Der Schriftsteller Dieter Wellershoff ist tot. Er starb im Alter von 92 Jahren in Köln, wie eine Sprecherin seines Verlags Kiepenheuer & Witsch am Freitag der Deutschen Presse-Agentur sagte. Wellershoff wurde 1925 in Neuss geboren. Er schrieb Romane, Novellen, Erzählungen, Essays und autobiografische Bücher.
Wellershoff war ein stiller, nachdenklicher Mensch. Das hatte wohl auch damit zu tun, dass er nach Meinung vieler Kenner nie die Beachtung gefunden hat, die ihm eigentlich gebührt hätte.
Wellershoff hatte kein Internet. Dafür hatte er Bücher. In so ziemlich jedem Raum seiner Kölner Altbauwohnung stapelten sie sich bis unter die Decke. Zusammen bildeten sie ein Archiv seiner Erinnerungen. Und das reichte weit zurück, denn der Schriftsteller hat fast ein ganzes Jahrhundert miterlebt.
Wellershoff hat 60 Jahre lang geschrieben. 1956 kam sein erstes Hörspiel heraus, 1966 der erste Roman, «Ein schöner Tag». Es folgten insgesamt 40 Romane, Novellen, Theaterstücke, Drehbücher und Essaybände. Von der Kritik fast einhellig gelobt, ließ der große Durchbruch beim Publikum lange auf sich warten: Erst sein Roman «Der Liebeswunsch» wurde im Jahr 2000 zum Auflagenerfolg und später auch fürs Kino verfilmt. Dennoch wurde dem Rheinländer nie der Erfolg zuteil, der ihm nach Meinung vieler Kritiker gebührt hätte.
Wellershoff war nicht nur ein Erzähler, sondern auch ein Essayist von Rang. Er begleitete die Bundesrepublik seit ihren frühesten Tagen. Über den Band „Angesichts der Gegenwart“ schrieb ein FAZ-Rezensent: „Dieses Buch verwirrt durch den Mangel an Irrtümern.“ Unkenrufe und Polemik waren ebenso wenig Sache von Wellershoff wie wohlfeile Ratschläge an die Politik. Mit seinen Schlussfolgerungen lag er aber oft richtig.
Der hagere Mann sah sich am Ende in einem gänzlich anderen Zeitalter angekommen als dem, in das er 1925 in Neuss hineingeboren worden war. Vor allem auf naturwissenschaftlichem Gebiet machte er eine Epochenwende aus: „Man hat die Möglichkeit, an die Erbsubstanz ranzukommen. Was da alles noch kommen wird, das kann man gar nicht beurteilen.“ Aber auch den Zuzug von über einer Million Flüchtlinge aus einem anderen Kulturkreis 2015 betrachtete er als tiefen Einschnitt, der die Gesellschaft tiefgreifend verändern werde.
Dass er das alles noch miterlebte, konnte er mitunter kaum glauben. Denn als Soldat – er meldete sich mit 17 Jahren freiwillig – wäre sein Leben 1944 schon um ein Haar zu Ende gewesen. Damals wurde er verwundet und verbrachte mehrere Monate im Lazarett. „Es ist so unwahrscheinlich, dass ich das überstanden habe. Ich habe so viele Tote, so viele Sterbende gesehen“, sagte er.
Die Raketenwerfer, die ganze Kompanien niedermähten, standen ihm noch als Hochbetagtem klar vor Augen, ebenso wie Hermann Göring: „Das war ein richtiger Popanz, wie er da an uns vorbeimarschiert ist. ‚Wo ich vorbei bin, kann gerührt werden!‘ Das bedeutete dann, dass man lockerer stehen durfte.“
Als 2009 Wellershoffs NSDAP-Mitgliedschaft bekannt wurde, versicherte er, dies sei ohne sein Wissen erfolgt: „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, in die NSDAP einzutreten.“ Ob man ihm das nun abnimmt oder nicht: Die Auseinandersetzung mit Deutschlands Nazi-Vergangenheit spiegelt sich in vielen seiner Werke.
Wellershoff war ein nachdenklicher und bescheidener Mensch. Wo andere Autoren sprudeln und von ihrem neuesten Werk oder ehrgeizigen Plänen erzählen, verwies er zum Schluss nur noch auf seinen mit einer Schutzhülle abgedeckten Computer. Kurz vor seinem 90. Geburtstag bekannte er der Deutschen Presse-Agentur: „Ich habe alles gesagt.“ (dpa)
https://twitter.com/dw_kultur/status/1007609430979088384?s=20
Danke OD für diesen guten Beitrag.