahre senken. Dieser Streit aber wird wohl nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße ausgetragen werden. (dpa)

20 Antworten auf “Frankreich: Macron blamiert sich bei Parlamentswahl – Sowohl die Links- als auch die Rechtsextremisten jubeln”

  1. Absehbar und gar nicht so schlecht.
    Jetzt müssen die ewigen Querulanten Farbe bekennen und können sich nicht mehr darauf beschränken, auf den Strassen zu grölen.
    Unterhaltsam werden auch die Interventionen von Marine Lepen, sollte sie Präsidentin der Gruppe werden.

    • Walter Keutgen

      5/11, schauen Sie sich die Zahlen oben an. Präsidentenlager 245 Sitze + Republikanerlager 74 = 319 > 289. Es wird sicher zu einer Koalition beider Lager kommen. 2017 hat François Fillon nur wegen des Skandälchens verloren.

  2. Jetzt habe ich den Faden verloren…. Vor ein paar Tagen wurde doch hier gemeldet, daß Macron hauchdünn gewonnen hatte. Ich dachte das wäre diese Wahl gewesen oder war das nur eine Umfrage?

  3. Robin Wood

    „Macron blamiert sich bei Parlamentswahl“

    Wieso „blamiert“? Er hat verloren. Bei Wahlen geht es ums Gewinnen oder Verlieren.

    Das zeigt – trotz geringer Wahlbeteiligung – dass viele Menschen sich von den „gängigen“ Politikern/Parteien nicht verstanden fühlen und dass sie enttäuscht von deren Politik sind.
    Mit Macron habe ich kein Mitleid, ich denke da an seine Aussage während der Corona-Krise, als er einen Teil der Wähler „emmerder“ wollte.

  4. Robin Wood

    @Logisch
    Da haben Sie natürlich Recht.
    Ich denke, dass die Wähler Macrons Politik abstrafen wollten. Lieber was Neues probieren als mit dem Alten weitermachen womit man unzufrieden war. Mal sehen, wie es sich entwickelt.

    • Die Franzosen haben fast nie „mit dem Alten weitermachen“ wollen. Aber so alt ist Macron’s Politik ja nicht. Vor Macron gab’s immer nur „links oder rechts“, die Extreme von beiden Seiten wurden gemieden.
      Durch Macron’s Politik gab’s plötzlich nur mehr die Mitte und die beiden Extreme. Der Franzose ist eher Nationalist und die Leute um Lepen sind, durch den Zirkus, den Zemmour veranstaltet hat, gesellschaftsfähig geworden.

  5. Wach werden!

    Ich sage es immer wieder: Trotz Politikverdruss (niedrigste Wahlbeteiligung…) muss man sein Wahlrecht nutzen und wählen gehen, denn sonst kommt der braune Dreck durch. Die halten ihre Anhänger nämlich auf Trab.

  6. Krisenmanagement

    Es ist doch sehr durchschaubar, dass bei den Präsidentschaftswahlen etwas nicht gestimmt hat. (Persönliche Ansicht) Nun bekommt Macron endlich seine Quittung. Wer ist eigentlich extrem? Macron war mit seinen Corona-Massnahmen nicht zimperlich. …. Die Einordnung in diese Schubladen gelingt mir nicht mehr.

  7. Frank Mandel

    Wenn „Wählen- Dürfen- Gehen“, etwas bringen würde- hätte man Wahlen schon lange verboten.
    M.E., dienen Wahlen dazu kurz oder mittelfristige Interessen scheinbar zu berücksichtigen, letztendlich aber werden durch langfristige Interessen und ihre Vertreter (die bestimmt nichts mit den Interessen des Volkes etwas gemein haben sondern ihre eigenen Ziele verfolgen), kaputt gemacht.
    Wie sonst kann man sich die zum größten Teil durch die Politik selbst verursachten, Zustände und Entwicklungen in vielen Bereichen erklären? Diese eigenen, von Interessen Vertretern hervorgebrachten Zustände, sind auf dieselbigen zurückzuführen.
    Fazit: diese stetig sich in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens beschämenden Entwicklungen, sind die Ergebnisse nicht dessen was wir uns vorstellen und wollten durch Wahlen- sie sind die erkennbarste Verblödung einer Gesellschaft.
    Gucken Sie sich zum Beispiel eine Partei wie die Grünen an, was haben Menschen da aus leichterem Glauben gewählt und nun werden die Wähler behandelt wie Vollidioten.
    Klar, bei anderen Parteien (weil in der Gesamtheit eben alle Parteien andere Ziele verfolgen als die vom Wähler gewünscht) muss man auch genau hingucken aber ich finde die Grünen immer wieder in ihrer Art und Weise so auffällig einen verblöden zu wollen, dass es einfach ist, daraufhin zuweisen.
    Völker werden bevormundet über Jahrzehnte hinweg und wollen es nicht bemerken?
    Wenn Wahlen etwas bringen würden, ist das Ergebnis das, was wir sehen und hören: eine einzige menschliche Katastrophe!
    Gutes Wahlergebnis.

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