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Johnson will Unterhaus vor Brexit in Zwangspause schicken – Empörung ist groß

09.05.2016, Großbritannien, London: Boris Johnson, damaliger Abgeordneter im britischen Unterhaus, spricht während einer Veranstaltung von EU-Gegnern. Foto: Will Oliver/EPA/dpa

Knapp zwei Monate vor dem geplanten EU-Austritt hat der britische Premier Boris Johnson eine provisorische Schließung des Parlaments beantragt. Die Empörung ist groß.

Das Unterhaus soll ab Mitte September für gut vier Wochen die Tore schließen – nach Johnsons Darstellung, um das Regierungsprogramm vorzubereiten, das die Königin am 14. Oktober präsentieren soll.

Gegner eines Brexits ohne Austrittsabkommen werfen ihm vor, er wolle der Opposition nur die Chance rauben, einen EU-Austritt ohne Abkommen am 31. Oktober per Gesetz zu verhindern.

Das bezeichnete Johnson als „vollkommen unwahr“. Abgeordnete meinten, damit wachse die Aussicht auf einen Misstrauensantrag gegen den erst seit rund fünf Wochen amtierenden Johnson, wenn das Parlament nächste Woche aus der Sommerpause kommt.

28.08.2019, Großbritannien, London: Ein Anti-Brexit-Plakat wurde vor dem Parlamentsgebäude angebracht. Foto: Aaron Chown/PA Wire/dpa

Parlamentspräsident John Bercow war empört. Johnsons Pläne seien ein „Frevel gegen die Verfassung“. „Wie auch immer man es verpackt, es ist ganz offensichtlich, dass die Absicht hinter einer Sitzungsunterbrechung zu diesem Zeitpunkt wäre, das Parlament von einer Brexit-Debatte (…) abzuhalten“, teilte er mit.

Der frühere Schatzkanzler Philip Hammond twitterte: „Zutiefst undemokratisch.“ Es sei eine Schande, wenn das Parlament davon abgehalten werde, der Regierung in Zeiten einer nationalen Krise auf die Finger zu schauen. „Der heutige Tag wird als schwarzer Tag für die Demokratie in Großbritannien in die Geschichte eingehen“, schrieb die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon auf Twitter – wenn es den Abgeordneten nicht gelinge, Johnsons Pläne zu stoppen.

Eine Parlamentsschließung vor der Präsentation eines neuen Regierungsprogramms ist üblich. Die Zustimmung der Königin dazu gilt als Formsache. Allerdings dauert diese Pause in der Regel nicht wie in diesem Fall mehr als vier Wochen.

Johnson will unbedingt an dem Brexit-Datum 31. Oktober festhalten. Er verlangt aber neue Verhandlungen über das von seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelte EU-Austrittsabkommen, das mehrfach im Unterhaus gescheitert ist. Die EU schließt neue Verhandlungen aus. Johnson will in dem Fall ohne Abkommen ausscheiden. (dpa)

21 Antworten auf “Johnson will Unterhaus vor Brexit in Zwangspause schicken – Empörung ist groß”

  1. DerPostbote

    Und diejenigen, die unsere Regierungen als ‚undemokratisch‘ bezeichnen, bejubeln diesen Schritt sicherlich auch noch. Finde den Fehler…

    Hier wird vor den Augen der Öffentlichkeit die Demokratie ausgehebelt. Eine logische Folge wäre in einem intakten Staat eigentlich ein Misstrauensvotum gegen den Premier.

    • Mithörer

      @DerPostbote
      Wenn sie sich informieren werden sie erfahren, dass die britische Opposition es nicht auf die Reihe gebracht hat im Parlament einen Misstrauensantrag zu stellen.
      Ich denke, ein genialer Schachzug des britischen Premier. Alle haben ihn unterschätzt, auch Deutschland, Frankreich und die EU

      • DerPostbote

        „Unterschätzt“? Was denn? Seine Dummheit und seine Unfähigkeit, Politik auf Basis demokratischer Grundlagen zu machen?

        Eines hat Johnson bewiesen: Kommt er mit seinem Plan durch, dann war es das mit dem ach so tollen britischen Paradebeispiel der Demokratie.

