Gesellschaft

„Gelbwesten“ wieder im Aufwind – Macron hofft auf “nationale Debatte“ – „Gelbfieber“ auch in London

12.01.2019, Großbritannien, London: Demonstranten halten britische Flaggen und tragen gelbe Warnwesten bei einem Protest für den Brexit. Foto: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

AKTUALISIERT – Auch am neunten Samstag der «Gelbwesten»-Proteste treibt die Wut Zehntausende Franzosen auf die Straßen. Staatschef Macron will sie mit einer Art dezentraler Gruppen-Gesprächstherapie besänftigen. Doch die Erwartungen der Bürger an die Aktion sind gering.

Kurz vor Beginn einer „nationalen Debatte“ zur Lösung der „Gelbwesten“-Krise hat die Bewegung in Frankreich wieder an Stärke gewonnen.

Am Samstag gingen offiziellen Angaben zufolge im ganzen Land 84.000 Menschen auf die Straßen. Damit stieg die Zahl der Demonstranten das zweite Wochenende in Folge, nachdem die Bewegung rund um Weihnachten geschwächt schien.

12.01.2019, Frankreich, Marseille: Ein Teilnehmer einer Demonstration der „Gelbwesten“ ruft während der Kundgebung vor einem Riesenrad. Foto: Claude Paris/AP/dpa

Zu solch gravierenden Ausschreitungen und Gewaltexzessen wie in den vergangenen Wochen kam es an diesem neunten Protest-Samstag in Folge aber nicht. Die Aussicht auf die von Präsident Emmanuel Macron angekündigte Debatte scheint die „Gelbwesten“ jedoch nicht entscheidend zu bremsen.

Einige Demonstranten schleuderten nach Angaben der Polizei in Paris nahe dem Triumphbogen Wurfgeschosse in Richtung von Sicherheitskräften. Daraufhin seien Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt worden. Wieder wurden in der Hauptstadt zahlreiche Menschen festgenommen. Laut Pariser Staatsanwaltschaft kamen insgesamt 155 Menschen in Polizeigewahrsam. Auch in Bourges, in Bordeaux, Straßburg und anderen Städten kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei.

Macron rief die Franzosen am Sonntagabend auf, sich in großer Zahl an der „nationalen Debatte“ zu beteiligen. Es handele sich um eine noch nie dagewesene Initiative, schrieb der 41-Jährige in einem offenen Brief an seine Landsleute, wie der Élyséepalast mitteilte. „Das ist weder eine Wahl noch ein Referendum“, stellte er jedoch klar.

Die Bürger sollen nun bis zum 15. März ihre Kritik äußern und Reformvorschläge machen können – bei im ganzen Land stattfindenden Gesprächsrunden. Macron äußerte Verständnis für Unzufriedenheit und Wut von Bürgern: „Ich teile diese Ungeduld.“

Die großen Themen sind: Steuern und öffentliche Ausgaben, Staatsorganisation, ökologischer Wandel und Demokratie – dazu gehört auch das Reizthema Einwanderung. Macron listete in seinem Brief knapp drei Dutzend Einzelfragen auf.

Desaströse Beliebtheitswerte für Emmanuel Macron

Die Franzosen schätzen die Erfolgsaussichten der Aktion allerdings eher gering ein. Laut einer Umfrage für den Sender France Info und die Zeitung „Le Figaro“ glauben sieben von zehn Franzosen, dass die Debatte nicht zu nützlichen Maßnahmen führen wird.

Erschwert wird der Start zusätzlich durch den kurzfristigen Rückzug der einst vorgesehenen Organisatorin, der Spitzenbeamtin Chantal Jouanno. Sie war nur eine Woche vor dem geplanten Beginn der Debatte von der Aufgabe zurückgetreten, nachdem öffentlich Empörung über ihr bisheriges Gehalt entbrannt war.

12.01.2019, Frankreich, Paris: Ein Mann hält bei einer Demonstration der „Gelbwesten“ ein Schild mit der Forderung nach einem Referendum auf Bürgerinitiative (RIC) in seiner Hand. Foto: Kamil Zihnioglu/AP/dpa

Für den mit desaströsen Beliebtheitswerten kämpfenden Macron hängt viel vom Erfolg seiner „nationalen Debatte“ ab. Die „Gelbwesten“-Bewegung hat den einstigen politischen Senkrechtstarter in die bislang schwerste Krise seiner Amtszeit gestürzt. Seit Mitte November demonstrieren immer wieder Zehntausende gegen seine Reformpolitik und gegen eine als zu niedrig empfundene Kaufkraft. Immer wieder gab es dabei Randale.