        • Mithörer

          @Der Postbote
          Na, na, um Paradebeispiele der Demokratie zu erleben, müssen sie nicht über den ärmelkanal blicken. Da genügt ein kurzer Schritt vor die Haustür. Wenn diese Vorgehensweise konform mit den britischen Gesetzen ist, dann ist das legal und im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten die ein Premier hat. Die Oppositionb dort ist eben zu zerstritten und unfähig einen Umschwung einzuleiten. Die Briten haben gewählt und Punkt. Diejenigen, die zu faul, zu träge, zu bequem oder ganz einfach keinen Bock auf wählen gehen hatten, schauen eben in die Röhre. Wieso muss man diesen trägen, faulen oder zu bequemen Briten unbedingt eine neue Chance geben? Den Willen einer Mehrheit der Wähler umsetzen ist Demokratie.

          • Interessanter Gedankengang, dass es vor 3 Jahren noch nebenbei auch Wille der zum (nicht bindenden) Referendum gegangenen Wähler war, in der Endphase der (so nicht ganz vorauszusehenden) Umsetzung das Parlament für 6 Wochen auszuschalten.

            • Mithörer

              @Walter Keutgen
              Stimmt, in der Tat eine verfassungskonforme Vorgehensweise des britischen Premierministers. Die aktiven Wähler haben entschieden und er setzt diese Entscheidung um. Die jetzt am lautesten „Verfassungsbruch, Betrug, Ende der Demokratie, … schreien sind diejenigen, die das offizielle Resultat der Volksbefragung nicht akzeptieren und …. ihren Hintern beim Referendum nicht hoch bekamen.

            • Mithörer

              @Der.
              Alles vollkommen legal. Sowohl die Volksbefragung als auch die jetzige Entscheidung des britischen Premiers. Jetzt kriegt die EU mal Dampf unterm Deckel. Und das möchte der Engländer

              • Walter Keutgen

                Mithörer, die Verfassungskonformität war mir gar nicht in die Betrachtung gekommen. Es laufen aber zwei Klagen dagegen. Es ist ein Verwaltungsakt und als solcher von einem Gericht auf Klage nachzuprüfen. Jedenfalls soll es sowas das letzte Mal im 17. Jahrhundert für mehrere Jahre gegeben haben.

      • Walter Keutgen

        Mithörer, Der Postbote, wie ich mich erinnere, hat die britische Regierung noch gar nicht das Vertrauen des Parlaments. Kann man einer Regierung, die noch nicht das Vertrauen hat, das Misstrauen aussprechen? Ein genialer Schachzug zum harten Brexit ist es allemal. Auch, wenn die EU klein beigäbe, könnte Johnson den geänderten Austrittsvertrag nicht durch das Parlament bringen, weil es nicht zusammentreten darf. Danach kriegt er vielleicht nicht das Vertrauen und braucht sich nicht mit den Konsequenten des Brexits herumzuschlagen.

  2. Verkehrte Welt?

    Eine missratene Branche diese Politik!? Hier haben wir zuviele der Brüder und Schwestern, bekommen keine Regierung imstande, bzw die erste stand schon nach 2 Tagen, die Hälfte davon aus Wahlverlierern. Die Briten haben das „Double“ der Amis, zumindest was deren Haarfarbe betrifft und deren Clownhaftigkeit, am Ruder, Der Rest der Welt sieht nicht viel besser aus, mit einigen Ausnahmen!?
    Verstehe wer will!? Bekloppter geht’s nimmer!?
    Eine nichtsnutzige Gesellschaft jedenfalls.

  3. Spätestens kurz vor dem Brexitdatum, wird die EU den Engländern auf Knien anpflehen ein faireren Vertrag zu unterschreiben. Wie anmassend zu glauben das alle anderen dumm sind und die EU das Mass aller Dinge ist. Die Amis und Engländer sind dumm, die Russen und Chinesen böse, die Afrikaner minderwertig usw, aber wir mit unsere Merkels und Macrons. Die Rechnung dafür werden wir noch bekommen, aber die wird Merkel und Macron nicht bezahlen, sondern wir Bürger. Man sollte merken Europa ist ein kleiner Punkt auf der Weltkarte, manschmal wäre ein bisschen Demut angebracht,

  4. Obwohl eine parlamentarische Monarchie kein prinzipielles Feindbild für mich ist, kommen hiermit Zweifel auf. Oder sind es die 93 Lebensjahre bzw. die 67 Amtsjahre?
    Hätte Charles dieses miese Spiel mitgemacht?