Die Wut aus Frankreich scheint derweil auch den Ärmelkanal überquert zu haben. In London gab es am Samstag Proteste nach dem Vorbild der „Gelbwesten“. Mehrere Tausend Menschen gingen nach Angaben der Veranstalter auf die Straße. Die Protestierenden forderten angesichts des Brexits ein Ende der Sparpolitik und eine Neuwahl. Auch Vertreter der Gelbwesten-Bewegung aus Frankreich nahmen an der Demonstration in London teil. (dpa)

21 Antworten auf “„Gelbwesten“ wieder im Aufwind – Macron hofft auf “nationale Debatte“ – „Gelbfieber“ auch in London”

  1. Ein Promille der Franzosen gehen auf die Straße und protestieren gegen die gewählte Regierung. Viele Krawallmacher unter diesen „Demonstranten“. Und? Zwecks Schlagzeilen wird dies maßlos aufgebauscht.

    Die „Demonstranten“ wollen ein Ende der Sparpolitik. Sie sollten wissen, dass man nur verteilen kann, was man verdient und erwirtschaftet hat. Und genau da hinkt Frankreich seit langer Zeit hinterher. Die Produktivität in Frankreich ist so gering, dass Investoren kein Interesse an Frankreich haben. Nur in wenigen Bereichen ist Frankreich noch in der Weltliga. Und genau diese Bereiche verspielen die Gelbwesten gerade.

    Die anständigen Bürger sollten langsam mal in Frankreich aufstehen. Ach nein, geht ja nicht. Die arbeiten ja in der Zeit, wo die Gelbwesten demonstrieren.

  2. Propaganda

    Ja Herr Berens ihnen würden ich auch zutrauen mit den Gelbwesten zu prostestieren. Sie sind ja auch fast gegen alles und ihnen kann man es nicht recht machen. Eine Lösung haben sie aber nicht. Hauptsache auffallen das ist ihr Ding.

    • karlh1berens

      Zitat @Propaganda 13/01/2019 13:27
      „Herr Berens ihnen würden ich auch zutrauen mit den Gelbwesten zu prostestieren.“

      Ich werde keine gelbe Weste anziehen, sondern durchladen ! Im Gegensatz zu Ihnen, sind mir meine Feinde bekannt.

  3. Idée fixe

    1936 lässt grüßen!

    Die Geschichte wiederholt sich wenn auch mit anderen Mitteln. Die Philosophin und Aktivistin Simone Weil schrieb im Juni 1936:

    „Alle, denen dieses Sklavenleben fremd ist, sind unfähig zu verstehen, worauf es in dieser Sache ankam. “

    Gestern wie auch heute wieder wagt der „kleine Mann“ aufzustehen und diesen Eliten und Diener des Neoliberalismus die Stirn zu zeigen. Damals wurden durch diesen Drück die Matignon Verträge geschlossen ( vierzig Stunden Woche usw.)

    Und heute:
    Dank der Gelbwesten hat dieses destruktive voll mit Ungerechtigkeiten durchdachte Regierungsprogramm eines Rotschildsprößlings den Weg in alle Haushalte gefunden.
    Kürzung des Wohngelds (APL) um 5 Euro monatlich bei gleichzeitiger Senkung der Steuern auf Kapitalerträge; Streichung der Vermögensteuer (ISF) bei gleichzeitigem Kaufkraftschwund für Rentner. Und nicht zu vergessen die teuerste Maßnahme: die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) für Unternehmen. Die Liste geht noch viel weiter, und alle diese Erscheinungen des sozialen Zerfalls , zeigen sich so oder so ähnlich auch in anderen Ländern –

    AUCH BEI UNS!

    Das Auftauchen der Gelbwesten zeugt von der allmählichen Verarmung immer breiterer Bevölkerungsschichten. Zugleich zeugt es von einem Gefühl des absoluten Misstrauens, ja geradezu einer Abscheu gegenüber den üblichen Formen der derzeitigen staatlichen Repräsentationen.

    Es bleibt zu hoffen das der friedliche Protest die Oberhand gewinnt und das es europaweit zu monatelangen Gelbwestenaktionen kommen wird, als Antwort auf die
    Folgen des Turbokapitalismus, die wachsende Ungleichheit, die viel zu niedrigen Löhne in manchen Sektoren, ein ungerechtes Steuersystem, den Niedergang des öffentlichen Dienstes, eine Umweltpolitik, die die Ärmsten bestraft, die Verödung ländlicher Räume und nicht zu vergessen die Dominanz von Akademikern in den politischen Institutionen und auch in den Medien.

    Eine gute Möglichkeit Flagge zu zeigen wäre das in Kürze anstehende Treffen zweier Visionäre der kapitalistisch ausgerichteten Marktwirtschaft vor dem schönen Aachener Rathaus.

    • abendland

      evolution ist besser als revolution.
      warum wird nicht ein direkter bürgerentscheid eingeführt?
      sollen die franzosen doch in einer VOLKSABSTIMMUNG darüber abstimmen, ob diese zusätzlichen abgaben auf diesel und benzin erfolgen sollen oder nicht.

      • karlh1berens

        Der „Katalog“ der Gelbwsten beinhaltet 41 Punkte. Die Evolution ist in die falsche Richtung gelaufen. Und wenn sie weiter in diese Richtung läuft, werden bestimmte „Bestimmer“ nur noch mit 41 Bodyguards rumlaufen können – bis sie den falschen einstellen.

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