    Ein italienischer Präsident lässt der Truppe eine Woche zu Potte zu kommen; und es funktioniert.
    Vielleicht auch mal eine Option für Belgien.

    • Walter Keutgen

      Der., im Prinzip unterzeichnet der konstitutionelle Monarch alles, was der Premier ihm vorlegt. Als König Balduin sich weigerte, das Abtreibungsgesetz zu unterzeichnen, hat man den Trick erfunden, ihn krank zu schreiben und nach Motril zu schicken. So brauchte er nicht gegen sein Gewissen zu unterzeichnen und das Gesetz wurde trotzdem verkündet. Ob der „Palast“ ein Verfassungsprüfung vornimmt, bezweifele ich. In Belgien und den Niederlanden besorgt das vorab, wie in Frankreich, die legislative Abteilung des Staatsrats.

      • Der staatsrechtliche Sachverhalt ist mir in beiden Ländern bekannt. Doch in UK ist das nicht geschrieben, kann also geändert warden.
        Mit 93 wäre man eigentlich jenseits von Gut und Böse. Es wäre ein interessantes Szenario geworden, wenn sich das britische Volk zwischen Queen (Royals) und Johnson hätte entscheiden müssen.

  5. Marsupilami

    Wer Populisten folgt darf sich nicht wundern wenn plötzlich das Parlament nicht mehr mitreden darf. Der „take back control“ Spruch der Brexiteers, und das Gejammere das britische Parlament kann ja wegen der bösen EU gar nichts mehr selbst beschließen war und ist plumpster Populismus.

  6. Hans Eichelberg

    „Was legal ist, muss nicht moralisch sein. … Und wenn Johnson beschließt, das Parlament auszuschalten, tut er dies, weil die britische Verfassung es ihm erlaubt.“ (Eine griechische Zeitung)

    „Man wäre ja dankbar, wenn in der deutschen Qualitätspresse die Folgen des Brexits zum Beispiel für die Steuerzahler aufgegriffen werden würden. Dies ist nicht der Fall, sondern es wird aus allen Rohren gegen Johnson und „Populisten“ geballert.“ (Kritische Presse Deutschland)
    Sehe ich auch so. Da kümmern sich die Amateure um verfassungsrechtliche Gegebenheiten in UK, mischen sich teilweise noch ein, hetzen bei uns die Leute auf, aber kein Satz, was uns die gute EU dann mehr kosten wird.
    Das wäre die Aufgabe dieser Qualitäts-Blätter.

    • Walter Keutgen

      Hans Eichelberg, in den Kommentaren eines Artikels von SpOn dazu las ich, dass es üblich ist, das britische Parlament im September in Urlaub zu schicken. Dann finden die Parteikongresse statt, die Resultate derer der Mehrheitspartei findet man in der Thronrede im November. Dieses Jahr ist die Thronrede sofort danach wegen des nötigen Vertrauensvotums. Johnson hat sogar das traditionelle Anfangsdatum – morgen – beibehalten. Aber das Ende hat das Schlitzohr stark verschoben. Das scheint mir der Grund, warum die Gerichte das nicht belangen: Sie wollen sich nicht in die Politik einmischen.

  7. Mithörer

    Das britische Parlament verpflichtet also die Regierung, einen neuen Verlängerungsantrag zu stellen, falls bis 19.10.2019 kein Übereinkommen zwischen Briten und EU erzielt würde. Alles schön und gut diese Inzenierung allen voran der britischen Opposition. Und was ist, wenn einer der EU-Staaten (z.B. Frankreich, Belgien nur geschäftsführende Regierung, …) einer weiteren Verlängerung nicht zustimmt? Brexit ohne Abkommen und automatischer Austritt der Briten aus der EU ?

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